Der erstbeste Fernsehpreis

Der erstbeste Fernsehpreis
Prominente Medien-Preise und Medienjournalisten sind in frischer Aufmachung wieder da. Wer konnte, gut ein Jahr nach "dem Aus", wieder Deutsche Fernsehpreise einheimsen? Was geht auf Stefan Niggemeiers Portal übermedien.de (außer dass säckeweise Reis lustig umfällt)? Außerdem: Nachrichtenverarbeitung als evolutionärer Prozess; hilft es Migranten, wenn Medien die Herkunft von Verdächtigen nicht nennen?

Als wäre er nie weg gewesen: Der Deutsche Fernsehpreis ist schon wieder da. Gestern abend wurde er in Düsseldorf verliehen. An wen alles, haben die herzlich engen Fernsehfreunde von dwdl.de, deren Thomas Lückerath zur Jury gehörte, sowohl in Form eines Fließtextes ("... der heimliche Gewinner des Abends war Vox") als auch als pfiffig gestaltete Kategorien-Übersicht über Nominierte und Gewinner ("... sind in grüner Schrift gekennzeichnet") aufbereitet. Im dwdl.de-Twitterstrom gibt's überdies Bildmaterial zu erhaschen, sogar bewegtes mit dem Flair des Authentischen.

Denn das war der Clou dieser Fernsehpreis-Veranstaltung: Im Fernsehen wurde sie nicht nur nicht übertragen, sondern wird es auch nicht, oder höchstens als 30-minütige Zusammenfassung in einem besonders profillosen ARD-Nebensender.

Das Kalkül, durch Verknappung wieder Interesse zu erzeugen, könnte in Ansätzen funktioniert haben, wie etwa einzelne "Der Deutsche Fernsehpreis wird nicht im Fernsehen übertragen. Keine Pointe"-Tweets belegen.

Die Vorgeschichte: Nachdem 16 Fernsehpreis-Galas ausgerichtet und mal live, mal zeitversetzt ausgestrahlt worden waren und zusehends wenig Publikumsbegeisterung erregt hatten (u.a., weil schon sie kaum noch Pointen enthielten ...), wurde vor einem Jahr "das Aus" (Medienkorrespondenz) beschlossen.

Da der letzte im deutschen Fernsehen gezeigte Deutsche Fernsehpreis im Oktober 2014 vergeben wurde und der erste, erst mal nicht gezeigte nur rund eineinviertel Jahr später, fällt dieses Aus allerdings so gut wie gar nicht mehr auf. Die Vorverlegung könnte den Grund haben, dass wie immer um diese Zeit derzeit wieder die Nominierungskommissionen des Grimmepreises tagen, auf deren Vorarbeit dann Anfang Februar andere Jurys aufbauen, um die Preisträger des relativ renommiertesten der keineswegs wenigen deutschen Fernsehpreise zu küren. Künftig wird der Grimmepreis zumindest zeitlich hinterher hinken.

Könnte also sein, dass sich da mehrere deutsche Fernsehpreise gegenseitig kannibalisieren wollen, zumal die Menge des guten deutschen Fernsehen, aus dem sich Preisträger schöpfen lassen,  ja nicht unbedingt größer wird (außer natürlich in den Augen der Ausrichter; "spannendes Fernsehjahr", "Exzellenz im Bewährten", schwärmt deutscher-fernsehpreis.de jedenfalls im guten alten Uwe-Kammann-Sound ...).

Könnte sogar sein, dass das unter Mitwirkung der Düsseldorfer Landesregierung geschieht, die ins Grimme-Institut in Marl ja gestaltungsfreudig hineinfuhrwerkt. Nun bei der unübertragenen Fernsehpreis-Gala nahm Ministerpräsidentin Hannelore Kraft "neben WDR-Intendant Tom Buhrow Platz" (rp-online.de, das dann auch verrät, wer das "auffälligste Kleid des Abends" und wie diese Trägerin ihre Haare trug ...). Aber das braucht vielleicht auch nicht überschätzt zu werden. Schließlich ist die NRW-Regierung gerade in viel wichtigeren Politikbereichen als dem Unterunterressort Medien ebenfalls überfordert.

Nicht ohne noch aufzuatmen, dass in der Fernsehpreis-Kategorie Talkshow immerhin "Menschen bei Maischberger" ("überzeugte die Jury als lebendiger Ort für Gespräch und Einordnung aktueller Geschehnisse und gesellschaftlicher Entwicklungen") "Markus Lanz" niederringen konnte, damit weiter zum nächsten neuen guten alten Bekannten.

[+++] Über übermedien.de ("ganz wichtig: Website, nicht Blog") berichtet am umfassendsten und mit Links ins umfängliche Angebot meedia.de. Dort ist auch das Original-übermedien.de-Bildmaterial zu sehen, das zumindest Madsack-Zeitungen ihren Lesern vorenthielten. Das nettestlächelnde Niggi-Foto, mit der Tagesspiegel seinen Artikel illustriert, stammt dagegen von picture alliance/ dpa ...

