Abenteuer Rüstung

Abenteuer Rüstung

YouTube ist auch bloß ein böser Dinosaurier, Frank Schirrmacher will keine Politik machen, und die Wirklichkeit orientiert sich an der Serie „Homeland“. Außerdem: ein Dokumentarfilm, der wütend macht; die erste Analogie zwischen Ulrich Hoeneß und Nelson Mandela; ein Burda-Redakteur, der möglicherweise Coverboy bei Kress werden will.

Mit der Kritik an der Geschäftspolitik von Google ist es ja so eine Sache. Wenn sie vorgebracht wird von den Starfightern des verbalen Europa-gegen-Amerika-Krieges wie Frank Schirrmacher (siehe aktuell diese Langfassung eines „Zapp“-Interviews, ab ca. 17. Minute), Sigmar Gabriel oder Mathias Döpfner bzw. wenn „Politiker einen europäischen Internetgroßkonzern fordern“ (denen Martin Oetting bei Carta was mitzuteilen hat) - dann möchte man nicht immer einstimmen. Wobei wir hier gern den nicht unlustigen Hinweis unterbringen, dass Schirrmacher mit der Debattenreihe im FAZ-Feuilleton gar „nicht Politik machen“ will, wie er im besagten Interview sagt.

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Aber: Dass es notwendig ist, Google zu kritisieren, zeigt gerade eine Auseinandersetzung zwischen den Indepedent-Labels dieser Welt und der Google-Tochter YouTube. Diese will demnächst einen kostenpflichtigen Streaming-Dienst starten. Die dafür notwendig gewordenen Verträge, die YouTube den kleinen und mittelständischen Firmen vorgelegt hat, halten deren Interessenvertreter für nicht verhandelbar.

„Zudem droht die Google-Tochter, Inhalte der Indies zu sperren, sollten diese nicht unterzeichnen“,

schreibt der Musikmarkt. Gegen solch unfeine Methoden wenden sich nun unter anderem der europäische Independent-Verband IMPALA und die Featured Artists Coalition. Der Musikmarkt schreibt:

„Angeführt von IMPALA, wird deshalb Beschwerde bei der Europäischen Kommission, genauer gesagt beim Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia, eingereicht“,

also bei einem Herrn, den Mathias Döpfner für eine lame duck hält (siehe auch Altpapier).

Die Verträge, die YouTube den Major Labels vorgelegt hat, waren wohl nicht so übel, denn die haben bereits unterschrieben.

„Laut Ed O'Brien, Gitarrist bei Radiohead und Co-Chairman der FAC, würde es zu einem ‚Internet der Superstars und Big Businesses‘ führen, würde YouTubes mit seiner Drohung davon kommen und ernst machen“,

heißt es im Musikmarkt in diesem Zusammenhang. Ein entscheidendes Wörtchen fehlt hier aber, es steht zum Beispiel in der Pressemitteilung des deutschen Interessenverbandes VUT, wo der Radiohead-Mann mit den Worten zitiert wird: „(They) risk creating an internet just for the superstars and big businesses.“ Was aber, wenn man das bei YouTube ganz und gar nicht als Risiko sieht?

Aus der zitierten Pressemitteilung stammt auch eine hübsche Äußerung Helen Smiths, die IMPALA vorsteht:

„YouTube is behaving like a dinosaur, attempting to censor what it doesn’t like.“

Dinosaurier! Das ist ja interessanterweiser ein Begriff, den semiprominente Bewohner Digitaliens gern vorbringen, wenn sie was über die alten Medien zu meckern haben.

Zum große Ganzen mehr bei musically.com, der Text ist gespickt mit allerlei Zitaten des Indie-Stars Billy Bragg:

„(He) emphasised the importance of a healthy, competitive streaming audio market. ‚It’s clear from the figures that buying downloads seems to be falling away… this [streaming] seems to be the way people want to listen to music. This attempt by YouTube and by Apple as well to get into the streaming industry just shows that it is the way things are going (...) The question is whether either Apple or Google really want to have a streaming service, or whether they just want to destroy the competition by taking out Spotify and Deezer and the other startups.‘”

[+++] Im „Medientagebuch“ des aktuellen Freitag schreibt Altpapier-Autor Matthias Dell heute über die kläglichen Versuche des Stern-Herausgebers Thomas Osterkorn, seinen - nicht direkten - Vorgänger Henri Nannen gegen die Kritik der Nannen-Preisträger Jacob Appelbaum und Laura Poitras zu verteidigen (siehe Altpapier, Altpapier, Altpapier und Altpapier):

„Osterkorn (argumentiert) wohl so, weil auf diese Weise immer argumentiert worden ist; weil sich das Problematische an der Kontinuität von Biografien aus der NS-Zeit im (west-)deutschen Selbstgespräch durch Beschwichtigen, Auslassen, Vergessen irgendwann angefühlt haben mag wie Aufarbeiten, Reflektieren, Abschließen. Appelbaums Kritik zeigt den Segen der Globalisierung: Die Geschichten, die man sich jahrelang unter der Bettdecke des Nationalen erzählt hat, wirken bei Lichte betrachtet ziemlich lächerlich. Das Kartenhaus der Selbstlegitimation (kein SS-Mitglied, nur ein paar Hitler konkret verherrlichende Artikel in einer Kunstzeitschrift) fällt durch Appelbaums Kritik (die von innen kaum hätte geäußert werden können) zusammen.“

