Die Vergangenheit bis Ende 2014

Die Vergangenheit bis Ende 2014

Heute wird's mal kompliziert (700-Megahertz-Frage, Kabel Deutschland, der Weg zum Jugendkanal wird kein leichter sein). Aber auch schillernd (Rusbridger-Zukunft), stolz (New Republic-Exodus) und krawallig (NZZ). Außerdem: Die digitale Revolution geht doch noch weiter.

Was macht eigentlich der öffentlich-rechtliche Jugendkanal?

Keine Angst, liebe Jugendlichen unter unseren Lesern, Ihr braucht Euer Medienzeitbudget noch nicht umzuschichten. Er befindet sich noch weit hinten in der Pipeline, aus der er bekanntlich nicht vor 2016 herausschießen soll, um sich dann einen Platz in diesem Internet zu suchen. Es könnte bloß sein, dass die Pipeline doch woanders lang verlegt werden müsste.

Im noch aktuellen epd medien-Heft 49 haben die Kölner Medienrechtler Karl-Eberhard Hain und Thomas Wierny unter sehr vielen juristischen Fachbegriffen einen Beitrag versteckt, in dem sie herleiten, dass der Kanal nicht so einfach wie geplant per "Beauftragung durch eine eigens von den Gesetzgebern der Länder zu schaffende Regelung im Rundfunkstaatsvertrag", also ohne "Durchführung eines Drei-Stufen-Tests durch die Anstalten auf der Grundlage der offenen Beauftragung für nicht sendungsbezogene Telemedien (§ 11d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RStV)", beschlossen werden könne.

Und zwar gerade, weil er allein im Internet senden soll (wozu Diemut Roethers grundsätzliche epd medien-Kritik aus dem Oktober frei online zu haben und weiter aktuell ist).

Das liege am "normativen Spannungsfeld" "zwischen Unionsrecht und nationalem Verfassungsrecht". Union meint die EU, auf deren Forderung die im Inland längst als überflüssiges Ärgernis betrachteten Drei-Stufen-Tests einst zugeschnitten wurden. Zu den Tests gehört, dass "die Gesamtauswirkungen auf den Markt untersucht werden", u.a. durch "offene öffentliche Konsultation mit der Möglichkeit der Beteiligung betroffener Akteure". Heißt, dass dann die Privatsenderlobby VPRT, deren schärfster Hund Tobias Schmid auch schon in diese Kerbe gehauen hat, nochmals betonen würde, dass RTL und Pro Sieben ja bereits für die Jugend senden. Und alles noch viel länger dauern könnte.

"Nach alledem ist der Weg über eine gesetzgeberische Beauftragung des geplanten Jugendkanals der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht grundsätzlich versperrt, er wird freilich kein leichter sein", zitieren Hain/ Wierny am Ende einen Schlager eines auch nicht mehr über alle Zweifel erhabenen Sängers.

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[+++] Zum bunten Strauß komplexer Was-mit-Rundfunk-Themen, der mal in die Zuständigkeit der Ministerpräsidenten gefallen ist und daher dort liegt, gehört auch die "700-Megahertz-Frage". Die Zeitung, die heute auf ihrer Titelseite dieses Fass aufmacht, um der Öffentlichkeit ein innovatives, ziemlich unbekanntes und geheimnisumwittertes, aber (ihr, der Zeitung) sympathisches Unternehmen vorzustellen, ist nicht etwa das Handelsblatt. Vielmehr legt die TAZ ihren Lesern "Liquid Broadband" ans Herz.

