Die Gesellschaft als Auftraggeber

Die Gesellschaft als Auftraggeber

Mathias Döpfner bekommt einen Preis aus dem quasi familiären Umfeld. Auf den Philippinen machen Niedriglohnarbeiter den Müll weg, den die Finsterlinge unter den Facebook-Nutzern hinterlassen. Ein Entwurf zur Aufhebung des LSR-Gesetzes ist so gut wie fertig. Eine Twitter-Kunstfigur wird Zeit-Online-Autor. Plus: eine Brandrede gegen den Antiintellektualismus.

Was ist eigentlich der Peter Frey für einer? Da wir uns in dieser Kolumne ja gern damit befassen, was die Sprache der TV-Hierarchen über sie verrät (besonders ausführlich hier), nähern wir uns der Frage auch heute über diesen Weg.

Bevor am Mittwochabend der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis vergeben wurde, boten die Veranstalter noch eine Diskussionsrunde auf zur Kritik an der öffentlich-rechtlichen Ukraine-Berichterstattung - unter anderem mit Preisträgerin Golineh Atai und Frey. Der ZDF-Chefredakteur lobte im Laufe der Debatte, auf die dieser Welt/dpa-Artikel über die Preisverleihung am Ende eingeht, die in der Ukraine arbeitenden Korrespondenten dafür, dass sie „Gefahren für ihr Leben“ in Kauf genommen hatten, etwa in Situationen, in denen sie sich vor Schüssen in Sicherheit bringen mussten. Und lieferte als Einschätzung gleich direkt hinterher:


„Das war nicht vergnügungssteuerpflichtig.“

Auffällig, dass sich Frey in dieser Situation offenbar nicht bewusst war, dass er gerade nicht im vertrauten Kreis mit ein paar anderen Mainzelleutchen hockte, sondern in einer Diskussionsrunde, die live im Netz (hier abrufbar) zu sehen war. Die nassforsch-flapsige Formulierung, die Frey in einem ähnlichen Zusammenhang noch ein weiteres Mal anbrachte, macht deutlich, wie genervt er ist von solchen neuartigen Debatten, die ihm von der „fünften Gewalt“ (Bernhard Pörksen, dazu gleich mehr) aufgezwungen werden.

Wer gesehen hat, wie Peter Frey in diese Diskussion agiert, wird Dietrich Schwarzkopfs in der Funkkorrespondenz erschienenen Nachruf auf Friedrich-Wilhelm von Sell, der von 1976 bis 1985 Intendant des WDR war, möglicherweise mit einem anderen Blick lesen:

„Er sah die Gesellschaft als Auftraggeber des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ja als Eigentümerin dieses Rundfunks. In einer treuhänderischen Funktion sollte der Auftragnehmer für den Auftraggeber (...) auch Begegnungen mit nicht repräsentativen Meinungen ermöglichen. In seiner Antrittsrede als WDR-Intendant forderte er, der öffentlich-rechtliche Rundfunk möge eine Fragehaltung zugunsten des Publikums einnehmen, die so gestaltet zu sein habe, ‚dass der Bürger selbst bestmöglich in den Stand gesetzt wird, seine Antworten zu finden‘. Das war eine Abkehr von frühen Tendenzen im öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramm, die Hörer und Zuschauer zur Kritik zu erziehen, bei der der Erzieher vorgibt, was Kritik ist und auf wen oder was sie sich zu richten habe.“

Sollte es von Sell gelungen sein, diese Idealvorstellung zumindest für eine gewisse Zeit umzusetzen - darüber vermag ich mir kein Urteil zu erlauben -, dann hat diese Phase nicht lange angehalten. Bald kamen schließlich die Peter Freys dieser Welt ans Ruder, dann kam ein Rollback. Und jetzt müssen die Peter Freys dieser Welt mit der „fünften Gewalt“ klar kommen.

„Was heißt es, wenn die Medien als vierte Gewalt durch eine fünfte Gewalt in Gestalt des Publikums ergänzt wird, eine Gewalt, die sich selbst massiv öffentlich artikulieren und eine eigene Agenda durchsetzen kann? Wie wird sich  das Beziehungsgefüge zwischen den Medien und ihrem Publikum insgesamt verändern?“

Das fragt der oben schon erwähnte Bernhard Pörksen, Tübingens weltbester Medienforscher, im aktuellen Feuilleton der Zeit, die ihn auf der Titelseite (!) originellerweise als „Uwe Pörksen“ ankündigt. Dass dem einen oder anderen Mitarbeiter der Zeit beim Stichwort Medienwissenschaftler der Vorname Uwe in den Sinn kommt, kann man gut verstehen. Denn es war ja ein Buch des Medienwissenschaftlers Uwe Krüger,  das die Macher der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ zu jener berühmten Sendung inspirierte, gegen die zwei Großdenker des Wochenblatts meinten, juristisch vorgehen zu müssen.

