TV-Tipp: "Der Schutzengel"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
4. September, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der Schutzengel"
Zu einem besonderen Krimi wird diese Geschichte, als Friedrich Nietzsche ins Spiel kommt und sich zwischen dem ermittelnden Beamten und einem Bankmanager aus Wien ein Duell entwickelt, das eher philosophische als kriminalistische Züge trägt.

Von außen betrachtet handelt dieser niederösterreichische Provinzkrimi von einer Begebenheit, die im Rahmen des Genres nicht weiter aufregend wirkt: In einem Waldsee wird die Leiche einer älteren Frau gefunden. Eine Rückblende bietet einen Verdächtigen an, der sogar einen doppelten Grund hätte, die Haushälterin seiner Mutter zu ermorden.

Götz Spielmann stellt seinem Film einen Prolog voran, der scheinbar keinerlei Verbindung zum Rest der Handlung hat: Ein junger Mann macht seiner Freundin einen Heiratsantrag; sie erwidert, er solle erst mal seine Polizeiausbildung abschließen. Erst viel später liefert der Film die Erklärung dafür, warum Martin Wagner (Michael Steinocher) mit einer anderen Frau zusammen ist, als er zwölf Jahre nach dem Antrag ins Waldviertel zurückkehrt. 

Und noch etwas ist ungewöhnlich: Die Hauptfigur, Oberinspektor Werner vom LKA in aus St. Pölten, wird zwar zu Beginn eingeführt, aber die eigentlichen Ermittlungen beginnen erst in der zweiten Hälfte des Films. Davon abgesehen ist es respektabel, dass Fritz Karl diese Rolle übernommen hat, schließlich ist "Der Schutzengel", eine Koproduktion des ORF mit dem ZDF, ein eher kleiner Film, der zumindest hierzulande nur wenig Aufsehen erregen wird, zumal Spielmann sein eigenes Drehbuch sehr zurückhaltend umgesetzt hat.

Auffälligstes Merkmal ist die düstere Anmutung (Kamera: André Mayerhofer). Die Bilder wirken, als seien sie in der Postproduktion vorsätzlich entbuntet worden; es gibt keinerlei fröhliche Farben. Über allen Aufnahmen liegt zudem ein Grünschleier, der auch Kostüme und Szenenbild prägt, was wiederum zur Handlung passt: Viele Szenen, darunter auch das Finale, tragen sich zwischen uralten Bäumen und bemoosten Felsen zu. 

Die eigentliche Geschichte entspricht dagegen dem handelsüblichen Krimigeschehen. Fesselnd ist sie vor allem wegen der Zeitsprünge: Der Sinn einiger Gegenwartszenen, die zunächst wie aus dem Zusammenhang gerissen wirken, ergibt sich dank der zwischenzeitlichen Rückblenden erst bei ihrer späteren Wiederholung, zumal sie nun aus anderer Perspektive erzählt werden.

Reizvoll ist jedoch vor allem der sich zunehmend zuspitzende Zweikampf, der allerdings distinguiert und mit wohlgewählten Worten geführt wird: Werner, ein stets freundlicher und sehr zugewandter Ermittler, ist sichtlich beeindruckt von der Weltgewandtheit des Nietzsche-Verehrers Hanno Lanner (Michael Rotschopf), der als Verdächtiger allerdings kaum in frage kommt, weil er ein lückenloses Alibi hat.

Seiner Mutter (Nicole Heesters) gehört ein altes Schloss, das dem Zahn der Zeit nicht mehr viel entgegenzusetzen hat. Lanner möchte es lieber heute als morgen loswerden und hätte auch einen Käufer, aber Charlotte Lanner will ihren Lebensabend nicht in Wien verbringen, zumal sie sich bei ihrer Haushälterin in guten Händen weiß. Fanny (Susi Stach) ist zwar der Inbegriff einer Grantlerin, der Familie aber schon seit vielen Jahren treu ergeben. Ihr Tod sieht wie ein Badeunfall aus, doch die Obduktion lässt keinen Zweifel daran, dass sie ertränkt worden ist; höchstwahrscheinlich von einem Mann. 

Die Befragungen konzentrieren sich zunächst auf Fannys hoch verschuldeten Neffen, doch dann rückt Lanner ins Visier; allerdings ist das einzige, was Werner gegen den Wiener vorbringen kann, "ein komisches Gefühl". Gerade das macht die Gespräche zwischen den beiden Männern so interessant. Schlüsselszene ist eine Plauderei in den Räumen des dörflichen Polizeipostens, bei der es vordergründig gar nicht um den Fall, sondern um Friedrich Nietzsche geht. Die Bedeutung dieser Ebene zeigt sich unter anderem an den Buchstaben und Ziffern auf Lanners Nummernschild, FN 1889; die Zahl bezieht sich auf das Jahr, in dem der deutsche Philosoph einen Zusammenbruch erlitt und fortan nicht mehr Herr seiner Sinne war.

Ausgehend von Nietzsches Erkenntnis "Gott ist tot, und wir haben ihn getötet" entspinnt sich ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizist und Banker, wobei die Rollen zumindest aus Sicht Lanners klar verteilt sind. In Wirklichkeit herrscht mindestens Augenhöhe; clever sorgt der Beamte dafür, dass der andere ihn unterschätzt. Dass Werner kein tumber Provinzpolizist ist, deutet Spielmann schon bei seiner Einführung an: Als der Klassikliebhaber am Tatort eintrifft, bleibt er im Auto sitzen, bis die Bach-Suite ausgeklungen ist.