Da geht der Funk ab

Da geht der Funk ab
Das junge Angebot von ARD und ZDF ist funky, entbündelt, kein Mündel der Werbeindustrie, deutsch auszusprechen, frei von Jan Böhmermann und startet morgen. Der RBB reformiert sich, und zwar ohne Max Moor. Die ungewisse Zukunft der Berliner Zeitung bleibt ungewiss. Wer beim DVD-Spieler seines Lebens versehentlich auf die Vorspultaste gedrückt hat.

Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Funk! Diese sich gestern hier schon andeutende Nachricht bestätigte sich im Laufe des Tages bei der offiziellen Vorstellung dessen, was wir lange nur als Junges Angebot von ARD und ZDF (JAVAZ) kannten.

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twitzelte Madsack-Medienredakteur Imre Grimm, wobei er jedoch die zentrale Frage verpasste, deren Klärung dann zum Glück die dpa übernahm, als sie vermeldete:

„,funk’, das man wie ,Funk’ auf Deutsch ausspricht, nicht wie ,funk’ auf Englisch“.

Wolf Schneider war darob sicher sehr erleichtert.

„Aber: Was ist ,Funk’ überhaupt? Kurz: Ein Content-Netzwerk mit unterschiedlichsten Inhalten und Themen. Die Webvideos sollen in erster Linie über Drittanbieter – also Youtube, Snapchat, Facebook & Co. – gespielt werden, finden aber auch auf der hauseigenen Website und App eine Plattform,

erklärt Florian Schillat bei Meedia, was Funk-Geschäftsführerin Sophie Burkhardt in einem langen Interview mit Diemut Roether im aktuellen epd Medien (derzeit nicht online) wie folgt begründet:

„Die Leute, die wir erreichen wollen, sitzen nicht zu Hause und warten auf den 1. Oktober, damit endlich Inhalte für sie gemacht werden. Damit sie mitbekommen, dass es uns gibt, müssen wir da sein, wo sie Inhalte nutzen. (...) Wir bedienen also nicht mit einem Video YouTube und Facebook und twittern das noch einmal, sondern wir fragen, welche Art des Erzählens passt zu welcher Plattform?“

Das, was einst als Jugendkanal geplant war, wird also entbündelt und über das Internet verteilt, wobei die unterschiedlichen Plattformen nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal innerhalb des Funk-Programms (falls das noch der richtige Begriff dafür sein sollte) darstellen.

Alexander Krei bei DWDL:

„Von den 40 Formaten, die man gleich zum Start umsetzen will, sollen sich einige an die 14- bis 16-Jährigen richten, andere an 17- bis 19-jährige Zuschauer. Hinzu kommen Formate für 20- bis 24-Jährige sowie für 25- bis 29-Jährige, wobei die Übergänge freilich fließen[d] sind“.

Was genau geplant ist, um mittelgroße Langhaarige 14-jährige Henna-Süchtige ebenso zu erreichen wie 24-jährige Eigenheimerbauer und 17-jährige Schweißerlehrlinge, hat Krei in einer Fleißarbeit ebenfalls aufgeschrieben (yep, er erwähnt alle oben bereits angesprochenen 40 Formate). 53-jährige Briefträgerinnen dürfen derweil frustriert in die Tischkante beißen, weil sie sich ihr ZDF-Programm mit 58-jährigen Erziehern und 85-jährigen pensionierten Bundeswehr-Offizieren teilen müssen. Aber diese sitzen halt schon vor dem Fernseher, weshalb man sich für sie nicht 45-Millionen-Euro schwere Extra-Mühe machen muss. Die übrigens nicht nur dem Willen, auch die Jungen zu erreichen, geschuldet ist, sondern auch dem Überlebenswillen des öffentlich-rechtlichen Systems, wie der zweite Funk-Chef Florian Hager ebenfalls im epd-Interview andeutet:

„Wir haben den Auftrag, die 14- bis 29-Jährigen zu erreichen. (...) Wir sehen es nicht als unsere primäre Aufgabe an, sie an das lineare Fernsehen heranzuführen und an konkrete Formate, die bei ARD und ZDF laufen. Aber wir wollen sie an die Idee des Öffentlich-Rechtlichen heranführen und Überzeugungsarbeit leisten, dass es wichtig ist, dass es ein öffentlich-rechtliches Angebot gibt.“

Womit wir nach Klärung der Fakten nun endgültig im Analyse-Teil angelangt sind, wo zunächst die große Eintracht zu erwähnen ist, in der die Medienjournalisten den fehlenden Fernsehkanal für Funk als Chance sehen – wie etwa Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite:

„So packt ,funk’ die Sache unter umgekehrten Vorzeichen an, als die Mutterhäuser ARD und ZDF es täten, es ist kein Sender, sondern Plattform und Netzwerk. Das geht auch, weil die medienpolitische Debatte darauf hinauslief, dass es das ,junge Angebot’ allein online gibt und nicht trimedial, also auch im Fernsehen und Radio. Erst durch diese Beschränkung, die für das junge Publikum gar keine ist, gewinnt ,funk’ die Freiheit, die es braucht.“

