Heckler und die Hecklophilen

Heckler und die Hecklophilen
Die Pressesprecherin von Eon und der Chef der Berliner Senatskanzlei wollen aus unterschiedlichen Gründen nichts sagen bzw. nicht in der Zeitung lesen, was sie gesagt haben. Medien verwenden den Begriff „Islamismus“ so gern, weil er so unscharf ist. Außerdem: Wie waffenfirmenkritische Journalisten beinahe ausgespäht worden wären. Warum die Fernsehkritik das Hinschauen besser lernen muss.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) steht, im Gegensatz zu Verfassungsschutz und BND, selten im Blickpunkt der Berichterstattung über Geheimdienste. Derzeit ist das anders. Das haben die Abschirmer dem Waffenhersteller Heckler & Koch zu verdanken, der den MAD wegen Enthüllungen über ein Produkt des eigenen Hauses zum Eingreifen bringen wollte, was bei Mitarbeitern der Rüstungsabteilung des Verteidigungsministeriums durchaus auf Gegenliebe stieß. Christoph Hickmann schreibt dazu in der SZ:

„In einer Vorlage aus der Abteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (AIN) von März 2014 heißt es, am 20. November 2013 hätten ‚die Geschäftsführer des Unternehmens‘ (also von Heckler & Koch) den damaligen Präsidenten des MAD besucht, Ulrich Birkenheier, ‚mit dem Petitum des Tätigwerdens‘. Dies sei wegen der ‚systemischen Bedeutung‘ der Firma für die Bundeswehr geschehen, außerdem wegen ‚der bereits jahrelangen negativen und in Teilen falschen Medienberichterstattung‘ (...)".

Das Ziel der ehrenwerten Kaufleute und der „Hecklophilen“ im Ministerium: Der MAD sollte die Journalisten ausspähen und vor allem den Whistleblower bei der Armee finden. „Hecklophil“ ist, nebenbei bemerkt, ein Kandidat für den Neologismus der Woche.

Die taz dazu: 

„In dem Papier beklagten sich (Ursula von der Leyens) Beamte vor allem über die miesen Schlagzeilen, die die Herstellerfirma Heckler & Koch bekam, als sich die Pannenserie des Bundeswehr-Gewehrs G 36 anbahnte. ‚Die öffentliche Meinungsbildung wurde offensichtlich durch mehrere Journalisten gesteuert‘, schrieben sie. Und weiter: ‚Grundlage dieser Berichterstattung waren auch interne, teils als Verschlusssache eingestufte Dokumente der Bundeswehr.‘“

Spiegel Online schreibt, in der Vorlage seien

„als Anlage (...) mehrere Spiegel-Beiträge abgeheftet, in mehreren Geschichten hatten das Magazin und Spiegel Online seit März 2012 die Probleme des G36 enthüllt, das heiß geschossen an Treffgenauigkeit verliert. In der Vorlage werden diese und andere Beiträge aus der taz und Die Zeit als ‚unwahre Medienkampagne‘ bezeichnet, die nur der MAD stoppen könne.“

In der Überschrift ist von einem „Problemgewehr“ die Rede, vielleicht, weil das so griffig klingt wie „Problembär“. Ich habe aber eher ein Problem mit Gewehren, die „heiß geschossen“ nicht an Treffgenauigkeit verlieren.

Hans-Martin Tillack (Stern) holt weiter aus, schließlich hatte er 

bereits vor zwei Wochen berichtet, (dass) Bedienstete des Ministeriums in Sachen G36 bereits im Jahr 2011 (planten), den MAD zu mobilisieren, um interne Quellen eines freien Journalisten aufzuspüren“.

Auf Zinne ist selbstverständlich DJV-Chef Mike Konken, der es „unglaublich“ findet, „dass die verantwortliche Ministerin den Frontalangriff auf die Pressefreiheit offenbar wie eine Bagatelle behandelt, die keine besondere Beachtung verdient“. Die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger spricht dagegen von einem „versuchten Angriff auf die Pressefreiheit" (zitiert im oben verlinkten SZ-Bericht), denn Heckler und die Hecklophilen wollten zwar den MAD zum Eingreifen bewegen, aber gelungen ist es ihnen nicht.

