Wolf Biermann, Rosamunde Pilcher und die Rolle der KP

Wolf Biermann, Rosamunde Pilcher und die Rolle der KP

Das heutige Altpapier ist (fast) so monothematisch wie die vergangenen Tage. Es geht um das deutsche Selbstverständnis, das sich in den Feiern zum 9. November 1989 über die Medien artikulierte. Darin findet man auch den partiellen Gedächtnisverlust, wenn es um Wolf Biermanns Rolle geht.

Nationalfeiertage werden in allen Staaten dieser Welt als Identifikationsangebote verstanden. Ein Staat vergewissert sich seiner selbst. So feiert Frankreich bis heute am 14. Juli den Sturm auf die Bastille als Symbol für das moderne Frankreich. Der dramaturgische Höhepunkt ist die die Militärparade auf dem Champs-Élysées. In Deutschland hatte man weniger Glück mit seinen Nationalfeiertagen. Dem längst vergessenen Sedantag des Kaiserreiches folgte im Westen der 17. Juni als Gedenktag an die deutsche Teilung. Er machte deutlich: Es gibt nichts zu feiern. In der DDR ist der Feiertag der eigenen Gründung unauslöschlich mit dem späteren Untergang verbunden. Sie wird daher nur noch von ihrem Ende aus gedacht. So ist der 9. November aus historischen Gründen zwar nicht der deutsche Nationalfeiertag geworden, aber als Tag des Mauerfalls zum symbolischen Identifikationsangebot für die Deutschen geworden. Es war seit Freitag das alles beherrschende Thema in den Medien gewesen. Nur was hat man daraus gemacht? Die Bild inszenierte sich als Leitmedium und verschenkte ihre Zeitung an alle deutschen Haushalte. Portale (so in der ARD, dem ZDF, bei n-tv oder dem Handelsblatt) konkurrierten mit Live-Tickern vom 9. November 1989 um die Aufmerksamkeit ihrer Leser. Auf allen Fernsehkanälen gab es Sondersendungen von den Berliner Feierlichkeiten. Der im Sommer diesen Jahres verstorbene Frank Schirrmacher konnte das nicht mehr erleben, aber hat uns trotzdem etwas zur Gefahr zu sagen, „aus dem Tag des Mauerfalls“ einen Rosamunde-Pilcher-Roman zu machen, „der nur einfache Charaktere und ein glattes Happy End kennt. Kitschpsychologie macht einen dumm und blind für die riskanten Ausschläge der menschlichen Seele.“ Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer sei Deutschland im Begriff, die Ereignisse des 9. November aus der politischen in die ästhetische Sphäre zu verschieben, so Schirrmacher schon 2009.

„Dafür sprechen nicht nur die großen Feiern, die am Montag stattfinden werden. Die Mauer ist jetzt Kulisse (Dominosteine, die reihenweise umfallen werden), die Besetzung besteht aus lauter Helden (Berühmtheiten aus aller Welt), und für die geographische Spannbreite (bis nach Paris) gibt es in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte überhaupt kein zweites Beispiel. Dafür spricht auch, dass das westdeutsche Establishment und beträchtliche Teile des Journalismus die Vorgänge jetzt als Drama erzählen, mit dem Volk, das Regie führt, mit Helden und Bösewichten, der bekehrten schwarzen Seele (Schabowski) und dem Trottel. Den Trottel spielt Krenz.“

Den Trottel spielte fünf Jahre später nicht mehr Krenz, dafür dank Wolf Biermann die Linke. Seine Rede im Deutschen Bundestag am Freitag gab vor, wie dieser Gedenktag als Identifikationsangebot zu verstehen ist: Als Symbol der Ausgrenzung. Die Linke wurde wieder zur SED und die vergangenen 25 Jahre fast ausgelöscht. Man versetzte sich virtuell in die Lage des Sommers 1989 als die Kritik an der SED in der DDR noch ein Risiko gewesen war, allerdings mit grotesk vertauschten Rollen. Denn im Westen dieses Landes war die Verurteilung des ostdeutschen Unrechtsstaates nie besonders gefährlich gewesen. Es war dessen Staatsräson. Wenn es jetzt die Sieger der Geschichte nötig haben, diesen schon längst gewonnenen Kampf neu zu führen, lässt das tief blicken. Man muss sich nur die Machtverhältnisse klar machen. Im Bundestag stehen 92 % gegen 8 %, die Biermanns Worte vom „elenden Rest“ bejubeln. Lenz Jacobsen macht bei Zeit online ungewollt deutlich, wo das Problem liegt:

