Raab als Retter der musikalischen Wettbewerbsfähigkeit

Raab als Retter der musikalischen Wettbewerbsfähigkeit
Der NDR hat seine Agenda 2010 formuliert: Stefan Raab wird beauftragt, das deutsche Liedgut zu retten. Ansonsten geht es um die Zukunft von ARD und ZDF. Und wie die Zukunft politischer Berichterstattung aussehen könnte. Wahrscheinlich sollte sie vor allem zur Meinungsbildung beim Publikum einen Beitrag leisten.

Der Kapitalismus hat einen Vorteil, wenigstens wenn er noch über das marktwirtschaftliche Element namens Wettbewerb verfügt. Der Strukturwandel wird über den Markt vermittelt. Unternehmen scheitern, während andere neu enstehen. So ist das in der Theorie, weshalb Unternehmen in der Praxis versuchen, eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen. Der Wettbewerbsdruck lässt bekanntlich nach, wenn man einen Markt erfolgreich unter Kontrolle gebracht hat. Ohne das Wettbewerbselement ist der Strukturwandel schwieriger durchzusetzen. Die Politik ist anschließend für die Folgen verantwortlich. Sie muss sich mit allen möglichen Interessengruppen herumschlagen, die von diesem Strukturwandel betroffen sein könnten. In früheren Zeiten hatte man dafür immer ein abschreckendes Beispiel aus Großbritannien parat. Dort fuhr noch der Heizer auf der Diesellok mit, obwohl ihn niemand mehr brauchte. Die staatliche Eisenbahngesellschaft konnte ihn wegen des politischen Widerstands der Gewerkschaften nicht entlassen. Um diese Heizer geht es heute bei Götz Hamann in der Printausgabe der Zeit.

„Viele Mitarbeiter sind in digitalen Medien nicht zu Hause, sie waren traditionelle Grafiker, Cutterinnen, Experten für veraltete EDV-Programme, die das System bis jetzt auffängt. Andere sind durch die geringere Nutzung ihrer Medien eigentlich überflüssig, aber unkündbar. Sie müssten zu bestehenden Konditionen irgendwo beschäftigt werden, am ehesten im öffentlichen Dienst, oder in satte Frührente gehen. Sonst machten die Personalräte niemals mit. Und gegen die gelingt keine Reform, das ist wie bei Volkswagen, wo ohne den Betriebsrat nichts läuft.“

Das Beispiel von VW ist allerdings schlecht gewählt. Bei VW gelang bisher immer jede Reform, gerade weil ohne den Betriebsrat nichts läuft. Ansonsten wäre das Unternehmen, wie die britische Autoindustrie, nur noch von historischem Interesse. Aber Hamann geht es um die von Horst Seehofer ausgelöste Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Sie beschäftigen immer noch zu viele Heizer auf der Diesellok, so kann man seine These zusammenfassen. Hamann sieht aber noch weitere Verantwortliche für die Misere.

„ARD und ZDF sind zweifellos reformbedürftig, was aber auch ein Werk der Landespolitiker ist. Die Ministerpräsidenten haben zugesehen, wie sich das Seniorenfernsehen ausbreitete, der durchschnittliche Zuschauer ist heute 66 Jahre alt. Sie haben akzeptiert, dass ein Intendant mehr verdient als der Chef einer Landesregierung, sich dieser Gehaltsvorsprung bis hinunter zum Pförtner zieht – und in der Rente noch vergrößert. Und sie haben hingenommen, dass Anstalten wucherten, während sie bei weltweit erfolgreichen Formaten, dem seriellen Erzählen im Fernsehen (Game of Thrones), versagten.“

Chefredakteure von Zeitungen verdienten in den guten alten Medienzeiten übrigens auch mehr als ein Bundeskanzler, das nur nebenbei. Aber jenseits dessen verfehlt Hamann den ökonomischen Kern der Debatte. Der Rundfunkbeitrag funktioniert wie eine Flatrate. Diese wird politisch durchgesetzt, so dass sich dem niemand entziehen kann. In einem Marktumfeld, wo die Monetarisierung journalistischer Produkte zum Problem geworden ist, sind nicht die Heizer auf der Diesellok der Rundfunkanstalten das Problem. Vielmehr deren erfolgreiche Anpassung an ein digitalisiertes Mediensystem.