Dessen Idee ist,

"vor allem kleine Funkstationen, sogenannte Netstations auf[zu]stellen. Die sollen in Privathaushalten, Unternehmen und öffentlichen Gebäuden stehen und immer nur einige hundert Meter funken, sodass eine gute Abdeckung erst durch die Masse entsteht",

schreibt Svenja Bergt. Ein begleitend geplantes "gesellschaftsrechtliches Beteiligungsmodell" macht so was aus TAZ-Sicht natürlich umso interessanter. So könnte ein Mitbewerber für Telekom, O2-Telefonica und Vodafone entstehen. Der Rundfunk- bzw. Medien-Aspekt: Die von den Neuen erhofften Frequenzen (auch TAZ), die die milliardenschweren Rivalen aber auch ersteigern würden, werden, dritterseits, zurzeit für DVB-T genutzt, also zur Verbreitung digitalen Antennenfernsehens. Zwar soll das durch den neuen Standard DVB-T2 auf anderen Frequenzen ersetzt werden, aber dafür müsste die Empfänger neue Geräte anschaffen, weshalb niemand glaubt, dass dieser Umstieg schnell gehen wird - und vor allem ARD und ZDF diese Frequenzen noch lange nutzen wollen. Was natürlich auch im Interesse all derer wäre, die zurzeit über DVB-T fernsehen ...

[+++] Apropos: Rund um das von Vodafone gekaufte Fernsehkabel-, ergo Festnetz-Unternehmen Kabel Deutschland ballen sich derzeit Millionen-Euro-Meldungen. Erstens wird Kabel Deutschland nun für "Kabelweitersenderechte" 41,1 Millionen "für die Vergangenheit bis Ende 2014" zahlen und hat eine "Lizenzvereinbarung geschlossen, die in den nächsten Jahren zu einer erheblichen Erhöhung" solchen Zahlungen führen soll. Das meldet die VG Media (PDF) - also die Verwertungsgesellschaft, deren wenigstens in diesem Jahr krachend gescheiterter Kampf an anderer Front, mit dem Leistungsschutzrecht gegen Google, in keinem Nischen-Jahresrückblick fehlen wird (Altpapier, Altpapier). Zweitens ist gerade eine nicht 40, sondern 400 Millionen Euro schwere Kabel Deutschland-Klage gegen die Telekom "wegen zu hoher Netzentgelte" gescheitert (digitalfernsehen.de, dwdl.de), die allerdings noch zum BGH wandern könnte. Und drittens könnte Vodafone letztes Jahr zu wenig für die Kabel Deutschland-Aktien bezahlt haben (handelsblatt.com), was vor allem Finanzinvestoren und Hedgefonds berührt und eine noch höhere Summe bedeuten dürfte. Kurzum: Einer der wichtigsten deutschen Infrastrukturanbieter verdiente deutlich mehr Medienmedien-Öffentlichkeit - zumal Vodafone ja immer wieder als einer der engsten Freunde des britisch-amerikanischer Abschnorchlungs-Komplexes genannt wird.

[+++] Jetzt ist das Schwarzbrot, wie Freunde der Lebensmittelmetapher sagen würden, gegessen. Jetzt zum Glamour der großen Namen, aber auch den fiesen Intrigen auf den Chefetagen renommierter Medien.

Alan Rusbridger, der verdienteste und, sofern man nicht zu den Freunden des Abschnorchlungs-Komplexes zählt, sympathischste Chefredakteur überhaupt, hört im nächsten Sommer auf, und zwar absolut freiwillig. Dann, wenn auch der Jugendkanal senden dürfte, wird er einen der schönsten Posten überhaupt übernehmen: "Er wird 2016 neuer Vorsitzender des Scott Trust, jener gemeinnützigen Stiftung, der die Zeitung gehört und welche geduldig die jährlichen Verluste finanziert" (Süddeutsche). Dass die globale Bedeutung, die theguardian.com dank Rusbridger und den NSA-Enthüllungen erlangt hat, solche Verluste einstweilen eher erhöht hat, schreibt Björn Finke auch noch mal auf. Hier geht's zur englischen Originalmitteilung.

Nicht so bzw. gar nicht freiwillig geht Chefredakteur Markus Spillmann (Altpapier gestern) bei der Neuen Zürcher Zeitung. Ja, "entlassen" wurde er, schreibt Thomas Kirchner (sueddeutsche.de) beinahe. "Am Ende genügte er weder den Rendite-Forderungen des von McKinsey stammenden CEOs Veit Dengler noch den intellektuellen Ansprüchen der Belegschaft."

