Propaganda mit der "Metaphernmaschine"

Propaganda mit der "Metaphernmaschine"
Heute ist das Thema Griechenland und der Umgang der Medien damit. Wer bisher nicht den Unterschied zum politischen Aktivismus kannte, hat aktuell Gelegenheit ihn kennenzulernen.

Spätestens mit der Ankündigung eines Referendums Freitag Nacht bestimmt Griechenland wieder die deutschen Medien. Selbst die Terroranschläge in der vergangenen Woche rücken in den Hintergrund, weil jeder den historischen Wendepunkt ahnt, der mit den kommenden Ereignissen in Athen und Europa verbunden sein könnte. Die Gefahr weiterer Anschläge wird uns dagegen erhalten bleiben. Die Medien sind dabei nicht nur der Schauplatz für die politischen Auseinandersetzungen handelnder Akteure geworden. Sie werden selber Teil dieses Konflikts, weil jeder Beobachter dazu neigt, seine bisherigen Interpretationen der Krise auf deren Höhepunkt fortzuschreiben. Das durchzieht die Medien in gleicher Weise wie die Politik. Dann ist entweder die Troika für die Zuspitzung verantwortlich oder die linke Regierung in Athen.

Warum politische Akteure an diesem Narrativ ein Interesse haben, ist einfach zu beantworten. Die berühmte Deutungshoheit ist schließlich das wichtigste Instrument, um die eigene Politik vor den eigenen Anhängern zu legitimieren. Nur warum müssen sich Medien daran beteiligen? Kein Journalist ist ein politisches Neutrum. Jeder hat seine politischen Überzeugungen und ideologischen Annahmen. Aber das Spannende am Journalismus ist ja gerade nicht das, was das eigene Weltbild stabilisiert, sondern in Frage stellt. Dann öffnet sich erst der andere Blick auf die Ereignisse. Aber das ist eine schwierige Position zwischen den Stühlen. Und Journalisten funktionieren nicht anders als ihre Leser. Sie wollen in ihren Grundannahmen lieber bestätigt werden als irritiert.

+++ So nutzt Georg Diez in seiner Spiegel Online Kolumne den Propagandabegriff, um die schiefen Ebenen journalistischer Berichterstattung über Griechenland deutlich zu machen. Ob es den Begriff „Rettung“ betrifft oder „Staatsstreich“. Diez zeigt wie in der Wortwahl die moralische Beurteilung mitschwingt und zum Teil der politischen Dramaturgie solcher Ereignisse wird.

„Stattdessen wird immer wieder neu auf den Showdown hingeschrieben, was nur die Krisenrhetorik der "Retter" bedient, die den permanenten Notstand brauchen, um ihre drastischen Maßnahmen zu legitimieren - der Journalismus engagiert sich in einer Eskalationsdramaturgie, die in der Atemlosigkeit keinen Platz zum Nachdenken lässt.“

Nun erschien der Artikel am späten Freitag Nachmittag. Diez konnte nicht wissen, was in der Nacht zu Samstag mit der Ankündigung eines Referendums in Athen noch passieren sollte. Plötzlich wurde der Showdown Wirklichkeit, der vorher mehr eine journalistische Phrase gewesen ist als politische Realität. Diese Sichtweise des FAZ-Herausgebers Holger Steltzners entsprach der bis dahin verbreiteten Erwartung und bisherigen Erfahrung mit der europäischen Politik. Am Ende wird sich alles in einem politischen Kompromiss wiederfinden, den man gewohnheitsmäßig „faul“ nennt. Deren Vorteile werden ja erst sichtbar, wenn plötzlich die Bereitschaft zu faulen Kompromissen nicht mehr vorhanden ist. Das ist beim Thema Griechenland bekanntlich der aktuelle Sachstand am Montag morgen.

+++ Aber dafür gibt es einen interessanten Artikel von Lisa Caspari, der das Überraschungsmoment schildert, dem die Politik bisweilen ausgesetzt ist. Der Ernstfall war da und die SPD musste ihre Interviews ändern. Die Interpretation des Referendums hatte sich am Samstag Mittag nämlich gegenüber der in der Nacht und am Vormittag geändert.