Mit der politisch durchgesetzten Flatrate verschaffen sie sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der privatwirtschaftlichen Konkurrenz. Diese ist immer noch auf die Bereitschaft des Publikums angewiesen, für Journalismus zu zahlen. Der CSU geht es nicht darum, ob die öffentlich-rechtlichen Sender zu medienpolitischen Fossilien werden, die niemand mehr sieht. Vielmehr stellt sie deren erfolgreiche Anpassung an ein verändertes Mediensystem zur Debatte. Deshalb muss man darüber reden, was „Grundversorgung“ heute noch ist. Und die Abschaffung des Bayerischen Rundfunks? Sie scheitert an einer Interessengruppe. In diesem Fall an der Politik, die auf einen solchen Sender in Bayern natürlich nicht verzichten will.

+++ Ebenfalls in der neuen Zeit geht es um den Umgang mit der AfD. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner hat diesen Artikel auf Twitter sogleich kommentiert.

„Die ZEIT marginalisiert Gefahr durch Rechtspopulisten. Man muß nicht das Provokationsspiel der AFD mitspielen, aber man muss sie bekämpfen!“

Das ist nicht ungewöhnlich: Ein Sozialdemokrat bekämpft einen politischen Gegner. Nur richtet sich dieser Artikel nicht an Politiker, die das tun, was sie immer tun. Vielmehr wendet er sich in neun Thesen an Journalisten. Die beiden jungen Autoren Anne Hähnig und Martin Machowecz machen den Unterschied zwischen Journalismus und Politik deutlich.

„Es ist nicht Aufgabe der Medien, die AfD zu bekämpfen. Es ist ihre Aufgabe, sie zu hinterfragen.“

Die siebte These lautet so: „Eigene Irrtümer eingestehen, valide Argumente anerkennen.“

„Niemand hat die Weisheit gepachtet: nicht die AfD. Natürlich auch kein Journalist. Wir müssen eingestehen, wenn wir selber keine Ahnung haben. Oder wenn wir uns getäuscht haben. Die AfD reklamiert für sich, dass sie schon oft recht behalten habe mit Äußerungen, die ihr noch kurz zuvor als gefährlicher Irrsinn vorgehalten worden seien. War es wirklich so falsch, früh darauf hinzuweisen, dass südeuropäische Staaten unter dem Euro leiden? Oder zu sagen, dass mit den Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, auch Probleme verbunden sein werden? Stimmt, das hat die AfD gesagt. Und ein Argument wird nicht dadurch schlecht, dass die AfD es vertritt. Da, wo sie recht hat, sollte man ihr das zugestehen. Man kann ihr dann auch glaubhafter sagen, wo sie falschliegt. Aber selbstbewusst können Journalisten schon auch bleiben: Es gab Zeitungen, die ebenso früh vor den Problemen des Euro gewarnt haben wie vor den Risiken, die der Flüchtlingsstrom mit sich bringt, und zwar differenzierter als die AfD. Möglichst alle Perspektiven vorkommen zu lassen ist die beste Reaktion auf die große Ratlosigkeit.“

Es ist aber für die Berichterstattung gleichgültig, ob die AfD die Weisheit mit Löffeln gegessen hat oder sie etwa doch ein Käfig voller politischer Narren sein könnte. Die Berichterstattung hat nämlich das Ziel, dem Publikum die politische Meinungsbildung zu ermöglichen. Und es eben nicht von einer Meinung zu überzeugen. Das ist die Aufgabe von Politikern wie Ralf Stegner. Sie werden am kommenden Sonntag in Berlin erneut erleben, wie gut diese Überzeugungsarbeit gelungen ist.

Trotzdem dürfen Journalisten weiterhin eine Meinung haben. Der Kommentar war schon immer ein journalistischer Beitrag zur Meinungsbildung. Sie sollten sich aber in Zukunft weniger Gedanken um die Legitimität von solchen Meinungen machen, die nicht ihren eigenen Überzeugungen entsprechen. Und manche Journalisten waren bisweilen sehr gut in der Disziplin, ihren Lesern zu erklären, was sie noch sagen dürften oder besser doch nicht.

+++ Es gibt ein hervorragendes Beispiel, wo die Meinungsbildung beim Publikum nicht funktioniert. Es geht um die deutschen Beiträge zum europäischen Gesangswettstreit namens ESC. Sie wurden immer vom Publikum ausgewählt, das aber nach dem Ende des Wettstreites nie für die doch recht kläglichen Ergebnisse zur Rechenschaft gezogen worden ist. Diese Rolle des Prügelknaben übernahm anschließend der NDR, weil er bekanntlich die deutsche Vorentscheidung organisiert. Dieser verzichtete im vergangenen Jahr auf das interessante Experiment mit Xavier Naidoo, weil der Sender über die Legitimität von Naidoos politischen Meinungen ins Grübeln geraten war. Jetzt soll alles anders werden. Jan Feddersen kommentiert:

