Chaos, Streber-Style

Chaos, Streber-Style
Warum von Zoomer.de reden, wenn man Ze.tt haben kann? Darum! Die Dritten Programme sind noch informationsärmer als gedacht. Der islamistische Terror gefährdet die Pressefreiheit auch bei uns. Was kostet es, einen Kameramann zu schlagen? Es fehlen: Lamas.

Beginnen wir mit etwas total Uncoolem, das diesen jungen Leuten, von denen hier heute zu reden sein wird, niemals einfiele: Schlagen wir ein Buch auf. Und zwar "Zeitungsstadt Berlin", diesen Klassiker von Peter de Mendelssohn aus dem Jahr 1959, den man alleine wegen des schönen Nachdrucks des Panzerbärs besitzen sollte.

Dort steht geschrieben:

„Die Presse einer Millionenstadt erlaubt eine unendliche Vielfalt der Gliederung, nach politischer Orientierung, nach Ständen und Gesellschaftsklassen, nach Berufsinteressen und nach Liebhabereien. In alle diese Richtungen lassen sich Schnitte legen, lassen sich die Zeitungen spezialisieren. Nur nach Generationen nicht. Denn Generationen sind keine fest umrissenen Leseeinheiten, die in gesonderten Abteilungen nebeneinander existieren. Die beste Zeitung ist die, welche vom Urgroßvater bis zum Urenkel von Hand zu Hand wandern kann; die schlechteste jene, die vor lauter Hast, mit dem Wandel der Generationen Schritt zu halten, auf der Stelle tritt.“

Ich muss kurz ausholen, denn es gibt tatsächlich Gründe, die mich diesen Absatz in dem 500-Seiten-Wälzer heute Morgen so rasch finden ließen.

Es war 2008, ich hatte gerade erst als studentische Aushilfe im Community-Team des frisch gestarteten Zoomer.de angefangen, und schon beauftragte man uns damit, auch die Kommentare des befreundeten tagesspiegel.de zu betreuen (wen es interessiert: die waren schon damals schrecklich) - schlichtweg, weil bei den Zoomers nichts zu tun war. Da las ich Peter de Mendelsohn und dachte: Ja, verdammt, macht Sinn. Kein Jahr später war Zoomer.de abgewickelt, Teile der Redaktion in Zeit Online integriert und die Website frei, um von einem Fotografen aus Hilden übernommen zu werden.

Nun ist es umgekehrt gelaufen, und aus Zeit Online hat sich eine Redaktion herausgeschält, die wiederum die Generation erreichen soll, die man schon 2008 für klassische Verlage unerreichbar hielt.

„ZEIT ONLINE hat Nachwuchs: Ab heute finden Sie bei http://ze.tt, bei Facebook und Twitter ein neues Onlineangebot, das für Leserinnen und Leser zwischen Schulabschluss und erstem Jobwechsel gedacht ist. Das erste Konzept für ze.tt ist bei ZEIT ONLINE entstanden – von vornherein mit der Prämisse, es auszugründen, um uns selbst abseits unserer Redaktionsräume Konkurrenz zu machen. Eine Aufgabe von ze.tt, meinten wir, könnte es sein, etwas Unordnung in unseren geordneten Onlinejournalismus zu bringen, unsere Selbstgewissheit zu stören, uns zu ärgern, zu verwirren, neue Wege zu beschreiten, sowohl journalistisch als auch technisch“,

schreibt Jochen Wegner bei Zeit Online, was die Redaktion wie folgt auf der eigenen Seite ergänzt:

„Ab sofort erzählen wir euch jeden Tag Neues, wollen euch auf Ideen bringen oder einfach nur für ein bisschen gute Unterhaltung sorgen. Vor allem will ze.tt euch Gesprächsstoff liefern. Wir freuen uns, wenn ihr am WG-Tisch über unsere Artikel und Videos diskutiert oder Links zu unseren Beiträgen in euren WhatsApp-Gruppen teilt.“

2008 hieß der heißeste Scheiß in diesem Internet StudiVZ und MySpace. Also bemühte sich Zoomer, Nachrichten mit Community zu verbinden.

Heute werden Buzzfeed-Artikel über WhatsApp geteilt. Also versucht Ze.tt das nachzubauen, was zu Schlagzeilen führt wie „Get Rich or Die Tryin – 50 Cents Hits müssen umgerhymed werden“ und „Was man mit 100 Millionen Dollar noch anstellen kann, außer Helene Fischer zum Schweigen zu bringen“. Was, lieber Jochen Wegner, kein neu beschrittener Weg ist, sondern der ausgelatschte Pfad Richtung heftig.co. Mit einem Problem: Dort will man wirklich nur unterhalten und Klicks abgreifen. Bei Ze.tt hingegen hat zum Schluss noch jemand quergelesen und sichergestellt, dass der Spaß auch pädagogisch vielleicht nicht wertvoll, aber zumindest nicht schädlich ist. Karoline Meta Beisel bringt das in der SZ auf den schönen Satz:

„Wer aber Unordnung verbreiten will, der sollte dabei nicht klingen wie der Klassenstreber.“

Neugründungen am ersten Tag niederzumachen ist ziemlich fies. Vermutlich sind die Macher von Ze.tt nicht nur sehr gut frisiert (Beweisbild hier), sondern auch unfassbar sympathisch und definitiv ambitioniert. Aber sie haben eine seltsame Zielgruppe und gehen mit einem Produkt auf den Markt, das es anderswo schon konsequenter gibt. Das ist schlecht.

