Til und die ulkig Spröden

Til und die ulkig Spröden
Es gibt noch Gesprächsbedarf zum „Tatort“ mit Til Schweiger, der nichts mit dessen nächtlichen Facebook-Exzessen zu tun hat. Zum Jahrestag der Anschläge hebt Charlie Hebdo wieder Gott aufs Cover. Der DJV möchte mit jungen Menschen sprechen, GZSZ kann man bald auch in Kanada schauen, und die CSU macht einen selbst für ihre Verhältnisse schwachsinnigen Vorschlag.

Til Schweiger hat in der Nacht zum Montag etwas auf seiner Facebookseite gepostet, wie gestern auch hier bereits angedeutet wurde. In den Stunden danach häuften sich so viele Texte darüber an, dass man meinen könnte, was Til Schweiger nachts auf seine Facebookseite schreibt, sei von Belang. Daher soll auch an dieser Stelle dem Thema der nötige Platz eingeräumt werden.

 

Das sollte genügen.

Doch auch über die Erkenntnis, dass Til Schweiger und die Karikatur von Til Schweiger eine Person sind, brachte der „Tatort“ vom Sonntag Diskussionsbedarf mit sich. Schließlich wurde die „Tagesschau“ im Film von Terroristen heimgesucht, wofür Judith Rakers ihren irritierten Gesichtsausdruck herausholte.

„Das alles ist schon ziemlich irre, schließlich ist die ,Tagesschau’ die größte Marke des Senderverbundes, für sehr viele Menschen der Inbegriff gebührenfinanzierter Verlässlichkeit; die ,Tagesschau’ ist ja oftmals fast ulkig spröde, gerade weil man sehr ernsthaft sein will. Außer eben, wenn Til Schweiger und die Russen kommen“,

meint Katharina Riehl heute auf der Medienseite der SZ, und Annette Zock legt im Kommentar auf Seite 4 nach:

„Natürlich sollte man nun nicht aus lauter Verunsicherung nur noch Liebesfilme zeigen. Es ist legitim, dass sich Krimis auch weiterhin mit dem Thema Terrorismus beschäftigen. Doch eine Nachrichten-Institution wie die ,Tagesschau’, die von ihrer Verlässlichkeit lebt, muss nicht über 90 Minuten hinweg immer und immer wieder als Kulisse für eine Geiselnahme dienen. Das gefährdet ihre Glaubwürdigkeit und Seriosität. Die ,Tatort’-Macher hätten sich irgendeine Nachrichtensendung ausdenken können. Dem Plot hätte das nicht geschadet.“

Die Gegenmeinung vertritt Michael Hanfeld heute in der FAZ:

„Die ARD hat die Kurve so gerade eben noch gekriegt. Denn zwischen der ,Tagesschau’ mit Jan Hofer und der Geiselnahme im Studio der ,Tagesschau’ lief dann doch der Vorspann des ,Tatorts’. Ursprünglich hätte den echten Nachrichten die fiktive Szene nahtlos folgen sollen.“

Zudem sei der Film, der eigentlich am Sonntag nach den Anschlägen von Paris laufen sollte, verschoben worden, und die echte „Tagesschau“ sei eben von Hofer statt Rakers moderiert worden.

„All dies sind glückliche Entscheidungen des produzierenden NDR. Anderenfalls wäre dieser ,Tatort’ auf dem schmalen Grat zwischen Fiktion und Realität abgestürzt“,

so Hanfeld.

Natürlich macht das Spiel mit dem echten Studio und der echten Moderatorin den Reiz der Sache aus. Aber in Zeiten, in denen Fußballstadien und Bahnhöfe aus Angst vor Terrorattacken abgesperrt werden, erscheint eben dies auch geschmacklos. Zumal der zeitliche Abstand, der zu den Pariser Novemberanschlägen geschaffen wurde, andererseits eine Nähe zum Jahrestag der Attacke auf eine andere Redaktion schaffte.

[+++] Denn übermorgen jährt sich der Anschlag auf Charlie Hebdo. Bereits morgen wird eine Sonderausgabe der Zeitschrift erscheinen, und seit gestern wissen wir, wie diese aussehen wird:

„Über das Cover rennt ein blutverschmierter Gott mit einer umgehängten Kalaschnikow, dazu die Überschrift: ,Ein Jahr danach: Der Mörder ist noch immer auf der Flucht.’ Gezeichnet hat die Karikatur ,Charlie Hebdo’-Chef Riss“,

lautet die Beschreibund des Standards. In der FAZ analysiert Ursula Scheer diese Wahl wie folgt:

