Welkende W-LANdschaften

Welkende W-LANdschaften
Gremien-Gremlins übernehmen die Kontrolle über Mehmet Scholls Gehalt. Freie Wlans sind auf Einigkeit in der Großen Koalition angewiesen. Die kleine Funke-Gruppe möchte aus dem Jahr 2004 abgeholt werden. Die Macher der WDR-Hörfunknachrichten finden WDR-Hörfunknachrichten scheiße. Und Facebook bleibt ein gruseliger Datenkraken, auch bei der Suche nach Deinen Freunden.

Früher war doch vieles auch schlechter. Zum Beispiel die Möglichkeit für Frauen, eine von Kress-Pro-Redakteuren als wichtig erachtete Position im Medienzirkus einzunehmen. Für ihre aktuelle Ausgabe haben diese „Die 50 wichtigsten Medienmacher aus 50 Jahren“ gewählt (und die Liste online gestellt), und niemand muss sich darüber aufregen, dass es „Macher“ und nicht „Macherin“ heißt, denn Frauen stellen dabei eine zu vernachlässigende Minderheit.

In die erlesene Gesellschaft der Erfinder der Apotheken-Umschau und der Auto Bild geschafft haben es: Friede Springer, Alice Schwarzer, Yvonne Bauer, Aenne Burda und Anke Schäferkordt. Herzlichen Glückwunsch. Sie erhalten dafür den verlorenen Posten in Gold, und jetzt zurück an den Herd; sie sehen aus, als machten sie hervorragenden Apfelkuchen.

Wer hingegen heutzutage etwas über die Zukunft der ARD wissen möchte (Achtung: Überleitung!), der muss deren Chefin Karola Wille befragen. Für die taz haben das Anne Fromm und Jürn Kruse getan, und erfahren, dass man es als öffentlich-rechtliche Anstalt auch ohne Horst Seehofers kleine Ideenschmiede nicht einfach hat. Da lässt man sich und seine Finanzen überwachen „von Rechnungshöfen [...], von den Aufsichtsräten und in den wesentlichen Ergebnissen auch in den Landtagen. Dahinter steht also ein weit reichendes Kontrollsystem“ (Wille), und der Beitragzahler und Zuschauer ist dennoch nicht zufrieden und will selbst auch auf die Zahlen gucken.

„[.taz:] Aber befördert diese Verschwiegenheit nicht gerade erst die Spekulationen all jener, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk lieber heute als morgen abschaffen wollten?

[Wille:] Die würden womöglich auch befördert, wenn wir die Zahl bekannt geben würden.“

Dennoch lässt die ARD gerade von Verfassungsrechtler Paul Kirchhof prüfen, was sie überhaupt alles öffentlich machen dürfte, wenn sie denn wollte, und bei den sagenumwobenen Gehältern der Mehmet Scholls dieser Welt tut sich auch etwas:

„Wir haben beschlossen, dass die Verträge der Sportexperten nicht mehr mit der AS & S (dem Werbevermarkter ARD-Werbung SALES & SERVICES GmbH; d. Red.) geschlossen werden, sondern direkt mit der für die Sportart oder das Sportereignis jeweils zuständigen Landesrundfunkanstalt, so dass deren Rundfunk- beziehungsweise Verwaltungsräte informiert werden müssen und gegebenenfalls mitentscheiden.“

Statt keiner Kontrolle gibt es also in Zukunft eine durch Gremien-Gremlins. Das beruhigt natürlich enorm.

[+++] Falls Sie diesen Text gerade dank eines offenen Wlans irgendwo lesen, können Sie sich schon mal nach einer neuen Internetquelle für die Zukunft umsehen. Denn der Europäische Gerichtshof hat gestern entschieden, dass deren Anbieter zur Einrichtung eines Passworts verpflichtet werden können, um illegale Downloads über ihr Netz zu verhindern. Das Passwort erhalten könnte man nach Vorlage eines Ausweises (erweiterte Agenturberichte u.a. bei Zeit Online und dem Tagesspiegel).