Von "einer sehr emotionalen und zum Teil 'krawalligen' Stimmung" bei der NZZ-Betriebsversammlung, auf der "Fragen nach den konkreten Gründen für die Trennung ... beharrlich abgeblockt worden" seien, berichtet die schweizerische Tageswoche; weitere, insgesamt "ungewöhnlich meinungslose" schweizerische Stimmen kuratiert kleinreport.ch.

[+++] Freiwillig und stolz gegangen sind am vergangenen Freitag "sämtliche leitenden Redakteure" der New Republic - dieser US-amerikanischen "Institution", die "fast ein Verfassungsorgan" ist, jedenfalls ein "Medium der Gegenmeinungsbildung": Zu diesem Thema (Altpapierkorb gestern) hat Patrick Bahners ein großes Feuilleton gestaltet, das die FAZ-Medienseite fast ganz ausfüllt.

Es setzt u.a. bei Balzac an, weil von Chris Hughes, einem der Gründer von Facebook sowie seit 2012 New Republic-Eigentümer, oft berichtet wird,

"dass er Balzac im Original liest. Es ist nicht klar, ob Hughes das jedem Reporter erzählt oder einer vom anderen abschreibt. Jedenfalls hätte Balzac mit einer Figur wie ihm viel anfangen können. Er ist ein neuer Typus des Neureichen. Seine nach bildungsbürgerlichen Maßstäben märchenhaften Gestaltungsmöglichkeiten sind ein Abfallprodukt einer technischen und ökonomischen Revolution. Im Alter eines Berufsanfängers verfügte Hughes über ein Kapital von mehreren hundert Millionen Dollar, das er nicht geerbt hatte. Er hatte es allerdings auch nicht im meritokratischen Sinne erarbeitet. Von Codes verstand er nichts, zur Konstruktion der sozialen Maschine namens Facebook hat er nichts beigetragen. Nützlich war er, weil er gerade kein Computerfreak war, sondern sich zu benehmen verstand: der geborene Pressesprecher."

"Es ist, als hätte jemand nach dem 100. Geburtstag", den die New Republic gerade mit prominentester Beteiligung beging, "den Selbstzerstörungsknopf gedrückt, weil jede schöne Geschichte einmal enden muss": Das ist natürlich nicht mehr Balzac. Das schreibt auch Clemens Wergin in Springers Welt, wo er am Ende zitiert, was Michael Kinsley, einer "der großen ehemaligen Chefredakteure des Blattes" der New York Times über Hughes und sein Medium sagte:

"We live in a capitalistic society, and that’s something that The New Republic has historically stood for. It’s his magazine, and if he wants to wreck it, he can."

[+++] Kommando zurück. Anders als ich gestern hier einstieg, geht die digitale Revolution doch weiter!

Andrian Kreye war fürs SZ-Feuilleton bei Hubert Burdas Buchvorstellung dabei, ist vom Buch selbst durchaus etwas angetan ("... Der Band mit den 'Notizen zur digitalen Revolution' zeigt als Sammlung von Auszügen aus seinen Aufzeichnungen und Reden von 1990 bis heute zumindest, wie unfassbar schnell sich diese digitale Geschichte entwickelt hat. Burda war ja früh dran mit seiner Begeisterung für die digitale Welt ...") und hat vom Autor aktuelle Ansichten zur Journalismuszukunft ("Das Geschäftsmodell, mit Journalismus im Netz Geld zu verdienen, stelle ich infrage. Im Netz - nicht auf dem Papier. Deswegen kann ich jedem nur raten, so lange wie möglich auf Papier zu bleiben. Das Modell funktioniert. Daran sind die Leute gewöhnt") sowie zum Fortgang der Revolution erfragt:

"In einem ist sich Burda sicher - in den nächsten 25 Jahren wird sich noch sehr viel mehr verändern als in den letzten".

Ja, der Titel der nächsten DLD-Konferenz, rein meritokratisch vielleicht Burdas wichtigster Beitrag zum Digitalen, lautet gar "It’s Only The Beginning".


