Herr Grube, die Bahn und die Oberliga

Herr Grube, die Bahn und die Oberliga
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, harte Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - in dieser Woche schlägt er Angela Merkel ein paar neue Freunde vor, nimmt die Schuldenmacherei der neuen NRW-Regierung aufs Korn und erklärt, warum die Bahn zur Oberliga der, wie Elitz es nennt, "Kundenverarsche" zählt.
16.07.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Oettinger, Koch, Rüttgers, Wulff – und nun steht auch noch Ole von Beust vor dem Rückzug. Ist das der endgültige Sieg von Angela Merkel über die CDU-Länderherren, oder wird es bedrohlich einsam um sie?

Ernst Elitz: Merkel muss in der neuen Generation der Unionspolitiker Verbündete suchen. Enge Beziehungen aufzubauen, fällt ihr schwer. Sie ist misstrauisch, und ihr kühles Physikerherz kann die Partei nicht erwärmen. Deshalb wird die Kanzlerin die Debatte über den Parteivorsitz nicht los. Nach jeder verlorenen Wahl – 2011 gibt es ein halbes Dutzend riskante Landtagswahlen – wird sie erneut mit der Frage konfrontiert, ob sie bei ihrer Doppelbelastung nicht den Unionsvorsitz abgeben sollte. Merkels Glück, aber die Tragik der CDU: Es gibt in dieser Partei keinen Herzenserwärmer, der die Mitglieder emotional mitreißen und begeistern kann. Und so wird Merkel beides bleiben – bleiben müssen: Kanzlerin und Parteivorsitzende. Ihre einzige Chance ist, mit den neuen Stars der Union ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis aufzubauen: Mit von der Leyen, mit McAllister, mit dem Baron zu Guttenberg, mit dem im Moment noch angeschlagenen Röttgen. Auch bei den CDU-Ministerpräsidenten Tillich und Frau Lieberknecht hätte sie Unterstützer, wenn sie es denn über sich bringt, sie zu umwerben. Wenn Merkel diese emotionale Hürde nicht nimmt, wird sie ihr Ende tatsächlich ungetröstet und vereinsamt erleben. Und mit ihr die CDU.

evangelisch.de: An Rhein und Ruhr regiert seit dieser Woche ein rot-grünes Minderheitskabinett. Welche Chancen, Risiken und Nebenwirkungen wird die ungewöhnliche Konstellation in NRW mit sich bringen?

Ernst Elitz: Treffender gesagt: Frau Kraft versucht zu regieren. Dass CDU und FDP ihr gelegentlich eine Mehrheit schenken, kann sie sich abschminken. In Berlin sind die Generalsekretäre der Hauptstadt-Koalition gemeinsam vor die Presse getreten und haben Frau Kraft wie den leibhaftigen Gottseibeiuns beschworen. Die nordrhein-westfälische Linke wird dagegen immer dabei sein, wenn es gilt, ohne Rücksicht auf die Finanzen Wohltaten zu beschließen. Als sparsame Hausfrauen geben sich die Damen Kraft und Löhrmann ja nicht gerade: 2,5 Milliarden Euro für den Landesetat mehr an Schulden als die Vorgängerregierung sind eingeplant. Das ist ein Hammer. Frau Krafts Ehegatte, der brave Elektromeister, dürfte seinen Betrieb wohl nicht so führen wie die Ministerpräsidentin das Land. Ohne das grüne Drängen von Frau Löhrmann hätte sie es wohl auch nicht getan. Frau Löhrmann trägt bei diesem Unternehmen das geringste Risiko. Gibt es Neuwahlen, schwenkt sie bei einem entsprechenden Ergebnis um zur CDU. Die Grünen-Mitglieder sind da nicht so dogmatisch wie die Basis der SPD, die Frau Kraft die vernünftigste Lösung, die große Koalition, vermasselt hat. Wahrscheinlich, weil sie Rüttgers nicht verzeihen kann, dass er sich während seiner Amtszeit als Imitat ihres Hausheiligen Johannes Rau aufgespielt hat. Eine Chance für eine Wackelregierung dieser Art für den Bund gibt es glücklicherweise nicht.

evangelisch.de: Hitzechaos, kaputte Klimaanlagen, überfordertes Personal und Schuldzuweisungen: Spielt die Deutsche Bahn russisches Roulette mit der Gesundheit ihrer Kunden?

Ernst Elitz: Ob wir mitspielen, liegt bei uns. Inzwischen kennen wir ja die Regeln: Wer bei einer Außentemperatur von mehr als 32 Grad in den ICE einsteigt, fällt um. Die Bahn stellt auf der nächsten Haltestation Liege und Sanitäter. Bei den anderen Firmen der Oberliga der Kundenverarsche – der Post und der Telekom – hat der Kunde nur Ärger und finanzielle Nachteile. Die Bahn dagegen spielt hart und bis zum letzten. Nicht umsonst trägt ihr Chef den ultimativen Namen "Grube".


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.