Wobei deutsche Verlage natürlich nicht die große Freiheit öffentlich-rechtlicher Angebote loben können, ohne darauf hinzuweisen, dass deren Erlösmodell zumindest derzeit ja auch nicht bedroht sei. Bei Springers Welt übernimmt das Christian Meier:

„Dieser Ansatz, Texte, Bilder und Videos zu verbreiten, ist für einen öffentlich-rechtlichen Absender wie geschaffen. Denn er kann es sich leisten, seine Inhalte frei zu lassen, denn er muss sie nicht über Werbung auf einer Stammseite im Netz finanzieren. Das übernehmen ja die Beitragszahler. Er kann es sich auch leisten, auf ein ständig sichtbares Logo zu verzichten und erst im Abspann seine Urheberschaft zu signalisieren. So gesehen ist ,Funk’ eine wahrhaft subversive Medienmarke.“

Wie gesagt, auf der Seite eines Verlages lesen sich solche Sätze bitter. Dabei ist es natürlich die zentrale Idee des öffentlich-rechtlichen Systems, solche Freiräume zu schaffen, und dass nun allerorten gelobt wird, wie Funk diese Möglichkeit zu nutzen weiß, sagt mehr über die etablierten Angebote von ARD und ZDF aus als über ihr neuestes Familienmitglied.

Doch bleiben wir noch kurz positiv und bei den Chancen:

„Für ARD und ZDF ist es ein Weg, nicht nur das junge Publikum zu erreichen, sondern auch junge Kreative an sich zu binden – frei von den Zwängen eines linearen Kanals und eines vergreisenden Fernsehpublikum. (...) Ein Gegengewicht zu einigen immer bizarreren Youtube-Trends könnte ,Funk’ so werden, ein Angebot für Kreative, die nicht im Kampf um die nötigen Klicks alle Ideale über Bord werfen sollen“,

meint Stefan Niggemeier bei Übermedien, wozu man noch schön ein weiteres Zitat Burkhardts aus dem epd-Medien-Interview stellen kann:

„Jan Böhmermann selbst ist nicht Teil des Angebots“.

Denn ARD und ZDF haben jetzt mehr junge Gesichter als ihn, Yippee! Stellt sich nur die Frage, ob das irgendwann aus dem funky Internet-Angebot auch zurück in die Sender spielt.

„Wir haben hier nicht eine kleine Zelle, die junge Inhalte produziert, sondern es ist ein Verjüngungsimpuls für das ganze System“,

sagt Burkhardt. Katharina Riehl interpretiert Funk auf der SZ-Medienseite jedoch genau umgekehrt:

„Die ARD-Programmforschung erklärt auf Nachfrage, dass etwa 75 Prozent der 14- bis 29-Jährigen heute noch von den öffentlich-rechtlichen Hauptsendern erreicht werden. (...) Es stimmt also nicht, dass Jugendliche nicht mehr wüssten, dass man ARD und ZDF einschalten könnte. Sie tun es nur zu selten, im Schnitt sind nur etwa fünf Prozent der Zuschauer der beiden Sender zwischen 14 und 29 Jahre alt. Um diese Zahlen zu verbessern, müssten ARD und ZDF ihr Hauptprogramm interessanter machen für junge Zuschauer und mit weniger Donna-Leon-Quoteneinbußen riskieren. Da ist so ein Onlineangebot, ein Kindertisch im Netz, natürlich deutlich bequemer.“

Ob die heutige Jugend mit ihrer ominösen Mediennutzungsstrategie den Kindertisch beim Fernsehfamilientreffen meidet, weil draußen viel coolere Sachen im Angebot sind, oder ob sie dort gerne Platz nimmt, weil Kuchen umsonst immer gut ist, egal wer ihn serviert, entscheidet sich ab morgen, wenn Funk offiziell startet. Was wir jetzt schon sicher wissen, ist, dass das Internet mit ihm ein wenig das klassische Fernsehen getötet hat – Markus Ehrenberg im Tagesspiegel:

„Klassisch lineares Fernsehen war gestern, die Sender ZDFkultur und EinsPlus werden eingestellt. Es musste öffentlich-rechtlich gespart werden, damit etwas Neues gemacht werden kann.“


Altpapierkorb

+++ Im Schatten des Funks hat gestern auch Neu-Intendatin Patricia Schlesinger ihre Reformpläne für die jugendbefreite Zone namens RBB vorgestellt. „Ihr Reformeifer erscheint manchem übertrieben, doch lange genug wird gejammert über das Fernsehprogramm, das – je nach dem, wen man fragt – zu viel oder zu wenig Berlin, zu viel oder zu wenig Brandenburg bringt, auf alle Fälle aber zu wenig eingeschaltet wird“, schreibt Ulrike Simon in der Märkischen Allgemeinen. Im Tagesspiegel dokumentieren Kutz Sagatz und Joachim Huber, was genau geplant ist, u.a. die Streichung aller Programme mit Max Moor, dafür aber ein wöchentliches Verbrauchermagazin sowie ein „Format mit gesellschaftspolitischen Themen  (...) – mit satirisch-augenzwinkerndem Blick. Beide Sendungen sollen sich an regionalen Themen orientieren.“ Auch DWDL berichtet. +++