[+++] Die Versuche von Regierungsstellen, Berichterstattung zu unterbinden oder zu behindern - ein weites Feld. Ein Beispiel für eine andere Strategie beschreibt im Freitag Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell, der ein Interview mit Björn Böhning geführt hat, dem Leiter der Berliner Senatskanzlei. Thema des Gesprächs war auch Böhnings wenig segensreiches Wirken als Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), die schon eine Weile auf der Suche nach einem neuen Leiter ist. Nach dem Interview passierte Folgendes:

„Die Kommunikation – Anrufe, Mails – mit dem stellvertretenden Senatssprecher zog sich über fast zwei Wochen. Am Abend des 30. April teilte dann der  freundliche Herr Schodrowksi (der Senatssprecher - RM) mit, was die Verzögerung der Autorisierung ahnen ließ: dass die Langfassung des Gesprächs nicht freigegeben würde. Das Bündel an Erklärungen dafür blieb vage: Böhning habe Sorge, nicht ganz korrekt verstanden zu werden.

Das wirft allerlei Fragen auf:

„Wie kann – und das ist die traurigste Position in der politischen Rhetorik der Berliner Senatskanzlei – jemand Sorge haben, falsch verstanden zu werden, wenn er sich nicht äußert? Auch in dem Gespräch verwies Böhning darauf, falsch verstanden, unfair wiedergegeben worden zu sein, als ich ihn etwa danach fragte, ob er in der DFFB-Vollversammlung, wie reportiert, von ‚Kunde‘ und ‚Produkt‘ geredet haben soll, als er ‚Zuschauer‘ und ‚Film‘ meinte. Woran aber soll man jemandes Begriff von den Dingen erkennen, wenn nicht an der Sprache, die er wählt? Was soll man mit jemandem anfangen, der sein Gesagtes als ‚falsch verstanden‘ dementiert, dann aber verweigert, sich ‚richtig‘ zu erklären? Die kommunikativen Ausweichbewegungen des Chefs der Berliner Senatskanzlei führen zu einer kniffligen Frage für philosophische Seminare: Ist es überhaupt möglich, Björn Böhning zu verstehen?“

Welche Interviewfragen dem Befragten wohl nicht gefallen haben, erwähnt Dell auch noch. Fünf Seiten weiter vorn, im „Medientagebuch“ des Freitags, beschreibt Felix Werdermann eine andere Art der Berichterstattungsbehinderung. „Wenn Journalisten kritisch nachfragen, tricksen Unternehmen“, schreibt er, und die ausführende Trickserin ist in diesem Fall die Pressesprecherin des AKW-Betreibers Eon, die eine Anfrage Werdermanns nicht beantworten will. Begründung: Zeitmangel. Der Autor weiter:

„Mein Artikel wird gedruckt, online erscheint er aber erst zwei Wochen später, ich kann ihn ergänzen. Also bitte ich die Pressesprecherin erneut, meine Fragen zu beantworten. Jetzt erst rückt sie damit heraus, dass sie sich zu den Fragen gar nicht äußern möchte. Hätte ihr das nicht schon vorher einfallen können?“

[+++] Tim Slagman ist ebenfalls als Autor für den Freitag tätig, aber das sei hier nur erwähnt, um einen Übergang hinzukriegen zu einem Artikel, den er für die Medienkorrespondenz geschrieben hat. „Die Fernsehkritik muss das Hinschauen besser lernen“, lautet die Quintessenz. Slagman meint: 

Viel zu viele Besprechungen von Fernsehfilmen lesen sich, als habe der Kritiker eine Theaterinszenierung auf leerer Bühne gesehen: Die Handlung wird in ihrer dramaturgischen Umsetzung beurteilt, gerne noch auf alltags- und gesellschaftspolitische Relevanz abgeklopft, den Schauspielern blickt man prüfend ins Gesicht – das war’s zumeist. Ausstattung, Szenenbild, Lichtsetzung, Einstellungsgrößen, Beweglichkeit der Kamera, Montage und Musik werden, wenn überhaupt, dann nur am Rande behandelt.“

Ein Problem sieht Slagman darin, dass zu viele Unspezialisierte am Werk sind:

„Die Fernsehkritik ist, zumindest personell, kaum von dem Journalismus zu unterscheiden, der sich um Medienpolitik und Medienökonomie kümmert, um Quotensinn und Quotenwahnsinn oder um Betrugsfälle bei Rankingshows und Rundfunkbeitragsdiskussionen. Ein FAZ-Ressortleiter etwa, zweifelsohne bestens bewandert in den zuletzt genannten Fachgebieten, bestritt eine Besprechung (Link von mir - RM) des im Herbst 2014 ausgestrahlten ARD-Fernsehfilms ‚Ein offener Käfig‘ (SWR) beinahe ausschließlich mit dem Nacherzählen von dessen Handlung.“

