Die Angst vor dem virtuellen Freund

Die Angst vor dem virtuellen Freund
Dass sich Jugendliche soziale Kontakte im Internet suchen, öffnet auch die Tür für neue Formen des Mobbing. Die Täter sind anonym, fühlen sich sicher und sind dadurch gefährlich. Medienpädagogen steuern mit Aufklärungsprojekten gegen.
29.06.2010
Von Sabine Damaschke

Heiko hält seine Hand vor die Kamera und zeigt seine Narbe. "Die ist zurückgeblieben, nachdem ich mit der Faust in den Bildschirm geschlagen habe", erzählt der schmale Junge mit der blonden Igelfrisur. "Ich bin so ausgerastet, weil er meine Eltern beleidigt hat." "Er" war eine virtuelle Bekanntschaft, mit der der 14 Jahre alte Schüler vor knapp zwei Jahren ein paar Mal gechattet hatte, bevor sich der Freund als Feind entpuppte.

Mindestens 15 Nachrichten täglich habe ihm der Junge geschickt, eine schlimmer als die andere, erzählt Heiko. Die Beleidigungen gingen in Bedrohungen über und mündeten schließlich in dem Satz "Ich bringe dich um". Er habe richtig Angst gehabt, berichtet der Wuppertaler Schüler. Erst als Heiko mit seinen Eltern zur Polizei ging und Computerspezialisten die Adresse des Mobbers herausfanden und ihn zur Rede stellten, war Schluss.

Wuppertaler Projekt

Auch Madita, Diandra, Alina und Ayla haben Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht. Vor der Kamera fällt es ihnen bisweilen sichtlich schwer, darüber zu berichten. Doch ihnen ist wichtig, andere Jugendliche vor dem allzu sorglosen Umgang mit dem Internet zu warnen. Mit ihrer Dokumentation "Streit im Netz", die sie beim Medienprojekt Wuppertal gedreht haben, hoffen sie nun möglichst viele andere jugendliche User zu erreichen.

Die Chancen stehen gut, meint Projektleiter Andreas von Hören. Zahlreiche DVDs seien bereits von Schulen und Jugendzentren bestellt worden. Der Medienpädagoge dreht schon seit 1992 mit Jugendlichen Filme, die einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden - im Wuppertaler Kino, auf Festivals und als bundesweit vertriebene DVD-Produktion. "Es gibt ein großes Interesse an dem Thema", sagt von Hören. "Denn immer mehr Jugendliche erleben auch die negativen Seiten der sozialen Netzwerke."

Mobber in die Schranken weisen

Jeder fünfte Jugendliche in Deutschland hat einer Studie zufolge als Opfer oder Täter mit Mobbing im Internet zu tun. "Fast 80 Prozent derjenigen, die Klassenkameraden ausgrenzen und beleidigen, tun dies auch im Internet", erklärt die Kölner Sozialpsychologin Catarina Katzer. Sie hat die bislang einzige repräsentative Studie zu "Cyberbullying" - das englische Verb "bully" bedeutet "quälen" oder "nötigen" - in Deutschland veröffentlicht. In einem Interview mit den Jugendlichen des Medienprojekts warnt die Psychologin davor, die virtuellen Beleidigungen einfach nur "wegzuklicken". Es sei wichtig, die Mobber in ihre Schranken zu weisen.

"Diese Form des Mobbings hat eine ganz neue psychologische Dimension", mahnt Katzer. "Denn man bleibt ein ganzes Lebens lang Opfer." Was einmal im Internet stehe, sei kaum noch zu löschen und für eine breite Öffentlichkeit sichtbar. Wer soziale Netzwerke nutze, sollte daher genau überlegen, was er von sich preisgebe. Katzer appelliert an Eltern und Lehrer, Kinder und Jugendliche über die Risiken des Internets aufzuklären. Außerdem sollten Lehrer sich um den Streit im Netz kümmern und sich einschalten, wenn Schüler von ihren Klassenkameraden virtuell beleidigt würden. "Das gehört zu ihrer Sorgfaltspflicht", meint die Sozialpsychologin.

Nicht einschüchtern lassen

Zwar machten die Lehrer Mobbing zum Thema, erzählt die 14 Jahre alte Madita. Aber nicht so, dass es in der Klasse ernst genommen werde. Eine Gruppe von Mitschülern hatte Madita im Internet gezielt beleidigt und Gerüchte über sie gestreut. "Für die Lehrer war das doch nur Kinderkacke", meint die Schülerin. Also meldete sie die Mobbinggruppe dem Betreiber der Seite, der das Forum darauf hin sperrte. Sich aus Netzwerken wie SchülerVZ, Facebook oder Knuddels ganz zurückzuziehen oder gar die Klasse zu wechseln, war für Madita keine Lösung. "Ich lasse mich nicht einschüchtern, das gönne ich denen nicht."

Diandra fühlte sich von ihren Lehrern zwar ernst genommen, empfand sie aber als "machtlos" im Kampf gegen Cybermobbing. Jemand aus ihrer Klasse hatte ein manipuliertes Bild von ihr ins Internet gestellt. "Das war total eklig", sagt sie und lächelt verlegen. Ihr Gesicht sei auf den Kopf einer Pornodarstellerin kopiert worden, die beim oralen Geschlechtverkehr gezeigt wurde. "Als ich das Bild sah, habe ich einen Heulkrampf bekommen", erzählt die zwölf Jahre alte Schülerin in der Dokumentation.

Vorsicht

Auf ihr eigenes Profil im Internet möchte Diandra trotz dieser Erfahrung nicht verzichten. Jeden Tag ist sie online, genau wie die anderen Jugendlichen des Medienprojekts auch. Aber sie ist vorsichtiger geworden. "Man sollte aufpassen, mit wem man im Internet Umgang hat", sagt sie.

Auch Ayla warnt vor zu viel Vertrauensseligkeit. Sie appelliert an die Zuschauer der Dokumentation, sich lieber auf die Freunde im echten Leben zu verlassen. Und zwar nicht nur aus Angst vor Cybermobbing. "Mit jedem virtuellen Freund wird es schwieriger, Zeit für richtige Freunde zu haben", betont die 18 Jahre alte Schülern. "Sonst wird man mit 3.000 Hallo- und Tschüss-Freunden aus dem Internet vereinsamen."

Internet: www.medienprojekt-wuppertal.de

epd