„Wichtiger ist, dass Biermann überhaupt geredet hat und nicht daran gehindert wurde. Alle konnten sehen: Da verletzt einer die Regeln, und nichts geht kaputt.“

Wenn jemand mit 92 % im Rücken die Regeln verletzt, ist das noch nie ein Problem gewesen. Wahrscheinlich noch nicht einmal in der DDR-Volkskammer, wo man den Westen mit 100 % im Rücken zu jeder Zeit hätte verurteilen dürfen. Die Freiheit beweist sich erst am Umgang mit Minderheiten. Wie der Bundestagspräsident Norbert Lammert wohl reagiert hätte, wenn eine Minderheit diese Regelverletzung in gleicher Weise für sich beansprucht hätte? An Regeln muss sich jeder halten, ansonsten sind sie wertlos. Oder will Lammert jetzt die Regelverletzung als ideologisch begründete Ausnahme gestatten? In der DDR nannte man diese doppelten Standards „sozialistische Parteilichkeit“ und begründeten die Verlogenheit dieses Systems.

+++ Wobei jeder wissen muss, was man mit Biermann bekommt, wenn man ihn einlädt. Die Erwartung, er könnte nur kommentarlos singen, ohne diese Bühne für sich zu nutzen, wird noch nicht einmal Lammert gehabt haben. Er wurde als Provokation eingeladen und hat die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Eine ähnliche Wirkung erzielte er zuletzt bei seinem legendären Konzert in Köln (So soll es sein, aber nur in Köln: "Die BRD braucht eine KP.") im Vorfeld seiner Ausbürgerung im Jahr 1976. Nur hat sich seine Rolle verändert, was aber in der Berichterstattung kaum eine Rolle spielte. An solchen Gedenkfeiern ist eben immer auch der Gedächtnisverlust zu beobachten. Es wird alles ausgegrenzt, was in das schöne Bild nicht hineinpasst. Biermann war im Jahr 1976 kein Protagonist des CDU-Staates seligen Angedenkens. Er achtete damals peinlich genau auf die Äquidistanz eines antistalinistischen Linken zu beiden weltpolitischen Lagern im Kalten Krieg. Biermann stand neben seinem 1982 verstorbenen Freund, dem längst vergessenen Robert Havemann, für jenen 3. Weg zwischen westdeutscher Restauration des Kapitalismus und bolschewistischer DDR-Diktatur. Die DDR war der potentiell bessere deutsche Staat, wenn die SED-Bürokraten nur endlich auf den Müllhaufen der Geschichte gelandet wären. ####LINKS#### Der „Drachentöter“ Biermann wollte neben dem Regime in Pankow auch das in Bonn aus dem Weg räumen. Diese Illusion ist ihm schon vor 1989 abhanden gekommen. In gleicher Weise wie den Reformern in der SED, die noch bis zur Maueröffnung auf eine DDR hofften, die ohne die solidarische Hilfe sowjetischer Bajonetten auskommen sollte. Biermann redet darüber heute nicht mehr, weil er wie jeder Künstler das Recht auf politische Meinungsänderung für sich in Anspruch nimmt. Es bleibt auch politisch folgenlos, weil Biermann eben kein Politiker ist. Nur wer sich ändert, bleibt sich treu war 1991 sein Lied zum eigenen Umdenken. Fast 25 Jahre später hat er das schon längst vergessen, außer dass ihn die Linke offensichtlich bis heute an die eigenen Illusionen erinnert. Er war nur kurz selbst der Drache gewesen, der 1989 getötet worden war. Die Illusion betraf seine Idee, dass die DDR zu irgendeinem Zeitpunkt etwa anderes als ein Drache gewesen sein könnte. Nur so konnte er heute zum bundesdeutschen Staatsdichter werden, der im Namen der Freiheit von 92 % die 8 % gebührend ohrfeigt. Das mag eine Ermutigung sein. Nur mutig ist das nicht.

