Arte für alle

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Die Sommerpause ist in diesem Jahr ausgefallen. Das Thema Flüchtlinge dominierte die Berichterstattung. Nur wie konnte eigentlich Til Schweiger zum Kristallisationspunkt dieser Debatte werden?

Gibt es eigentlich noch eine Sommerpause? In früheren Zeiten begann im Hochsommer für die Medien die Zeit der sauren Gurken. Die Politik verschwand in den Ferien, die Wirtschaft machte Werksferien und die Familien reisten in den Urlaub. Das Land schaltete einen Gang zurück und den Medien blieben eigentlich nur zwei Themen. Das Wetter und die dauernden Wiederholungen im Fernsehen. Es musste schon ein Krokodil im Baggersee gesichtet werden, um die Leute aus der sommerlichen Lethargie zu wecken. Es ist zum Sommerpausen-Klassiker geworden. Soweit der etwas romantische Rückblick auf die gute alte Zeit.

In diesem Jahr konnte von einer Sommerpause nicht die Rede sein. Selbst der hartnäckige Sonnenschein ist in den Medien nur selten als die „große Dürre“ thematisiert werden. Hier lässt sich der Bedeutungsverlust der klassischen Medien erkennen. Früher hatten sie ein Monopol bei der Berichterstattung über das Wetter. Heute kann sich jeder mit wenigen Klicks alle Daten besorgen, die bis dahin nur den Experten zur Verfügung standen. Ob diese ein Laie auch entsprechend interpretieren kann, steht auf einem anderen Blatt in diesem Internet. Aber früher eignete sich das Wetter als sommerlicher Pausenfüller, weil nur die Medien die Zeit und die Ressourcen für dessen Thematisierung hatten, um das Interesse der Leser am Wetter zu befriedigen. Die Berichterstattung über das Wetter ist also zugleich ein gutes Beispiel für die Folgen der Digitalisierung.

+++ Daher kann sich eigentlich niemand mehr darüber wundern, wenn die Politik-Berichterstattung nach dem gleichen Muster verläuft. Auch wenn ein Generalbundesanwalt entlassen worden ist, bestimmt ein Thema diesen Sommer: Die Flüchtlinge. Die Debatte hat sich weitgehend aus den klassischen Medien in die sozialen Netzwerke verlagert. Für Stimmungsmache braucht man nicht mehr den Boulevard als Volkes Stimme, sondern das Volk meldet sich selbst zu Wort. Das betrifft vor allem Facebook. Wobei das Volk natürlich nicht spricht, sondern lediglich einige seiner Angehörigen. Das Volk ist in einer pluralistischen Gesellschaft schließlich keine homogene Masse. Es ist ein dissonanter Chor, wo lediglich die lautstärksten Stimmen auch gehört werden. Wahrscheinlich ist deshalb ausgerechnet der Schauspieler Til Schweiger zum Kristallisationspunkt dieser Debatte geworden.

„Schweiger will Flüchtlingen helfen: peinlich! Journalisten, Blogger, Bloggalisten und Journalogger schrieben die Entrüstung pflichtschuldigst auf. Sie überwachen die Aufregung im Netz wie Ärzte eine Herzfrequenz. Aber wichtiger als die Frage, was da gerade für Aufregung sorgt, ist die Frage: Was ist das überhaupt für eine Aufregung?“

So Friederike Haupt gestern in der FAS. Sie entsteht aus dem Nichts, so ihre These.

„Allerdings entstehen jeden Tag wie von selbst neue Aufreger. Sie lassen sich gewissermaßen aus dem Nichts erschaffen und gehen nach der gewünschten Aufregung ins Nichts zurück. Insofern genügt die Aufregung sich selbst. Sie ist wie ein Rausch, dem ein noch stärkerer Rausch folgen muss.“

Natürlich entstand die Aufregung um Schweiger nicht aus dem Nichts. Er geriet deshalb in diese Rolle, weil er den rassistischen Kommentaren etwas entgegensetzte. Schweiger verschaffte ihnen damit zugleich die Aufmerksamkeit, die wiederum die klassischen Medien zur Berichterstattung motivierten. Nun könnte man solche Konflikte in einer pluralistischen Gesellschaft für den Normalfall halten, selbst wenn sie bisweilen unappetitlich ausgetragen werden. Aber dieser Normalfall wird als eine Art Ausnahmezustand interpretiert und bekommt damit erst die Dramatisierung, die man anschließend beklagt. Politisch kann schließlich nicht die Rede davon sein, dass die Rassisten in dieser Gesellschaft zu einer relevanten politischen Kraft geworden wären. Nur wird die Realität zunehmend über die Interpretation sozialer Netzwerke wahrgenommen. Aber die funktionieren halt wie der Boulevard schon immer funktionierte. Man muss möglichst laut schreien, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Es ist nur die Frage, ob sich die klassischen Medien dieser Logik unterwerfen sollten.

