Journalisten als Staffage

Journalisten als Staffage
Heute Nacht wurden die Oscars vergeben. Den bekommt aber nicht in der Bundespressekonferenz, wer jung und naiv ist. Ansonsten sorgt sich die deutsche Wirtschaft um den Journalismus. Leider muss man sagen: Mit gutem Grund.

Institutionen haben nicht unbedingt einen Sinn, sondern sie sind erst einmal nur da. Der Sinn ergibt sich aus der Praxis. Schließlich hat man das schon immer so gemacht. Ein gutes Beispiel sind die Pressekonferenzen der Bundesregierung in den Räumen der Bundespressekonferenz. Dort verkünden die Sprecher von Kanzler und Ministerien dem Volk die Sichtweise der Regierung.

Es ist nicht so, dass wir diese altehrwürdige Institution noch brauchten. Schließlich muss sich auch niemand mehr auf den Marktplatz stellen, um den Bürger über die Willensbekundungen des Fürsten zu informieren. Die Regierung verfügt mittlerweile über unzählige Informationskanäle. Auch die dort anwesenden Journalisten wollen in diesen Pressekonferenzen nicht erfahren, was die Bundesregierung denkt, sondern lieber vorher schon Informationen von den zahllosen Strippenziehern exklusiv bekommen. Im medialen Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit ist diese Exklusivität die einzige Währung, die zählt. Der Chef des Bundespresseamtes berichtet dort nur noch von dem, was alle schon längst wissen. Die Funktion des Regierungssprechers Steffen Seibert, dort oben in der Bundespressekonferenz sitzend, besteht darin, den alltäglichen Fallstricken regierungsamtlicher Widersprüche auszuweichen. Sein Prestige bei den Journalisten hängt dabei von seinem künstlerischen Ausdruck ab. Gewissermaßen der B-Note in diesem Eiskunstlaufwettbewerb. Je eleganter die rhetorischen Pirouetten, umso größer die professionelle Anerkennung durch die Meute namens Berliner Hauptstadtjournalismus. Der verstorbene Klaus Bölling ist dafür legendär gewesen. Ansonsten braucht man diese Regierungspressekonferenzen bestenfalls noch für die Bebilderung im Fernsehen, wenn überhaupt. Aber sie ist nun einmal da und alle handelnden Akteure vermuten dort einen entsprechenden Sinn, über den man aber besser nicht nachdenkt. Da gibt es nichts Schlimmeres als Irritation. Diese formulierte, pars pro toto ist zu vermuten, der Kollege vom Deutschlandfunk, Falk Steiner. Es geht um Tilo Jung, der so gar nicht in diese altehrwürdige Institution hineinpasst. Er ist weder ein klassischer Journalist, noch repräsentiert er eine jener ebenfalls altehrwürdigen Institutionen, die seit den Anfängen der Bonner Republik den hiesigen Journalismus repräsentieren. Jung macht daher alles anders als alle anderen, was diese „nervt“, so Steiner. Er spricht das in seinem Blog aus, allerdings nicht ohne jene väterliche Attitüde eines Mannes, der wahrscheinlich schon an den Teegesprächen des Bundeskanzlers Adenauer teilgenommen haben muss. Der strenge Vorwurf Steiners?

„Und genau hier sind wir wieder bei Tilo. Denn der sitzt nun seit gut einem Jahr öfter in der Regierungspressekonferenz, filmt dort “seine” Fragen und Antworten und veröffentlicht diese danach. Manche seiner Fragen sind hilfreich, weil sie relativ undiplomatisch und direkt sind. Aber: sie sind in aller Regel auch ohne jede ernsthafte Vorbereitung gestellt. So kommt es regelmäßig vor, dass Tilo mehrfach Dinge fragt, die zwei Tage vorher in epischer Breite bereits behandelt wurden.“

