Feuerherz: Opfertheater ohne Ende

Feuerherz: Opfertheater ohne Ende
Senait Mehari war eine Kindersoldatin, welche die Nation rührte. Ihre Niederlage vor Gericht verlief jedoch ohne Anteilnahme. Geht es um Opferschmonzetten, sind viele Journalisten zu sorglos.

Gefälschten Autobiographien gibt es immer wieder. Noch im Februar dieses Jahres hatte Michael Martens, Auslandskorrespondent der FAZ, ein autobiographisches Machwerk als Fälschung entlarvt. In ihrem Buch mit dem gefühligen Titel "Mit der Hölle hätte ich leben können" erzählt die Bundeswehrveteranin Daniela Matijevic von ihrem Einsatz im Kosovo, wo sie und ihre Kameraden unter anderem knietief in Leichen gestanden und aus Hunger einen Hund geschlachtet und verspeist hätten. Desweiteren hätte sie erleben müssen, wie ein vergewaltigter Junge bei einer Gegenüberstellung von seinem Peiniger per Kopfschuss ins Jenseits befördert worden wäre.

Wilde Räuberpistolen ohne einen Funken Wahrheit, versichern Balkan-Experten, einheimische Journalisten und Bundeswehrsoldaten in Hinblick auf diese und viele andere Stellen des Buches. Manche empören sich über die offensichtlichen sachlichen Fehler, die eigentlich jedem Lektor hätten auffallen müssen. "Wer behauptet, die Serben seien katholisch, verfügt nicht einmal über einfachste Grundkenntnisse vom Balkan, was für das Lektorat des Verlages offenbar ebenso gilt", sagt Rupert Neudeck in der FAZ.

Für jeden, der sich näher mit gefälschten Autobiographien beschäftigt, wirkt der Vorwurf, Autor und Verlag ließen in ihrem Buch selbst "einfachste Grundkenntnisse" vermissen, wie ein lauter werdendes Echo. Als "Betriebsunfälle von schöner Regelmäßigkeit im Mediengewerbe" hatte der Germanist Esther Kilchmann gefälschte Autobiographien im August 2004 in der FAZ bezeichnet. Einen Monat später erschien Feuerherz. Es sollte eines der erfolgreichsten deutschen Bücher in der Abteilung gefälschter Leidensgeschichten werden.

Die mediale Karriere einer Kindersoldatin

Der Droemer Knaur Verlag landete mit Feuerherz einen Dauerbrenner auf dem Buchmarkt und im Medienbetrieb. Die sogenannte Autobiographie hielt sich über Monate als Sachbuch in den Bestsellerlisten. Zeitgleich begann die hübsche Autorin Senait Mehari in der Rolle als ehemalige Kindersoldatin ihre Karriere in den deutschen Medien.

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Ähnlich wie andere Autoren mit gefälschten Lebensgeschichten führte sie vor, wie man traumatische Erlebnisse bewältigt, indem man sie ständig wiederholt und so viele Menschen wie möglich daran teilhaben lässt. Die Medien liebten sie dafür. Sie zog als exotische Schönheit die Blicke auf sich, konnte die Mischung aus Wehmut und Lebensfreude sehr gut verkaufen und galt vielen als Inbegriff einer kämpferischen Frau, die nie aufgibt. Darauf reagierte nicht vornehmlich der Boulevard, sondern vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch die ihrem Selbstverständnis nach qualitative Presse mit begeisterter Betroffenheit.

Mit steigender Prominenz wurde Senait Mehari nicht nur als authentisches Opfer, sondern auch als Expertin für Kindersoldaten überhaupt gehandelt. In dieser Personalunion trat sie auch als Sprachrohr für viele Kinderrechtsorganisationen wie UNICEF, terre des hommes, Kindernothilfe und die Aktion Weißes Friedensband auf, deren Schirmherrin sie bis heute ist.

Zeitzeugen auf dem Rechtsweg erfolgreich

Ein abruptes Ende fand diese Erfolgsgeschichte im Februar 2007, als die Journalisten Peter Disch und Julia Salden ihre Recherchen zur Realbiographie von Senait Mehari in der NDR-Sendung Zapp präsentierten. Was warf man der Autorin konkret vor? Senait Mehari behauptet in Feuerherz, dass sie und andere Kinder in einem Lager für Kindersoldaten grausam misshandelt worden wären. Dort hätte es auch eine brutale Kommandantin namens Agawegahta gegeben, die Kinder hinrichten gelassen hätte.

Zeitzeugen, ehemalige Weggefährten und der Eritrea-Experte Günter Schröder hingegen legten in der Zapp-Sendung dar, dass Mehari Schülerin in der sogenannten Morgensternschule gewesen sei, wo Kinder trotz der widrigen Verhältnisse während des Krieges Schulunterricht erhalten hätten. Agawegahta, alias Almaz Yohannes, sei eine Mitschülerin gewesen und habe nichts von dem getan, was Mehari ihr nachsage. Schröder hatte dazu unter anderem Interviews mit ehemaligen Weggefährten von Senait Mehari geführt.