„Das neue Titelbild geht noch einen Schritt weiter weg von den Attentätern. Es zeigt Gott, nicht den Gott Mohammeds und auch nicht den Abrahams, sondern explizit den Gott der Christen. Warum, erläutert Riss in einem Leitartikel, in dem er ,vom Koran verblödete Fanatiker’ hart angeht und auch gegen Vertreter anderer Religionen polemisiert. Er argumentiert entschieden für den Atheismus und den Laizismus, also die strikte Trennung der Religion vom Staat, wie sie in Frankreich besteht. Das ist die Lehre, die ,Charlie Hebdo’ aus dem Jahr 2015 zieht.“

Sie ist aber nicht die einzige Erkenntnis, zu der die Mitarbeiter der Zeitschrift im Laufe des vergangenen Jahres gekommen sind. Bereits am Freitag erklärte Charlie-Zeichnerin Coco Rey im Interview mit Martina Meister in Springers Welt:

„Diese Schamlosigkeit der Medien hat mich sehr verletzt und entsetzt. Ich persönlich hatte extrem unpassende Fragen nach dem Attentat: ,Wie fühlt es sich an, am Leben zu sein?’, ,Wem oder was verdanken Sie es?’, ,Fühlen Sie sich schuldig?’, ,Wie leben Sie mit dieser Last?’ Solche Fragen wurden mir ins Gesicht geknallt, manchmal ohne ein ,Guten Tag’. Deswegen muss ich diese Frage ganz klar mit Ja beantworten: Wir sind miserabel behandelt worden. Mir war nicht klar, dass die Medien so funktionieren, dass sie gewaltsam versuchen, in die Intimität von Menschen vorzudringen, dass sie so brutal, so voyeuristisch sind. Aber die persönlichen Dinge muss man kompetenten Personen mitteilen, Psychologen, nicht Journalisten.“

Kurz vorher hat sie auf die Frage nach Grenzen der Satire noch geantwortet:

„Wenn es Grenzen gibt, dann nur eine einzige: das Gesetz.“

Nun mag man es zwar als überaus unpassend empfinden, Überlebende eines Terroranschlags nach ihren Schuldgefühlen zu befragen. Aber verboten ist es nicht.

Seine Ambivalenz hat sich Charlie Hebdo also erhalten, und genau das ist ja das Schützenswerte an unserer freien Gesellschaft: dass man gleichzeitig Charlie sein und kritisieren kann.

Den Anschlägen auf die Zeitschrift im Speziellen und der Analyse des islamistischen Terrors im Allgemeinen widmet sich heute auch Arte mit einem Themenabend (s. dpa/Hamburger Abendblatt sowie Tagesspiegel).

[+++] Der junge Mensch scheint im Journalismus gerade ein sehr begehrtes, aber doch unbekanntes Wesen zu sein. Neben den Verlagen, die extra Angebote für diese Spezies aus dem Boden gestampft haben, buhlt nun auch der DJV darum. Im Interview mit Matthias Daniel für die aktuelle Ausgabe des DJV-Magazins Journalist (Blendle-Link) sagt sein neuer Chef Frank Überall:

„Wir müssen gerade mit jungen Menschen mehr ins Gespräch kommen und intensiver hinhören als bisher. Wir müssen uns mehr die Sichtweisen der jungen Menschen bewusst machen und die Bedürfnisse, die daraus resultieren. Junge Menschen bekommen heute in aller Regel nicht mehr die Verträge, die die Älteren noch haben. Darauf müssen wir reagieren. Aber es ist ja nicht so, dass es diese Menschen in unserem Verband nicht gibt.“

Nun sprechen wir seit gefühlt 25.000 Jahren von einem Medienwandel. Aber dass die seitdem in den Beruf eingestiegenen Journalisten eine andere Arbeitswirklichkeit vorfinden als diejenigen, die seit 1976 einen Redakteursvertrag halten, konnte man beim DJV offenbar nicht früher erkennen. Nun soll das aber nachgeholt werden, und das ist doch eine gute Nachricht. Wie parallel das Universum des Verbandes zu dem der Journalisten jedoch ist, lässt sich dieser Frage und Antwort entnehmen:  

„Wenn man sich hier umschaut, sieht man die Lobby eines gehobenen Hotels, die allerdings ein bisschen den Charme vergangener Zeiten versprüht. Es wirkt etwas behäbig und altbacken. Ein Spiegelbild des DJV?

Nein, überhaupt nicht. Wir sind an manchen Stellen bequem geworden. Dort, wo es um politische, inhaltliche Auseinandersetzungen geht. Vielleicht, weil wir vieles schon für so selbstverständlich wahrnehmen oder eben keine Ideen mehr haben, was man wirklich kontrovers diskutieren sollte. Gerade auf den Verbandstagen müssen wir dazu kommen, wieder mehr wahrgenommen zu werden.“

Wem es gerade im Journalismus um Ideen zur Auseinandersetzung fehlt, dem ist womöglich nicht mehr zu helfen.


