Kalte Kirchen für den Klimaschutz

Kalte Kirchen für den Klimaschutz
Seine Botschaft kann einem durchaus kalte Schauer über den Rücken jagen. "Leute, lasst den Mantel an und kommt in dicken Schuhen", fordert Christian Dahm von der EnergieAgentur NRW die Gottesdienstbesucher während der Wintermonate auf.
02.11.2010
Von Marlene Grund

Der Ingenieur, dessen Spezialgebiet das Energiesparen in Kirchengemeinden ist, hält ohne jede Einschränkung den Schutz wertvoller Gemäuer für wichtiger als das Wohlbehagen der Kirchgänger. Bei historischen Kirchen, so empfiehlt er, sollte die Grundtemperatur bei acht Grad liegen, für einen Gottesdienst dürfe dann kurzzeitig auch mal auf zwölf bis 15 Grad aufgeheizt werden.

"Für die Erhaltung der historischen Kirchengebäude ist es unerlässlich, dass der Mensch sich dem Gebäude unterordnet und nicht umgekehrt", so die Überzeugung des Spezialisten, der seit mehr als zehn Jahren Kirchengemeinden beim Energiesparen berät. Weil der Maschinenbauingenieur im Zweitberuf ausgebildeter Kirchenmusiker ist, verbringt er selbst viele Stunden in kalten Gotteshäusern und weiß aus eigener Erfahrung, dass die Finger von Orgelspielern bei Temperaturen unter zwölf Grad ganz schnell ihre Geschmeidigkeit verlieren.

Die Gebäude nicht "verheizen"

Dennoch bleibt Dahm bei seiner These, dass die meisten Kirchen im Winter eine zu hohe Innenraumtemperatur haben. Viele jahrhundertealte Gebäude würden durch den Einbau und die falsche Nutzung der Kirchenheizung regelrecht "verheizt", klagt er. Da in fast allen Kirchen die Heizungen erst nachträglich eingebaut wurden, gebe es immer Kompromisse und seltener geglückte Modelle. Stattdessen sei es der Normalfall, dass Feuchtigkeitsschwankungen und Änderungen des Raumklimas, Kondensation an den Außenwänden, Überhitzung oder starke Hitzestrahlung nicht nur wertvolle Orgeln, Altäre und Kunstschätze gefährdeten, sondern auch die Bausubstanz.

Der Standard der Regelungstechnik einer kirchlichen Heizanlage steht laut Dahm meist in keinem Verhältnis zum kulturellen und monetären Wert der Kirche und ihrer Kunstgegenstände. "Es werden Orgeln für sechs- bis siebenstellige Eurobeträge angeschafft, an einer adäquaten Heizungsregelung wird jedoch gespart", kritisiert der Techniker. Für ihn ist das Raumklima eine weit wichtigere Größe als eine Wohlfühltemperatur für Gottesdienstbesucher.

Orgeln aus Holz und Leder, Gemälde auf Putzen oder Leinwänden seien "atmende" Werkstoffe, die eine relative Luftfeuchtigkeit von 50 bis 70 Prozent brauchten. "Wird die Heizung aufgedreht, um es den Gottesdienstbesuchern angenehm zu machen, trocknen die Materialien aus, das Holz zieht sich zusammen und es können erhebliche Schäden entstehen."

Geld für entsprechende Technik fehlt

Nun haben aber die wenigsten Kirchengemeinden das Geld für den Neubau einer angemessenen Heiztechnik, sondern müssen mit dem Vorgefundenen leben. Auch verbieten sich in der Regel an Kirchen die meisten Wärmeschutzmaßnahmen, die für Privathäuser empfohlen werden, wie Doppelverglasung oder Wandisolierung. Dahm empfiehlt als erste Maßnahme eine Fortbildung des Kirchenvorstands. Anstatt einfach nur dem örtlichen Heizungsbauer einen Auftrag zu geben, sollten die Fachnormen des VDI (Verband deutscher Ingenieure) berücksichtigt werden.

Ratsam sei zudem der Einbau von Fühlern zur Messung der Luftfeuchtigkeit. Behutsames Erwärmen des Kirchengebäudes schade weitaus weniger als stoßartiges Heizen oder Dauerwärme. Eine elektrische Sitzheizung für Kirchenbänke könne Wärme direkt dorthin bringen, wo sie gebraucht werde und das Wohlbehagen der Gottesdienstbesucher steigern.

Zwangspause in der Konstantinsbasilika

Nicht zuletzt lasse sich an der Kirchenheizung wunderbar sparen, so Dahm. Bei Kirchen erhöhe sich das Energie-Einsparpotenzial durch eine Absenkung der Temperatur um ein Grad Celsius auf zehn Prozent, in normalen Haushalten seien es nur sechs Prozent. Das schone die Gemeindekasse und nutze dem Klimaschutz.

Es gibt auch Kirchen, die im Winter Zwangspause machen. Dazu gehört die Konstantinbasilika in Trier, der frühere Thronsaal des römischen Kaisers Konstantin (274-337). Zwischen dem 1. Januar und Palmsonntag finden in der Hallenkirche keine Gottesdienste statt, da die altmodische Fußbodenheizung den riesigen Raum nicht auf erträgliche Temperaturen bringt. Die Gemeindepfarrer vermuten, dass das ursprüngliche Heizsystem der Römer da weitaus intelligenter war.

epd