Deutsches bei den 44. Hofer Filmtagen

Deutsches bei den 44. Hofer Filmtagen
Veränderungen merkt man dann am leichtesten, wenn man lange nicht da war. Wer nach vielen Jahren wieder nach Hof, der heimlichen Hauptstadt des deutschen Films, kommt, merkt, wie die Auswirkungen einer strukturschwachen Region zugeschlagen haben.
02.11.2010
Von Rudolph Worschech

Der Zettel "Laden zu vermieten" klebt an so manchem Schaufenster selbst in der Innenstadt, wo einmal ein MacDonald’s Fritten und Hamburger anbot, versucht jetzt ein Ein-Euro-Laden sein Glück, und selbst die Hochzeitgeschäfte haben Trauringe im Sonderangebot. Aber beim Festival hat sich wenig verändert. Tröstlich. Nur wenn Heinz Badewitz, der das Festival 1967 gegründet hat und immer noch leitet, zum jährlichen Ritual aufruft und die Fußballspieler der Festivalauswahl verliest, die immer samstags gegen eine Auswahl des örtlichen Clubs antreten, muss er mittlerweile dazusagen, wer das denn eigentlich ist.

Von den Heroen des deutschen Autorenfilms, die das Festival in den siebziger Jahren groß gemacht haben, ließ sich in diesem Jahr zumindest keiner blicken. Christoph Schlingensief, dem das Festival in den neunziger Jahren einige provokante Schmuckstücke verdankte, ist vor kurzem gestorben. Badewitz zeigte als Requiem Schlingensiefs "Das deutsche Kettensägenmasskaer" aus dem Jahr 1990, in dem Alfred Edel und Dietrich Kuhlbrodt Ostdeutsche zu Wurst verarbeiten – schließlich war Hof ja für lange Jahre so etwas wie eine Grenzstadt. Nur Peter Kern aus der Riege der älteren Generation ließ sich blicken, immerhin hat er ja bei Fassbinder und Syberberg gespielt, und hielt, bei immer fülliger werdendem Leib, Hof in Hof, auf den Stühlen, die das Café vor dem Central-Kino unter der warmen Herbstsonne in die Fußgängerzone gestellt hatte.

"Perspektive deutsches Kino"

Es ist der Nachwuchs, der sich in Hof trifft, und das war ja damals, in den späten sechziger Jahren, auch nicht anders. Unter den Festivals, die sich um den deutschen Film bemühen, hat Hof immer noch den besten Namen und die größte Attraktivität. Und ein deutlich besseres Programm als etwa die Berlinale in diesem Jahr mit ihrer Nachwuchs-Reihe "Perspektive deutsches Kino".

Das fing schon beim Eröffnungsfilm an, "Das Lied in mir", dem erstaunlich präzisen Debüt von Florian Cossen. Jessica Schwarz spielt eine Schwimmerin, die auf einem Zwischenstopp in Buenos Aires durch ein Lied aus der Bahn und in ihre Vergangenheit zurückgeworfen wird: Wie sich herausstellt, wurde sie 1980, nachdem ihre Eltern von den Militärs entführt (und ermordet) wurden, von einem deutschen Ehepaar adoptiert und - illegal - nach Deutschland gebracht. So "Das Lied in mir"

"Feindberührung": DDR-Rebell trifft auf Spitzel

Man identifiziert die Hofer Filmtage immer mit dem Spielfilm, aber die Gewichte haben sich längst verschoben: im diesem Jahr machten Dokumentarfilme einen großen Teil des Programms, rund ein Drittel, aus. Als herausragend erwiesen sich zwei Filme, weil sie jeder auf seine Weise, insistierten. In "Feindberührung" lässt Heike Bachelier zwei Männer nach einer längeren Zeit aufeinandertreffen. Der eine war in der DDR ein Rebell, glaubte zwar an den Marxismus, wollte das aber auch mit anderen diskutieren, in der Evangelischen Studentengemeinde in Magdeburg. Der andere war IMS, ein Spitzel, wenn auch aus Überzeugung – und der Freund des anderen. Bachelier lässt die beiden gegenseitig die Texte des IMS vorlesen und darüber reden. "Feindberührung" ist nicht nur ein Ausflug in den Untergrund der DDR, sondern auch eine erstaunlich kluge Reflexion über Loyalität und Freundschaft. Denn die Berichte des IMS "Hans Kramer" führten zu vielen Monaten Gefängnisaufenthalt, und es ist berührend, wie die beiden älteren Herren am Tisch sitze und mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit klarzukommen versuchen.

"Ich Koch!": Eine Ausbildung mit militärisch wirkender Hierarchie

Zeit lässt sich auch Bettina Timm in ihrem "Ich Koch!" Im Mittelpunkt stehen zwei Köche in der Ausbildung: Der eine lernt beim Sternekoch Christian Grainer in Kirchdorf das Zerlegen von Hummern, der andere rollt täglich 900 Knödel im Münchner Ratskeller. Doch Timm spielt nicht die beiden Welten gegeneinander aus oder stellt en weiteres Mal einen Beruf vor, den das Fernsehen mit seinen Kochshows, in denen alles so einfach geht, populär gemacht hat. Nein, "Ich Koch!" ist ein Film über harte Arbeit und einen Beruf mit einer fast militärisch wirkenden Hierarchie (in der Großküche des Ratskellers) und, wenn die Kamera gleitend an den Schränken, Öfen und Geschirren der Großküche vorbeifährt, eine Hommalge an die Professionalität eines Handwerks.

Hof: "Home of Films"

Hof lässt aber auch Vergleiche zu. Wim Wenders hat die drei Buchstaben des Ortsnamens einmal in "Home of Films" übersetzt – und damit sind nicht nur deutsche Filme gemeint. Dem amerikanischen Regisseur Bob Rafelson war in diesem Jahr eine Hommage gewidmet, es liefen die neuen Filme des Briten Mike Leigh und des Franzosen Olivier Assayas. Und einer der schönsten Filme des Festivals kam aus einem Land, dessen Werke sich sonst eher selten zu uns verirren: der serbische Film "The Woman With the Broken Nose" ist eine Alltagstragikomödie aus Belgrad, der wie so viele Filme in diesem Jahr anhand der Schicksale mehrere Menschen von Traumata und verletzten Gefühlen erzählt.


Rudolph Worschech ist Chefredakteur der Filmzeitschrift "epd film".