TV-Tipp: "Sonderlage – ein Hamburg-Krimi: Der Angriff"

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2. April, RTL, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Sonderlage – ein Hamburg-Krimi: Der Angriff"
Der Titel der damals zweiten neuen RTL-Reihe, "Sonderlage", klingt zwar weder spektakulär noch spannend, doch der Reiz zumindest des ersten Films liegt in seinem quasi dokumentarischen Charakter. 

Hamburg, ein Fährschiff, eine Bombe: Die Konstellation erinnerte bei der Erstausstrahlung im vorigen Jahr an den kürzlich gezeigten "Dünentod"-Krimi "Tödliche Falle". Der Titel der damals zweiten neuen RTL-Reihe, "Sonderlage", klingt zwar weder spektakulär noch spannend, doch der Reiz zumindest des ersten Films liegt in seinem quasi dokumentarischen Charakter. Fesselnd ist die Geschichte des erfahrenen Autors Norbert Eberlein ohnehin, immerhin hält ein Attentäter die Stadt in Atem. Während draußen das Chaos droht, bleibt die Frau im Auge des Sturms ruhig und besonnen, und dieser Kontrast war vielleicht beste Idee des "Großstadtrevier"-Schöpfers: In der Befehlsstelle von Polizeiführerin Verena Klausen (Henny Reents) laufen alle Fäden zusammen, sie koordiniert den Einsatz der verschiedenen Kräfte.

Das allein wäre schon Herausforderung genug, aber hinter den Kulissen lauern einflussreiche Gegenspieler nur darauf, dass sie einen Fehler macht; Klausen ist umzingelt von toxischer Männlichkeit. Der Arbeitstitel des Films lautete "Der große Knall", denn darauf sollen die Ereignisse nach dem Willen jenes Mannes, den die Einsatzleiterin den "Puppenspieler" nennt, hinauslaufen. Nun heißt er schlicht "Der Angriff", und der erfolgt aus dem Nichts: Eine freundliche junge Polizistin deckt sich bei einem Imbiss an den Landungsbrücken mit Fischbrötchen ein und wird plötzlich wie von einer riesigen Faust umgehauen. Als sie sich wieder aufrappelt, bietet sich ihr ein Bild des Grauens: Blutüberströmte Menschen irren herum, Körper liegen leblos auf dem Boden. Kurz drauf meldet sich der Bombenleger und kündigt einen weiteren Anschlag an; anschließend werde er seine Lösegeldforderung mitteilen.

Dank der Bilder aus diversen Überwachungskameras und den Befragungen durch die Polizistin (Julia Goldberg) offenbart sich neben der Identität des Mannes recht bald, wo er die zweite Bombe deponiert hat; die Explosion kann allerdings nicht verhindert werden. Der Attentäter will 200 Millionen Euro, ansonsten werde es einen "großen Knall" geben, aber Klausen ahnt, dass hinter den Taten ein ganz anderes Motiv steckt. Natürlich hat Regisseur Andreas Senn gerade auch mit Hilfe der Musik für die bei einem derartigen Stoff unverzichtbare Spannung gesorgt. Die Szenen in der Leitstelle sind jedoch mindestens genauso fesselnd wie die Suche nach der Bombe oder dem Versteck des Attentäters.

Klausen, im polizeilichen Alltag Leiterin der Abteilung Organisierte Kriminalität, muss auf Basis der vielen Informationen, mit denen sie ständig durch die Mitlieder ihres Stabs versorgt wird, innerhalb von Sekunden die richtigen Entscheidungen treffen. Als sich rausstellt, dass Bombenleger Yusuf (Ivar Wafei) bloß ein Handlanger ist, verzichtet sie auf einen öffentlichen Fahndungsaufruf, weil dies sein Todesurteil wäre. Ihre Feinde im Innern, der Chef der Mordkommission (Lasse Myhr) und der Polizeipräsident (Sven Gerhardt), sind jedoch dank eines Mauwurfs (Zoë Valks) stets auf dem Laufenden und informieren die Medien; prompt findet LKA-Kollege Reimann (Özgür Karadeniz), praktisch der einzige, dem Klausen rückhaltlos vertrauen kann, nur noch Yusufs Leiche. 

Tatsächlich sind es nicht zuletzt die internen Intrigen, denen Eberleins Drehbuch eine zusätzliche Qualität verdankt; die patriarchalischen Strukturen, mit denen Klausen konfrontiert wird, finden sich auch in Unternehmen, Parteien, Organisationen und Vereinen. Bei Senn ist diese Geschichte in den besten Händen, der Schweizer steht seit vielen Jahren für anspruchsvolle Krimi-Unterhaltung. Eine seiner letzten Arbeiten war die Thriller-Serie "Unbroken" (2021, Neo) mit Aylin Tezel als hochschwangere Polizistin, die nach ihrer Entführung ohne Erinnerung und ohne Baby zurückkehrt. Außerdem hat er seit 2017 die bislang dreiteilige ZDF-Reihe "Der Kommissar und…" mit Roeland Wiesnekker als besonderer Berliner Ermittler gedreht.

Für den letzten Teil, "Der Kommissar und die Eifersucht" (2022), hat er gemeinsam mit Michał Grabowski ein faszinierendes ästhetisches Konzept entwickelt. Die Bildgestaltung von "Der Angriff" ist nicht minder sehenswert, zumal der Kameramann für die Außenaufnahmen fahle, fast verwaschen helle Farben gewählt hat, während die Szenen in der Befehlsstelle höhlenartig dunkel sind. Für optischen Aufwand sorgen zudem die vielen Bildquellen, weil Klausen bei Einsätzen dank der Bodycams regelmäßig live dabei ist. Das Finale hätte ruhig etwas packender ausfallen können, passt aber ins Gesamtbild dieses Films, der nicht nur auf bloßen Nervenkitzel setzt.