Altpapierkorb

+++ „Achim Mentzel tauchte nun als Gitarrist und Sänger in Show-Kapellen auf und blieb 1973 nach einem Auftritt im Westen. Nicht etwa aus politischen Gründen. Der Frauenheld flüchtete vor einer seiner Ex-Frauen, steht auf seiner Homepage. Nach nur wenigen Monaten kehrte er reumütig zurück. Zehn Monate Gefängnis wegen Republikflucht wurden auf Bewährung erlassen, Mentzel stieg wieder ins DDR-Showgeschäft ein“, so erinnert Torsten Wahl in der Berliner Zeitung an den gestern verstorbenen Entertainer Unterhaltungskünstler. Auch bei DWDL gibt es einen Nachruf. +++

+++ Die gestern hier schon thematisierte Medienreform in Polen hat nun auch den oben bereit angesprochenen DJV-Chef sowie seine europäischen Kollegen zu Kritik veranlasst. +++

+++ Die Sendung, die sich die ARD in diesem Jahr gerne gespart und durch einen Freifahrtschein für Xavier Naidoo ersetzt hätte, läuft jetzt Ende Februar, steht (u.a.) bei dpa/Tagesspiegel und DWDL. +++

+++ Schon am 18. Januar startet RTL International als deutschsprachiger Bezahlsender fürs Ausland, schreibt Hans-Peter Siebenhaar heute im Handelsblatt. „Der neue Sender bezieht sein Programm vor allem von RTL Television, dem Flaggschiff des TV-Konzerns. So werden die Live-Nachrichten ,RTL Aktuell’ mit Anchorman Peter Kloeppel und ,RTL Nachtjournal’, aber auch Regionalprogramme wie RTL Nord, RTL West und RTL Hessen zu sehen sein. Darüber hinaus werden Soaps wie ,Gute Zeiten, schlechte Zeiten’ oder Serien wie ,Alarm für Cobra 11’ ausgestrahlt. Vox steuert zum Start das Auswandererprogramm ,Goodbye Deutschland’ bei. Live-Sport wie Boxen und Formel 1 oder Hollywood-Serien wie ,CSI’ werden aus rechtlichen Gründen nicht zu sehen sein.“ +++

+++ 2016 zeigen ZDF und ORF den historische Dreiteiler über Maximilian I und seine Ehefrau Maria von Burgund , dessen Dreharbeiten aktuell laufen und von Claudia Tieschky für die Medienseite der SZ besucht wurden. +++

+++ Der Berliner Verlag und die Hamburger Morgenpost gehören in Zukunft wieder allein DuMont, steht bei Meedia. +++

+++ Die CSU hat eine interessante Idee vorgetragen, wie Hasskommentare und extremistische Inhalte aus dem Internet ferngehalten werden sollen, nämlich durch flächendeckende Zensur vor Veröffentlichung. „Der Vorschlag ist selbst für CSU-Verhältnisse erstaunlich unsinnig. Chapeau“, meint Patrick Beuth bei Zeit Online. Weil (u.a.): „Wer kann ernsthaft wollen, dass der intransparente Algorithmus eines börsennotierten US-Unternehmens entscheidet, was im Internet stehen darf und was nicht?“ +++

+++ Über Vor- und Nachteile, Journalismus von Algorithmen aka Robotern machen zu lassen, berichtet Philip Banse für Deutschlandradio Kultur. +++

+++ Es wird wieder geraucht, getrunken, und Olli Schulz bekommt die Haare gekämmt: Wer sich nicht mehr bis Sonntag gedulden möchte, um all das in einer Talkshow zu sehen, kann sich hier den Trailer von „Schulz & Böhmermann“ ansehen. Bei Meedia hat man zudem noch fleißig Sendetermine und Gäste aus der Pressemitteilung kopiert. +++

+++ Wer sich für fragwürdige Bilderstrecken, Chefredakteursaufzählungen sowie die Frage interessiert, wie oft Medien andere Medien im vergangenen Jahr zitierten, der sollte diesen Artikel von Bülend Ürük bei kress.de beachten. +++

+++ „Verlage werden weiterhin – wenn auch teilweise zeitverzögert – hochwertige und einzigartige Inhalte kostenlos abgeben und nicht hinter einer Bezahlschranke verstecken. Zeitungen erhoffen sich so mehr Reichweite und höhere Werbeerlöse auf ihren Portalen. Solange guter Journalismus im Netz weiterhin kostenlos ist, bleibt Blendle ein Nischenprodukt“, meint Nik Niethammer in der Medienwoche, nachdem er drei Monate Blendle getestet hat. +++

Neues Altpapier gibt es morgen wieder. 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.