Matthias Bloechle zur PID: "Ein Sieg der Gewissensfreiheit"

Matthias Bloechle zur PID: "Ein Sieg der Gewissensfreiheit"
Ohne Matthias Bloechle aus Berlin hätte die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik so nicht stattgefunden. Der Arzt, der in Berlin zusammen mit Kolleginnen ein "Kinderwunschzentrum" betreibt, hatte das Verfahren im Jahr 2005 bei einer Patientin angewendet und sich daraufhein selbst angezeigt. Im Juli 2010 bestätigte der Bundesgerichtshof ein Urteil des Landgerichts Berlin, das Bloechle freigesprochen hatte. Die Richter mahnten eine eindeutige gesetzliche Regelung an, die an diesem Donnerstag vom Bundestag beschlossen wurde.
08.07.2011
Von Matthias Bloechle

Der Deutsche Bundestag hat nach langer und sehr emotional geführter Debatte ein Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik verabschiedet. Danach ist diese Form der genetischen Untersuchung an Embryonen zulässig für Paare mit dem erhöhten Risiko einer schweren genetisch bedingten Erkrankung bei einem zu erwartenden Kind. Die Paare müssen sich der Beurteilung einer Ethikkommission unterwerfen. Die Behandlung soll nur in einem lizenzierten Zentrum vorgenommen werden können.

Die Entscheidung der Zulassung der PID in Deutschland ist grundsätzlich zu begrüßen. Die absurde Situation, dass ein Embryo vor der Einnistung nicht auf genetische Erkrankungen untersucht werden durfte, derselbe Embryo nach der Einnistung aber doch, ist mit diesem Gesetz aufgehoben worden. Es werden auch zukünftig nicht mehr betroffene Paare und dabei hauptsächlich die Frauen, die schließlich in ihrem Körper ein Kind austragen, zur Behandlung in die Nachbarländer Deutschlands gedrängt. Es hatte bei den Betroffenen eine enorme psychische Auswirkung, dass ihnen im Heimatland eine mögliche hilfreiche Therapie vorenthalten wurde. Viele konnten das nicht verstehen und fühlten sich dadurch in die Nähe von unrechtem, ja strafrechtlich relevantem Handeln gerückt.

Entscheidungen durch Verbote regeln? 

An der PID–Debatte wurde auch ein grundsätzlicher Konflikt im Verständnis mit dem Umgang des Bürgers deutlich. Viele Gegner der PID neigen dazu, Entscheidungen, welche unmittelbar nur auf das Leben der betroffenen Menschen Auswirkungen haben, durch ein strafrechtliches Verbot zu regeln. Hier werden Argumente vorgetragen, dass man die Frauen nicht einer belastenden Hormonbehandlung aussetzen dürfe, dass die Erfolgsaussichten einer künstlichen Befruchtung mit PID nur gering seien und dass die Geburt eines gesunden Kindes nicht garantiert werden könne.

PID-Pionier Matthias Bloechle hätte eine Verfassungsklage erwogen, wenn die PID verboten worden wäre (Foto: dpa/Thorsten Futh/laif).

Dies offenbart eine paternalistische, die betroffenen Menschen entmündigende und bevormundende Grundhaltung. Immanuel Kant hat Unmündigkeit als das Unvermögen, sich seines Verstandes nicht ohne Leitung anderer bedienen zu können, definiert. Sind die betroffenen Menschen wirklich nicht in der Lage für sich zu entscheiden, ob ihnen die Hormonbelastung zu belastend ist oder nicht? Ob sie die Chancen einer Behandlung persönlich als ausreichend ansehen oder als viel zu gering, um eine solche Behandlung zu beginnen? Wer soll das anstelle dieser Menschen für sie entscheiden? Sollen ausgerechnet die von schweren Schicksalsschlägen betroffenen Menschen für unmündig erklärt werden?

Eine privat zu beantwortende Frage

Andere Debattenteilnehmer trugen ihre eigenen als bereichernd empfundenen Erfahrungen mit kranken und behinderten Kindern vor. Diese sind ohne jeden Zweifel zu respektieren, Doch sind sie Begründung genug, anderen Menschen andere Entscheidungen für ihr persönliches Leben zu untersagen? Sind die eigenen Gefühle zu diesem Thema ausreichende Begründung, anderen Menschen wesentliche Freiheitsrechte vorzuenthalten?

Die Frage von Schwangerschaft und Kinderwunsch ist eine privat zu beantwortende Frage. Sie fällt unter das im Artikel 2 des Grundgesetzes verbriefte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Der Staat darf keiner Frau vorschreiben, dass oder wann sie schwanger werden muß, ebenso wie er keiner Frau untersagen darf, schwanger zu werden. Der Staat hat verstanden, dass er einer Frau die Entscheidung überlassen muß, ob sie schwanger bleiben will oder einen Abbruch der Schwangerschaft vornehmen lässt. Er hat dies in der Beratungslösung gesetzlich anerkannt. Auch die Frage, ob eine Frau mit einem kranken und sie womöglich krank machenden Embryo schwanger werden will oder nicht, hat der Staat nicht zu entscheiden.

Auch Martin Luther folgte seinem Gewissen

Die PID ist eine Gewissensentscheidung, die von Menschen in einer bestimmten Risikosituation wahrgenommen werden kann und muß. Niemand ist verpflichtet, die PID in Anspruch zu nehmen und niemand ist verpflichtet eine Pränataldiagnostik oder einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Das ist auch richtig so – warum sollte es aber umgekehrt anders sein?

Gerade der Protestantismus fußt auf der Gewissensentscheidung. Martin Luther stand 1521 vor dem Reichstag in Worms und sagte: " ..mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, ich kann und will nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun." Die Einführung des eigenen Gewissens hat erst zu den modernen aufgeklärten Gesellschaften geführt, in denen wir heute leben dürfen. In Zeiten, wo das individuelle Gewissen nicht zählte, loderten die Scheiterhaufen!

Gerade die evangelischen Christen in Deutschland sollten sich berufen fühlen, für die Freiheit der Gewissensentscheidung einzutreten, auch wenn sie sich die Entscheidung im Einzelfall nicht zu eigen machen können. Ich kann gut verstehen, dass viele Menschen die Präimplantationsdiagnostik nicht für richtig halten. Aber es durfte nicht soweit kommen, dass diese persönliche Entscheidung anderen Menschen durch ein Strafgesetz aufgezwungen wird. Insofern war die Entscheidung des Deutschen Bundestages ein - wenn auch unvollständiger - Sieg für die Freiheit des Gewissens. Dies begrüße ich sehr.


Matthias Bloechle ist Gynäkologe mit Schwerpunkt Reproduktionsmedizin. Zusammen mit Kolleginnen betreibt er eine Kinderwunschpraxis in Berlin. Bloechle ist Sohn eines evangelischen Pastors und Vater von fünf Kindern.