An der Wand hängen Modelle von Flugzeugen aus grauer Pappe, von der Decke baumelt ein Flugdinosaurier, Körper und Schwingen sind aus Plastik-Heftstreifen gebunden, Gemälde mit farbigen, amorphen Formen oder ganz in Schwarz zieren die Wände - der Raum des Ateliers Goldstein in Frankfurt am Main zeugt von sprühender Schaffensfreude.
Künstlerinnen und Künstler, die kognitive Behinderungen haben, können sich hier verwirklichen. Ihre Kunstwerke lassen staunen, und einige sind auf dem Kunstmarkt gefragt. So gab es jüngst eine Gruppenausstellung in der Galerie L'Atlas in Paris.
Einer der erfolgreichen Künstler ist Juewen Zhang. Der Student an der Hochschule für Gestaltung Offenbach steht vor einer mit Kohle geschwärzten Leinwand und radiert helle Stellen frei. "Wie ein Bildhauer", erklärt Atelier-Co-Leiterin Sophia Edschmid. Danach gefragt, was aus dem Schwarz entstehen soll, erwidert Zhang: "Vans-Schuhe sind schöne Schuhe! Alle Vans-Schuhe sind schön." Er holt einen selbst gefertigten Silberring hervor, den ein Miniatur-Van-Schuh ziert, und küsst ihn. Werke von ihm waren etwa auf der documenta fifteen, der Art Düsseldorf oder jüngst in der Pariser L'Atlas-Galerie zu sehen, berichtet Edschmid.
Bekannt geworden ist auch Julius Bockelt. Er zieht mit einem technischen Zeichenstift frei Hand exakt parallele Linien über ein DIN-A-2-Blatt und lässt sie durch leicht gekrümmte Linien schneiden, sodass ein flirrender Bildeindruck entsteht. Er mache akustische Schwingungen bildlich sichtbar, erklärt er.
Der Künstler demonstriert auf einem Keyboard den Klang von Akkorden und Clustern. Die Arbeit ist ein Auftrag des Pariser Galeristen Christian Berst. "Ich bin mehr ein Forscher, der Naturphänomene erforscht", sagt Bockelt über sich. Er holt eine Dose hervor und bläst Seifenblasen, dirigiert sie mit Handbewegungen durch den Raum. "Ich habe Seifenblasen erfunden, die lange nicht platzen. Sie glänzen wie Glaskugeln."
Das Atelier Goldstein, 2001 von Christiane Cuticchio gegründet und nach seinem ersten Frankfurter Standort benannt, wird vom Verein Lebenshilfe Frankfurt getragen. 15 Künstlerinnen und Künstler mit kognitiven Einschränkungen arbeiten im Atelier, zehn Mitarbeitende auf fünf Stellen assistieren.
Die Assistenzen sind selbst Kunstschaffende, so wie Mai Braun, die ein eigenes Atelier hat. Sie besorge das Material für die Künstler und helfe etwa beim Bespannen von Leinwänden, erklärt sie. Hinsichtlich des Kunstschaffens brauchten die Nutzer keine Hilfe: "Die Menschen haben im künstlerischen Bereich keine Behinderung."
Zu den erfolgreichen Künstlerinnen des Ateliers Goldstein gehört auch Julia Krause-Harder. Ihre raumgreifenden Dinosaurier-Nachbildungen, für die sie Plastik- und Metallteile mit Kabelbindern an einem Stäbe-Skelett befestigt, werden im Oktober auf der Art Basel in Paris ausgestellt. "Sie ist ein Materialgenie, sie kann jedes Material kombinieren", sagt Co-Leiterin Edschmid.
Krause-Harder habe etwa eine 27 Quadratmeter große Weltkarte maßstabsgetreu gestrickt und genäht. Auf einer gemeinsamen Zugfahrt hätten Sitznachbarinnen sich mit ihr ausgetauscht: "Ich stricke Topflappen, und Sie?" Krause-Harder: "Ich stricke Nordkorea."
Jede Woche treffen neue Bewerbungen im Goldstein-Atelier ein. Die Qualität der eingereichten Arbeiten entscheide über die Einladung zu einem Praktikum, erklärt Edschmid. Wer einmal einen Platz hat, darf bleiben. Deshalb habe das Atelier in den vergangenen acht Jahren nur vier neue Kunstschaffende aufgenommen.
Bezahlt wird ein Platz über das persönliche Budget für gesellschaftliche Teilhabe. Die meisten Künstler arbeiten daneben Teilzeit in einer Werkstatt für Behinderte, über die sie sozialversichert sind.
Derzeit wird das Atelier umgebaut, nächstes Frühjahr soll die doppelte Fläche zur Verfügung stehen. Dann könne auch die Bildungsarbeit von Künstlern in der Goldstein-Akademie mit Schulklassen, Studierenden und Workshops erweitert werden. In der Goldstein-Galerie in der Nähe zeigt das Atelier Arbeiten seiner Kunstschaffenden.
Kunststudent Marlon Hesse absolviert ein Praktikum in diesem Atelier: "Ich habe mir einen Platz ausgesucht, wo Inklusion praktiziert wird und ein Sprachrohr bekommt", begründet er. Inklusion sei im Kunstbetrieb ein heikles Thema. So gebe es Kunsthochschulen ohne Rampen und funktionierenden Aufzug. Er resümiert: "Die Arbeit im Atelier Goldstein ist sinnstiftend."