Alles richtig, aber zu ergänzen gäbe es einiges: Angesichts dessen, dass der Medienjournalismus ökonomisch gesehen ohnehin ein Auslaufmodell ist, ist es nicht besonders realitätsnah, implizit eine Spezialisierung auf einen Teilbereich einzufordern. Dass so viel nacherzählt wird, hat möglicherweise auch damit zu tun, dass als Kritiker oft Kollegen aus anderen Ressorts zum Einsatz kommen, die sich mit dem Thema des Films auskennen, denen aber Ausstattung und Montage möglicherweise piepenhagen sind. Nicht zuletzt ist es nicht unproblematisch, dass Rezensionen von Fernsehfilmen und Serien heute gern „ersetzt“ werden durch Interviews mit bzw. Porträts von Schauspielern, in denen dann Sätze stehen wie: „Auf dem Plüschsofa in einem Münchner Hotel nippt Atwell an ihrem eisgekühlten Energy Drink“ (SZ vom Mittwoch).

Aber nun genug der Einwände, zumal der heutige Aufmachertext der FAZ-Medienseite, gewidmet dem zweimal 90-minütigen arte-Film „Deckname Caracalla“, der auf den Memoiren des Résistance-Kämpfers Daniel Cordier beruht, genau das bestätigt, was Slagman kritisiert.

„Deutschen Zuschauern vermittelt (der Film) einen Eindruck von der Komplexität des französischen Widerstands“, 

lobt Jürg Altwegg. In seinen ca. 5.000 Zeichen erfährt man über den Inhalt und die historischen Hintergründe zwar so einiges, aber man findet keine Silbe über die Bilder, die Erzählweise, den Schnitt und all das, was Slagman sonst vermisst. Zwei Passagen sind noch zitierenswert: 

„Als Cordier den unter der Regie von Alain Tasma gedrehten Film sah, wollte er nach den ersten Sequenzen über das Wechselbad seiner Gefühle aus dem Saal rennen.“

Und:

„Die deutschen Zuschauern wenig vertrauten Schauspieler Jules Sadoughi und Eric Caravaca überzeugen als Cordier und Jean Moulin.“

Zitierenswert sind sie deshalb, weil sie, um es in Anlehnung an eine Äußerung Slagmans zu sagen, mehr Fragen aufwerfen als beantworten.


Altpapierkorb

+++ Die unguten finanziellen Perspektiven von freien Journalisten sind immer mal wieder Thema im Altpapier. So offen wie der Österreicher Bernhard Torsch (Fisch + Fleisch), der „wegen (einer) Depression einen Job nach dem anderen verloren hatte“, schreibt allerdings selten jemand über seine Situation: „(Ich) komme (...) derzeit mit meiner journalistischen Arbeit auf nicht einmal 300 Euro pro Monat. Würde ich nicht noch das Reha-Geld der Krankenkasse beziehen, könnte ich nicht einmal meine Wohnung bezahlen.“ Trotz 15 Jahren Journalismus führe ihn der Arbeitsmarktservice in Österreich i.Ü. in der Kategorie „Hotel- und Gastgewerbe", weil er nach seiner Depression „drei Nächte lang als Nachtportier in einem Klagenfurter Hotel“ gearbeitet hatte.

+++ Im Februar hatten Josef Krieg und Markus Rhomberg in der SZ für eine nationale Medienstiftung plädiert (siehe dazu eine ausführliche Passage in diesem Altpapier), nun tun sie es auch in einem epd-medien-Leitartikel. Warum tun sie das? „Wenn die Budgets für die Entwicklung des (...) Personals ebenso gekürzt werden wie die Investitionen in innovative Projekte und Formate, stellt sich für uns die Frage, wo die notwendigen Impulse für eine Branche in ihrer Selbstfindungsphase herkommen sollen.“

+++ Der zweite Leitartikel in epd medien stammt von Eren Güvercin, der das Niveau des Islamdiskurses in den Medien kritisiert. Es geht unter anderem um „die Verwendung von unbestimmten Begriffen wie ‚Islamismus‘“: „Die Unbestimmtheit des Begriffs ‚Islamismus‘ hat fatale Folgen. Im Islamdiskurs wird als Islamist einerseits der Moscheegänger bezeichnet, der Mitglied in einem Moscheeverband ist, (...) der nur im Verdacht steht, ‚islamistisch‘ zu sein, aber nicht verboten ist. Gleichzeitig wird der Begriff ‚Islamismus‘ aber auch für politische Ideologen und Hetzer sowie militante Terrorgruppen verwendet (...) Diese Unschärfe hat den Begriff ‚Islamismus‘ so erfolgreich werden lassen.“ Zudem werde in solchen Artikeln der Islam „gar nicht mehr als Religion wahrgenommen“.

