TV-Tipp: "Sarah Kohr: Zement"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
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18. März, ZDF, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Sarah Kohr: Zement"
Auf der Fahrt in die Klinik kollidiert ein Rettungswagen samt Polizistin mit einem PKW und überschlägt sich. Der eigentliche Knüller folgt jedoch, als die Polizistin im Krankenhaus aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht: Sie hat den Unfallverursacher erschossen, kann sich aber an nichts erinnern. Ein rätselhafter Fall.

Alle reden von Verkehrswende, Heizungsgesetz und Flugscham. Ein Aspekt kommt bei den Diskussionen über den Klimawandel jedoch viel zu kurz: Ohne Zement läuft beim Bauen in der Regel nichts, ganz egal, ob es sich um Häuser, Brücken oder einen U-Bahn-Tunnel handelt. Für die Produktion dieses Baustoffs sind enorme Energien nötig, vom CO2-Ausstoß ganz zu schweigen. Aber ist das ein Krimithema? Wie immer auch die Genese der neunten Episode mit Lisa Maria Potthoff als Hamburger LKA-Kommissarin für besondere Fälle war: Themenkrimis sind stets eine Gratwanderung, weil die Drehbücher eine Balance aus Hintergrund und Vordergrund, aus Informationsvermittlung und Spannung finden müssen. Timo Berndt, der die Reihe nach dem Auftakt 2014 von Stefan Kolditz übernommen hat, ist dazu natürlich in der Lage. Schwierig bleibt es trotzdem, weshalb "Zement" längst nicht so fesselnd ist wie die meisten anderen Filme der Reihe, was allerdings auch mit der Regie zu tun hat; schon Katrin Schmidts Beiträge für die ARD-Donnerstagsreihen "Der Dänemark-Krimi" ("Blutlinie", 2023) und "Die Füchsin" ("Alte Sünden" und "Game Over", 2023) waren recht spannungsarm. 

Umso spektakulärer ist diesmal zwar der Auftakt, aber er weckt auch Erwartungen, die die restlichen 85 Minuten kaum erfüllen können: Auf der Fahrt in die Klinik kollidiert ein Rettungswagen mit einem PKW und überschlägt sich. Die Kamera bleibt bei Sarah Kohr, die den Patienten begleitet und nun in Zeitlupe durch das Auto gewirbelt wird. Die Szene dauert nur dreißig Sekunden, aber hinter dieser halben Minute steckt vermutlich viel Aufwand. Der eigentliche Knüller folgt jedoch, als die Polizistin im Krankenhaus aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht: Sie hat den Unfallverursacher erschossen. Ihr Freund und Mentor, Oberstaatsanwalt Mehringer (Herbert Knaup), hat dafür sogar Verständnis: Im Schockzustand ist ihr Verstand automatisch in den Kampfmodus gewechselt.

Vor einer Suspendierung bewahrt sie das trotzdem nicht. Einem Kollegen Mehringers, Sebastian Kiemen (Benito Bause), sind Kohrs halblegale Ermittlungsmethoden ohnehin mehr als suspekt, weshalb sie mit einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung rechnen muss. Dass sie sich weder an die Tat noch an die Ereignisse zuvor erinnern kann, hält er für eine Lüge. 

Die Ausgangslage ist also schon mal interessant, zumal Erinnerungsfetzen dafür sorgen, dass der Fall zunehmend rätselhafter wird. Der Patient, der den Unfall zwar überlebt hat, aber schwerverletzt im Koma liegt, ist ein Nachbar der Polizistin, und jetzt nähert sich Berndt seinem eigentlichen Thema: In seiner Wohnung überrascht Kohr einen Eindringling, und prompt ereignet sich eine jener Handgreiflichkeiten, die im deutschen Fernsehkrimi das Alleinstellungsmerkmal der Reihe bilden. Was der Mann gesucht hat, weiß sie natürlich nicht, aber sie entdeckt Flyer einer Umweltgruppe, die gegen eine Zementfabrik in einem Vorort protestiert. Die Sprecherin (Liza Tzschirner) der Initiative ist die Freundin des Nachbarn, sie versorgt Kohr und damit auch das Publikum mit den ökologischen Details über die Zementproduktion. Jetzt bleibt nur noch zu klären, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, und dafür sorgt der Episoden-Star: Benno Fürmann spielt einen auf Anhieb als Ganove erkennbaren Müllentsorger mit zwar respektablem Strafregister, aber ohne jegliche Verurteilung. 

Natürlich schürt die Frage, wie Kohr in die Sache hineingeraten ist, eine gewisse Neugier; sie selbst will ebenfalls verstehen, was passiert ist. Außerdem mischt plötzlich auch noch Arzt (Bastian Reiber) mit, der den Fabrikbesitzer (Merlin Sandmeyer) gemeinsam mit dem Nachbarn der Kommissarin erpresst hat. Zu viele optische Lückenfüller wie etwa Autofahrten oder Stadtbilder in Panoramaformat sorgen jedoch dafür, dass sich die Dramatik zumeist gleich wieder verflüchtigt. Zwischenzeitlich wirkt die Handlung gar wie ein Vorwand, um die Polizistin gleich mehrfach in Zweikämpfe mit der Schlägerin (Annabelle Mandeng) des Schurken zu verwickeln. Die Prügeleien sind zwar wie stets überzeugend choreografiert, doch auch in diesen Szenen sorgt vor allem die Musik (Boris Bojadzhiev) für Spannung. Die Auflösung des Unfallhergangs ist allerdings ziemlich verblüffend; zum Finale schüttelt Berndt eine weitere ähnlich unvorhersehbare Überraschung aus dem Ärmel. Sehenswert ist "Zement" neben interessanten Schauplätzen wie etwa der stillgelegten Sietas-Werft auch wegen der hochwertigen Bildgestaltung; Kameramann Simon Schmejkal hat schon bei Schmidts "Dänemark-Krimi" für eine ganz spezielle Atmosphäre gesorgt.