Jetzt zu den Inhalten: Es sind bemerkenswert viele bemerkenswert unterschiedliche, sowohl für visuell geprägte Menschen (Karikaturen, GIFs und Mashup-Videos, für jeden was dabei) als auch für solche, die so lange zu scrollen willens sind wie Altpapier-Leser. Das prominente "große Meta-Meta-Interview" (meedia.de) mit Giovanni di Lorenzo ließe sich vielleicht auch transkribierte Talkshow nennen, was dann natürlich dem Charisma des zeit-Chefredakteurs geschuldet wäre. Ein echt meta-es Interview (mit Stephan Russ-Mohl, "Warum sich Medienkritik für Medien lohnen würde") gehört ebenfalls zum Angebot. Es geht ferner sehr lustig zu, wenn auf Supersymbolfotos für deutsche Onlinemedien säckeweise Reis umfällt), und auch der Ernst der Lage wird gespiegelt.

"Ich bin zwar regelmäßig entsetzt über die Qualität der Meldungen in Massenmedien, aber glaube doch, dass sie insgesamt im internationalen Vergleich gute Dienste leisten. Man darf den kritischen Blick nicht auf einem einzelnen Text verharren lassen, sondern muss ihn auf den gesamten Prozess medialer Verarbeitung richten. Über mehrtägige Zeitspannen etwa, man sieht es recht gut bei der Verarbeitung der Übergriffe zu Sylvester in Köln, wird sehr wohl recherchiert, korrigieren sich Fehler, wird Neues noch oben gespült – Nachrichtenverarbeitung ist eben auch ein evolutionärer Prozess, bei dem Information mutiert und selegiert wird, bei dem Massenmedien sich gegenseitig beobachten, bei dem auch Medienkritik anwächst – was notwendig zu Erkenntnisgewinnen im Ganzen führt (der einzelne Leser ist dabei nach der ersten Meldung mitunter dennoch für Erkenntnis verloren) ...",

sagt nun nicht Russ-Mohl, sondern schreibt Christoph Kappes in einem ebenfalls übermedien.de-inspirierten Beitrag, der nicht nur, weil das Altpapier drin vorkommt (und Kappes zeigt, dass er gelegentlich doch noch bloggt), lesenswert ist.

[+++] Was also den Ernst angeht, befasst Niggemeier sich mit der Frage, ob Medien die Herkunft von Verdächtigen nennen sollten. Seine Stärke, Thesen so zuzuspitzen, dass sie auch auf engen Raum passten, lässt er dabei noch stecken. Um am Ende zu einer Umschau aktueller Aussagen der DPA und des nordrhein-westfälischen Innenministers zu gelangen, muss man gehörig scrollen. Und über einzelne "man"s im Text dazwischen ("Auf eine paradoxe Art sollen besorgte Bürger dadurch beruhigt werden, dass man ihnen nun alles sagt, was einzelne Flüchtlinge anstellen – auch wenn man sie dadurch noch weiter besorgt") müsste man auch noch mal diskutieren. Doch Niggemeiers These lautet:

"Ein genauer Blick darauf, wer straffällig wird, ist Voraussetzung dafür, die Ursachen von Kriminalität zu bekämpfen. Dieser genaue Blick entsteht aber nicht dadurch, dass nun bei jeder Straftat, an der ein Migrant beteiligt gewesen sein soll, diese Tatsache genannt wird. Wer meint, dass nur das die Wahrheit ist, behauptet, dass sich Kriminalität nur durch die Herkunft von Menschen erklären lässt."

Die Gegenrede kommt von Wilhelm Heitmeyer:

"Es war immer schon ein Irrtum zu glauben, dass es Migranten helfen könnte, wenn bei ausländischen Kriminellen deren Herkunft verschwiegen wird",

schreibt der Bielefelder Experte für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in einem sueddeutsche.de-Gastbeitrag, der zunächst das, "was in der Silvesternacht in Köln geschehen ist, ... erst einmal angemessen benannt" bekommen möchte.

Auch der ist lesenswert, auch sonst umkreisen viele Texte den Themenkomplex. Natürlich ist Unfug (muss oder möchte man gespannt sein, ob Stefan Aust, inzwischen ja Welt-Herausgeber, Henryk M. Broder feuert? SZ) darunter, aber auch viel erfreulich Reflektiertes.