 


Altpapierkorb

+++ Unter anderem in der Welt und der FAZ gibt es Bestandsaufnahmen über das Deutschland 25 Jahre später.

+++ Auf WDR 3 wagt man eine andere Perspektive. Was wäre passiert, wenn vor 25 Jahren in Berlin nicht die Mauer gefallen wäre, sondern man dort Öl gefunden hätte? Es ist auch ein Kommentar zur Debatte um die Äußerungen Helmut Kohls über die Rolle der Bürgerrechtsbewegung beim Sturz des SED-Regimes.Was auch auffällt: Seit Gorbatschow Kritik an der derzeitigen Politik des Westens gegenüber Russland, sägt man im Deutschlandfunk an seinem Denkmal, was seine Rolle bei der Wiedervereinigung betrifft. Wie Constanze Kurz und Frank Rieger den Mauerfall erlebten und was das mit uns heute zu tun hat, ist im Wostblog von Katrin Rönike und Marco Herack zu hören.

+++ Immerhin ist die Rede Biermanns im Bundestag noch Gegenstand einer kontroversen Debatte. So Heiko Werning in der taz kritisch zu Biermann. Das gilt auch für Georg Diez bei Spiegel online. In der FAZ eher zustimmend Volker Zastrow und Claudius Seidl. In der Süddeutschen moderat kritisch Willi Winkler.

+++ Jenseits des Mauerfalls gibt es noch die selbstkritischen Reflexionen über die Rolle des Journalismus. Etwa bei Journalisten bloggen und der Schweiz am Sonntag. Zudem noch einmal Michael Hanfeld über die "permanent Beleidigten". Außerdem ist Christoph Keese gegen Google um das Geschäftsmodell Journalismus besorgt, während die Branche für Erwachsenenfilme sich dagegen Hilfe von Google erhofft.

+++ Das Modell der Zombie-Zeitung kommt jetzt ganz groß in Mode. Während Wetten dass dafür schon kurz vor seinem Ende aus dieser gekommen ist. Dafür kann man hier nachlesen, wie der Spiegel alte Meldungen nachhaltig aufarbeitet.

+++ Die Berliner Feier war langweilig, so kommentiert der Tagesspiegel heute. Was allerdings nicht gegen diese Feier spricht, weil es bei solchen Events um die Bilder im Fernsehen und Internet geht. Die Zuschauer vor Ort sind eher unwichtig. Warum man auf Twitter einen hashtag namens fotw25 konstruiert, um dann auf Deutsch zu posten, ist ein Rätsel. #fotw25 heißt "fall of the wall 25". Aber das nur als Nebenbemerkung.

+++ Außerdem werden die Lichtgrenze-Lampen mittlerweile auf ebay versteigert. Diese Form der Privatisierung funktioniert also auch ohne die Treuhand.

+++ Wie gute PR funktioniert, beweist heute auch das ZDF. Zwar steht die virtuelle Mauer trotz #Mauerspecht Challenge noch. Aber dafür kann man jene Sätze lesen, die in ihrer Social-Media-PR Komplementarität von zeitloser Schönheit sind: "Keinen hat es am 9. November 1989 interessiert, wie viele Meter Mauer gefallen waren. Der Wall war durchbrochen. Darauf kam es an. Und so ist es auch 25 Jahre danach. Noch nie hat das ZDF so viele positive und interessante Posts bekommen wie bei der #mauerspecht-Challenge". Zum Glück hat man den Fall der echten Mauer 1989 nicht auch als Challenge begriffen. Ansonsten hätten die DDR-Bürger diese Herausforderung noch als einen Reklamegag aus dem Westen missverstanden.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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