Gedanken zur Woche: Jeder Tod ist eine Niederlage

Gedanken zur Woche: Jeder Tod ist eine Niederlage
In der Andacht im Deutschlandfunk hat Pastorin Rosemarie Wagner-Gehlhaar das richtige Buch entdeckt für die Zeit zwischen bin Ladens Tod und dem Muttertag.
06.05.2011
Von Rosemarie Wagner-Gehlhaar

Osama bin Laden ist tot. Erschossen von einem amerikanischen Spezialkommando. Und viele Menschen jubeln: In den letzten Tagen wurde laut und leise darüber nachgedacht, ob man den Tod von bin Laden bejubeln darf, besonders, ob Christen das dürfen? Im Alten Testament gehört der ungebremste Dank über den Tod der Feinde zum Repertoire der Dankgebete. Bei Jesus nicht: "Liebt Eure Feinde und betet für die, die Euch verfolgen!" (Matthäus 5,44).

Ich habe just den Roman "Das amerikanische Hospital" von Michael Kleeberg gelesen. Das ist für mich thematisch das Buch der Woche zwischen dem Tod von bin Laden und Muttertag: Im amerikanischen Krankenhaus in Paris treffen der seelisch tief verwundete amerikanische Offizier David Cote und Hélène, eine junge Französin aufeinander. Sie ist in dem Hospital, weil sie künstlich befruchtet wird und er wegen seiner seelischen Kriegsverletzungen aus dem Ersten Irakkrieg. Sie verabscheut den Krieg und rechnet mit den USA ab. Sie glaubt nicht an den Krieg: "Ich glaube nicht an den Tod, ich glaube an das Leben. Ich glaube an die Würde jedes einzelnen Lebens. Und deshalb halte ich es mehr mit Leuten wie Gandhi und wie Jesus als mit Laclos oder Churchill."

Jesus gegen Jesus

Dagegen argumentiert Cote mit einem Satz von Jesus: "Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert!" (Matthäus 10,34). "Es sind genau Leute wie Sie, Hélène, für die wir unsere Kriege führen, damit Leute wie Sie weiter ans Leben glauben können. Oder von Neuem" (S. 46). Die Diskussion über Krieg und Frieden, über Leben und Tod zwischen den beiden zieht sich über einige Jahre hin. Hélène ist immer wieder in der Klinik, weil sie Fehlgeburten hat und Cote, weil er immer wieder Rückfälle erleidet. Irgendwann sagt er, dass es vielleicht besser ist, wenn sie kein Kind bekommt. Und dann erzählt er die Geschichte seiner Schuld (S. 163ff): Er und seine Leute hatten in einem Dorf im Irak die Bewohner entwaffnet. Friedlich.

Und dann sah er Kinder hinter einem Fenster. Die wollte er rauslocken. Er geht in die Hocke und holt allerlei Leckereien aus seinen Taschen: Kekse, Kaugummi, Erdnussbutter: "[Ich] Gehe also in die Hocke und locke die Kinder raus, wie man Katzen mit einem Milchnapf lockt. Erleichtert auch, dass der Einsatz sich als harmlos heraus gestellt hat" (S.164). Nach und nach wagen sich die Kinder aus dem Haus. Als Cote und seine Männer schon wieder auf dem Weg zu ihrem Jeep sind, schlagen amerikanische Mörsergranaten ein. Alle Kinder liegen tot auf dem Platz.

Die Schuld verlässt ihn nicht

Sie begraben die Toten. Er hatte die Kinder aus dem Haus gelockt, damit sie bestätigen, dass er nicht der Feind, sondern ein feiner Kerl ist. Er wollte aus ihren Augen, ihren Blicken eine Entschuldigung für sich lesen: "Ich wollte, dass diese Kinder mir vertrauen, zum Beweis dafür, dass man mir vertrauen kann. Ich habe sie benutzt und sie haben meinen Wunsch […] mein Ego te absolvo [ - also den Wunsch um Vergebung –] mit dem Leben bezahlt. Das ist meine Schuld" (S. 168). Eine Schuld, die ihn nicht verlässt.

Bitter stellt er fest, dass er als Offizier die Verantwortung für sein Denken und Handeln in die Hände des Staates, der Armee gelegt hat. "Und nun habe ich lernen müssen, dass ich nicht auch die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, abwälzen kann. Das was ich getan habe, das was ich gesehen habe, das lässt sich nicht abgeben. … Die bleiben bei mir. Damit muss ich weiterleben" (S. 198.

Das Krankenhaus als Schleuse zwischen Leben und Nichtleben, wo "alle für das Leben kämpfen. Jeder Tod […] ist eine Niederlage" (S. 64).

Das Buch von Michael Kleeberg ist im DVA-Verlag erschienen und heißt "Das amerikanische Hospital".


Rosemarie Wagner-Gehlhaar ist Pastorin in Hamburg.