Glockenfachfrau wacht über 5.000 Kirchtürme

Glockenfachfrau wacht über 5.000 Kirchtürme
Birgit Müller muss vor allem eines sein: schwindelfrei. Denn ihr Arbeitsplatz liegt in zehn bis 30 Metern Höhe - und ist oft alles andere als sicher. Als Fachfrau für Glocken klettert sie über wackelige Stufen und Dielen auf Kirchtürme, um beim Geläut der Gotteshäuser nach dem Rechten zu sehen. "Dabei gilt: Immer genau schauen, wo ich hintrete", sagt Müller. Die 46-Jährige aus Maxdorf bei Ludwigshafen ist deutschlandweit in einer fast reinen Männerwelt die einzige hauptberufliche Glockensachverständige - und in Rheinland-Pfalz und im Saarland für rund 5.000 Kirchen zuständig.
20.06.2011
Von Birgit Reichert

In der katholischen Kirche Maria Himmelfahrt im saarländischen Bosen ist allerhand zu sanieren. «Glockenstuhl und Unterzug müssen dringend erneuert werden», sagt die Frau im grünen Overall. Die drei Glocken, die in einer rund 60 Jahre alten Stahl-Konstruktion hängen, läuten schon seit einem Jahr nicht mehr gleichzeitig - wegen Einsturzgefahr. "Nur eine kleine Glocke dürfen wir kurz anmachen", sagt der Pastor von Bosen-Eckelhausen, Stefan End. Das sei aber nicht dasselbe. "Bei Beerdigungen fehlt das Trauergeläut", erläutert der 41-Jährige. Daher wird jetzt repariert. Für rund 50.000 Euro.

Bistum übernimmt die Kosten

Da das Bistum Trier die Kosten zu 60 Prozent übernimmt, kommt Glockenfachfrau Müller ins Boot. Sie begutachtet und macht nach den Reparaturen die Abnahme. Sie arbeitet dabei ganz ökumenisch. Denn neben dem Bistum Trier ist die einst gelernte Reisekauffrau auch tätig für das Bistum Speyer, die Evangelische Kirche der Pfalz und die Rheinische Landeskirche Düsseldorf in deren südlichen Gefilden. "Für mich macht es keinen Unterschied, ob die Glocke für Katholiken oder Evangelische läutet", sagt die Freiberuflerin.

In Deutschland gibt es zwischen 45 und 50 Glockensachverständige, sagt Martin Kellhuber von der Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik in Regensburg. Die meisten von ihnen seien nicht hauptamtlich tätig, sondern erledigten die Arbeit aus einem Baureferat mit heraus - als Musiker, Architekt oder Techniker. In der Ausbildung, die drei Jahre dauert, gebe es derzeit auch weiblichen Nachwuchs: "Es kommen vier, fünf Frauen nach", sagte der Professor für Kirchenmusik, der jene Ausbildungsseminare an der Hochschule koordiniert.

Mehrmals in der Woche reist Müller durch die Länder. "Mein Arbeitsgebiet ist größer als das von Ministerpräsident Kurt Beck", lacht sie. Um die 250 bis 300 Türme sind es im Jahr, die sie unter die Lupe nimmt. Meist sind nicht die Glocken selbst kaputt, sondern die Konstruktion darum. In den vergangenen 60 Jahren seien die Kirchen zwar rund um den Altar gerne saniert worden. "Die Kirchtürme aber wurden stiefmütterlich behandelt", sagt Müller. Und der Hilferuf kommt oft erst, wenn gar nichts mehr läutet.

"Musste mich durchboxen"

Müller war 2004 die erste Frau, die beim ökumenischen Beratungsausschuss für das Deutschen Glockenwesen ihre Ausbildung abschloss. Ganz neu in einer reinen Männerwelt zu sein, war anfangs nicht leicht: "Da musste ich mich durchboxen. Es wurde da schon komisch geguckt: Frauen und Technik auf dem Turm", sagt sie. Heute sei das vorbei. "Es hat sich rumgesprochen, dass ich Ahnung habe." Zu dem Job ist Müller über ihren Mann gekommen. Er war Glockensachverständiger der Evangelische Kirche der Pfalz und des Bistums Speyer.

Das Geläut aus Kostengründen ganz stillzulegen, das käme für die 600-Einwohner-Gemeinde Bosen nicht infrage. "Wenn die Glocken ganz schweigen, fehlt der Kirche eine Stimme", sagt Pastor End. Für die zwölfwöchige Bauzeit im Kirchturm hat er sich schon etwas überlegt: "Ich werde bei der evangelische Kirche im Ort anfragen, ob sie für uns mitläutet." Und nach der Sanierung, die vor Weihnachten fertig sein soll? "Dann werde ich am ersten Advent das neue Kirchenjahr eine volle Viertelstunde lang einläuten", sagt er.

dpa