Altpapierkorb

+++ Springer kriegt doch wieder eine gedruckte! Wochenzeitung bzw hat sich schon eine eingekauft: Von den Plänen mit politico.eu berichten frei online der Tagesspiegel ("Zusätzlich zur Übernahme der 'European Voice' kaufen Springer und Politico auch das Development Institute Internationale (DDI) mit Sitz in Paris. Es gilt als Frankreichs führende Veranstaltungsagentur für Public Affairs ...") und kress.de ("'Wir wollen Brüssel zu einem spannenden Ort machen', sagte [Christoph] Keese..."). +++ Die SZ-Medienseite fügt hinzu: "Mathias Döpfner war noch etwas angeschlagen" beim Pressetermin, "am Vorabend waren 5000 Mitarbeiter des Axel Springer Verlages zur Weihnachtsfeier nach Berlin gekommen, da war es spät geworden." +++

+++ Change.org-Chef Ben Rattrays Aussage "Petitionen sind für Change.org, was Bücher für Amazon waren", sowie den Einstieg prominenter Geldgeber (wsj.de) nimmt Ursula Scheer zum Anlass für eine FAZ-Randspalten-Glosse: "Wir schließen daraus: Bei Büchern drückt Amazon die Preise, bei der Demokratie drückt Change.org auf die Tube. Und wem nutzt es? Dem, der am Drücker sitzt. Die Pressuregroup, die hinter Change.org steht, hat mit Graswurzelbewegung nichts mehr zu tun. Wir sollten ihre Petitionen fürchten." +++ Wie in einer solchen FAZ-Randspalten-Glosse gerade sehr ungeprüft Aussagen eines "Lügenartikels der 'BamS'" übernommen wurden, hat Mats Schönauer für bildblog.de aufgeschrieben. +++

+++ Die neue Chefin des Grimme-Instituts hat ihr wohl erstes Interview dem Tagesspiegel gegeben. Es beweist, dass die "Grimme-Brille" bereits fest auf Frauke Gerlachs Nase sitzt. +++

+++ Weitere Tagesspiegel-Themen: Rechtspopulismus-Vorwürfe innerhalb schwuler Communities, und zwar an Männer-Chefredakteur David Berger, wobei auch ein "verunglückter Witz auf Facebook" eine Rolle spiele. +++ Und "Aserbaidschans mutigste Journalistin", Khadija Ismayilova, die im Gefängnis sitzt. +++

+++ Christopher Clark (dessen ZDF-Doku ich ganz gut fand) als "neuen Grüßaugust" der Deutschen spannt Sonja Vogel in der TAZ mit UMUV und einem kürzlich gesendeten Historienereignisfilm zusammen: "In 'Das Zeugenhaus' rottet sich das Tätervolk in Schwadroniergrüppchen zusammen, suhlt sich im selbstgerechten Geschwafel von der Unmöglichkeit der Schuld. Klar, dass in diesem Stelldichein der netten Nazis alle stören, die diese lästigen Fragen nach Verantwortung in die kuschelige Atmosphäre tragen: die Amerikaner, Juden und KZ-Häftlinge - aber die stehen ohnehin meist nur als Staffage am Bildschirmrand." +++

+++ Daran, dass Eva Mattes' Lebenswerk (Vietnamkriegsfilm, BR-Boykott!) deutlich größer und besser ist als die Bodensee-"Tatorte", um die es gestern hier ging, erinnert der Standard zum 60. der Schauspielerin.  +++ Und die Degeto-Schmonzette, die dwdl.de über eine "Aufsteigerin des Jahres 2014", die Degeto-Chefin Christine Strobl, bringt, sollte man sich bis morgen abend um 20.15 aufsparen. +++

+++ Das Unzeitgemäße der Spiegel-Eigentümerstruktur (Altpapier vom Montag) arbeitet Götz Hamann auf einer ganzen Zeit-Seite (24) heraus und prophezeit angesichts sinkender Umsätze und Gewinne (Zahlen kennt Der Kontakter) am Ende: "Sobald der Spiegel Geld braucht, müssen die Gesellschafter nachschießen. Dann wird die Frage aufkommen, ob die Mitarbeiter KG einen Kredit aufnimmt oder verkauft. Gruner + Jahr stünde zweifellose bereit ...", und schließlich würde Liz Mohn Rudolf Augstein beerben. +++

Neues Altpapier folgt am Freitag.

 

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