Mehr als Krippenspiele: Kirche und Theater gehen aufeinander zu

Mehr als Krippenspiele: Kirche und Theater gehen aufeinander zu
Vom Krippenspiel zur professionellen Inszenierung: Machern zufolge entdecken Kirche und Theater eine "neue Nähe" zueinander. Sie stellen fest: Nutzen kann eine Kooperation beiden Seiten.
16.12.2010
Von Sabine Damaschke

Maria und Josef im Stall, dazu die Engel, Hirten und die heiligen drei Könige - bald heißt es wieder "Vorhang auf" für eine der berühmtesten Geschichten der Menschheit. Wenn Weihnachten ist, wird in den Kirchen Theater gespielt. Den Rest des Jahres aber bleibt der Vorhang meist geschlossen, bedauert Klaus Hofmann, Leiter des evangelischen Arbeitskreises Kirche und Theater in Hannover. "Die Zeiten, in denen fast jede Gemeinde eine eigene Theatergruppe hatte, sind vorbei."

Dafür beobachtet der 71-jährige Theaterwissenschaftler einen neuen Trend. Zunehmend öffnen die Kirchen ihre Räume für das professionelle Theater. "In fast allen größeren Städten Nordrhein-Westfalens gibt es Predigten zu aktuellen Stücken der Schauspielhäuser, Diskussionsrunden oder Lesungen." Auch die katholischen Kirchen begleiten Inszenierungen der örtlichen Theater oder stellen dafür sogar Räume zur Verfügung. Ein bekanntes Beispiel ist die 2002 gestartete Neuinszenierung der Nibelungenfestspiele mit Mario Adorf vor dem Südportal des Wormser Doms.

"Es gibt eine neue Nähe zwischen Theater und Kirche", sagt der Kulturreferent der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in Bonn, Jakob Johannes Koch. "Seit rund zehn Jahren beobachten wir eine Rückkehr des Religiösen auf die deutschen Bühnen." So haben sich das Maxim Gorki-Theater in Berlin und das Schauspielhaus Wien in diversen Stücken mit den zehn Geboten beschäftigt, das Hamburger Thalia-Theater in dem Stück "Der Bus" mit der Suche einer Pilgerin nach dem wahren Glauben.

"Kirchen führen den Blick in die Weite"

Einen Grund für das zunehmende Interesse des Theaters an religiösen Themen sehen Koch und Hofmann in den Terroranschlägen des 11. September 2001. "Das Theater sucht offenbar stellvertretend für die Gesellschaft nach Sinn, Orientierung und Werten angesichts ungelöster gesellschaftlicher Fragen", erklärt Koch. Zum Beispiel der Frage, was die westliche Gesellschaft fanatisierten Glaubenskriegern entgegenzusetzen habe. "Dabei kann man nicht einfach zum Bekenntnis bewährten Glaubens zurückkehren, vielmehr will man neue Realitäten entdecken", sagt Hofmann.

Für diese Suche nach einer zeitgemäßen Spiritualität sei die Kirche offen, betont der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der rheinische Präses Nikolaus Schneider. "Kirchen sind Räume, die das Ohr und den Blick in die Weite führen." Auch der katholische Bischof von Würzburg, Friedhelm Hofmann, spricht von einem "partnerschaftlichen Verhältnis" zwischen Kirche und Theater. "Es gab eine jahrhundertelange Distanz", gibt der Bischof zu. "Inzwischen haben wir aber gelernt, uns für das Theater als Theater zu interessieren, weil es uns Fragen aufgibt, die uns nicht egal sein dürfen."

Viele Jahrzehnte lang war das anders. Schon die Christen der Antike lehnten das Theater als "Hort des sittlichen Verfalls" ab, weil es heidnische Götter auf die Bühne brachte. Im Mittelalter dagegen stand es ganz im Dienst der Kirche. Oster- und Passionsspiele mahnten die Menschen, ein gottesfürchtiges Leben zu führen. Während der Aufklärung emanzipierte sich das Theater wieder von der Religion und schuf sich eigene Häuser, in denen es Kirche und Glauben infrage stellte.

Kritik an Religion und ihren Institutionen

Zwar gab es in der Nachkriegszeit sogenannte "christliche Berufsbühnen", in denen sich professionelle Schauspieler zusammenschlossen, die nach der NS-Zeit für ein Leben nach christlichen Maßstäben warben. "Aber diese Bühnen hatten keinen durchschlagenden Erfolg", erzählt Hofmann. Im Gegenteil. In den 70er Jahren wurde die Kritik an Religion und Kirche immer schärfer. Sie gipfelte schließlich in Rolf Hochhuths Stück "Der Stellvertreter", in dem er die Rolle des Papstes während des Holocausts hinterfragte.

In den Kirchengemeinden entwickelte sich zeitgleich eine breite Amateurtheaterbewegung. Neben Krippen-, Oster- und Passionsspielen wurden neue Inszenierungen erprobt, die Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung zum Thema hatten. "Mit Texten wurde frei subjektiv und assoziativ umgegangen", erzählt Hofmann. Die Experimentierfreude gipfelte schließlich im Bibliodrama, das in den 80er Jahren sowohl in der evangelischen wie katholischen Kirche boomte. Dabei spielten die Laienschauspieler eine biblische Geschichte nicht textgetreu nach, sondern brachten ihre eigenen Lebenserfahrungen ein.

Angesichts der Wirtschaftskrise und Finanznot ist vielen Kirchengemeinden der Spaß am eigenen Theaterspiel offenbar vergangen. Hofmann bedauert das - besonders in Zeiten drängender interreligiöser Fragen. "Unsere Auseinandersetzung mit dem Islam gehört auf die Bühne", sagt er. "Das haben leider die Kirchen nicht erkannt." Einen Anfang könnte das Krippenspiel machen. Mit den heiligen drei Königen aus dem Morgenland.

epd