####LINKS#### Dieser Uwe Krüger meldet sich gerade in einer anderen Angelegenheit zu Wort: Das Aspen-Institut hat den „Shepard Stone Award for Outstanding Transatlantic Leadership“ an Mathias Döpfner verliehen, der vor nicht allzu langer Zeit noch Kuratoriumsmitglied bei jenem Institut war. Dies hat, so Krüger, „den Anschein, dass hier ein Preis sozusagen innerhalb der Familie vergeben wurde, also eine bestimmte elitäre Gruppierung sich selbst bestätigt und selbst erhält“. Petra Sorge (Cicero) greift das Thema für ihre Medienkolumne auf. Wer hartgesotten ist, kann auch diesen Klick riskieren.

[+++] Genervt vom „von rechts initiierten, von links adaptierten und kapitalistisch-konsumistisch aufgeblasenen Antiintellektualismus“? Dann möbelt Georg Seeßlen (konkret) garantiert die Laune auf:

„Die meisten Kolleginnen und Kollegen kennen das: Wenn sie einen Artikel geschrieben haben, der einerseits ein wenig tiefer in die Analyse einsteigt, als es die Mainstreammedien gemeinhin tun, und wenn dabei andererseits das eine oder andere Kontroverse zutage gebracht wurde, wobei Nebensätze und seltenere Worte eine gewisse, nicht allein stilistische Rolle spielen können, dann (...) kommen von allen Seiten Anwürfe über das ‚Abgehobene‘, das ‚Intellektuelle‘, das ‚Elitäre‘ und so weiter (...) Natürlich würde man bei manchen dieser Reaktionen (...) gerne zurückblaffen: Wenn du so doof bist, dann mach nicht noch ein Theater draus. Geh einfach heim, und googel dir einen.“


Blafft man dann aber auch eher selten. Denn, so Seeßlen:

„Es ist natürlich komplizierter.“

Warum? Lest 17.000 Zeichen, ihr Lieben! Okay, einen kleinen Anreiz geben wir noch:

„Der Shitstorm gegenüber dem Intellektuellen, dem Abgehobenen und dem Unverständlichen will durch die Pose der Kränkung (So, so, dein Text will also mir ‚normalem Menschen‘ den Zutritt verwehren, indem er sich wichtig macht, aufplustert und trickst!) seinerseits kränken (...) Ob solche Kränkungen noch viel auslösen, sei dahingestellt (...) Aber sie lähmen entschieden den Diskurs, indem sie vom Gedanken selbst (...) auf die Legitimation seiner Form und seiner Urheber ablenken.“

Und wenn ihr dann noch könnt, ihr Lieben, lest doch einfach noch mal weitere 18.000 Zeichen von Seeßlen. So lang ist seine in der neuen Jungle World publizierte Analyse der Hinrichtungsbilder, die der IS in die globale „Bildermaschine“ einspeist. Auszug:

„Die kulturindustriellen Zweit- und Drittverwerter heben den Terror in dialektischem Sinne auf. In ihre Erzählungen betten sie die Bildarchive des Grauens ein, die Dokumente der Chaotisierung werden wieder rationalisiert und geordnet (...) Mit dem Zusammenbruch der dynastischen Diktaturen auf der einen Seite und dem beschleunigten Abbau der Demokratie auf der anderen sind die Bilder die einzigen wirksamen Verbindungen zwischen Regierungen und Bevölkerungen im globalen Bürgerkrieg. Sie zwingen uns indes eine antizivilisatorische Logik auf. Sie sind selbst schon Waffe, sie sind selbst schon Beute. Ausdruck einer visuellen Plünderungsökonomie, die freilich in den Industriestaaten wieder in eine traditionelle mediale Ausbeutungsökonomie zurückverwandelt wird. Hier wird das Bild als Beute (und bestehe sie im eigenen Todeskampf) wieder zum Bild als Rohstoff. Das Verwertungsinteresse ist größer als die Moral, so dass der Terror sicher sein kann, dass seine Botschaften ankommen.“

