Profite gegen Not: Firmen entdecken den Markt der Armen

Profite gegen Not: Firmen entdecken den Markt der Armen
Auf den ersten Blick ist der Markt unsichtbar - auf den zweiten gigantisch. Trotz allen Elends haben die Armen dieser Welt geschätzte fünf Billionen Dollar Kaufkraft. Firmen beginnen, das Potenzial zu entdecken. Und Experten sehen einen Weg im Kampf gegen die Not.
09.05.2011
Von Frank Brandmaier

Wer die Slums des philippinischen Millionenmolochs Manila oder entlegene Dörfer Indiens durchstreift, dem kommen Begriffe wie Marktchance oder Profit wohl nicht als erstes in den Sinn. Aber spätestens die zahllosen winzigen, oft bis unters Dach vollgestopfen Krämerläden mit Alltagswaren oder die allgegenwärtigen Handys machen klar: Auch hier gibt es Nachfrage, und zwar eine gewaltige.

Vier Milliarden Menschen - mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung - gelten laut Weltbank als arm, leben von weniger als 3000 Dollar im Jahr. Ihre Kaufkraft wird indes auf fünf Billionen Dollar geschätzt. Längst sind indische oder lateinamerikanische Unternehmen vorangeprescht - aber auch internationale Firmen schauen sich seit kurzem verstärkt nach Kunden unter den Armen um. Und nicht selten erwachsen aus neuen Angeboten neue Chancen: Für Notleidende fallen sehnlichst erhoffte Jobs ab, sei es rund um Mikro-Kredite, Mobiltelefone oder Mini-Computer für den Massenmarkt.

"Arme Arbeiter sind kreative und erfinderische Teilnehmer am Wirtschaftskreislauf, die Hunger nach Veränderung haben", weiß Lars Thunell, Chef der Internationalen Finanz-Corporation (IFC) in Washington, dem Investment-Arm der Weltbank. "Unternehmerische Pioniere zapfen dieses Potenzial an und binden arme Produzenten sowie Verbraucher in ihre Wertschöpfungsketten ein."

Profit ist kein schmutziges Wort

Profite sind deshalb alles andere als ein schmutziges Wort. Sie sind Mittel zum Entwicklungszweck. "In einer Erhebung der Weltbank vor einigen Jahren haben viele Arme gesagt: Ich will keine Almosen, ich will einen Job", berichtet Toshiya Masuoka. Er konzentriert sich bei der IFC auf die Förderung von Firmen, die einerseits gewinnbringend Produkte an die Armen verkaufen und ihnen damit zugleich Wege aus der Not bahnen. Dass das Konzept funktioniert, steht für den Japaner außer Frage: Verglichen mit anderen Bemühungen, arme Länder mit Hilfe wirtschaftlich und sozial voranzubringen, "haben diese Modelle eine höhere Erfolgsquote".

Wichtigster Wegbereiter solcher Geschäftsideen war der indische Wirtschaftsprofessor Coimbatore Krishnarao Prahalad. In seinem Buch "Der Reichtum der Dritten Welt" beschrieb er Mitte des vorigen Jahrzehnts profitable Konzepte, die Armut bezwingen helfen sollen. "Die Wirkung war in vielerlei Hinsicht interessant und profund - und größer, als ich erwartet habe", sagte Prahalad vor anderthalb Jahren in einem Interview. Er habe zehn Vorstandchefs von Großkonzernen wie dem Software-Giganten Microsoft oder Pharma-Riesen GlaxoSmithKline (GSK) befragt, ob sein Buch Einfluss auf sie hatte. "Und alle - sei es Microsoft oder GSK - sagten, dass (...) es die Art und Weise verändert hat, wie sie Innovationen und neue Märkte angehen."

Ideen und Produkte spannen sich vom Billig-Handy, das die Entwicklungsländer längst im Sturm erobert hat, über Mini-Laptops, Mikro-Versicherungen oder EKG-Geräte, zugeschnitten auf die Bedürfnisse im ländlichen Indien, bis hin zu einem wohlorganisierten Coca-Cola-Vertrieb per Handkarren in Ostafrika, den die IFC mitfinanziert. 12.000 neue Jobs schuf das System des Abfüllers Sabco, berichtet Toshiya Masuoka. "Die Firma macht das nicht aus Barmherzigkeit, sondern es ist Teil ihrer Wertschöpfungskette, mit einem echten Beschäftigungseffekt."

Innovationen kommen aus den Schwellenländern

Die IFC verspricht sich viel von dem Konzept, schuf vorigen Sommer gar eine eigene Abteilung dafür. Vier Milliarden Dollar (2,7 Mrd Euro) investierte die Weltbank-Tochter bislang in 150 Firmen mit diesem Geschäftsmodell, allein 2010 waren es 900 Millionen Dollar in 50 Projekte. "Der Trend geht nach oben", sagt Masuoka.

Dabei sollen aber lokale Firmen klar im Vordergrund stehen. Viele von ihnen haben das Potenzial längst erkannt: Sich auf die Armen als Kunden zu konzentrieren, "ist schlaue Geschäftpolitik, wie Firmen in Entwicklungsländern gelernt haben", weiß man bei der IFC. "Man schafft Kundenbeziehungen, Markentreue und Innovationen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität von morgen bestimmen".

Westliche Unternehmen sollten den Zug nicht versäumen, mahnen Experten. Denn der Markt der Armen "kann eine ungemeine Quelle der Innovation sein", so Professor Prahalad, der voriges Jahr starb. So seien Netbooks urspünglich für den indischen Markt entworfen, bevor sie Abnehmer im Westen fanden. "In fünf oder zehn Jahren werden wir aus meiner Sicht immer stärker einen Trend erkennen, dass Innovationen aus den Schwellenländern den Weg in reiche Nationen finden", glaubt auch IFC-Ökonom Toshiya Masuoka. "Wer als westliche Firma in die Zukunft schaut, sollte das im Blick haben."

dpa