"Das diskursive Gift der Gegenwart ist eine Mischung aus Empörungsstilisierung, dem Gestus des 'Ich hab's ja immer gesagt' und dem Gieren danach, dass jemand etwas 'Falsches' äußert. So kann man nicht miteinander sprechen",

leitet etwa Peter Unfried seinen Diskursbeitrag ein. Dass er das nicht in der TAZ tut, sondern auf rollingstone.de, also bei einem der nurmehr wenigen Axel-Springer-Medien, das auf seiner Startseite auch durchaus bildzeitungshaft ("David Bowie: Todesursache Leberkrebs?"; weiter im Vorspann: "Nur die wenigsten waren eingeweiht", was andererseits immerhin Gruner + Jahrs sympathisch schläfrige Gala entlastet ...) daher kommt, das belegt jedenfalls schon schön, dass miteinander Sprechen, auch oder gerade, wenn man unterschiedliche Ansichten hat, immer noch gut ist.
 


Altpapierkorb

+++ Auch neu und auch wichtig: augenzeugen.info, der von Prof. Dr. Frank Überall als DJV-Bundesvorsitzendem verantwortete Blog über Gewalt gegen Journalisten hierzulande (siehe auch Altpapier gestern). +++ Darüber sowie über die Sitzung im Kulturausschuss des Bundestags ("Der Chefredakteur des Mitteldeutschen Rundfunks, Stefan Raue, sagte, die Pegida-Bewegung beschwöre mit Vorwürfen wie 'Lügenpresse' eine Art geistigen Bürgerkrieg") berichtet auch die FAZ-Medienseite. +++

+++ Constantin Schreiber unternimmt für mehrere Medien Presseschauen im arabischsprachigen Raum zum Thema #koelnhbf, frei online bei meedia.de und zeit.de. +++ Auf der FAZ-Medienseite ist er auch vertreten: "... Dass von westlicher Kleidung das Signal 'offen zum Anfassen' ausgehe, lernen viele Menschen im arabischen Raum aus den Medien. Zugleich sind arabische Medien prüde. Tote, gefolterte Menschen, verstümmelte Kinder – all das ist täglich auf dem Bildschirm. Eine nackte weibliche Brust wäre undenkbar. Zu den sexuellen Übergriffen von Köln haben die Sender äußerst spärlich berichtet. Dafür ist Köln seit Anfang dieser Woche in den arabischen Medien präsent: In der Innenstadt wurden Pakistaner und Syrer angegriffen." +++

+++ Die SZ-Medienseite rührt mal wieder die Werbetrommel für Netflix ("... hat nun also auch ... seinen Teil beigetragen zur Riesenwelle der sehr schicken True-Crime-Formate", nämlich mit "Making a Murderer") und spendet einer isländischen Serie auf Arte nette Sätze ("Lava" sei "ein Kriminaldrama wie aus Packeis auf einem alles dominierenden Vulkan ..., in dem doch jeder jederzeit ausbrechen und zur Weißglut kommen kann").  +++ Außerdem plaudert Karoline Meta Beisel schon viele Ratschläge aus ("häufiger mal 'Nein' sagen, die Musik ausmachen, bei Kopfschmerzen die Duftkerze wechseln, dazu viel Wasser trinken"), mit denen die neue Burda-Zeitschrift Freundin Detox doch eigentlich am Kiosk Geld verdienen wollte. +++

+++ Focus-Chefredakteur Ulrich Reitz stellt die TAZ-Kriegsreporterin als "Mann, der keine Gelegenheit auslässt, die Kernthemen seines Heftes – Heizkosten, Einbrecher, Alzheimer – mit nackten Frauen zu bebildern", vor. +++

+++ Deutsche Fernsehserien und ihre Probleme beim deutschen Fernsehpublikum I: RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann im dwdl.de-Interview. +++  Deutsche Fernsehserien und ihre Probleme beim deutschen Fernsehpublikum II: "Das große Publikum von ARD und ZDF weiß, was es will, das kleine VoD-Publikum weiß, was es will. Alles gut? Alles gut, solange ..." (Cliffhanger, weiter beim Tagesspiegel). +++

+++ Wie sehr die ARD selbst, überall wo sie ihre von allerhand Kritikern gut gefundene Serie "Die Stadt und die Macht" anpreist, die Derhbuchautoren versteckt, während für Volker-Herres-Grußworte stets Platz ist, beklagt Dinah Marte Golch, Vorstandsmitglied im Verband Deutscher Drehbuchautoren, auf der FAZ-Medienseite. +++  Und dass ARD und ZDF weiterhin sich die relativ wenigen relativen Höhepunkte in ihrem Programm gerne gegenseitig zerschießen, belegt z.B. der dwdl.de-Einschaltquoten-Text zum ersten Termin der genannten Serie. +++

+++ Kein Stellenabbau sei bei der Berliner Tip-Zitty-Fusion geplant, hat nun der Tagesspiegel dann noch erfahren. +++

+++ Und Bernd Hilder hört wegen "unterschiedlicher Auffassungen über die zukünftige Entwicklung der Zeitung" als Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung bei den Funkes auf (kress.de). Fun fact: Dieser Bernd Hilder wäre beinahe mal MDR-Intendant geworden und dann jetzt ARD-Vorsitzender. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.