Filmkritik der Woche: "Wer ist Hanna?"

Filmkritik der Woche: "Wer ist Hanna?"
Die Rache des Wolfskinds: Regisseur Joe Wright verbindet in "Wer ist Hanna?" Märchenhaftes mit krachender Action. Der Film verspricht Unterhaltung auf höchstem Niveau.
24.05.2011
Von Frank Schnelle

Als Jägerin führt der Film seine Protagonistin ein: Mit Pfeil und Bogen erlegt sie einen Elch - und verpasst ihm mit einer Pistole den Gnadenschuss, weil sie sein Herz knapp verfehlt hat. 15, vielleicht 16 Jahre alt ist das Mädchen in Joe Wrights "Wer ist Hanna?" und eine irritierende Mischung aus blond gelocktem Unschuldsengel und kaltblütiger Amazone. Gemeinsam mit ihrem Vater lebt sie fernab der Zivilisation, irgendwo im finnischen Hinterland. Dort durchläuft sie ein knallhartes Training, denn Hanna muss vorbereitet sein - sie ist zwar Jägerin, aber vor allem Gejagte.

[reference:nid=41477]

Es ist ein kaum verortbarer, lyrischer und rätselhafter Auftakt. Alles steuert auf Konflikt und Kampf zu, wenn Erik (Eric Bana) die Abwehrreflexe seiner Schutzbefohlenen (Saoirse Ronan) ein ums andere Mal mit Brachialgewalt auf die Probe stellt. Am Anfang ist die Welt jedoch friedlich und harmonisch. Der Verweis aufs Fabelhafte kommt früh und direkt: Das Spiel mit den Märchenmotiven wird sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen.

Als Hanna Kontakt mit der CIA aufnimmt, ist sie bereit, den Preis dafür zu zahlen, ganz gleich, wie hoch er auch sein mag. Damit beginnt ein außergewöhnliches Action-Märchen. Wright schafft das Kunststück, einen ganz eigenen Ton zu treffen. Er zelebriert Körperlichkeit und Aktion, schwelgt in Tempo und Dynamik, kreiert aber auch Momente von nachdenklicher Intimität und fremdartiger Schönheit.

Vordergründig schildert er den Zweikampf zwischen Hanna und einer Geheimagentin, eine Art Rachegeschichte, die in Hannas frühe Kindheit zurückreicht und nun, halb Flucht, halb Recherche, Aufklärung und Auflösung bringen muss. Diese Reise führt durch halb Europa, aus dem verschneiten Wald in die steinige Wüste, von Finnland über Spanien bis nach Hamburg und Berlin. Auf dieser Ebene bietet der Film präzises Genrekino voller verblüffender Wendungen, die Hannas Ausnahmetalent als vielseitige Kampfmaschine unter Beweis stellen.

Zugleich wird in der Agentin Melissa (Cate Blanchett) das Märchenhafte weitergesponnen. Sie ist, mit leuchtendem Rotschopf und dunkelgrünen Kostümen, die böse Hexe, die nicht ruht, bis das schöne, ungewollte Kind vernichtet ist. Beim Showdown, der im verwunschenen Berliner Spreepark spielt, kommt Melissa aus einem Tunnel, dessen Ausgang aus einem überdimensionierten Wolfskopf besteht: bereit, ihr Opfer nun endlich zu fressen.

Unbefangene Offenheit und rabiate Skepsis

Wie ein "Wolfskind" wird Hanna im Schnelldurchlauf mit der wirklichen Welt konfrontiert. Den Kuss, den sie einem spanischen Jungen verwehrt, gibt sie später einem Mädchen, das als ganz normaler Teenager einen kompletten Gegensatz zu ihr darstellt. Hanna, die so wenig weiß und doch so viel kann, versteht nichts von den Sorgen und Nöten der Gleichaltrigen. Sie begegnet der Welt mit einer Mischung aus unbefangener Offenheit und rabiater Skepsis. In dieser Hinsicht handelt der Film vom Erwachsenwerden, vom Abenteuer, sich da draußen zu bewähren und den eigenen Weg zu finden.

Wright nimmt seine Figuren auf eine Weise ernst, wie das im aktuellen Kino kaum noch geschieht. Sein Markenzeichen, die endlos langen Einstellungen, setzt er so ökonomisch und elegant ein, dass sie nicht mehr aufs Erzählen verweisen, sondern sich dem Erzählten unterordnen und unauffällig die Einheit von Ort und Zeit herstellen. Wright gelingt mit "Wer ist Hanna?" der große Wurf: eine kühne Vision, die gleichermaßen berührt und auf höchstem Niveau unterhält.

USA/Großbritannien/Deutschland 2011. R: Joe Wright. B: Seth Lochhead, David Farr. Mit: Saoirse Ronan, Eric Bana, Cate Blanchett. L: 111 Min. FSK: ab 16, ff.

epd