"Göttliche Open-Air-Party": Das Echo auf den Kirchentag

"Göttliche Open-Air-Party": Das Echo auf den Kirchentag
Die einen loben die Diskussionskultur, die anderen vermissen die Lehre von Gott: das analytisch-kritische Medienecho zum 33. Evangelischen Kirchentag in Dresden und dem Heimspiel für die Bundeskanzlerin.

"Willkommen in Käßmanns Kinder-Kirche"

Kölner Stadt-Anzeiger: Beim Kirchentag in Dresden offenbart sich der Trend zu Theologie ohne wirkliche Substanz. Denn die "Lehre von Gott" spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen wird ein moralisches Allerlei mit christlicher Tünche angerührt.

Atomausstieg, direkte Demokratie, Finanzmärkte, Afghanistan - das waren die großen Themen beim Kirchentag in Dresden. Die Veranstalter wollten es so. Boshaft könnte man fragen, was das Protestantentreffen noch von einem Globalisierungsgegner-Forum unterscheidet. Richtig ist, der Kirchentag war immer schon auch politisch. Doch es fällt gerade jetzt beim Treffen im konfessionslosen Dresden auf, wie sehr die evangelische Kirche mit ihrer Kernkompetenz fremdelt: mit der Theologie. Mit der "Lehre von Gott". (…)

Fast 700-mal insgesamt kommen in der Bibel die Begriffe "Gesetz" und "Gerechtigkeit" vor, viermal so oft wie "Frieden". Kirchenleute wie Käßmann blenden diese Dimension, die auch bedeutet, dass Frieden ohne Freiheit und Recht schwer denkbar ist, in ihrem Blick auf die Welt völlig aus. Nur so können sie fordern, Christen sollten mit Menschen beten, die Teenager dazu bringen, sich auf Marktplätzen in die Luft zu sprengen. "Es gibt keinen gerechten Krieg", sagt Käßmann, "nur gerechten Frieden." (…)

Doch es ist in jeder Hinsicht fragwürdig, deutsche Soldaten, die auf Grundlage eines UN-Mandats und eines Parlamentsbeschlusses Regierung und Zivilbevölkerung Afghanistans gegen ein Heer mittelalterlicher Schlächter verteidigen sollen, in die Nähe ungerechter Kriege zu rücken.

Solche Moral ist himmelschreiend selbstgerecht und theologisch substanzlos. Beides kann sich die Kirche in Zeiten schrumpfender Gemeinden eigentlich nicht leisten. Gut besuchte Kirchentage widerlegen diese Wahrheit nicht. Sie verschleiern sie nur.

"Viel Glück in Dresden"

Süddeutsche Zeitung: Vor zwanzig Jahren hätte ein Kirchentag sicher über Gott und Geld geredet, über Krieg und Frieden, Ökologie, die Dritte Welt. Aber Glück? Das Glück war den Protestanten eigentlich nie so richtig geheuer. Es war ein weltlich Ding und streng geschieden von der Gnade. Nun ist dieses Glück im Innersten des Kirchentags angekommen. (…)

Damit ist dieser Kirchentag eine Zeitansage für alle Christen und darüber hinaus fürs ganze Land. Die Weltuntergangsangst, die in der alten Bundesrepublik Weltrettungspathos erzeugte, ist vorbei. Auch die Höllenangst, die noch Martin Luther auf der verzweifelten Suche nach dem gnädigen Gott antrieb, haben sich die Christen abgewöhnt - zum Glück. Es ist aber das eigene Leben prekär geworden, die Beziehungen sind brüchig, die Arbeitsplätze unsicher, die Maximen vorläufig.

Und so suchen die Leute zunehmend nach Haltung, Habitus und Stil im Leben; nach ihrem Lebensglück, wie immer es aussehen mag. Und der erste Sinn der Religion ist nicht mehr so sehr die Eintrittskarte in Paradies und Himmelreich. Eine Religion soll dem, was im Leben auf einen zukommt, Sinn und Grund geben. Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, steht für diese Form der Religiosität, auch deshalb ist sie ein Star des Kirchentags. (…)

Die Frage nach dem wahren Glück und der richtigen Haltung im Leben lässt sich ohne Religion beantworten, nicht aber ohne Sinnsuche. Das könnte die Christen, da sie in immer mehr Regionen des Landes zur Minderheit werden, mit den Sinnsuchern außerhalb der Kirchen verbinden. Auch in dieser Hinsicht nimmt der Kirchentag in Dresden die Zukunft vorweg. Es wäre ein Bündnis gegen die Herrschaft des Nächstliegenden, gegen das, was alle machen.