+++ Im Blog von Stefan Niggemeier findet man dafür ein gutes Beispiel. Pegida hat auf seiner Facebookseite einen Skandal aufgedeckt, der keiner ist. Spiegel online habe das Wort „Asylbetrüger“ benutzt. Niggemeier nimmt das genüsslich auseinander.

„Die Pegida-Leute aber sind nicht nur Lügner, sondern auch Stümper. Denn die falsche Überschrift, die sie „Spiegel Online“ untergeschoben haben, kann schon formal gar keine „Spiegel Online“-Überschrift sein. „Spiegel Online“-Artikel-Überschriften enthalten immer einen Doppelpunkt. Vor dem Doppelpunkt steht das, was auf der Startseite die Dachzeile ist. Im konkreten Fall heißt die richtige Überschrift entsprechend: „Flüchtlinge in Mazedonien: Panik vor dem Zaun“. Schon rein formell kann die behauptete Überschrift „Asylbetrüger besteigen Eurocity aus Mazedonien Richtung Germany“ also nicht echt sein.“

Nun hat Pegida auf Facebook zwar 150.000 Abonnenten, ist aber ansonsten mittlerweile in der politischen Bedeutungslosigkeit gelandet. Sie sind zum Teil einer Subkultur geworden, die die Otto-Brenner-Stiftung jetzt in einer neuen Studie untersucht hat. In der Berliner Zeitung wird diese so zusammengefasst.

„Einer überschaubaren Zahl zentraler Akteure – von denen einige eine linke, andere eine rechte Vergangenheit haben – ist es gelungen, eine eigene, stabile Öffentlichkeit aufzubauen. Als Publizisten, Verleger und Aktivisten versorgen sie ihr Publikum mit Magazinen, professionellen Online-Videos und Büchern. … . Insgesamt sei das Netzwerk „in der Lage, die für die Akteure bedeutsamen Entwicklungen aktuell mit professionell hergestellten crossmedialen Angeboten zu begleiten und so einem ständig wachsenden Publikum verlässlich eigene Deutungen dazu anzubieten“, heißt es.“

Diese Studie von Wolfgang Storz könnte dabei helfen, diese Entwicklung angemessen zu beschreiben, aber ohne die übliche Logik der Dramatisierung.

+++ Wie unübersichtlich die Lage geworden ist, wird auch in der Kolumne von Sybille Berg auf Spiegel online deutlich. Sie macht nicht die Subkultur in den sozialen Netzwerken für die Eskalation in der Flüchtlingsdebatte verantwortlich, sondern die klassischen Medien.

„In jedem, jedem Printerzeugnis das Hauptthema: Flüchtlinge. Auf dem Titel in den Kommentaren, die Gemeinden, die Probleme, die besorgten Bürger, die Parks, die Zelte, die Vorteile, die Nachteile. Am Ende der Woche bemerke ich Ermüdungserscheinungen. Ich. Mir hängt der Scheiß zum Hals raus. Den Medienschaffenden auch.“

Nun hängt die Welt bekanntlich nicht davon ab, ob Frau Berg etwas zum Hals heraushängt, auch wenn Intellektuelle bisweilen diesen Eindruck vermitteln wollen.

„Darum wandert, wer die Zeit hat, ins Netz ab, liest Blogs, gute Onlinemagazine, sieht Nachrichten aus aller Welt. Das geht schon. Dauert aber. Und was ist mit Millionen, die daran gewöhnt sind, ihre Meinung von TV und Print beeinflussen zu lassen? Statt um die sinkende Auflage, die einbrechenden Zuschauerzahlen zu kämpfen, drauf scheißen. Was Vernünftiges machen. Arte für alle. Aber vielleicht wird zu wenig Lohn gezahlt, und die klugen Menschen schreiben lieber Bücher oder werden Eremiten. Vielleicht ist die Angst vor der Konkurrenz im Netz so stark, dass viele Medienerzeugnisse sich panisch an Altbewährtes halten: Den Konsumenten für blöd erklären und sich selbst erhöhen, konservativ sein, feige sein, nur nicht entlassen werden, nicken.“

„Arte für alle“ ist eine interessante Idee. Darauf wären sogar deren Programmverantwortlichen nicht gekommen. Vielleicht sollte man Til Schweiger fragen, wie man das macht. Feige ist er ja nicht. Schweiger hat sich daher auch zum Sommerinterview der Kanzlerin geäußert. Es regnet übrigens noch immer.