Dafür, dass wir solche Bilder zumindest bei Facebook und Twitter  nicht sehen (bzw. nur für kurze Zeit), dafür sorgen Niedriglohnarbeiter, die auf den Philippinen im Dienstleistungsbereich der „content moderation” tätig sind. Über sie schreibt Adrian Chen (Wired):

„Companies like Facebook and Twitter rely on an army of workers employed to soak up the worst of humanity in order to protect the rest of us. And there are legions of them—a vast, invisible pool of human labor (...) This work is increasingly done in the Philippines. A former US colony, the Philippines has maintained close cultural ties to the United States, which content moderation companies say helps Filipinos determine what Americans find offensive.“

Und das gilt natürlich nicht nur für Enthauptungsfotos, wie die Headline („The Laborers Who Keep Dick Pics and Beheadings Out of Your Facebook Feed“) deutlich macht.

[+++] Parodie- und Satire-Accounts bei Twitter werden i.d.R. schnell langweilig. Was ein gewisser Moritz Rodach seit einigen Wochen unter dem Account @focussiert bietet, geht aber weit darüber hinaus. Das ist teilweise große Medienguerillakunst rund um die Themenkomplexe FC Bayern, Sportjournalismus und Markwortismus. Zur Erinnerung: Moritz Rodach ist eines der Pseudonyme des Focus-Herausgebers und Noch-FCB-Aufsichtsrats Helmut Markwort. Von der Enthüllung dieses nom de guerres (siehe Altpapier) hat sich ein - Achtung, indiziengestützte, aber nicht beweisbare These - Fußballjournalist aus dem süddeutschen Raum inspirieren lassen und einen Twitter-Akteur namens Moritz Rodach erschaffen, der Markwort parodiert.

Inzwischen gibt es noch eine weitere Wendung, weil diese neue Kunstfigur Moritz Rodach nun erstmals auch als Autor eines längeren Textes in Erscheinung tritt: „Franck, das Papamobil und ich“ heißt er, Anlass für diese bei Zeit Online erschienene „Kolportage“ ist der Papstbesuch der FCB-Truppe. Der Text erreicht nur selten die Qualität der Tweets und klingt teilweise eher nach Günter Hetzer, aber diese Passage mit Franck Ribéry, in der auch ein bisschen Medienkritik anklingt, hat was:

„(Franck) schnappte sich das Papamobil und schloss es kurz. Der Franzose, eine Mischung aus Pepe Nietnagel und dem Bart von Kai Diekmann, steuerte das offene Fahrzeug in hohem Tempo über den Petersplatz, sprach den Meistersegen ‚Mia san mia‘ und hinterließ allerhand verwirrte Pilger. Immer in seinem Schlepptau: Uli, Dieter und natürlich meine Wenigkeit. Wir schmetterten gemeinsam die Vereinshymne: ‚Embedded Number One‘. Uli, seit 100 Jahren Chefreporter und Cabriofahrer, witzelte: ‚Ich habe ja schon Vati Kahn erlebt, aber beim Papst war ich noch nie.‘"


Altpapierkorb

+++ Die „widerrufliche Gratiseinwilligung“, zu der sich die durch die VG Media vertretenen Verlage in Sachen Google-Snippets entschlossen haben (siehe Altpapier) gilt nicht für die Web-Ableger von Welt, Auto Bild, Sport Bild, Computer Bild. Was diese angeht, soll das Leistungsschutzrecht in vollem Umfang zur Anwendung kommen. Dies haben ein paar Geistesblitzkrieger im Hause Springer ausgeheckt. Siehe u.a. meedia.de.

+++ Der Farce namens Leistungsschutzrecht ein Ende machen würde gern Halina Wawzyniak (Die Linke). Eine Vorabversion für einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des LSR (PDF) präsentiert sie in ihrem Blog: „Um in den Bundestag eingebracht zu werden, muss der Entwurf noch vom zuständigen Arbeitskreis der Fraktion und der Fraktionsversammlung beschlossen werden.“ A bisserl helfen soll noch die Crowd: „Mit der Veröffentlichung hier will ich den Leser/innen die Möglichkeit geben, noch Veränderungen und Verbesserungen vorzuschlagen. Wer also Zeit und Lust hat, kann sich gern mit Veränderungs- und Verbesserungsvorschlägen an mich wenden.“