„Dieses Urteil ist Unsinn. Denn erstens braucht es neben dem ersten nur einen weiteren Gast im Café, der das Wlan benutzt – schon ist im Fall des Falles unklar, wer von beiden die Musik getauscht hat. Um das wirklich zu regeln, müsste der Datenverkehr selbst überwacht werden; das wollen die Richter aber zum Glück nicht. Und zweitens ist gerade der Ausbau offener Netze ein vernünftiges politisches Ziel, in Deutschland wie in Europa“,

erklärt Johannes Boie auf der Meinungsseite der SZ.

Ingo Dachwitz sieht bei Netzpolitik.org schon ein neues Betätigungsfeld für die Abmahn-Industrie:

„Statt Abmahnungen zu verschicken, könnten Rechteinhaber sich jetzt darauf verlegen, serienweise gerichtliche Unterlassungsanordnungen mit Verschlüsselungspflicht zu erwirken. Hier wird es zentral darauf ankommen, wer die Kosten für solche gerichtlichen Anordnungen zu tragen hätte. Wenn WLAN-Betreiber nach dem ersten angeblichen Verstoß vor Gericht gezerrt werden und die Kosten dafür tragen müssten, wäre die Situation kaum besser als bisher.“

Allerdings gibt es nicht nur Bedarf an einer Nachbesserung, sondern auch die Möglichkeit dazu, wie Ulf Buermeyer bei Heise Online erklärt:

„Nach dem prähistorisch anmutenden Urteil aus Luxemburg liegt der Ball nun also wieder im Feld der Politik: Wenn es der Großen Koalition Ernst ist mit den blühenden WLAN-Landschaften, dann muss sie schnell die Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber schaffen, die weder das TMG-Reförmchen (Reform des Telemediengesetzes, siehe Altpapier, Anm. AP) vom Sommer noch der EuGH erreicht haben. Rechtlich ist das ganz einfach. Der Gesetzgeber muss nur klarstellen, dass es nach deutschem Recht keine Verschlüsselungspflicht, keinen Perso-Zwang und auch keine Unterlassungs-Ansprüche gegen WLAN-Betreiber gibt.“

Wenn man die Wortgewalt und das verstörende Bild von Wlan-Landschaften abzieht, bleibt die Aufforderung zu einem eindeutigen Votum der großen Koalition für freie Wlans übrig. Und das dürfte ja... ähm... ein Problem sein.

[+++] Damit zu einer neuen Folge meiner persönlichen Lieblingsserie „Unsere Funkes“, die den gestrigen Tag damit verbrachten, zwei Knaller-Neuigkeiten per Pressemitteilung, nunja, mitzuteilen, die unsere Medienwelt sicherlich nachhaltig verändern werden. Bzw. verändert hätten, schrieben wir gerade das Jahr 2004.

Zum einen soll Ende September ein Hybrid mit dem zu befacepalmenden Namen Selfie’s auf den Markt kommen, bei dem es sich laut PM „um einen integrierten Social Media-Auftritt auf Instagram, Facebook und YouTube, um eine Zeitschrift und eine App“ handelt.

„Das auf weibliche Zielgruppen ausgerichtete Projekt dreht sich um Fashion, Beauty und Lifestyle und wird von einer Redaktion gemeinsam mit nationalen und internationalen Mode-Bloggerinnen entwickelt. Hinter fast jeder Seite der Zeitschrift liegt digitaler Content, der durch eine Scan-Funktion über die App einsehbar ist. In Video-Tutorials erklären Bloggerinnen den Usern beispielsweise Styling- und Make-up-Tricks. Produkte aus der Zeitschrift und den digitalen Kanälen sind über die App aber auch kaufbar, so wird das Projekt „Selfie’s“ zum direkten Shopping-Erlebnis.“

Wow. Youtube-Tutorials! Vermutlich mittelgut, wenn überhaupt bezahlte Blogger als Content-Liferanten! Irgendwas mit QR-Codes! Und eine Frauenzeitschrift, die eigentlich nur Werbung für Schminke machen möchte! Wenn diese Kombination nicht Print rettet, dann wird es niemand können.