+++ Der neue Chefredakteur der Berliner Zeitung hat es nicht übermäßig eilig, seinen Job auch anzutreten, meldet Meedia. Der mit der Berliner Zeitung ja durchaus vertraute Uwe Vorkötter formuliert bei Horizont eine Theorie, woran das liegen könnte: „Seit Wochen geistern Spekulationen durch die Hauptstadt, [DuMont CEO Christoph] Bauer könnte den verlustträchtigen Verlag am Alexanderplatz komplett schließen und mit einer wesentlich kleineren Mannschaft im neuen Domizil wenige Kilometer weiter komplett neu anfangen. Ein Chefredakteur, der schon in der alten Firma gearbeitet hat, würde den zahlreichen juristischen Risiken einer solchen Konstruktion nur ein weiteres hinzufügen.“+++

+++ „Sich immerzu und überall über Günther Oettinger lustig zu machen, so sehr immer neue Ausschnitte und Anekdoten dazu auch einladen, hilft allerdings auch nicht weiter“, stand erst gestern hier im Altpapier. Wie schwer es aber ist, das nicht zu tun, belegt der aktuellste Debattenbeitrag zum EU-Leistungsschutzrecht bei Netzpolitik.org, wo sich Markus Reuter u.a. die Frage stellt, ob Oettinger „einfach andere Lesegewohnheiten hat als der Rest der Welt“. +++

+++ Apropos: „Das Medienhaus Burda setzt seine Wahrnehmungsverträge, die auf dem Leistungsschutzrecht für Verlage beruhen, bei der Verwertungsgesellschaft VG Media aus. (...) Am Gedanken des Leistungsschutzrechts hält man bei Burda jedoch fest und hofft darauf, dass der EU-Digitalkommissar Günther Oettinger die Ansprüche so formuliert, dass Google und andere daran nicht mehr vorbeigehen können.“ (Michael Hanfeld, FAZ-Medienseite). +++ Des Weiteren beschäftigt sich Nina Rehfeld auf der Seite mit der Frage, warum die meisten Medien Hillary Clinton als Gewinnerin der US-amerikanischen Präsidentschaftsdebatte sahen, im Internet befragte Menschen aber Donald Trump. +++

+++ Haben sich bei der Wochenzeitung Zeit Giovanni di Lorenzo und sein Vize Bernd Ulrich über die Art der Berichterstattung über die Flüchtlingsfrage entzweit und ihre Redaktion gleich mitgespalten? Ulrike Simon nimmt sich dieser Frage in ihrer Madsack-Medienkolumne an. +++

+++ Ein wirksames Mittel gegen Lügenpresse-Rufe sei es, als Presse mit den Rufern ins Gespräch zu kommen, hat Michael Bartsch für die taz bei einer solchen Aktion in Dresden beobachtet. +++

+++ Das Landgericht Tübingen hat den SWR zurückgepfiffen, der ausstehende Gebühren eintreiben lassen wollte, schreibt Lars Wienand im Hamburger Abendblatt. Gebühren-Gegner sollten sich darüber aber nicht zu sehr freuen. +++

+++ Die Streamings-Dienst-Serie, die es heute auf die Medienseite der SZ geschafft hat, ist Woody Allens „Crisis in Six Scenes“. Zudem bespricht Holger Gertz Götz Georges letzen Film „Böse Wetter“, den die ARD am Montagabend zeigt – eine Geschichte über ein Grubenunglück im Harz, das eigentlich ein missglückter Fluchtversuch war. „So fügt sich diese letzte Episode in Georges Karriere, der wie kein anderer deutsche Geschichte greifbar und immer auch begreifbarer gemacht hat. Er war KZ-Aufseher, Knabenmörder, Skandalreporter, hier ist er der fiktive Minenbesitzer Friedrich Türnitz , in dessen Schächten sich damals alles abgespielt hat.“ +++

+++ „Die Aufschlagseite der Jubiläumsausgabe zum 140. Geburtstag zeigt die Seite 1 über dem Falz dieser ersten Ausgabe. Darunter steht: ,140 Jahre’ – und: ,Die Stimme der Sozialdemokratie’. Das allerdings war der ,vorwärts’ schon lange nicht mehr“, meint bei Carta der einstige stellvertretende Regierungssprecher und Vorwärts-Redakteur Klaus Vater anlässlich des 140. Geburtstags der Zeitung. +++

+++ „Herr Pohlmeier, Sie waren junger Wilder bei 1Live und machen jetzt Programm bei WDR 4 für die Generation Silberlocke. Sind Sie beim DVD-Spieler Ihres Lebens versehentlich auf die Vorspultaste gekommen?“ Falls Sie die Antwort interessiert, sie steht bei kress.de. +++

+++ Zum Abschluss noch ein Lektüre-Tipp für das lange Wochenende: Die eben nicht mehr Funkkorrespondenz hat Lutz Hachmeisters Interview mit dem Brainpool-Chef Jörg Grabosch online gestellt. +++

Das nächste Altpapier erscheint nach Wochenende und Feiertag am Dienstag. 

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