Gutachten: S21-Finanzierung verfassungswidrig

Gutachten: S21-Finanzierung verfassungswidrig
Jeder Euro, den das Land Baden-Württemberg in das Milliardenprojekt Stuttgart 21 steckt, verstößt nach Ansicht der Grünen gegen das Grundgesetz. Sie berufen sich auf einen renommierten Verfassungsrechtler. Muss jetzt neu verhandelt werden?
16.11.2010
Von Roland Böhm

Die Finanzierung des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart-Ulm durch das Land verstößt nach einem neuen Gutachten der Grünen gegen die Verfassung. Sowohl der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs als auch die ICE-Trasse nach Ulm sind demnach ausschließlich Bundesaufgaben. Baden-Württemberg habe gar nicht das Recht, das Projekt mitzufinanzieren, betonte der Verfassungsrechtler Professor Hans Meyer von der Berliner Humboldt-Universität am Montag in Stuttgart.

Die Grünen sehen sich in ihrer Auffassung bestätigt. Baden- Württembergs Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) zeigte sich dagegen "sehr verwundert". Das Bundesverkehrsministerium räumte unterdessen ein, sich über die Bewertung des Bundesrechnungshofs zur Finanzierung von Stuttgart 21 missverständlich geäußert zu haben.

Nur noch 5.000 Demonstranten?

Bei Stuttgart 21 soll der bisherige Kopfbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation umgebaut werden und an die Schnellbahntrasse nach Ulm angeschlossen werden. Bei der 52. Auflage der Protestaktion gingen am Montagabend nach Polizeiangaben höchstens rund 5.000 Menschen gegen das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 auf die Straße. "Diese Schätzung ist noch wohlwollend", sagte ein Polizeisprecher. Die Veranstalter sprachen dagegen von rund 15.000 Demonstranten.

Nach Angaben von Meyer hat das Grundgesetz die Co-Finanzierung von Bahn- oder Autobahnprojekten durch das Land verboten, damit sich reiche Bundesländer keine Bundesinvestitionen kaufen können. Land, Stadt, Region und Flughafen finanzieren das laut Bahn insgesamt sieben Milliarden Euro teure Vorhaben Stuttgart 21 gemeinsam. Für die ICE-Trasse Wendlingen-Ulm etwa gibt das Land rund 950 Millionen Euro. Der Tiefbahnhof und das Stuttgarter Tunnelsystem wird das Land laut Bahn-Schätzung 824 Millionen Euro kosten. Da die Verträge nichtig seien, könne das Land sein Geld zurückfordern oder gar nicht erst weiter zahlen, betonte Meyer.

Landeszuschuss doch zulässig

Dagegen betonte Gönner, eine Anwaltskanzlei habe bereits 2007 der Landesregierung bestätigt, dass der Landeszuschuss rechtlich zulässig sei. Zwar sei der Ausbau des Schienennetzes eine Aufgabe des Bundes. "Es liegt aber auch im Interesse und im Aufgabenbereich des Landes, wenn über das Bahnprojekt der Regionalverkehr deutlich gestärkt und Impulse für regionale Wirtschaft gegeben werden", sagte Gönner.
Nach den Worten von Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann zeigt das Gutachten aus Berlin einmal mehr, wie unseriös der Bahnprojekt geplant sei. Sollten die Grünen nach der Landtagswahl im März 2011 das Sagen haben, werde man das Geld nicht zahlen beziehungsweise zurückfordern.

Das Land müsse aus der Finanzierung aussteigen, forderte auch der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Winfried Hermann (Grüne): Die ICE-Trasse Wendlingen-Ulm zeige, "wie eine Entscheidung des Bundes massiv zugunsten eines Bundeslandes beeinflusst werden kann". Faktisch werde hier "das Vorziehen einer nachrangigen Strecke erkauft" und eine Entscheidung mit Milliarden beeinflusst. Die SPD-Fraktion im Landtag warf den Grünen vor, mit diesem Einwand der Rheintalstrecke und den Menschen dort zu schaden. Dort finanziert das Land ebenfalls mit, auch um einen besseren Lärmschutz zu erreichen.

Ordnungsgemäße Vergabe

Ein Sprecher von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) räumte indes Missverständnisse bezüglich einer Rechnungshofkritik ein. Der Bundesrechnungshof hatte in einem Schreiben betont, anders als von der Regierung behauptet, habe er nie sein Einvernehmen zu den Finanzierungsverträgen für den Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und die ICE-Neubaustrecke nach Ulm erklärt.

Der Ministeriumssprecher sagte in Berlin, bei den Finanzierungsverträgen an sich bedürfe es gar keines Einvernehmens mit dem Rechnungshof, "da er da keine Zuständigkeit hat". Ihr Okay habe die Kontrollbehörde hingegen - unter Auflagen - für sogenannte Antrags- und Verwendungsprüfungen bei dem Projekt gegeben. Zu den Auflagen gehören eine ordnungsgemäße Vergabe von Aufträgen und aktualisierte Kostenschätzungen. "Die Auflagen des Bundesrechnungshofs werden sehr ernst genommen und dem wird auch nachgegangen", betonte der Sprecher.

dpa