Berliner Journalisten sind als Berichterstatter vor allem Experten in der Wiedergabe dessen, was Politiker in ihrer „Spezialdisziplin namens Bekämpfung des politischen Gegners“ (Richard von Weizsäcker), so zu sagen haben. Wie Jung darauf vorbereitet ist, ist von außen nicht zu beurteilen. Was aber zu beurteilen ist, ist das, was er so in den vergangenen Monaten als Ergebnis seiner teilnehmenden Beobachtung der Institution Regierungspressekonferenzen in das Netz stellte. Er war wirklich penetrant, vor allem wenn es um den Umgang der Bundesregierung mit den Thema „Folter in den USA“ ging. Im Berliner Alltag spielte das bald kein Rolle mehr. Dort geht es dann wieder um die Performance der Minister, wie sie im Berliner Hauptstadtdorf namens Mitte reüssieren. So sorgte Jung für die Irritation einer altehrwürdigen Institution, die keinen anderen Sinn mehr hat als den, nun einmal da zu sein. Er machte deutlich, worum es in den rhetorischen Pirouetten der Regierungssprecher geht: Alle drehen sich sprichwörtlich im Kreis. Darüber kann man durchaus genervt sein. Aber dafür braucht man tatsächlich die Außenperspektive, die Jung so unvermittelt in diese Pressekonferenzen hineingebracht hat. Darüber dürfen auch die nachdenken, die schon bei Adenauers Teegesprächen dabei gewesen sind:

„Die Journalisten sind Staffage, aber der Held (Adenauer F.L.) ist echt. Er trägt seine Überzeugungen vor. Er könnte mit seiner dürren Sprache nicht überzeugen, wenn er nicht überzeugt wäre. Er kann die anderen nur betrügen, weil er sich selbst betrügt.“

So Rudolf Augstein 1984. Er war zu diesen Gesprächen nie eingeladen gewesen. Echte Helden wird man im heutigen Berlin nicht mehr finden.

####LINKS####+++ Geheimdienste wollen bekanntlich alles wissen, um das auszuschließen, was sie nicht wissen müssen. Manchmal wissen sie aber auch etwas, was zu erstaunlichen Schlussfolgerungen führt, wie in der Welt zum NSU-Prozess zu lesen ist. Journalisten wollen auch alles wissen, aber im Fall des taz-Redakteurs Sebastian Heiser scheint das seltsame Formen angenommen zu haben. Er wollte, so der Verdacht, alles über seine Kollegen wissen. In der vergangene Woche angestoßenen Debatte über die Sonderseiten der SZ wunderte man sich ja schon über das gut sortierte Audio- und Textarchiv Heisers. Hat er das jetzt aber nicht als Teil journalistischer Recherche in einem konkreten Fall begriffen, sondern wie die NSA zum Prinzip gemacht? Diese Frage muss er beantworten, weil es nichts anders wäre als die „anlasslose Überwachung“ aller digitalen Aktivitäten, die uns die Dienste als Terrorabwehr vermitteln. Jenseits dessen gilt zum Thema Sonderseiten das, was von Stefan Winterbauer auf Meedia zu lesen war:

„Doch auch die Abwinker befassen sich nicht wirklich mit dem Thema. Sie gehen auch automatisch davon aus, dass in Beilagen-Redaktionen die Interessen der Anzeigenkunden über denen der Redaktion (und damit der Leser) stehen, bezeichnen dies aber als “normal” und nicht weiter schlimm, weil: Weiß ja jeder. Wurde immer schon gemacht. Beide Sichtweisen sind, zu Ende gedacht, Gift für die Glaubwürdigkeit von Medien.“

+++ Damit hat auch der Daily Telegraph nach der HSBC-Affäre weiterhin ein Problem. Nach Peter Oborne haben weitere Autoren das Blatt verlassen. Dafür liefert er aber ein gutes Beispiel für das Abwinken.

„In einem Leitartikel schrieb die Zeitung, sie habe sich nicht zu entschuldigen für die Berichterstattung über die Vorwürfe gegen HSBC, welche die BBC, der „Guardian“ und deren ideologischen Seelenverwandte in der Labour Party so begeistert aufgegriffen hätten. Der „Telegraph“ habe sich in dieser Angelegenheit wie in allen anderen Fragen auf sein redaktionelles Urteil und seine Werte gestützt und lasse sich nicht von der BBC, dem „Guardian“ und der „Times“ belehren, die ähnlich abfällig reagiert hätten, als der „Telegraph“ im Jahr 2009 den Spesenskandal im britischen Parlament aufgedeckt habe.“

Zwar ist Angriff manchmal die beste Form der Verteidigung, wie jeder PR-Berater weiß. Aber der kurzfristige Nutzen dieser Strategie steht im umgekehrten Verhältnis zu den strukturellen Problemen, die hinter solchen Affären deutlich werden. Am Ende ruiniert sie das knappe Gut Vertrauen in die Berichterstattung von Medien. Denn das einzige Ziel solcher Leitartikel ist der Versuch, aus den Schlagzeilen herauszukommen. Das hat aber Konsequenzen. Am Ende werden nämlich auch die Objekte dieser Berichterstattung in den Sog namens Vertrauenskrise hineingezogen. Die beste PR scheitert nämlich in dem Augenblick, wo sie nur noch als solche wahrgenommen worden ist. Wenn aber der Journalismus zu dieser PR geworden ist, gibt es selbst für Politik und Wirtschaft keine Referenzfläche mehr, um sich ein realistisches Bild von dieser Gesellschaft zu machen. Darauf sind sie aber angewiesen, weil nichts schlimmer ist als dem schönen Schein selber zum Opfer zu fallen. Die Gründe sind bekannt.