„Klar ist nur, dass sich alle drei SPD-Spitzen danach hektisch revidierten. So veranlasste Steinmeier die Redaktion der Welt am Sonntag dazu, seine Antwort zu Griechenland ins Gegenteil zu verwandeln. Er verstehe nicht, dass die griechische Regierung sein Volk "in Geiselhaft nimmt, um Europa weitere Konzessionen abzutrotzen" hieß es dann in der Version, die am Sonntag verkauft wurde. Ähnlich war es bei Gabriel. In der SPD erklärt man den Fauxpas so: Niemand in der Parteispitze habe Samstagfrüh gewusst, dass die Referendumsankündigung durch Tsipras in Wahrheit eine Provokation gewesen sei – weil in Brüssel die Verhandlungen angeblich kurz vor einer Einigung gestanden hätten.“

Selbst über diese kurz bevorstehende Einigung war man sich in der SPD allerdings nicht sicher gewesen, wie in dem Artikel weiter zu lesen ist. Wen wundert es dann noch, wenn die Medien angesichts dieser Verwirrung selber keine Klarheit schaffen können? Der Bundeskanzlerin ist das aber nicht vorzuwerfen. Sie hat sich zu dem Thema bisher nur in jener Unverbindlichkeit geäußert, die ihr alle politische Handlungsoptionen offen hält. Bisher machte diese Strategie Sinn macht, um nicht der Eskalationsdynamik zu früh zum Opfer zu fallen. Man könnte aber auch die Vermutung haben, dass diese Zurückhaltung erst die Eskalation möglich machte. Aber diese Frage müssen wohl zukünfitge Historiker klären.

+++ Wie sehr Sprache unser Denken prägt, ist keine neue Erkenntnis. Nils Markwardt nimmt aber den Gedanken von Dietz auf, um ihn durch eigene Beobachtungen zu ergänzen. Die Berichterstattung über Griechenland werde von einer "Metaphernmaschine" angetrieben, die zuverlässig die immer gleichen Bilder zur Beschreibung des ökonomischen Ausnahmezustandes ausspuckte, so Markwardt. Das bedauerliche daran sei nicht einmal die enervierende Redundanz und das intellektuelle Desinteresse, das daraus spricht, sondern vielmehr die politische Wirkmächtigkeit, die diese Metaphern langfristig entfalteten. Daraus zieht er Schlussfolgerungen, die in den kommenden Tagen in der Griechenland-Berichterstattung Berücksichtigung finden sollten.

„Nun mag man derlei für feuilletonistische Spitzfindigkeiten halten. Sollte man aber nicht. Welche Metaphern wir zur Schilderung politischer und wirtschaftlicher Prozesse benutzen, ist keineswegs gleichgültig. Sie hinterlassen nachhaltige Spuren in unserem Denken. Sie schleichen sich, um den kognitiven Linguisten George Lakoff zu zitieren, "auf leisen Sohlen ins Gehirn". In seinem gleichnamigen Buch zeigt der in Berkeley lehrende Sprachwissenschaftler, wie nachdrücklich sie unsere Wahrnehmung strukturieren. Bedeutet das griechische Verb metaphérein soviel wie "anderswohin tragen", verfrachten Metaphern unsere Gedanken unbewusst an bestimmte Orte. "Metaphors hide and highlight" heißt es im Englischen. Sie verstecken und heben hervor, akzentuieren gewisse Aspekte eines Thema und vernachlässigen andere.“

In der heutigen Medienlandschaft sind die klassischen Medien keineswegs mehr die einzigen Mitspieler der Politik. Neben Institutionen, die ansonsten auch mitmischen, treten über die sozialen Netzwerke politische Aktivisten auf dem Plan, die ihre eigenen politischen Perspektiven durchsetzen wollen. Denen geht es nicht um journalistische Unabhängigkeit oder kritische Distanz zu allen Akteuren. Sie wollen Politik mit einem Beitrag auf Twitter oder Facebook Politik machen. Es sind Kämpfer für die Deutungshoheit ihres jeweiligen politischen Lagers.

Politiker nutzen diese Netzwerke selbst, wie uns in den vergangenen Tagen nicht nur Alexis Tsipras oder Giannis Varoufakis demonstriert haben. Deren Tweets dienen vor allem zur Mobilisierung der eigenen Anhänger in der Meinungsschlacht. Die klassischen Medien können sich dem zwar nicht entziehen, haben aber eine andere Aufgabe. Sie müssen nicht als bloße Verstärker dieser Prozesse dienen, sondern ein kritischer Resonanzboden bleiben. Ansonsten verliert diese Gesellschaft ihre Reflexions- und damit auch Kritikfähigkeit. Die wird man in den kommenden Tagen aber brauchen. Griechenland hat nämlich das Potential für eine historische Wende Europas, wenn auch niemand wissen kann, wohin sie führt.


Altpapierkorb

+++ Um die Griechenland-Berichterstattung ging es auch bei Texte, Töne, Bilder auf WDR 5. Dort findet man auch noch einen Beitrag über die Festnahme des von Ahmed Mansour. Ansonsten erkennt Thomas Knüwer das Potential von Twitter für Politiker. Deren Pressemitteilungen lesen ja auch nur Journalisten bevor sie sie in den Papierkorb werfen.

