Tunnel als Falle: Loveparade wird zum Horror

Tunnel als Falle: Loveparade wird zum Horror
Es sollte ein ausgelassene Party sein, doch es wird eine Katastrophe: In einer Massenpanik bei der Loveparade sterben 19 Menschen, 342 weitere erleiden Verletzungen. Ein Tunnel wurde zur Menschenfalle. Viele stellen die Frage, warum die Menschen durch ein Nadelöhr geschickt wurden. Gegen Veranstalter und Behören werden Vorwürfe erhoben.
24.07.2010
Von Andreas Sträter und Wolfgang Dahlmann

Die erste Loveparade in Duisburg endet in einer Tragödie. In einer Massenpanik haben sich junge Menschen, die nicht mehr zur Party durchkamen, in einem Tunnel kurz vor dem Eingang totgetreten oder zerdrückt. Einige sollen auf der Flucht vor der Menschenmasse am Tunnelende von einer schmalen Treppe gestürzt sein. Noch Stunden nach dem Unglück haben Hunderttausende von den Todesfällen nicht mitbekommen. Sie feiern fröhlich weiter. Der Veranstalter befürchtet eine zweite Katastrophe und bricht das Fest deshalb nicht ab.

Die Panik ist Zeugen zufolge schon vor ihrem Höhepunkt am Nachmittag absehbar. Erst klappen Menschen im Partyvolk im Tunnel und dahinter zusammen, bekommen keine Luft mehr, weil immer mehr Besucher nachdrängen und andere auch gehen wollen. Dann eskaliert die Situation. In dem Hunderte Meter langen Tunnel und auch am Ende vor dem Loveparade-Eingang zu einem alten Güterbahnhofsgelände werden die Einsatzkräfte nicht mehr Herr der Lage.

"Dort ging es nicht weiter"

"Wir standen mittendrin. Es hatten immer mehr Menschen noch versucht, zum Gelände zu kommen", sagt der 21-jährige Raver Fabio. "Wir waren schon durch den Tunnel durch und standen auf dem kurzen Stück vor dem Eingang. Dort ging es aber nicht weiter." Einige seien über Zäune und über eine Leiter geklettert oder über eine enge Treppe am Tunnelende.

"Wir sind danach durch den Tunnel zurück. Meine Freundin und ich haben schon kaum mehr Luft mehr bekommen und haben die Ellbogen ausgefahren, um noch wegzukommen", berichtet Fabio. "Anschließend haben wir die Polizei alarmiert und gesagt, dass es im Tunnel gleich zur Massenpanik kommen wird." Passiert sei aber erst einmal nichts. "Das war etwa eine Dreiviertelstunde vor dem Unglück gewesen. Da waren aber schon Leute reihenweise zusammengeklappt."

Ein einziger Weg als Zu- und Ausgang

Schnell kommt die Frage auf, wie man nur einen einzigen Weg mit einem Nadelöhr als Zu- und Ausgang einrichten konnte. Der Erfinder der ersten Loveparade von 1989 in Berlin, Dr. Motte, schiebt dem Veranstalter die Schuld zu. Ein einziger Eingang sei zu wenig gewesen. Im Kurznachrichtendienst Twitter war mit Blick auf den Tunnel schon vor der Veranstaltung von einer "Falle" die Rede. Das Gelände soll für maximal 800.000 Menschen Platz haben, hieß es noch am Mittag. Am Nachmittag verkündete die Stadt stolz 1,4 Millionen Besucher.

Erst nach und nach verbreitet sich die Schreckensnachricht auf dem Gelände. Später mischt sich die wummernde Musik mit den Rotorgeräuschen der herannahenden Rettungshubschrauber. Partygäste, die von der Tragödie gehört haben, sitzen vor der absperrenden Banderole auf dem Loveparade-Gelände, schütteln den Kopf, das Gesicht voller Tränen. "Ich kann das immer noch nicht fassen", sagt der 17- jährige Achmed Hasan aus Hamm. Er wollte gerade mit seinem gleichaltrigen Freund Hendrik Weigers aus Rheinberg in Richtung des stillgelegten Güterbahnhofs, als die Panik unter der Brücke aufkam.

Noch nie gesehen, wie ein Mensch gestorben ist

"Als die Polizei das Gelände abriegeln wollte, wurden wir brutal nach vorne gedrückt, die Leute vorne bekamen keine Luft mehr", sagt der junge Mann. Dabei sei die Stimmung zunächst gar nicht aggressiv gewesen, sagte er. "Die wollten doch alle nur Spaß", berichtet der 17-Jährige aus Hamm. "Dann haben alle geweint, ich habe geweint", sagt er, muss kurz schlucken und ergänzt: "Ich habe noch nie gesehen, wie ein Mensch gestorben ist."

Auf der riesigen Veranstaltungsfläche lehnen sich viele Menschen am frühen Abend gegen die Banderolen. Sie wollen Kontakt zu ihren Familien aufnehmen und ihnen sagen, dass es ihnen gut geht. Die Folge: Das ohnehin schon schwache Handynetz bricht vollends in sich zusammen. Die Zahl der Toten steigt immer weiter. Anfangs ist von zehn Opfern die Rede, später von 16. Drei weitere sterben später im Krankenhaus. In der Nacht berichten die Behörden von insgesamt 342 Verletzten.

Mutter erreicht ihre Tochter auf dem Handy

Im Schatten stehen die Freundinnen Melanie Rogsch (34) und Nicole Vetrih (40) aus Moers. "Die Situation bedrückt uns, ein Scheiß-Gefühl", sagen die beiden. "Ich kann das gerade irgendwie nicht glauben", sagt Nicole Vetrih. Gerüchte würden schon seit einer guten Stunde über das Gelände wabern. Das Handy von Anna Gregor (19) aus Neukirchen klingelt. Es die Mutter, sie ist durchgekommen. "Ja, es geht mir gut", sagt die junge Frau. "Ich finde das total schlimm", sagt sie.

Traurig und gleichzeitig irritiert wirken Philipp Müller (27) aus Ratingen und Kathrin Poerschke (30) aus Essen. "Wir wurden gerade über das Unglück informiert. Meine Mama hat das im Fernsehen gesehen und sich nach uns erkundigt", sagt Kathrin Poerschke. "Es ist das Thema, es wird gar nicht mehr soviel getanzt", sagt Melanie Dorn (28) aus Erkrath.

dpa