Außer vielleicht, zum anderen, die Berliner Morgenpost Kompakt, die Ende Oktober an Wochentagen im Tabloid-Format zusätzlich zur bewährten großformatigen Zeitung auf den Markt kommen soll.

„Die weitere Version der Berliner Morgenpost sei für eine jüngere, urbane Zielgruppe und die zahlreichen Pendler in öffentlichen Verkehrsmitteln interessant. (...) Das neue Tabloid ist keine verkleinerte Kopie der Hauptausgabe, die Redaktion passt Themen, Leserführung und Layout speziell auf die Bedürfnisse der Leserschaft an“,

heißt es ebenfalls in einer Pressemitteilung, und dass die Funke-Gruppe nur zwölf Jahre nach News Frankfurt und der Welt kompakt auf den Trichter kommt, dass nordisches Format in der U-Bahn nervt, ist doch fast so toll wie die Konsequenz, mit der das Unternehmen die immer gleichen Inhalte in immer neue Förmchen gießen lässt. Denn schon heute wird, was u.a. aus dem großen Funke-Pool in der Morgenpost erscheint, noch für das Portal Berlin live verhashtagt und aufkrawallt. Da kann auch ein zweiter Ausdruck nicht schaden.

„Ich gehe davon aus, dass wir in zehn, 15 Jahren noch drei, vier große Regionalzeitungsgruppen in Deutschland haben werden“,

sagt Christoph Bauer, Vorstandvorsitzender von DuMont, im Interview mit dem ganz oben schon erwähnten Kress Pro (Auszüge online). 

Die aktuellen Innovationen der Funke-Gruppe legen nahe, dass sie lieber nicht zu diesen gehören möchte.


Altpapierkorb

+++ Jean-Claude Juncker hat sich von gut frisierten Youtubern interviewen lassen, und wer keine Angst vor schlechten Synchronisationen hat, kann sich die deutsche Version hier ansehen. +++

+++ „Es genügt, wenn er den Namen der Klubbekanntschaft von letzter Nacht in die Suchzeile eingibt und ohne Suchbefehl wieder löscht. Laut Norbert Fuhr, Informatikprofessor an der Universität Duisburg-Essen, sammelt Facebook alle eingegebenen Daten, weil der Javascript-Code jedes eingetippte Zeichen sofort überträgt’.“ Jörg Breithut bei Spiegel Online über die vielen Faktoren, aus denen Facebook seine Freundschafts-Vorschläge generiert. Dass das Netzwerk die Patienten einer Psychiaterin miteinander befreunden wollte, stand schon Ende August bei fusion.net. +++

+++ „Letztlich schaden Politiker mit solchen Scheinmanövern jedoch der Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Systems und der Medienpolitik als Ganzes. Weil am Ende der Eindruck bleibt, ARD und ZDF seien sowieso nicht reformierbar und die Medienpolitik eine rätselhafte, undurchdringliche Blackbox, in der alle Initiativen im Nichts versanden.“ Diemut Roether im aktuellen epd Medien über Horst Seehofers neuesten Ausfall (siehe Altpapiere am Montag und Dienstag). +++ Außerdem widmet sich dort Thomas Gehringer der Reform der WDR-Hörfunknachrichten. „Die Innenansichten aus der Nachrichtenredaktion könnten kaum verheerender sein. Die Stimmung sei ,so schlecht wie noch nie’, journalistische Kriterien würden ,überhaupt nicht mehr zählen’, sagt einer. Und, kurz und drastisch: ,Die meisten von uns finden dieses Produkt scheiße.’“ +++

+++ Über die Pläne, Kameras in Gerichtssälen zu erlauben, scheibt Altpapier-Kollege René Martens in der Medienkorrespondenz: „Demnach sollen Fernsehkameras künftig auch die Urteilsverkündungen des Bundesgerichtshofs, des Bundessozialgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesfinanzhofs und des Bundesarbeitsgerichts filmen dürfen. Es handelt sich allerdings um eine Ermessensregelung: Ob gefilmt werden darf, soll das jeweilige Gericht selbst entscheiden.“ +++ Dass angesichts medialer Entgleisungen wie etwa beim Kachelmann-Prozess Juristen mehr Öffentlichkeit kritisch sehen, berichtet Wolfgang Janisch auf der Medienseite der SZ vom Deutschen Juristentag. Ein diskutierter Vorschlag: „Wenn ein Ermittlungsverfahren gegen einen Prominenten anhängig sei, solle die Staatsanwaltschaft von sich aus keinen Hinweis an die Presse geben dürfen. Danach soll die Staatsanwaltschaft zwar auf Anfrage bestätigen dürfen, was ohnehin auf dem Markt ist. Eine Pressemitteilung aus eigener Initiative – nach dem Schema, es werde gegen einen Wettermoderator ermittelt – soll es danach nicht mehr geben dürfen.“ +++