„Am Ende aber wird gewinnen, wer ein perfektes Lied möglichst perfekt zu singen, also zu performen weiß: Es leuchtet mir ein, dass das Lied - das aus einem Pool international erfahrener Produzententeams entnommen wird - einen starken Rang erhält. Das Publikum wird sich vermutlich sehr zielgenau für das richtige Lied aussprechen. Richtig jedenfalls im Sinne von: international vermittelbar und nicht geeignet, auf dem letzten Platz zu landen.“

Allerdings hat sich das Publikum in den vergangenen Jahren zielgenau für die falschen Stücke entschieden. Warum soll das jetzt anders sein? Dafür kann man alle möglichen Gründe finden, die Feddersen erläutert. Aber sinnvoller wäre es wahrscheinlich gewesen, wenn Stefan Raab alleine den deutschen Beitrag aussuchen könnte. Wenigstens wenn es bei dieser Veranstaltung nur noch um die Erfolgsaussichten eines deutschen Beitrages gehen sollte. So hätte man auch jemanden, den man anschließend für das klägliche Abschneiden des deutschen Liedgutes verantwortlich machen könnte. Das Publikum fühlt sich leider nie verantwortlich.

Wobei man sich beim NDR vor allem die Frage stellen sollte, warum man eigentlich diese Veranstaltung nur noch aus dieser Perspektive wahrnimmt: Ob „die Deutschen“ mit ihrer Auswahl den europäischen Musikgeschmack treffen. Mittlerweile wird der ESC bei uns mit einer teutonisch zu nennenden Ernsthaftigkeit betrachtet. Stefan Raab hatte sich übrigens in früheren Zeiten über diesen Unfug lustig gemacht. Das begründete seinen Erfolg. Und nicht seine heutige Rolle als Retter der deutschen musikalischen Wettbewerbsfähigkeit in Europa.


Altpapierkorb

+++ Zur Zukunft von ARD und ZDF melden sich jetzt auch die Interessengruppen zu Wort. Die Heizer haben sich zwar nicht gemeldet. Aber dafür unter anderem die ARD-Vorsitzende Karola Wille: „>>Entscheidend ist: Wie stark sind wir in der Gesellschaft verankert?<<, sagte Wille. Bei der großen Mehrheit der Bevölkerung genieße der öffentlich-rechtliche Rundfunk großes Vertrauen. Eine Fusion mit dem ZDF hält die MDR-Intendantin für kontraproduktiv. „Das wäre ein Weniger an publizistischer Vielfalt, an Meinungsvielfalt und an publizistischem Wettbewerb.“ Eine einzige nationale Rundfunkanstalt nach dem britischen BBC-Vorbild würde dem föderalen System in Deutschland zuwiderlaufen.“ Ebenfalls auf Meedia. Die Stellungnahme von Kurt Beck.

+++ Das gilt auch für die Allianz deutscher Produzenten, die Seehofer bitten, seine Pläne nicht weiter zu verfolgen. „ARD und ZDF sind jeder für sich die wichtigsten Auftraggeber der deutschen Film- und Fernsehwirtschaft; kulturell wertvolle Programme und Dokumentationen entstehen insbesondere im Wettbewerb der Systeme von ARD und ZDF. Kritische Themen des Montagsfilms des ZDF und des Mittwochsfilms der ARD tragen zur publizistischen Vielfalt bei und sichern tausende von Arbeitsplätzen im kreativen Bereich. Gerade die unterschiedliche Farbe, die beide Systeme in der Programmgestaltung vorgeben, erlaubt auch vor dem Hintergrund der oft einseitigen Unterhaltungsprogramme der Privaten eine Vielfalt, die der Zuschauer zu Recht erwarten darf. Kultur nur aus einer Hand würde dem Kulturstandort Deutschland nachhaltig schaden. Innovationen im Bereich fiktionaler Programme, Kulturprogramme oder Dokumentationen benötigen unterschiedliche Auftraggeber. Diese zu sichern ist ein Gebot der Politik. Medienvielfalt gehört zu einer der großen Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland. Die Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen will sie nicht aufs Spiel gesetzt sehen. Wir appellieren daher an den Bayerischen Ministerpräsidenten, diese Pläne nicht weiter zu verfolgen.“

+++ Über die deutsche musikalische Wettbewerbsfähigkeit berichten noch die Süddeutsche Zeitung und Meedia. Selbst in Österreich ist das beim Standard ein Thema. Es fehlt jetzt eigentlich nur noch die Stellungnahme der EU-Kommission. Zum Thema Wettbewerbsfähigkeit findet man in Brüssel kompetente Experten.