„Besonders bei den kleineren Medienunternehmen sei der "wirtschaftliche Druck teilweise so groß, dass das Potenzial für Unternehmen, Druck auszuüben, enorm gestiegen ist, immer weiter steigt und auch immer stärker ausgenutzt wird. Es geht darum, den Unternehmen bewusst zu machen, dass sie bei allem berechtigten Ehrgeiz, ihre Gewinne zu maximieren, auch eine Verantwortung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung haben. Und für die ist eine funktionierende und nicht korrumpierte Presse von zentraler Bedeutung."

Das hat allerdings kein Medienkritiker formuliert, sondern „der Arbeitskreis Corporate Compliance“, dem „Compliance-Verantwortliche unter anderem zahlreicher Dax-Konzerne“ angehören, wie im Manager Magazin zu lesen ist. Sie wollen diese Verantwortung für die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ in einem Kodex deutlich machen, den sie jetzt in den demokratischen Willensbildungsprozess einspeisen. Diesen Vorstoß sollte man nicht mit einer unterkomplexen Kapitalismuskritik abspeisen. Der Kapitalismus braucht den Staat, um seine Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, obwohl die Unternehmer dessen Eingreifen ansonsten in fast jedem Einzelfall beklagen. Dieser Widerspruch gehört zur Logik dieser Wirtschaftsordnung. Die Unternehmen brauchen aber auch in ihrer Gesamtheit einen kritischen Journalismus, weil nur dieser die Glaubwürdigkeit besitzt, um für das eigene Handeln die Legitimation erhalten zu können. So wenig das Einzelunternehmen im Krisenfall also diese kritische Berichterstattung wünschen kann, sie sogar zu torpedieren versuchen wird, so sehr ist das Gesamtsystem genau darauf angewiesen. Wir sollten somit wieder anfangen, in Strukturen zu denken. Ob das den Sinn von Regierungspressekonferenzen betrifft oder das Agieren von Unternehmen. Der gegenwärtige Journalismus hat das weitgehend verlernt.


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+++ Informationsvermittlung ist bekanntlich ein wichtiges Anliegen. Dabei sind Pressemitteilungen nur eine Form, um dieses deutlich zu machen. Eine andere Möglichkeit wurde in der Affäre um den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy deutlich. Wer hat ihn über die Ermittlungen gegen ihn informiert? Diese Frage ist immer noch nicht geklärt, was aber angesichts der 57 Personen, die allein in Niedersachsen darüber in Kenntnis gesetzt waren, zusätzlich erschwert wird. Dabei wird in diesem Kontext auch über die Whistleblower im Justizwesen diskutiert, die die Presse über solche Vorgänge informieren. Das Verfahren gegen den Celler Generalstaatsanwalt gehört dazu. Nun kann man puristisch solche Lecks verurteilen, aber sie sind gleichzeitig eine von allen Medien genutzte Möglichkeit, hinter die Kulissen zu schauen. Sie sollten daher vor allem die Debatte führen, welches Interesse sie an diesen Informationen haben. Und ob sie sich als Preis für die Exklusivität instrumentalisieren lassen.

+++ Jens Rehländer hat 11 Fakten für Journalisten zusammengestellt, die sich selbstständig machen wollen. Wer die genau liest, muss aber Zweifel daran haben, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Das hält aber die Wenigsten davon ab, weil die Alternativen noch unangenehmer sein könnten als die zunehmend brotlose Kunst des freien Journalisten. Woran das liegen könnte, benennt Rehländer in seinem Punkt eins: „ In der Medienblase wird jede Woche ein neuer Hype gefeiert – während dem vorherigen schon wieder die Luft ausgeht. Kein “Snowfall“, keine SPIEGEL-Zeitungsdebatte 2020 hat dazu beitragen, dem (Online-)Journalismus eine wirtschaftliche Perspektive zu eröffnen. Frag dich, warum ausgerechnet deine Idee daran etwas ändern sollte.In den Traditionsverlagen werden viele Zahlungsmodelle für journalistische Online-Inhalte diskutiert. Frag dich, warum fast 40 Prozent der Journalisten für die Online-Inhalte ihres eigenen (!) Mediums kein Geld bezahlen würden (Bitkom-Umfrage, Mai 2014) .“ Wer etwas anders macht, hat kaum noch Zeit für die Medienblase, in der er bisher seine Zeit verbracht hat. Was den Journalismus somit attraktiv macht, sind seine nicht-monetären Anreizsysteme.