Altpapierkorb

+++ Zur Studie der Otto-Brenner-Stiftung noch dieses Interview mit Wolfgang Storz in der Frankfurter Rundschau (via Vera Bunse). Es geht dort nicht nur über die Funktionsbedingungen dieser “Querfront“, sondern Storz sieht darin ein gutes Beispiel für den Medienwandel: „Sein schneller Aufstieg zeigt auch, dass es im Digitalzeitalter auch kleinen Szenen gelingt, mehr und mehr Leute für sich zu interessieren und über Jahre erfolgreich am Markt zu bleiben. Auf dieselbe Weise können weitere solcher Parallel-Öffentlichkeiten entstehen. … . Die Leser bestätigen sich nur noch gegenseitig in einem Weltbild, das mit der Gesamtgesellschaft nichts mehr zu tun hat. Hält man das gemeinsame Gespräch aller Bürger für die Grundlage der Demokratie, wird sie durch solche wachsenden Nischen gefährdet.“ Storz artikuliert gleichzeitig eine Kritik an den klassischen Medien: „Die Bandbreite dessen, was man als legitime Meinung zulässt, hat sich in Politik und Medien verengt. Es gibt feine Systeme der Ausgrenzung, die sich diese Nischen zunutze machen. … . Zudem fühlt sich mancher Leser bevormundet, wenn Zeitungen die Einordnung gleich mit der Information verweben. Gäbe es wieder die klare Trennung von Bericht und Meinung, wären viele wohl weniger misstrauisch.“

+++ Til Schweiger wird am Dienstag bei Sandra Maischberger zu Gast sein. Zum Ende ihrer Sommerpause gab sie dem Tagesspiegel ein Interview. „Es ist ein großes Missverständnis zu glauben, die Talkshow sei in erster Linie ein Informationsmedium. Natürlich vermittelt sie auch Informationen. Aber vor allem geht es um Meinungsbildung“, so ist dort zu lesen. Allerdings geht sie weniger gnädig mit der Medienkritik um: „Menschen lesen gerne Verrisse und sie lesen offenbar besonders gerne Verrisse von Talkshows. Ein menschliches Bedürfnis, das sich online sehr gut verkaufen lässt. Wenn mir Zuschauer schreiben und ich merke, dass ihnen ein Thema wichtig ist, dann nehme ich das ernst. Den meisten antworte ich auch, wenn es meine Zeit erlaubt. Aber diesen ganzen professionellen oder anonymen Shit, den ignoriere ich. Das müssen Sie mir nachsehen. Ich lese so was nicht.“ Immerhin kann sie mit Til Schweiger als Gast nichts falsch machen. Er wird für die gewünschte Aufmerksamkeit sorgen.

+++ Nun wissen wir nicht, was Harald Martenstein so liest. Sicher die Artikel über das schon erwähnte Thema Flüchtlinge. Was sind die Motive der Autoren? „Aber nichts ist einfacher, als einen moraltriefenden Text zu verfassen, der so tut, als sei das alles überhaupt kein Problem und als sei jeder, der es anders sieht, ein Helfer der Ausländerfeinde. Immer, wenn ich so etwas lese, denke ich: Ihr wollt gut dastehen. Aber wenn ihr morgen etwas von eurem Wohlstand abgeben sollt, regen die meisten von euch sich genauso auf wie alle anderen.“ Nun sind die Motive von Journalisten früher eher eine Nebensächlichkeit gewesen. Er sollte seinen Job machen und wollte mit seinem Beruf den Lebensunterhalt verdienen. Er unterschied sich dabei nicht von anderen Berufen. Den Maurer fragte ja auch niemand, welche Motive er hat, wenn er gerade ein Haus baut. Aber Martenstein reflektiert hier den digitalen Wandel, den er ansonsten bekanntlich kritisch sieht. Plötzlich geht es um den Menschen, der sich in Medien äußert.