+++ Die Hersteller von Smartphones haben zur Zeit ein Problem. Während Samsung die Akkus explodieren, konnte Apple mit seinem neuen früher Telefon genannten Apparat nicht überzeugen. Jetzt sucht deren Chef nach neuen Nutzungsmöglichkeiten: „Den Grund sieht Cook in der Lebensnähe der Anwendungen: „AR gibt uns die Möglichkeit, real nebeneinander zu sitzen und noch etwas anderes zu sehen. Vielleicht ist das etwas, worüber wir gerade sprechen, vielleicht ist es aber auch jemand anderes, der gerade nicht hier ist“, erklärt Cook. AR bedeutet Augmented Reality.

+++ Dazu passt auch diese Meldung via turi: „Nur 39 % der Deutschen über 35 Jahren sind in sozialen Netzwerken aktiv, unter den Jüngeren sind es 81 %. Der "Social Media Age Gap" beträgt also 42 Prozentpunkte. Das Institut der deutschen Wirtschaft findet unter 30 Ländern keine größere Lücke.“ Neben der musikalischen Wettbewerbsfähigkeit gibt es somit auch eine Wettbewerbsfähigkeit für die Nutzung sozialer Netzwerke. Vermutlich telefonieren diese Altersgruppen zu häufig. Oder sie beurteilen den Nutzen sozialer Netzwerke anders als etwa Apple-Chefs den von AR. Dafür kommt Twitter mit einer App auf den Fernseher.

+++ Etwas altertümlich geht es dagegen im Schifferstadter Tagblatt zu. Und Kress druckt jetzt Twitter aus. Darauf hat die Welt gewartet. Worauf man bald lange warten kann, ist auf diesen Fersehsender. Er stellt sein Programm ein. Früher wusste Bauknecht, was Frauen wünschen. In der Hexenküche der Medienbranche weiß Vice, was junge Menschen für News wünschen. Womit Vice Werbung macht für das eigene Produkt. Insoweit unterscheiden sie sich nicht von Bauknecht.

+++ Warum Regionalzeitungen dringend ihre Erscheinungsweise verändern sollten, lesen wir bei Horizont. Die Frage ist halt nur, wie man die Abonnenten dazu motiviert, den gleichen Preis für eine Zeitung zu bezahlen, die nicht mehr jeden Werktag erscheint. Ansonsten könnte es ein Problem bei der Monetarisierung der journalistischen Produkte von Regionalzeitungen geben. Immerhin war aber die Regionalzeitung in Emden ausverkauft. Und über digitale Experimente der Frankenpost und Neue Presse ist hier etwas zu lesen. Zum Stand der Monetarisierung via Blendle auch Altpapier-Kollege René Martens in der taz.

+++ Gabor Steingart heute in seinem morgendlichen Newsletter: „>>Oettinger gefährdet das Internet<<, schlagzeilte gestern Abend „Spiegel-Online“. Eine junge Kollegin des Nachrichtenmagazins nahm Anstoß an der Initiative des EU-Kommissars, die das geistige Urheberrecht von Journalisten schützen und Google zur Kasse bitten will. Selten hat ein EU-Mächtiger sich stärker für die Dichter und Denker des Kontinents eingesetzt. Doch die Spiegel-Frau warb leidenschaftlich für die Umsonst-Kultur des Netzes: „Der freie Link ist das Rückgrat des Internets.“ Mit dieser Haltung kann ein Journalist alles bestreiten – nur nicht den eigenen Lebensunterhalt.“ Hervorhebungen stammen übrigens von Steingart. Dazu auch die SZ und turi.

+++ Dürfen Journalisten politische Aktivisten sein? Bei Zapp geht es allerdings um das parteipolitische Engagement des Kollegen Philipp Keßler in Nienburg. Zapp ist irritiert: „Wir verlassen Nienburg wieder. Nehmen mit, dass die Uhren dort anders ticken. Das Klima großen Vertrauens zwischen Medien, Politik und Bürgern erscheint uns einmalig. Ob das auch so bleibt?“ Am Ende werden Hörer und Wähler entscheiden, ob sie Keßler diese Doppelrolle weiterhin zutrauen. In Landtagen, im Bundestag oder im Europaparlament ist das übrigens nicht möglich. Dort ist Politik ein Beruf.

+++ Was jetzt auch nicht mehr fehlt? Tilo Jung und das Meinungsforschungsinstitut YouGov befragen die Deutschen.

Das Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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