+++ Was in der Medienblase so los, kann man an dieser Diskussion zwischen dem ORF-Inventar Armin Wolf und Netzanalytiker Christoph Kappes nachlesen. Wolf ärgerte sich darüber, dass eine Meinungsäußerung von ihm positiv auf einer SPÖ-Seite zu finden war. Er fühlte sich daher instrumentalisiert. Das passiert anderen Leuten andauernd. Was aber seltsamerweise nicht zur Sprache gekommen ist, sind die Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die sind wahrscheinlich in Österreich noch rigider an dem berühmten Stichwort „Ausgewogenheit“ orientiert als in Deutschland. Das wenigstens die Vermutung aus der ehemaligen preußischen Provinz Arnsberg. Warum versucht es Wolf also nicht mit einer positiven Erwähnung etwa der ÖVP? Er könnte wohlwollende Bemerkungen über die Beine eines ÖVP Politikers machen, womit er auch einem ansonsten möglichen feministisch geprägten Diskurs ausweichen könnte. Tipps und Anregungen findet Wolf bei dem Kollegen Kai Gniffke von ARD-Aktuell.

+++ Roland Tichy ist mittlerweile freier Blogger. Er macht diesen Job gar nicht so schlecht, wie in diesem Beitrag nachzulesen ist. Es geht dort um sinnentstellende Verkürzungen, die via You Tube ein Eigenleben entwickeln. Tichy wird aber immer noch als ehemaliger Chefredakteur der Wirtschaftswoche vorgestellt, weil allein diese frühere Funktion die Reputation im Mediensystem sichert. Dafür hat jetzt seine Nachfolgerin Miriam Meckel im Spiegel ihre Vorstellungen über die Zukunft des Blatts vorgestellt. Sie will in Zukunft auf die dogmatische Eurokritik verzichten. Jenseits dessen wird sie nun ebenfalls (Spiegel, Focus) das Erscheinungsdatum der „Wiwo“ auf Freitag vorziehen. Es ist somit abzusehen, dass professionelle Medienberater bald den Montag als einen Erscheinungstag mit Alleinstellungsmerkmal entdecken werden. Auf diesen Schachzug wird daher hier schon einmal das Copyright beansprucht. Die passenden Power Point Folien werden gegen einen entsprechenden Tagessatz zur Verfügung gestellt.

+++ Peter Tauber ist der Generalsekretär der CDU. Er hat zur Zeit wie alle Generalsekretäre der größtmöglichen Koalition das Problem, im politischen Meinungskampf kaum Akzente setzen zu können. Den Koalitionspartner kann man nicht richtig attackieren und die Opposition ist zu schwach, um auf sie wirklich eindreschen. So langweilt sich die Bild. Was macht sie also? Bild nimmt sich Peter Tauber vor. Der dreht gerne im Berliner Bundesdorf seine Runden, worüber uns ein Nike-Algorithmus auf Twitter informiert. Ich habe heute fünf Kilometer absolviert, womit der gesundheitsbewusste Netzbewohner aller Welt seine Form der Gesundheitsprävention deutlich macht. Leider gibt es so einen Algorithmus nicht für Helmut Schmidt. Ich habe heute 50 Menthol-Zigarretten geraucht und bin trotzdem schon 97 Jahre alt. Die Bild sieht nicht in diesem Algorithmus das Problem, wo naive Nutzer wie Tauber private Daten veröffentlichen. Sie zugunsten der allumfassenden Kontrolle des Menschen ihren persönlichen Beitrag leisten. Die Bild hat das eigentliche Problem somit gar nicht verstanden. Was kein Wunder ist: Sie wollten nur den Altkonservativen in der Union wie Erika Steinbach eine Plattform bieten. 

+++ Was fehlt, ist die Berichterstattung über die #Oscars2015. Der kann man auch ohne uns kaum entgehen.

Das nächste Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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