"Trägerschicht der Trivialmoral"

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Zweifelsohne hat der Kirchentag im Laufe der Jahrzehnte dazu beigetragen, Verkrustungen in der evangelischen Kirche aufzubrechen. Aber er hat eben auch geistige und geistliche Verheerungen befördert. Die Gottesrede hat an Prägnanz eingebüßt. Die Kraft des Evangeliums, das die Menschen in ihren Ängsten und in ihrer Schuld anspricht, mit der sie durchs Leben gehen und über die sie eben nicht offen sprechen wollen, wird in Predigten nur selten erfahrbar. An diese Stelle tritt eine appellative Trivialmoral sowie der Jargon menschlicher Nähe. (…)

Wenn es richtig ist, dass in der Kirche eine Trägerschicht dieser - inhaltlich übrigens äußerst wandelbaren - Trivialmoral existiert, sind Banalisierungstendenzen nicht zuletzt eine Frage der Verteilung von Ressourcen. Die stetige Anpassung dieser Moral an die Erfordernisse der Zeit verfolgt nicht zuletzt den nach innen gerichteten Zweck, den Etat der eigenen Einrichtung abzusichern. Ein Mechanismus, der in Kirchensynoden trefflich funktioniert, weil es dort kaum jemand wagt, dem angeblich Guten und Gerechten zu widersprechen. Und sei es theologisch noch so flach.

"Populistisches Hochamt"

Die Welt: Sie ist nie richtig weg gewesen, war doch ihr Rücktritt vor einem Jahr nur eine kleine Irritation in ihrer so aufregenden wie unvollendeten Geschichte, denn Margot Käßmann weiß: Sie ist der Deutschen liebste Predigerin. Daher ist es auch kein Wunder, dass sie auf dem 33. Evangelischen Kirchentag in Dresden alle Rekorde sprengt. Man pilgert zu ihr. Warum? Weil sie rhetorisch versiert ist, weil sie offensiv gegen die Politik vorgeht und mit schlichten Antworten auf komplexe Fragen den Menschen das Gefühl gibt, auf der richtigen Seite zu sein. So kann kein Politiker sprechen wie ein Prediger, der eine gute Welt erträumt und ersehnt, denn bei ihm klänge es nur nach Phrasendrescherei. (…)

Soldaten sind nicht per se Mörder. Margot Käßmann hat sie zu Tätern gemacht und die Taliban fast zu Betbrüdern im Geiste. Aber die Feindesliebe, die das Christentum so singulär macht, kennt gerade der radikale Islamist nicht.

Margot Käßmann ist so, weil die Deutschen das lieben. Selig sind die Selbstgefälligen. Die viel gescholtene Politik aber muss handeln, oft fehlerhaft und ungenügend in einer komplexen - und auch unbarmherzigen Welt.

"Ein Fest für Mitmach-Demokraten"

Frankfurter Rundschau: Der Kirchentag hat die neue Lust an der Bürgerbeteiligung entdeckt, und am Ende werden so viele Resolutionen verabschiedet sein wie bei keinem Protestantentreffen seit den 80er Jahren mehr – Online-Voten inklusive. (…)

Draußen fällt der Blick unweigerlich auf das Bibelmobil der Deutschen Bibelgesellschaft. "War König David ein Hallodri?" und "Würde Jesus heute twittern" steht auf aufgemalten Sprechblasen zu lesen. Ob das die Fragen sind, auf die die religiös entfremdeten Dresdner – 80 Prozent sind ohne kirchliche Bindung – am drängendsten Antworten suchen, darf bezweifelt werden. Sie haben aber mit Toleranz und Gelassenheit auf den zehntausendfachen Einfall der Protestanten reagiert, auch wenn nur ein kleines Häuflein Mutiger den Weg zu einem "(Glaubens-)Dialog mit Konfessionslosen" gefunden haben.

Im Osten sei der Anteil der Konfessionslosen hoch, stellt Kirchentags-Generalsekretärin Ellen Ueberschär nüchtern fest, das bedeute aber nicht, dass die Menschen "gottlos sind". Beim ersten zarten Dialog dieser Art tut man sich noch schwer, aber immerhin kann der Vertreter der Humanistischen Union, bekennender Atheist, unwidersprochen feststellen, die Konfirmation sei vielfach bloß ein "fotogener Kirchenaustritt".

"Vermisst: Streit"

die tageszeitung: So sagen es die FunktionärInnen des Kirchentages: Ist es nicht schön, dass wir uns alle in Dresden so wohlfühlen? Und haben sie nicht recht? Durch die Stadt rudelt und wuselt eine Menge von Menschen, die mit ihren frühlingsgrünen Schals auf Anhieb als besuchende Christen und Christinnen zu erkennen sind. Frauenkirche! Zwinger! Kreuzkirche! Sehen all diese Marker im Stadtbild nicht fein aus unter der Sonne?