+++ Der Focus macht mit Griechenland auf, während sich der Spiegel mit dem Innenleben des IS beschäftigt. Dafür hat der Spiegel ein Interview mit Frank Plasberg, der sich über Günther Jauch äußert und damit zugleich etwas über sich selbst aussagt. "Du kannst nicht der gefühlte Bundespräsident sein und ein kantiger erster Journalist. … . Ich beneide Günther Jauch. Er ist so alt wie ich und hat einen Jungens-Charme, mit dem kann er machen, was er will. Diese Reflexe, dieser Dackelblick, dem kann keiner böse sein. Aber das alles lässt sich eben nicht vereinen mit der Aufgabe eines konsequenten Fragers, der nicht die Sympathien auf sich zieht, der eher wie ein Oberlehrer oder arrogant daherkommt." Der Oberlehrer Plasberg wird sich heute Abend übrigens auch mit Griechenland beschäftigen. Sicher ohne Dackelblick.

+++ In der FAS beschäftigte sich Friederike Haupt mit dem fast schon wieder vergessenen Fall des britischen Nobelpreisträgers Tim Hunt. Er hatte „unter dem Druck des Fäkalsturms seine Honorarprofessur am University College London aufgegeben. Die Hochschule zeigte sich angetan von der Entscheidung. Es gehe ihr schließlich um Gleichberechtigung und Vielfalt. Auch das Dokument, das jetzt kursiert, ändert nichts mehr. Es ist ein Gedächtnisprotokoll von Hunts Vortrag, geschrieben von einem Mitglied des Europäischen Forschungsrates. Hunt habe direkt im Anschluss an seinen Spruch deutlich gemacht, dass er einen Witz versucht habe („Jetzt im Ernst.“)“. Frau Haupt nutzt aber die Gelegenheit, um sich grundsätzliche Gedanken über die Funktionsmechanismen digitaler Öffentlichkeiten zu machen. „Ist aber tatsächlich egal. Eigentlich geht es darum, dass Menschen es nicht mehr aushalten, wenn jemand etwas anderes denkt als sie selbst. Und das dann auch noch ausspricht. Dabei geht es um angeblich unzeitgemäße Ansichten. An Universitäten ist das ein besonderes Problem. Sie müssten Orte des zivilisierten Streits sein, nicht des Krieges (im Streit werden Argumente ausgetauscht, im Krieg niedergeschossen). An vielen Hochschulen läuft es inzwischen auf Krieg hinaus.“

+++ Zum Umgang mit digitalen Medien auch dieser Artikel in der österreichischen „Presse“. Autor ist der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen: „Wir sind es, die darüber entscheiden, was wirklich wird – ob sich die Öffentlichkeit in eine Sphäre des Spektakels verwandelt oder in eine Welt der wechselseitigen Ermutigung und des Arguments, der nützlichen Enthüllung und der klärenden Debatte. Das sind der Schrecken und die Schönheit der Gegenwart, unserer digitalen Zeit. Sie verlangt uns ab, dass wir die Welt des Jahres 2048 gemeinsam erfinden.“

+++ Im Medienmagazin geht es um ein Jubiläum: Tilo Jung hat 500mal aus der Bundespressekonferenz berichtet. Er ist zweifellos ein belebendes Element in dieser altehrwürdigen Institution geworden, um den Ritualen einer politischen Rhetorik auf die Spur zu kommen, die immer etwas verschweigen muss, wenn sie etwas ausspricht. Das geht aber nicht nur der Politik so. Deswegen wird aber der Papst nicht seine Medien neu ordnen, so ist zu vermuten. Um etwas mitzuteilen, wollte wohl die Regierung Saudi-Arabiens bei deutschen Journalisten wegen Unterstützung anfragen. 7.500 € im Monat sollte es dafür geben. Um das Auspeitschen von Bloggern zu legitimieren, wäre das ein angemessenes Salär.

+++ Um das Thema Informationsfreiheit machte sich Manuel Bewarder verdient. Wogegen die Klage des Springer-Verlages wegen der Akten des NSU-Terroristen Mundlos erfolglos geblieben ist. Über das Verhältnis der Medien zum Terrorismus gibt es dagegen diesen Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Aus Angst vor digitalen Angriffen hat der Bundestag darüber hinaus zehntausende Webseiten gesperrt.

+++ Schließlich ist am Sonntag der frühere ORF-Generalintendant Gerd Bacher gestorben.

+++ Was jetzt auch nicht mehr fehlt? Der link zu dem Artikel der Süddeutschen Zeitung über Saudi-Arabiens Verhältnis zu deutschen Journalisten.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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