+++ Noch eine ziemlich große Farce, zumindest nach Ansicht Dietrich Leders: der Online-Jugendkanal, dessen Budget, wie die SZ auf ihrer Medienseite kurz meldet, im Übrigen möglicherweise noch geringer sein wird als ohnehin. Leder kommentiert in der Funkkorrespondenz: „Noch weniger als bei den Fernsehprogrammen können sich Jugendliche vorstellen, im Internet (...) ausgerechnet eine öffentlich-rechtlich verwaltete Plattform anzuklicken. Dass das Online-Jugendangebot nicht funktioniert, wird sich alsbald nach dem Start erweisen: Denn dummerweise sind die Zahlen von Klicks valider als die Einschaltquoten für die Fernsehprogramme. Man sollte die Ministerpräsidenten zwingen, diese Klickzahlen ein Jahr nach dem Start des neuen Jugend-Portals öffentlich vorzutragen. Damit die Farce wenigstens performativ ordentlich abgeschlossen wird.“

+++ Wofür der Begriff Farce ebenfalls nicht völlig unangebracht zu sein scheint, ist einem weiteren Artikel der Funkkorrespondenz zu entnehmen: Der MDR-Staatsvertrag muss - laut einer Stellungnahme des sachsen-anhaltinischen Staatskanzleichefs Rainer Robra - angesichts des Gremienurteils des Verfassungsgerichts in Sachen ZDF novelliert werden. Die Wahl der neuen Aufsichtsgremien, deren Amtszeiten im Dezember 2015 bzw. im März 2016 beginnen, findet aber wohl noch nach den bisherigen Spielregeln statt, denn: „Damit die Berufungsverfahren für die Mitglieder beider Gremien nach neuen Vorschriften ablaufen können, müsste ein geänderter MDR-Staatsvertrag bis spätestens Mitte 2015 in Kraft getreten sein. Das ist aus Sicht (Robras) zeitlich nicht mehr zu schaffen.“

+++ Darf man ein Interview mit einen Vertreter des IS publizieren? Darf man „denen“ eine Plattform geben? Oder ist der Informations- und/oder Erkenntniswert des Gesprächs so hoch, dass es eine Veröffentlichung rechtfertigt? Fragen, die das „Streitgespräch“ aufwirft, das Hasnain Kazim für Spiegel Online mit einem „Rekrutierer“ des IS geführt hat.

+++ Glenn Greenwald mag einer der Heroen des aktuellen Investigativjournalismus sein, seine politischen Analysen sind aber möglicherweise ausbaufähig. Beziehungsweise: Eine aktuelle Analyse der Ereignisse in Kanada, die er für The Intercept verfasst hat, ist „sowohl banal als auch unvollständig“ (Washington Post).

+++  Die Berliner Zeitung würdigt die Twitter-Kampagne #FreeAJStaff, die daran erinnert, dass sich die Al-Dschasira-Journalisten Peter Greste, Mohammed Fahmy und Baher Mohammed seit 300 Tagen in ägyptischer Haft befinden. 

+++ Oliver Welke? Eigentlich ja doch bloß ein „Hofnarr“ (Tagesspiegel)

+++ Im SZ-Feuilleton (Seite 14) porträtieren Anna Steinbauer und Nicolas Freund den Germanisten und „US-Twitter-Aphoristiker“ Nein Quarterly, der auf seiner Tournee „um den halben Globus“ auch am Max-Planck-Institut in München Station gemacht hat.

+++ Hobbyphilosophisches von einem Verleger: „Das Leben beginnt dort, wo es sich dem Messen eines Algorithmus entzieht“, hat Martin Balle (Abendzeitung, Straubinger Tagblatt) laut meedia.de bei den Münchener Medientagen gesagt.

+++ „In fünf Jahren wird kaum noch jemand über das Ende von ‚Breaking Bad‘ reden, das so großen Zuspruch gefunden hat. Aber mit Sicherheit wird man weiter über das Ende von ‚Lost‘ maulen. Sagt Damon Lindelof, der Drehbuchautor von „Lost“, dessen neue Serie „The Leftovers“ heute bei Sky Atlantic startet, im großen FAZ-Interview. Über diese schreibt Karoline Meta Beisel in der SZ: „‚The Leftovers‘ (ist) (...) eine einzige lange Therapiesitzung. Es geht um Trauer, machtlosen Zorn und Wunden ohne Heilungschancen. Alle sind betroffen, Lichtblicke gibt es quasi nicht. Ein deprimierendes Fernsehereignis, müsste man denken, wer will sich so etwas ansehen? In den USA immerhin acht Millionen Zuschauer pro Folge.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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