+++ Auf der SZ-Medienseite würdigt „MAD“ - ein Kürzel, das heute Aufmerksamkeit erregt - das 40-jährige Jubiläum der Medien-Dienstleistungsgesellschaft (MDG), die kirchliche Medien berät.

+++ Dietrich Leder (Medienkorrespondenz) fragt, wie das ZDF, nachdem es die Verfilmungen von drei Jan-Seghers-Romanen um den Frankfurter Kommissar Robert Marthaler produzieren ließ, mit dem neuesten Roman der Reihe umgehen wird: „Die dritte Verfilmung ‚Ein allzu schönes Mädchen‘ lief (...) am 1. Mai bei Arte. Aber warum sollte das ZDF Probleme bei der Verfilmung des jüngsten, im Dezember 2014 erschienen Romans ‚Die Sterntaler-Verschwörung‘ bekommen? Weil Marthaler hier eine Verschwörung aufdeckt, die nahe, sehr nahe an der politischen Wirklichkeit Hessens angesiedelt ist und so etwas wie eine kriminalistische Erklärung von zumindest rätselhaften Vorgängen der hessischen Landespolitik liefert. Dies genau so zu erzählen, wie es in ‚Die Sterntaler-Verschwörung‘ geschieht, wird das ZDF, dessen Aufsichtsgremien noch stark von Politikern (auch aus Hessen) bestimmt sind, in absehbarer Zeit nicht wagen. Jede Wette!“

+++ Der Jahrestag des Urteils gegen den saudi-arabischen Blogger Raif Badawi ist Anlass für Texte in der FAZ und der taz. „Die Organisation Reporter ohne Grenzen weist (...) darauf hin, dass seine Strafe kein Einzelfall sei, ‚sondern ein Auswuchs der systematischen Unterdrückung jeder abweichenden Meinung‘ in Saudi-Arabien (...) Zurzeit säßen in Saudi-Arabien mindestens zwei Journalisten und sieben Blogger im Gefängnis“ (FAZ). Die taz interviewt die Schwester Badawis: „Warum hat ausgerechnet Raifs Fall so viel Aufmerksamkeit erregt?“ - „Weil er besonders krass ist. Raif war noch nicht einmal Menschenrechtsaktivist (...) Wenn du einen harmlosen Blogger auspeitschst und zehn Jahre ins Gefängnis sperrst, werden die Leute hellhörig.“  

+++ Im Wirtschaftsteil der Zeit (Seite 32) stellt Elisabeth Niejahr die seit Februar amtierende Economist-Chefredakteurin Zanny Menton Beddes vor, die erste Frau an der Spitze des britischen Magazins, das, wie einem Infokästchen auf der Seite zu entnehmen ist, in Kontinentaleuropa 222.000 Exemplare verkauft. „Zu den Problemen der Welt, (...) das sehen viele Redakteure kritisch, falle der Redaktion zu oft ein und dieselbe Antwort ein: ein Plädoyer für ökonomische Strukturreformen. Das will Zanny Minton Beddoes ändern. Wie der Economist berichtet, soll in Zukunft weniger vorhersehbar sein, schreibt Niejahr. Am Rande erwähnenswert: An einer Stelle ist von „weibliche Abonnentinnen“ die Rede. Wird bei der Zeit an der Schlussredaktion gespart?

+++ Erstmals heute am Kiosk: die Zeitschrift Walden. Keine Hommage an den 1984 verstorbenen Springer-Rüpel Matthias Walden, sondern „das Magazin, auf das Männer gewartet haben, die Sehnsucht nach der Natur verspüren“ oder „ein Kanu selber bauen wollen“, wie uns Gruner + Jahr vertellt (siehe auch Kriegsreporterin neulich). Wollen Frauen nicht in die Natur zurück? Warten sie anmutig in den Städten, bis die Trapper wiederkommen? Im Heft begegnet man einer Frau erst spät“, schreibt dazu Gerhard Matzig in der SZ. meedia.de und das Hamburger Abendblatt haben das Heft ebenfalls schon gelesen. In der SZ und im Abendblatt sind die Walden-Besprechungen die längsten Texte auf der heutigen Medienseite. Das scheint mir, angesichts dessen, was sonst zu kurz kommt oder gar nicht vorkommt, nicht ganz angemessen zu sein.  

+++ Zum Schluss, nach „hecklophil“ (siehe oben), noch ein weiterer Kandidat für den Neologismus der Woche: „Entguardiolisierung.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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