Haben wir Christus geopfert?

El
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Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
Ich wundere mich etwas über eine Formulierung die ich neuerdings des Öfteren höre, häufiger als bei uns noch in der katholischen Kirche aber auch bei uns ist sie mir schon begegnet. Die Kernaussage ist ein jedes Mal wir hätten Christus geopfert. Beim Rosenkranzbeten gab es neulich eine Zeile die dies wörtlich aussagte, aber auch in den evangelischen Gottesdiensten gibt es Formulierungen und Liederzeilen die das implizieren. Jetzt wundere ich mich doch sehr. Wir haben Christus geopfert? Das ist für mich nicht nur unvorstellbar sondern auch unmöglich. Er hat sich doch für uns hingegeben, hat für uns freiwillig gelitten und sich für uns dem Tod preisgegeben. Ich finde den Gedanken oder die Worte wir hätten ihn geopfert nicht passend, zumindest verstehe ich sie nicht. Vielleicht können Sie mir das ja erklären.
Mit dankbaren Grüßen
El

Liebe El,

 

Sie haben Recht: Die Vorstellung, dass "wir", also die Menschen selbst, Jesus "geopfert" hätten, ist theologisch nicht sinnvoll. Der Gedanke, dass Jesus nicht umsonst am Kreuz gestorben ist, sondern "für uns", kann ja nicht funktionieren, wenn wir selbst die Sache sozusagen in die Hand genommen hätten. Ich muss auch gestehen, dass ich dieser Formulierung selbst noch nirgends begegnet bin. Kann es sein, dass es zu einem Missverständnis gekommen ist? Vielleicht wollen die Liedzeilen, die Sie erwähnen, vor allem betonen, dass Jesus von Menschenhand starb? Das lässt sich ja nicht leugnen und ist ein fester Bestandteil dessen, woran wir uns vor allem in der Karwoche erinnern. Wir haben Jesus durchaus getötet, aber wir haben ihn nicht geopfert. Das würde implizieren, dass diejenigen, die Jesus an das Kreuz schlugen, das taten, weil sie Gott opfern wollten. Das ist aber in vielerlei Hinsicht unsinnig.

 

Dass der Tod Jesu überhaupt als ein Opfer zu verstehen sei, also als eine Tötung, die Gott gnädig stimmen soll, ist mittlerweile ohnehin umstritten. Auch wenn man sagt, Christus habe sich selbst als Sühnopfer für die Menschheit hingegeben so bleibt doch die Vorstellung, Gott brauche solch ein Opfer, um gnädig sein zu können. Das widerspricht aber unserem Gottesbild von einem Gott, der (für uns selbstverständlich) gütig sein kann, wie es ihm gefällt. Die Deutung des Todes Jesu als Sühnopfer geht letztlich auf Anselm von Canterbury, also ins 11. Jahrhundert zurück. Kurzgefasst geht Anselm davon aus, dass Gottes Herrscherehre durch die Sünde der Menschheit "beleidigt" wurde. Das kann nur dadurch "gesühnt" werden, indem Gott selbst die Sache wieder in Ordnung bringt, denn wie sollte ein Mensch ein Opfer bringen, das groß genug wäre, um Gottes Ehre wiederherzustellen! Wie gesagt, diese Vorstellung entspringt einer anderen Gesellschaft und einem anderen Weltbild.

 

Ich habe übrigens mal geschaut, was ich in den Rosenkranz-Gebeten finden kann, was Ihrer Beschreibung entspricht. Ich habe allerdings nur einen einzigen Tel gefunden, der vielleicht zu einem Missverständnis führen könnte: In den sogenannten "freudenreichen Geheimnissen heißt es – an Maria gerichtet: "Jesus, den du, o Jungfrau, im Tempel geopfert hast." Hiermit ist freilich nicht gemeint, dass Maria ihren Sohn in dem Sinne geopfert hätte, dass sie ihn umbrachte, sondern es geht um die Geschichte in Lk 2,22-40, in der Josef und Maria den frischgeborenen Jesus in den Tempel in Jerusalem bringen, um dort Gott ein Opfer für Jesus zu bringen.

 

Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein wenig weiterhelfen und grüße herzlich!

Frank Muchlinsky

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