Streit um das Zentrum für Antisemitismusforschung

Der Forschungsbericht "Antisemitismus als Problem und Symbol. Erscheinungsformen und Interventionen in Berlin" liegt am  bei der Vorstellung im Januar 2015 zur Mitnahme bereit.
Foto: dpa/Rainer Jensen
Der Forschungsbericht "Antisemitismus als Problem und Symbol" löste die Kritik an der Arbeit des Zentrums für Antisemitismusforschung aus.
Streit um das Zentrum für Antisemitismusforschung
Es sind gut 130 Seiten, in Auftrag gegeben von der Landeskommission Berlin gegen Gewalt, also einer Unterabteilung des Berliner Innensenats, gedruckt mittlerweile in zweiter Auflage. Der Titel: "Antisemitismus als Problem und Symbol", geschrieben von Michael Kohlstruck und Peter Ullrich, beide Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. Seit Monaten wird diese Studie heftig kritisiert, unter anderem von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und dem American Jewish Committee. Der Vorwurf, Antisemitismus werde relativiert und verharmlost. Sie fordern, die Studie müsse zurückgezogen werden. Wozu gibt es ein Berliner Zentrum für Antisemitismus-Forschung, wenn dieses gar nicht zur Bekämpfung des Antisemitismus beiträgt? Ein vielstimmiger Streit ist entbrannt.

Deidre Berger, Leiterin des Berliner Büros des American Jewish Committee, kritisiert die aktuelle Studie im Auftrag des Berliner Innensenats scharf. In "Antisemitismus als Problem und Symbol" werde lediglich von "antisemitischen Phänomenen" gesprochen, die allein von jüdischen Mitbürgern als besonders emotional empfunden würden, objektiv aber gar nicht so schlimm seien. "Es gibt viele, die nicht mehr öffentlich eine Kippa auf dem Kopf oder einen Davidstern als Kette tragen wollen. Wie kann man da nur von Symbol reden?", fragt Berger.

Jüdische Gemeinden in ganz Europa hätten wegen der zunehmenden Anzahl antisemitischer Vorfälle immer mehr Angst. Da sei es schwer zu verstehen, dass antisemitische Vorfälle in der Studie nur als emblematisch bezeichnet werden, weil Juden im Allgemeinen sehr überemotionalisiert seien. So steht in der Studie: "Charakteristisch für die jüdischen Perspektiven ist, dass einzelne Vorkommnisse von herausragender symbolischer Bedeutung im Zentrum der eigenen Bedrohungswahrnehmung stehen." Der Studie fehle somit jegliche Sensibilität für das Thema, sagt Berger. Antisemitische Stimmungen etwa an Schulen würden gar nicht ernst genommen.

Wie lässt sich Antisemitismus messen?

"Schulleiter wollen ihre Schule nicht in Misskredit bringen. Sie reden nicht offen über Vorfälle an ihren Schulen. Das Problem ist, dass die Wissenschaftler nicht die Zugänge gefunden haben, um das Phänomen in voller Dimension beschreiben zu können", kritisiert Deidre Berger. Gerade auch der Antisemitismus unter Muslimen werde in der Studie klein geschrieben. Als würden junge Araber oder Türken es im Grunde gar nicht ernst meinen und sich nur gegen Juden wenden, weil sie sich selbst unterdrückt fühlten. Zudem werde Initiativen und Organisationen, die gegen Antisemitismus angehen, ein Eigeninteresse und Überbetriebsamkeit unterstellt. Nicht-Regierungs-Organisationen, jüdische wie nicht-jüdische, würden sich wichtig machen, indem sie permanent die Gefahr des Antisemitismus beschwören, auch um darüber mehr Fördergelder für sich zu reklamieren. "Es beleidigt jüdische Perspektiven und es beleidigt die NGOs, die gegen dieses Phänomen kämpfen", beklagt die AJC-Vertreterin.

Doch der so heftig kritisierte Mitautor der Studie, Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, wehrt sich. Er bemühe sich als Politologe um ein objektiv-wissenschaftliches Bild. Die Studie wolle darauf hinweisen, dass es im Grunde "den Antisemitismus" gar nicht gebe. Allein schon die Quellenlage sei unsicher. So sei die Polizeistatistik uneindeutig, welcher Überfall nun antisemitisch sei und welcher nicht. Werde jeder Überfall auf einen Israeli auch gleich als ein Überfall auf einen Juden registriert? Unsicher sei auch, was die Akteure jeweils unter Antisemitismus verstehen würden.