Andere sehen das anders:  

„Augenhöhe mit BuzzFeed und HuffPo erreicht das Portal am ersten Tag erwartungsgemäß noch nicht. Die Macher scheinen aber eine Idee davon zu haben, wie schneller Journalismus für die Generation YouTube funktionieren kann.“ (Markus Trantow, turi2)

„Das ist auf Anhieb gelungen.“ (Marvin Schade, Meedia)

Bei DWDL hingegen findet sich Unterstützung für meine These – in Form der Meldung, dass DuMont die Printausgabe der erst im Oktober gestarteten Xtra einstellt (siehe Altpapier). Online lassen sich Artikel wie „Welchen FC-Spieler solltest Du heiraten“ und „Deshalb solltest Du NICHT in Ehrenfeld leben“ (Ähnlichkeiten mit bereits weiter oben zitierten Schlagzeilen sind nicht rein zufällig) weiter lesen.

„So richtig eingestehen will DuMont einen Fehlschlag übrigens trotzdem nicht. Schon als man die Tageszeitung einstellte, sprach der Verlag trotzig von einem ,erfolgreichen Markttest’. Nun heißt es, dass das Print-Produkt zur ,Steigerung der crossmedialen Markenbekanntheit’ beigetragen habe. Das brachte aber augenscheinlich ziemlich wenig: Die Facebook-Seite zählt derzeit nur wenig mehr als 2.500 Fans, wie Twitter folgen gerade mal 284 Leute den Tweets von ,XTRA_koeln’. Aus dem Google-Play-Store wurde die kostenlose Xtra-App weniger als 1.000 Mal heruntergeladen.“

Vielleicht ist es Zeit, dass Verlage mal wieder eine eigene Idee haben, statt weiter von Anderen zu kopieren.

[+++] Kommen wir von Zeitungen zum Fernsehen und damit zum lebenden Beweis, dass es dort mit der Segmentierung nach Alter durchaus funktioniert. Oder richten sich die Dritten Programme ernsthaft auch an Menschen diesseits der 80?

Doch auch was sie machen, ist nicht in Ordnung, lautet das Fazit einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die sich den Informations- und Unterhaltungsgehalt der Sender einmal genauer angeschaut hat: 

„Die aktuellen Ergebnisse bestätigen, dass Human-Touch-Berichterstattung in den Dritten Programmen inzwischen ein ähnliches Ausmaß wie bei der privaten Konkurrenz erreicht hat. Insgesamt liegt der Informationsanteil ohne kurzfristige Wiederholungen beim WDR – ähnlich wie bei SWR und NDR – mit rund 50 Prozent deutlich unter dem kolportierten Informationsanteil von bis zu 70 Prozent. Beim MDR beträgt er sogar nur 37 Prozent. Erreicht werden diese Werte nur durch einen durchgehend hohen Anteil an Ratgebersendungen. Legt man einen engeren Informationsbegriff (politische Information und Berichterstattung über gesellschaftlich kontrovers diskutierte Themen) an, so sinkt der Programmanteil bei WDR und MDR auf rund 15 Prozent – er liegt damit allerdings immer noch leicht über dem Vergleichswert von NDR und insbesondere SWR. Unter den untersuchten Sendern ist der MDR mit Abstand der unterhaltungsorientierteste. (...) Die vorliegende Studie lässt Zweifel daran aufkommen, ob der WDR und insbesondere der MDR ihrem Programmauftrag in vollem Umfang gerecht werden.“

Das gesamte Werk in seiner 62-seitigen Schönheit lässt sich hier nachlesen. Etwas kompakter haben es Tagesspiegel/epd und kress.de; bei DWDL gibt es die Gegenrede.  

[+++] „Was Wolfgang Donsbach als Mitglied der globalen Wissenschaftsgilde erforschte und erlebte, das wollte er auch als Bürger zeigen: Öffentlich agierte er gegen rechtsradikales Gedankengut, er verteidigte die Medien gegen die Verleumdung als ,Lügenpresse’ (ohne deren Versäumnisse zu negieren), er war Repräsentant einer auf Internationalität ausgerichteten Willkommenskultur in Dresden.“

So erinnert Joachim Huber im Tagesspiegel an den am Sonntag verstorbenen Kommunikationswissenschaftler. Auch die TU Dresden gedenkt dem Gründungsdirektor ihres Instituts für Kommunikationswissenschaft.