[+++] Den, um mal Pep Guardiola zu variieren, aktuellen Top-Top-Top-Skandal, der gerade unseren kleinen Branchenkiez beschäftigt, verdanken wir einem früheren Springer-Angestellten, der heute für Maria Furtwänglers Mann arbeitet. Julian Reichelt, der Chef von bild.de, wirft in einem turi2-Interview Daniel Steil vor, dieser weise seine Untergebenenen bei Focus Online dazu an, Inhalte aus dem Angebot von Bild Plus - für das Springer Geld verlangt, damit sich Friede noch ein paar Wasserhähne mehr vergolden lassen kann - auf nicht allzu kreative Weise neu zusammenzuschrauben, um die Reichweite des Angebots zu erhöhen. Urheberrechtlich ist der Fall nicht uninteressant - aber, falls ich mal kurz mein juristisch kompetentes Über-Ich ausschalten darf (das ich unten im Altpapierkorb wieder aktivieren werde): Ein größerer Sack Reis ist schon lange nicht mehr umgefallen.

Andererseits: A bisserl unterhaltsam ist das Ganze ganz gewiss. Im Interview, das man auch als „Kriegserklärung“ verstehen könne, wie Christian Meier (meedia.de) meint, sagt Reichelt zum Beispiel, Steil komme mit seiner Reichweitensteigerungsstrategie vielleicht „als Coverboy auf den Kress-Titel“, aber „mittelfristig“ mache er - bitte hier kurz dies einblenden - „echten Journalisten das Geschäftsmodell kaputt“. Noch schöner ist das hier:

„Es tut mir ein bisschen leid um ihn, weil er eigentlich ein netter Kollege ist, aber er ist auf die dunkle Seite gewechselt.“

Aber kann es eine dunklere Seite geben als die, auf der sich Julian Reichelt befindet?

Um Klauereien etwas anderer Art - nämlich jene, die die Basis sind für den Erfolg von heftig.co, Likemag und Storyfilter - geht es unter den Headline „Die Klickdiebe“ in einem Artikel des Medienmagazins journalist.

[+++] Am Sonntag ging bei Sat 1 die dritte Staffel von „Homeland“ zuende, und bei watson.ch blicken sie aus - vermeintlich - aktuellem Anlass noch mal auf den Anfang der Serie zurück. Gerade ist nämlich der US-Soldat Bowe Bergdahl aus fünfjähriger Taliban-Haft freigekommen, und dessen Geschichte weise „interessante Parallelen“ auf zu der Nicholas Brodys in „Homeland“, jener TV-Serie, „die auch Präsident Barack Obama gerne sieht“. Jedenfalls kann man ja mal fragen:

„Ist Bergdahl ein zweiter Brody?“

Teil der Beweisführung ist u.a. folgenden „Analogie“:

„Nick Brody erteilt Issa, dem Sohn von Terrorboss Abu Nazir, während seiner Haft Englischunterricht. Als Issa bei einem amerikanischen Drohnenangriff getötet wird, schwört Brody Rache. Bergdahl soll in Afghanistan Zeuge geworden sein, wie ein Kind von einem US-Militärfahrzeug überfahren wurde, was die Soldaten gleichgültig gelassen habe. In E-Mails, die vom Magazin Rolling Stone 2012 veröffentlicht wurden, äußerte er seine Abscheu über den Einsatz in Afghanistan: ‚Ich schäme mich, Amerikaner zu sein.‘“

[+++] Ein Schwestersender des „Homeland“-Senders, der in dieser Kolumne eher selten Erwähnung findet, hatte im Programm kürzlich einen offiziell als „Reportage“ firmierenden

Werbefilm (...), den sich die Marketingabteilung eines der größten Rüstungsunternehmen Europas nicht besser hätte ausdenken können“.

So beschreibt Peer Schader in seinem Stern-Blog Programmstörer einen Beitrag, den Kabel 1 in seiner Sendung „Abenteuer Leben“ zeigte. Protagonist ist ein für den Konzern MBDA schuftender Luftabwehrsystembastler namens Gerald Giese, der in dem Film sagt:

„Es gibt auch kritische Stimmen, es gibt Freunde von mir, die nicht in der Verteidigungsindustrie arbeiten würden.”

Wobei interessant wäre, ob er auch Freunde hat, die die „Verteidigungsindustrie“ anders nennen. Schader schreibt:

„Gieses Freunde, das kann ich Ihnen schon verraten, bleiben in dem Beitrag die einzigen, die diese Arbeit in Frage stellen, zumindest sah die ‚Abenteuer Leben‘-Redaktion keinen Anlass dazu.“

Diese hat es sich nämlich laut Selbstdarstellung (die Schader zitiert) „zur Aufgabe gemacht, den Menschen hinter dem Waffensystem kennenzulernen“. Vielleicht hätten die Abenteuerexperten da lieber Horst Tomayers „35-Stunden-sind-genug-Lied der deutschen Rüstungsarbeiter“ (Textauszüge hier) als Dauerschleife senden sollen.