+++ Der Spiegel hat dazu seine aktuelle Titelgeschichte gemacht. „Wie ich ich bleibe. Mensch sein im Google-Zeitalter.“ In der Süddeutschen Zeitung findet man auch etwas über Google als universelle Ordnungsmacht. Schließlich hat der Presseclub am Sonntag über das Thema diskutiert. Gäste waren nicht die üblichen Verdächtigen, sondern unter anderem Philip Banse und Mario Sixtus. Wir wissen aber nicht, ob das jetzt der ausgefallenen Sommerpause geschuldet war oder eine Öffnung in dieses Internet ausdrücken soll.

+++ Facebook wird von Martin Giesler thematisiert: „Diese Entwicklung führt dazu, dass Facebook immer mehr passiv genutzt wird. Zahlen unterstreichen diese Entwicklung [GlobalWebIndex]. Die User werden immer weniger ermutigt, wirklich selbst zu publizieren. Liken, kommentieren und teilen – das scheint der für die normalen Nutzer primär vorgesehene Facebook-Dreikampf.“ Es ähnelt damit immer mehr dem klassischen Fernsehen. Man müsste jetzt nur noch Pegida davon überzeugen, sich dieser Entwicklung anzuschließen.

+++ Dafür hängt bei der Funke-Gruppe der Haussegen schief. So zu lesen im Handelsblatt. Dagegen ist im Gemischtwarenladen namens Axel Springer alles im Lot. Darüber wird in der taz berichtet. Davon kann in Russland nicht die Rede sein. In der Welt liest man wie der Journalismus abgeschafft wird.

+++ Ein Buch zum Thema „Korrespondenten im Kalten Krieg“ rezensiert Rupert Neudeck in der Medienkorrespondenz: "Es geht in Mükkes Buch um Fernsehkorrespondenten beider Seiten, West wie Ost. Bei den Vertretern aus der früheren DDR stört mich deren anführungslose Bezeichnung als Journalisten. Nach allem, wie man den Beruf je verstehen konnte, konnten das keine Journalisten im Wortsinn sein. Sie hatten vielleicht eine Sehnsucht danach, aber das war es dann auch. Diese „Journalisten“ waren Presse- und Medienagenten ihrer Regierung und der herrschenden Partei und Ideologie. Das macht eben keinen Journalismus, wie auch der Pressesprecher der Bundesregierung kein Journalist mehr ist.“ Neudeck erwähnt auch jene für westliche Journalisten kritische Passagen. „Eine Konstante der deutschen Nahost-Berichterstattung war (und ist es bis heute) die selbstgefesselte Professionalität der Medien gegenüber den Behörden Israels. Kienzle hatte herausbekommen, dass Israel die maronitischen Christen im Südlibanon heftig mit Treibstoff und Baumaterial unterstützte, auch über die Grenze. Am Tag darauf rief der israelische Botschafter den SDR-Intendanten in Stuttgart an und bezichtigte den Korrespondenten der Lüge. Doch anstatt dass sich ein Intendant einen solchen Anruf einfach verbittet, kam es zu einer typisch deutschen Szene, die bis heute die Berichterstattung aus Israel und Nahost immer wieder an den Rand der journalistischen Professionalität bringt: Der Intendant rief bei Kienzle an und fragte, warum dieser Märchen erzähle? Er wollte es dem Intendanten erklären, doch es war längst etwas passiert. Der Chefredakteur der ARD rief an und bot Kienzle den Wechsel auf den Korrespondentenposten in Südafrika an.

+++ Wie die Bild am Sonntag über den Tod von Max Greger berichtet, soll schließlich auch nicht mehr fehlen. "Wenn es einen Gott gibt, dann muss es einer mit Karteikasten sein. Ein Karteikasten, in dem er bei großer Langeweile stöbert. Anfang Juli war es weiter soweit. Gottes Blick blieb auf einer Karteikarte mit „B“ haften, B wie „BigBand-Leader“." Man kann ja nur hoffen, dass Gott nicht die Karteikarte mit den Sonntagszeitungen findet. Ansonsten bliebe dieser Kolumne wirklich nur noch Facebook.

+++ Was jetzt nicht mehr fehlt? Die Buchstabensuppe aus der Bundespressekonferenz. Wer begleitet die Bundeskanzlerin zu den Regierungskonsultationen nach Brasila? Konkurrenzlos ist aber immer noch der Namenssalat von Otto Waalkes aus dem Jahr 1977. Dort werden sich jüngere Leute aber bestimmt eine Frage stellen: Wer ist Stoltenberg?

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag. Sicher wird es auch dann noch regnen.

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