Weil Verlag und Autorin auf ihrer Version bestanden, beschritten die Zeitzeugen den Rechtsweg. Im April 2008 lenkte der Verlag ein und stimmte einer außergerichtlichen Einigung zu. Droemer Knaur widerrief in einer Pressemitteilung öffentlich die "Aussagen über Almaz Yohannes in Bezug auf das Buch Feuerherz". Der Verlag zahlte Almaz Yohannes eine Entschädigung und stoppte den Verkauf des Buchs.

Gericht verurteilt Autorin wegen "unwahren Behauptungen"

Senait Mehari hatte dem Vergleich nicht zugestimmt und beharrte weiterhin auf ihrer Geschichte. Am 15. Oktober 2010 urteilte das Hamburger Landgericht, Mehari dürfe zentrale Aussagen aus Feuerherz nicht mehr verbreiten. Bei Zuwiderhandlung droht ihr ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Geklagt hatten Almaz Yohannes und Benifer Ghere Elias, der ehemalige Leiter der Morgensternschule. In der Begründung urteilte das Gericht, es handele sich um "unwahre Tatsachenbehauptungen", die "schwerste Persönlichkeitsrechtseingriffe" darstellten.

Ehemalige Lehrer und Schüler der Morgensternschule versuchten das Urteil publik zu machen. Vergeblich, weder ihre Pressekonferenz noch ihre Pressemitteilung fanden einen nennenswerten Anklang bei Journalisten. Erstaunlich, hatten doch Bild, Spiegel, FAZ und unzählige andere ebenso blumig wie wortreich über Senait Mehari geschrieben. Über zwanzig Auftritte oder Berichte konnte sie in den öffentlich-rechtlichen Sendern verbuchen. Aber nicht nur die Journalisten hüllten sich angesichts der Verurteilung von Senait Mehari in Schweigen, sondern auch die Kinderrechtsorganisationen, deren Gallionsfigur sie einst gewesen war.

Erst die Spenden, dann die Moral?

Auf mehrmalige Nachfragen erklärten die Organisationen Aktion Weißes Friedenband, Kindernothilfe, terre des hommes und UNICEF schließlich, sie hätten "grundsätzlich keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt" von Feuerherz. In ihrer Begründung schreiben sie: "Es ist für alle Seiten unmöglich, unabhängige und überprüfbare Informationen zur Situation von Kindersoldaten im äthiopisch/eritreischen Krieg von 1980/81 zu bekommen. In Detailfragen muss auch berücksichtigt werden, dass es sich um subjektive Kindheitserinnerungen der Autorin handelt, die naturgemäß lückenhaft und nicht objektiv sind."

Wenn es aber unmöglich ist, überprüfbare Informationen zu erhalten, wie können sich die Kinderrechtsorganisationen so sicher sein, dass Senait Meharis Version unzweifelhaft ist? Die Organisationen räumen ein, dass die Kindheitserinnerungen lückenhaft und subjektiv seien, aber andererseits haben sie keinerlei Zweifel an deren objektiver Richtigkeit. Experten sind sich einig, dass Senait Meharis Geschichte nicht stimmt. Günter Schröder hat viele Interviews mit ehemaligen Weggefährten von Senait Mehari geführt und diese kritisch ausgewertet. Dem Urteil vieler steht hier Senait Meharis Einzelmeinung gegenüber – und dafür konnte sie vor Gericht keinen Zeugen benennen.

Instrumentalisierung des Opferstatus

Ein deutsches Gericht kommt also zu dem Schluss, dass das Buch Feuerherz "unwahre Tatsachenbehauptungen" enthalte, welche das Persönlichkeitsrecht der Kläger schwer verletze. Dazu äußern die erwähnten Organisationen dann auf Nachfrage: Wir haben keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt von Feuerherz.

Die Psychologin Franziska Lamott spricht in einem 2009 erschienenen Aufsatz von einer "Instrumentalisierung des Opferstatus", wie sie durch eine entsprechende Rechtsprechung sowie eine Inszenierung von Opfergeschichten in der Populärkultur betrieben werde. Der Opferstatus verspreche soziale Anerkennung, befriedige narzisstische Gelüste und enthebe einen der Verantwortung für das eigene Leben, so Lamott. Sie verweist unter anderem auf die Inszenierung von Opfern in Talkshows; also genau jenen Sendungen, in denen Autoren von gefälschten Opferbiographien immer gern gesehene Gäste sind.

"Die Journalisten leiden mit", meinte Julia Salden in dem Zapp-Beitrag über Feuerherz. Genau dieses verlogene Mitleiden muss aufhören. Ansonsten wird das Theater um die falschen Opfer und die Verhöhnung der tatsächlichen kein Ende nehmen.


Marco Schäfer ist Lehrer an einer Schule in Mainz und recherchiert zum Thema "Feuerherz".