Sie sind zufrieden, die Organisierenden des 33. Evangelischen Kirchentages - und doch fehlt ihnen der Blick dafür, was einmal der Kern dieses Laientreffens der protestantischen Kirche war: der Streit. (…)

Wo sind all die Leute, die die Ruhe im christlichen Spektrum stören? Man beginnt, Akteure zu vermissen, die nicht zum Mainstream zählen. Solche, die Schwule grässlich finden; die AKWs für gefährlich, aber nicht für Sünde halten; die Einwanderung für problematisch halten und den Islam sowieso. Nicht, dass man mit denen irgendwie einer Meinung sein möchte - aber ohne sie fühlt sich alles an wie Wolle, die möglicher Kratzigkeit wegen noch in Watte eingesponnen wurde.

Der Kirchentag übt Verzicht. Seine MacherInnen wollen offenbar Ruhe im eigenen Glaubenssprengel. Ihr Ton ist der von beruhigenden ModeratorInnen, es ist ein grüner Sound, der stets darauf setzt, Konflikte zu kastrieren. Schade um die gute Energie, die aus jedem Streit hervorgeht.

"Kirchentag und Politik"

WAZ: Es war ein Wagnis, doch es ging auf. Mehr noch, es war ein grandioser Erfolg: Der Evangelische Kirchentag hat sich nach Dresden gewagt, wo 80 Prozent der Bewohner keinerlei Bezug zur Kirche haben. Doch das Christentreffen hat alle verzaubert. Es hat das Stadtbild geprägt – mit einem stimmungsvollen Lichtermeer an und auf der Elbe zur Eröffnung, bunten Fahnen, Open-Air-Bühnen, mit Musik-Stars wie den Wise-Guys, Nina Hagen, den Prinzen und Bläserchören, dazu fröhlich gestimmte Menschen jeglichen Alters – und das alles vor malerischer Barockkulisse.

Doch der Kirchentag war nicht nur die göttliche Open-Air-Party. Es wurde auch intensiv debattiert. Einer der Höhepunkte war eine Diskussion zwischen dem Ratsvorsitzenden der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland), Nikolaus Schneider, und Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Es war eine von gegenseitigem Respekt getragene Diskussion über Verteidigungspolitik. Für den Minister offenbar eine überraschende Erfahrung. "Dass wir so miteinander diskutieren, verglichen mit den 70er-Jahren, das ist für den Staat und die Kirche ein Gewinn." (…)

Geradezu ein Heimspiel erlebte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie erhielt tosenden Applaus. Merkel plädierte für einen gerechten Welthandel auf dem Podium. Und sie sprach sich für eine eigenständige UN-Umweltorganisation aus. Die Zeit sei reif dafür.

Einen ökumenischen Akzent setzte Präses Schneider mit dem katholischen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, und Bischof Augoustinos, dem Vorsitzenden der orthodoxen Bischofskonferenz. Aufbruchstimmung indes konnten sie nicht verbreiten. Sie lobten Gemeinsamkeiten.

"Wie evangelisch ist Deutschland?"

Rheinische Post: Das Kirchentags-Programm zeigt: Der evangelische Diskussionsbedarf über gerechtes Wirtschaften, Bewahrung der Schöpfung, Krieg und Frieden bleibt groß – der Protestantismus ist dem Staatlichen und seinen Problemen traditionell ohnehin stärker zugetan als der stärker mit sich selbst und mit dem Verhältnis zu Rom beschäftigte deutsche Katholizismus. Mit Wutbürgern ist zu rechnen. Der Kirchentag sei wieder so politisch wie in den 80ern, jubelte bereits der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer.

Scheinbar gute Voraussetzungen also. Es könnte aber auch sein, dass der Schein trügt – dass dem evangelischen Diskurs, also dem öffentlichen Reden von Protestanten und über Protestantisches, eine Krise droht. (…)

Die evangelische Kirche tut sich noch immer schwer damit, Themen zu setzen. Manches versandete, wie die Debatte mit den Muslimen über die Rolle des Islam in der modernen Demokratie. Anderswo wich moralische Zuspitzung ("Nichts ist gut in Afghanistan") fundierteren, "politischeren", aber schwerer zu vertretenden Einsichten – Käßmanns Nachfolger Nikolaus Schneider sagt, er könne nicht eindeutig beurteilen, ob der Afghanistan-Krieg legitim sei.

evangelisch.de/thö