Neue Funktechnik kostet Millionen - auch die Kirchen

Neue Funktechnik kostet Millionen - auch die Kirchen
Ob im Stadion oder in der Gemeinde: Kaum ein Live-Auftritt kommt ohne drahtlose Übertragungstechnik aus. Doch genau die muss bald komplett ausgemustert werden. Was ist zu tun?
04.11.2010
Von Thomas Östreicher

Bis vor wenigen Monaten schien die Zukunft der Drahtlosmikrofone gesichert. Was seit Jahren Künstlern und Technikern eine Menge Kabelwirrwarr ersparte, muss demnächst aber abgeschaltet werden, denn die bisher genutzten Frequenzen werden anderweitig vergeben. evangelisch.de bewantwortet die wichtigsten Fragen um die neuen Vorschriften, die Kreative und Veranstalter gleichermaßen betreffen.

Wieso wird die Frequenzzuteilung neu geregelt?

Etliche Funkfrequenzen sind durch die neuen digitalen Übertragungswege beim Fernsehen frei geworden, und die Bundesregierung witterte zu recht ein Geschäft: Im Mai versteigerte sie diese Frequenzen an Mobilfunkanbieter zum Ausbau des künftigen superschnellen LTE-Netzes für insgesamt mehr als vier Milliarden Euro. Der neue Mobilfunkstandard LTE (Long Term Evolution, "langristige Entwicklung") soll nicht nur das mobile Internetsurfen schneller machen, sondern endlich auch jenen Landstrichen schnelle Zugänge bescheren, die bislang von Kabel- und Telefonbetreibern vernachlässigt wurden, weil aus technischen Gründen weniger Antennen und damit geringere Investitionen der Anbieter nötig sind.

Das Problem: Auf den vermeintlich ungenutzten Frequenzen funken in Deutschland seit jeher Film- und Fernsehproduzenten bei Außendreharbeiten ebenso wie Theater- und Konzertveranstalter sowie Anbieter mobiler Diskotheken, daneben auch manche Kirchengemeinde. Die Bundesnetzagentur gestattete ihnen allen diesen Funkverkehr mit vergleichsweise geringen Reichweiten ohne große Formalitäten.

Geschätzte 700.000 "Funkstrecken" sind derzeit bei uns im Einsatz. Wenn Lady Gaga ins Mini-Mikrofon singt und im Ohr einen kleinen Empfänger trägt, wenn die Gospelgruppe beim Pfarrfest singt oder der Musicalregisseur dem Beleuchter am Bühnenrand Anweisungen erteilt, geht das nicht ohne die mobile Technik. Doch diese Nutzung gilt im Vegrleich zum Massen-Internet als nebensächlich - die Veranstalter sollen sich eben neue Anlagen zulegen, die auf anderen Frequenzen senden und empfangen.

Was ändert sich - und wann?

Die bisherigen Funkgeräte dürfen noch bis Ende 2015 weiterverwendet werden - theoretisch. Aber sobald eine Kulturveranstaltung den Handy- oder Internetempfang stört, müssen die Geräte schon jetzt unverzüglich abgeschaltet werden - wenn es sein muss, während der laufenden Vorstellung. "Ein Riesenproblem" nennt das der Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin. Die Umrüstung koste die Kulturbranche mehrere hundert Millionen Euro, befürchtet er.

Wer ist betroffen?

Alle, die Sende- und Empfangsstationen im UHF-Bereich zwischen 790 und 862 MHz nutzen. Deren Verwendung ist nur noch bis zum 31.12.2015 zulässig. Vom Kauf neuer Geräte ist deswegen schon jetzt abzuraten, denn massive technische Störungen dieser Funktechnik zum Beispiel durch Richtfunk-Internet in ländlichen Gebieten sagen Experten schon ab 2012 voraus.

Was ist zu tun?

Aller Protest hat nichts genutzt - Künstler und Veranstalter müssen früher oder später in neue Technik investieren. Funkmikrofone umzurüsten, die nach dem alten Standard senden, ist meist unmöglich, also müssen neue Sende- und Empfangsanlagen gekauft werden, neue Mikrofone, oft auch neue Mischpulte und neue Verstärker.

Eine Alternative sind schon länger erhältliche Funkmikrofone, die im sogenannten ISM-Bereich zwischen 433,05 MHz und 434,79 MHz arbeiten, der von der Neuregelung nicht betroffen ist. Sie gelten freilich als extrem störanfällig. VHF-Geräte im Spektrum 174 bis 223 MHz wiederum sind zwar extrem günstig, aber lediglich als Festinstallation zugelassen, etwa in Kulturzentren oder Messehallen. Ihre Zulassung ist gebührenpflichtig und vor allem ortsgebunden.

Der neue Arbeitsbereich für drahtlose Mikrofone umfasst nun die Frequenzen zwischen 710 und 790 MHz. Entsprechende drahtlose Mikrofone und sogenannte In-Ear-Monitoring-Systeme erfordern allerdings eine Anmeldung. Sie gilt deutschlandweit und ist übertragbar. Ratschläge zum Kauf geben etwa die Seite Beschallungs-Tipps.de sowie die Firma Thomann aus dem fränkischen Burgebrach.

Was kostet das - und wer zahlt?

Kauf und Anmeldung einer drahtlosen Funkanlage nach dem neuen Standard sind schon jetzt möglich. Die neuerdings verlangte Zulassung kostet einmalig 130 € pro Antrag, unabhängig von der Zahl der Kanäle, die Jahresgebühr beträgt 9,10 € pro Sender. Tageszulassungen für Tourneen seien im Gespräch, heißt es.

Der Bund - der ja mit der Versteigerung der vermeintlich frei werdenden TV-Frequenzen Milliarden-Erlöse erzielte - hatte den Ländern ursprünglich eine "angemessene" Entschädigung für die kostspielige Umrüstung in ihren Kultureinrichtungen wie etwa den Landesbühnen zugesagt. Erst danach ließen die Landesregierungen die Regelung des Wirtschaftsministeriums mit dem charmanten Titel "Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung" im Bundesrat passieren.

Aber die Verhandlungen sind jüngst ins Stocken geraten, wie aus einer Stellungnahme der rheinpland-pfälzischen Staatskanzlei hervorgeht. Eine Einigung sei "in weite Ferne gerückt", heißt es dort. Derzeit will Berlin insgesamt etwa 200 Millionen Euro zahlen, die Länder fordern 750 Millionen - "so eine Differenz ist kaum zu überbrücken", sagt der Mainzer Staatssekretär Martin Stadelmaier.

Der Berufsverband für professionelle drahtlose Produktionstechnologie e. V. APWPT e.V. fordert alle Betroffenen zum Protest gegenüber der Bundesregierung auf, auch die Berufsvereinigung Filmton e. V. engagiert sich in der Diskussion. Generell allerdings herrscht kaum ein Zweifel daran, dass kleine Unternehmen und Vereine auf ihren Kosten sitzen bleiben - was die Freude am schnellen Internet wohl merklich trüben wird. 


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.