+++ Mafia-Enthüller Roberto Saviano erhielt gestern Abend in Potsdam den M100 Media Award („versteht sich als ,Preis der europäischen Presse’“). Es berichten die FAZ auf ihrer Medienseite und der Tagesspiegel. +++

+++ Das nächste Printprodukt ohne eigene Redaktion steht fest: die Donna aus dem Burda-Verlag. „Ab Januar übernimmt ein externer Dienstleister die journalistische Produktion des Titels: die von Markus Schönmann geleitete Storyboard GmbH. Die kaufmännische und markenstrategische Verantwortung für ,Donna’ soll weiterhin bei Burda Style liegen“, meldet W&V. +++

+++ Das deutsche Privatfernsehen startet zwei neue Doku-Kanäle, und was die Zuschauer dort erwartet, erklärt Alexander Krei bei DWDL. Wie es dem bereits im Mai gestarteten RTL II  You geht, steht derweil bei Meedia. +++

+++ „Alles wirkt etwas oll, auch das Sendungs-Design. Möglicherweise ist gerade das das Geheimnis.“ Ralf Heimann sucht bei Übermedien das Erfolgsgeheimnis des „Nordmagazins“, den NDR-Regionalnachrichten für Mecklenburg-Vorpommern mit überaus famosen Einschaltquoten. +++

+++ „Ich spreche vier Sprachen, komme durch meine eigene Geschichte leicht mit Geflüchteten und Ausländern ins Gespräch – wieso soll ich das nicht nutzen? Wenn jemand meint, ich erfülle damit die Rolle des Quotenmigranten, dann soll er das meinen.“ So zitiert Anne Fromm in der taz den Journalisten Jaafar Abdul Karim, der für Spiegel Online („Jafaars Videoblog“) und die Deutsche Welle („Shababtalk“) über Flüchtlinge berichtet. +++

+++ In der FAZ erklärt Michael Hanfeld zum am Mittwoch vorgestellten Vorschlag Günther Oettingers für ein EU-Leistungsschutzrecht erwartbar: „Am Schärfegrad der Reaktionen kann man jeweils ermessen, wer welche Interessen vertritt und etwas zu verlieren hat: Netzkonzerne und ,Netzaktivisten’ versus Urheber und Verlage. Dass die EU-Kommission den Letztgenannten zuneigt, zeigt, dass man in Brüssel verstanden hat, wer die Leistungsträger sind; wer für geistiges Eigentum und Wertschöpfung steht und wer davon ohne eigenes Zutun profitieren will.“ Auch Stefan Winterbauer hat bei Meedia noch eine Meinung: „Selbst falls ein EU-weites LSR kommen sollte, was alles andere als sicher ist, werden LSR-Lizenzeinnahmen die Verlage nicht von der Aufgabe entbinden, funktionierende, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Leider scheint es manchmal so, als ob die Lobbyarbeit der Verlage deutlich besser funktioniert als die Entwicklungsarbeit.“ +++

+++ Und für den Tagesspiegel rezensiert Jan Freitag den neuen Sky-Serien-Zugang „High Maintenance“: „Schließlich enthalten die sechs halbstündigen Fortsetzungen der 19 Netz-Folgen alles Mögliche: präzise Gesellschaftsanalysen, kluge Typbeschreibungen, seriöse Sozialkritik, versetzt mit recht bissigem Humor und stichhaltigen Dialogen, alles in allem also Fernsehunterhaltung auf hohem Niveau.“ +++

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.

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