"Wir haben eine Art des unpräzisen Redens darüber in der Bundesrepublik entwickelt, dass diese real existierenden Phänomene überwölbt werden von einer Ebene symbolischer Kommunikation, wobei das Symbol des Anti-Antisemitismus wie ein Mantra vor den Akteuren hergetragen wird, aber dabei immer unterstellt wird, es sei in sich einheitliches Problem. Sie sagen Antisemitismus und verwenden diesen Begriff bei 'Du-Jude'-Schimpfwörtern auf Schulhöfen genau so wie für den Genozid an den europäischen Juden", sagt Kohlstruck.

Kohlstruck kommt in seiner Studie zu erstaunlichen Schlüssen. Wenn man das Problem Antisemitismus etwa in der Schule angehen wolle, so sei es geradezu kontraproduktiv, mit Schülern nach Israel zu fahren. Zitat: "Derartige deutsch-israelische Begegnungsprojekte können bei jugendlichen Teilnehmenden ungewollt eine Gleichsetzung der Kategorien 'Israelis' und 'Juden' befördern und damit einer angemessene Problematisierung von heutigen Antisemitismus-Phänomenen zuwiderlaufen. Die Eindrücke und Einsichten, die die Schüler dabei gewinnen, kommen damit ihnen als Individuen zugute, nicht aber anderen Schülern oder der Institution Schule."

Rücknahme der Studie gefordert

Im fünfzigtsten Jahr der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel rät eine Senatsbroschüre also indirekt von Israel-Fahrten ab. Der Vorsitzende der deutsch-israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg, Jochen Feilcke, zeigt sich darüber irritiert. "Ich bin erschrocken zu lesen, dass hier diese Forschungsarbeit des Zentrums für Antisemitismus-Forschung gegen solche Reisen von Schülergruppen nach Israel ist, weil sie da ja möglicherweise so etwas wie eine Befangenheit vermittelt bekommen", bemängelt Feilcke.

Zudem haben im letzten Jahr lediglich fünf Schulen in ganz Berlin Israel-Fahrten durchgeführt, vom Land Berlin gefördert mit rund 14.000 Euro. Die Studie hat dagegen gut 50.000 Euro gekostet. Die Deutsch-Israelische-Gesellschaft und das American Jewish Committee fordern mittlerweile die Zurücknahme der Studie. Der Berliner Senat sieht dazu aber keinen Anlass.

Über die Broschüre hinaus wird aber generell Kritik an der Arbeit des Zentrums für Antisemitismus-Forschung, kurz ZfA, laut. Der Hamburger Politikwissenschaftler Matthias Küntzel sieht die deutsche Antisemitismus-Forschung in einer tiefen Krise. "Es gibt eine Eskalation des Antisemitismus in Europa. Eine Mordserie, Hass auf Israel, Boykott-Kampagnen gegen den jüdischen Staat. Und dem gegenüber steht die Weigerung der etablierten deutschen Antisemitismus-Forschung, diese bedrohliche Entwicklung und insbesondere den israelbezogenen Antisemitismus wirklich ernst zu nehmen und in das Zentrum ihrer Arbeit zu stellen", sagt Küntzel.

Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Berliner Zentrums für Antisemitismus-Forschung, weist die Kritik aber zurück. Ihr Institut als Teil der Technischen Universität diene eben der wissenschaftlichen Begleitung und nicht der aktiven Arbeit gegen Antisemitismus. Statt sich gegenseitig zu kritisieren, sollten vielmehr alle Beteiligten in der Antisemitismus-Arbeit und -Forschung zusammenarbeiten, appelliert die ZfA-Leiterin: "Diejenigen, die das ZfA kritisieren, sehe ich nie oder fast nie auf Veranstaltungen von uns. Wir haben ein wöchentliches Kolloquium, wo es um Antisemitismus geht, Rechtsradikalismus, Holocaust in ganzer Breite. Insofern ist vielen nicht klar, in wie weit die jungen Forscher, die hier arbeiten und die sich von morgens bis abends mit großer Leidenschaft dem Thema Antisemitismus-Forschung widmen, beschädigt werden."