In der Schweiz gilt künftig "kriminelle Ausländer raus"

In der Schweiz gilt künftig "kriminelle Ausländer raus"
Die Schweiz bietet Europa wieder Grund für Schlagzeilen: Eine deutliche Mehrheit stimmte bei einem Referendum am Sonntag für eines der schärfsten Ausländergesetze auf dem Kontinent. Genau ein Jahr nach der überraschenden Annahme eines Minarettverbotes im Land sagten die Eidgenossen Ja zur automatischen Abschiebung überführter krimineller Ausländer. Das betrifft auch Kinder von Nicht-Schweizern, die zwar in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind, aber keine Schweizer Staatsbürger sind.
28.11.2010
Von Heinz-Peter Dietrich

Kriminelle Ausländer müssen das Land in Zukunft automatisch und ohne Rücksicht auf ihre persönliche Lage verlassen, wenn sie nach schweren Straftaten verurteilt wurden. Für eine entsprechende Initiative nationalkonservativer Kräfte stimmte am Sonntag nach offiziellen Angaben eine Mehrheit von 52,9 Prozent der Wähler. Vor allem Kirchenvertreter äußerten Bedenken gegen diese Verschärfung der Verfassung.

Neben Kapitalverbrechen sollen auch Schwarzarbeit oder Betrug bei der Sozialhilfe zur "Ausschaffung" führen, wie Abschiebung in der Schweiz genannt wird. Ein Gegenvorschlag von Regierung und Parlament, der eine juristische Einzelfallprüfung vorsieht, bekam keine Mehrheit.

Nun muss das Parlament eine Liste erarbeiten, bei welchen Delikten die automatische Abschiebung greifen soll. Dies kann nach Angaben von Parlamentariern noch einige Jahre dauern. Auch gibt es Stimmen, die die Menschenrechte bei einer automatischen Abschiebung verletzt sehen. So forderten der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) und die Bischofskonferenz (SBK) in einer gemeinsamen Erklärung, auch in Zukunft bei Abschiebungen jeden Fall einzeln zu prüfen.

Schweizer Volkspartei: "Das Volk hat die Nase voll"

Das Land dürfte nun nicht nur im Ausland wieder stark in der Kritik stehen, weil manche dort eine Verletzung des Völkerrechts oder der Freizügigkeit sehen. Auch im Inneren wird knapp ein Jahr vor den nächsten Wahlen eine harte Debatte über die Umsetzung fortgesetzt, denn nun muss das Parlament genau festlegen, wann abgeschoben werden kann.

Der Sieg für die größte Partei des Landes, die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP), könnte größer nicht sein. Denn ein in letzter Minute gezimmerter Gegenvorschlag von Regierung und Teilen des Parlaments, der eine Einzelfallprüfung vorsah, wurde abgeschmettert. Das Volk habe einfach die Nase von kriminellen Ausländern voll, hieß es bei der SVP. Andere fürchten dagegen sogar Schaden für die berühmte direkte Demokratie der Schweiz. Denn nun könnte der Ruf nach Beschneidung der Volksrechte laut werden, wenn etwa Verfassungsprobleme zutage treten.

Verfassungsänderung braucht wohl fünf Jahre, bis es so weit ist

Der Streit geht schon darum, was ein "schweres Delikt" ist, wann "ausgeschafft" werden kann, wie es in der Schweiz heißt. Denn nach den Vorstellungen der Initiatoren wären neben Kapitalverbrechen wie Mord oder Vergewaltigung, Entführung oder bewaffneten Überfällen auf Banken auch Schwarzarbeit oder Sozialhilfe-Betrug Abschiebungsgründe. Darüber dürfte unter Wahlkampfbedingungen nun im Parlament gestritten werden.

Experten gehen von bis zu fünf Jahren aus, bis die Verfassungsänderung in Kraft treten kann, zumal die SVP schon am Wahlabend wenig Konzessionsbereitschaft signalisierte. Wirtschaftsverbrechen etwa hatte die SVP bei ihrem Vorstoß ganz vergessen. Unklar ist auch, nach wie vielen Jahren die Betroffenen etwa wieder einen Einreiseantrag stellen können.

Besonders viel Zustimmung gab es vor allem in den ländlichen Gebieten der deutsch-sprachigen Schweiz. Dort lehnte nur Basel den Vorstoß ab. Auf der anderen Seite des "Röstigrabens", im französisch- sprachigen Landesteil, war die Ablehnung dagegen groß.

Zuverlässiges Rezept der Volkspartei für einen Abstimmungssieg

Die Zeitung "Blick" kritisierte kürzlich, dass Politik und Justiz das Ausländerproblem nicht hätten wahrhaben wollen. In den vergangenen Jahrzehnten seien Menschen in die Schweiz gekommen, "deren kultureller Hintergrund sich fundamental unterscheidet vom zentraleuropäischen". In der Bevölkerung gäre es, doch nur die SVP habe diese Thema etwa mit ihrer Plakat-Aktion - drei weiße Schafe jagen ein schwarzes Schaf aus der Schweiz - angesprochen und die richtigen Fragen gestellt.

Die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) schrieb am Sonntag in einem Online-Kommentar, das Rezept sei zuverlässig gewesen. Die SVP habe mehr Sicherheit und eine Art Kontrolle über die Ausländer versprochen, die sich anzupassen hätten. "Mit einer konsequent rechtsstaatlichen Behandlung der Ausländer und letztlich mit der Einwanderung als umfassendem gesellschaftlichem Phänomen tut sich eine Mehrheit des Volks noch schwer."

dpa