Altpapierkorb

+++ Jahrzehntelang haben die Frauen geschwiegen, die Bill Cosby sexuell missbraucht haben soll. Nun hat das New York Magazine ihre Geschichten zusammengetragen. Und dann haben Hacker die Website lahmgelegt. „And with that, the voices of women who had refrained from going public with their accusations against Mr. Cosby were again interrupted“, schrieb gestern die New York Times und lieferte zudem einen Ausweg: Die Wayback-Machine hat die Seite bereits archiviert. Damit ist der Artikel hier aufrufbar. +++

+++ In den schottischen Highlands werden zwölf Journalisten entlassen und durch bestausgebildete Inder ersetzt, die schlechtmöglichst bezahlt werden: So läuft das nun in den Medien, dokumentiert der Guardian. +++

+++ „Das mediale Bashing wirkt in der Bewegung identitätsstiftend, denn der Großteil der Journalisten reduziert Pegida auf eine tumbe rechtsradikale Masse. Viele wollen nicht wahrhaben, dass sich ein außerparlamentarischer Protest von rechts entwickelt, der in der fremd-fremdelnden Bürgerschaft Dresdens auf fruchtbaren Boden fällt.“ Ulrich Wolf, Redakteur der Sächsischen Zeitung, im Blog von Stefan Niggemeier über Pegida und die Berichterstattung darüber. +++

+++ In London wird ein Mann freigesprochen, der einen islamistischen Terroranschlag geplant haben soll, und niemand darf berichten. „Das Verfahren ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr selbst im traditionell liberalen Großbritannien Bürgerrechte im Kampf gegen die Terrorgefahr eingeschränkt werden“, erklärt Björn Finke auf der Medienseite der SZ. +++

+++ Dort wird zudem „Das Golddorf – Asyl im Heimatidyll“ – eine ARD-Doku über Flüchtlinge im Chiemgau – besprochen, der sich auch Oliver Jungen in der FAZ widmet. „Der Clou des Films ist so schlicht wie wirkungsvoll: Was die beiden zu Hauptprotagonisten erkorenen jungen Männer aus Afghanistan und Eritrea sagen (...), das ist dem nichtbayerischen Zuschauer so nah und vertraut, dass er die beiden Männer als Identifikationsfiguren innerhalb dieser kuriosen Bilderbuchwelt wahrnimmt. In Hamburg, Berlin oder Köln würden die Schuhplattlergesellen weit fremder wirken als die beiden polyglotten Migranten. Heimat, man spürt es geradezu, ist kein Ort.“ +++

+++ Des Weiteren in der FAZ: Adrian Lobe zu zehn Jahre Reddit. +++

+++ Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Form des SWR holt LeFloid für ein Gaming-Format namens „1080NerdScope“. Das lässt sich in der Pressemitteilung oder zum Beispiel bei Spiegel Online nachlesen, wo es zudem einen Trailer mit Lama-Witz zu sehen gibt. +++

+++ 800 Euro. Das kostete es einen Dortmunder Neonazi, im vergangenen Jahr einen Kameramann umzuschubsen. Die Ruhrbarone haben zusammengetragen, was teuer kommt – zum Beispiel Sex auf dem Balkon oder einen Staatsanwalt als dümmsten der Welt zu bezeichnen. +++

+++ Solange sich die Kulturminister weiter weigern, Medienkompetenz zum Schulfach zu ernennen, muss das Fernsehen die Lücke füllen. Ist vielleicht ein Grund von vielen, der den Kinderkanal am 8. August ein wöchentliches Medienmagazin für Grundschüler mit Namen „Timster“ starten lässt (Quelle: Pressemitteilung). +++

+++ Was in den kommenden Monaten bei RTL alles laufen soll, hat Alexander Krei bei DWDL zusammengetragen. +++

+++ „Das ZDF war nie und wird nie der Sender sein, der seine Zuschauer bis zum Platzen erregt. Mainzelmann ist ein Betthupferl und nicht der Chefanimateur im erweiterten Schwingerclub. Bei ,Liebe machen kann man lernen’ liegt die Betonung auf der Pädagogik, der Praxis der Lust. Verzweifeln muss keiner, Potenzial gibt es genug“, schreibt Joachim Huber im Tagesspiegel über die heute anlaufende Aufklärungsreihe „Make Love“, die das ZDF vom MDR geerbt hat. +++

+++ Am Ende des Monats werden die Erwähnungen der NZZ-Medienartikel seltener, und falls Sie glauben, das habe etwas mit der dortigen Paywall-Politik zu tun, haben sie völlig recht. Daher kann hier nur nach Teaser empfohlen werden: Ein Artikel über den britischen Boulevardjournalisten Neville Thurlbeck und einer über die Medienwelt in sechs Modellen. +++

Neues Altpapier gibt es morgen wieder. 

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