[+++] Um zu erfreulicheren Erscheinungsformen des nonfiktionalen Fernsehens zu kommen: Heute ist Friedler-Tag! „Das Mädchen - was geschah mit Elisabeth K.?" läuft in der ARD, Eric Friedlers Dokumentation über die Rolle, die vor 37 Jahren mächtige deutsche Institutionen beim Mord an einer deutschen Staatsbürgerin in Argentinien spielten. „Wie das Auswärtige Amt und der DFB in Argentinien versagten“, lautet im Tagesspiegel die Überschrift einer Rezension Thomas Gehringers, der „eine Art Politthriller“ gesehen hat.

Bernd Pickert meint in der taz:

„Neu und überraschend an der Dokumentation von Eric Friedler sind insofern nicht die reinen Fakten - vieles davon hatte der Freiburger Menschenrechtsanwalt Konstantin Thun schon 1985 in der ersten Auflage seines Buchs ‚Menschenrechte und Außenpolitik. Bundesrepublik Deutschland - Argentinien 1976-1983‘ zusammengetragen. Aber Friedler gelingt es zum ersten Mal, damalige Protagonisten vor die Kamera zu bekommen, darunter die damaligen StaatsministerInnen im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm-Brücher und Klaus von Dohnanyi.“

Hans-Dietrich Genscher, der damalige Außenminister, äußert sich allerdings nicht, wie Michael Hanfeld heute in der FAZ betont. In der bereits zweiten Frankfurter Allgemeinen Rezension des Films - die erste erschien am Dienstag auf der Sportseite, siehe Altpapier - schreibt der Medienressortchef:

„Hans-Dietrich Genscher (gab) Friedler vor rund einem Jahr die Zusage für ein Interview, (fand) seither aber keine Zeit dafür (...) Auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt fehlt in der Reihe derer, die sich an Elisabeth Käsemann erinnern.“

Holger Gertz (SZ) analysiert:  

„Friedlers bemerkenswerter Film ist auch eine Definition von Realpolitik. Die Deutschen lieferten Waffen nach Argentinien, sie richteten das Farbfernsehen für die WM ’78 dort ein. Der Fußballpräsident (Hermann) Neuberger wollte es sich mit dem Weltverband Fifa nicht verderben. Jeder hatte Grund, nichts zu tun; jeder vertraute darauf, irgendwie durchzukommen. Und, wenn man sich die Karrierewege der meisten anschaut: sie sind auch ganz gut durchgekommen (...) Das ist fast vierzig Jahre her, aber es macht einen noch immer fassungslos, sich das anzusehen. Es macht einen wütend.“

Fritz Wolf schreibt in seinem neuen Blog wolfsiehtfern.de, mit dem er sich zu einer Art Rainer Tittelbach der Dokumentarfilmbetrachtung aufschwingen könnte (falls diese leicht scherzhafte Vereinfachung gestattet ist):

„Pünktlich vor der Weltmeisterschaft kommt mit dem Film von Eric Friedler ein Stück bundesdeutsche Geschichte ins Fernsehen, der das Verhältnis von Sport und Politik auf eine sehr besondere Weise aufreißt und eine ziemlich tiefe Wunde sichtbar macht.“


 ALTPAPIERKORB

+++ Viel erfährt man anlässlich des 25. Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz über den heute in Hamburg lebenden Fotografen Jeff Widener, dem das ikonographische Bild mit dem Mann, der sich gegen die Panzer stellt, zu verdanken ist. Siehe zum Beispiel Tagesspiegel und SZ.de.

+++ Ebenfalls bei SZ.de: Katja Kipping (Die Linke) geht gegen den Spiegel vor, weil der unzutreffend behauptet habe, sie habe etwas „mit einem Papier zu tun, das Abgeordnete ihrer Partei als ‚personelle No-Gos‘ bezeichnet“.

+++ Mehr Rechtliches im Schnelldurchlauf: Der Presserat rügt Springers Welt für die Online-Berichterstattung über „den Suizid einer weitgehend unbekannten Nachwuchssportlerin" (meedia.de), und das Oberbayerische Volksblatt berichtet in eigener Sache, dass das Landgericht München der Zeitung bestätigt hat, dass sie eine rechtsextreme Partei rechtsextrem nennen darf.

+++ Über eine Diskussion über den Zustand und die Zukunft der Literaturkritik, die sich abhebt von den i.d.R. „nervigen“ Debatten, die sonst zu diesem Thema stattfinden, berichtet Oskar Piegsa (achtmilliarden.com). Über die Bühne ging sie in Hildesheim, wo sich auf angenehme Weise „zwei kluge & zivilisierte Leute ins Wort (fielen)“, nämlich Spiegel-Mann Georg Diez und die freie Journalistin Ina Hartwig („Relevanz ergibt sich aus der Sprache. Mich interessieren auch Stoffe, aber ich würde nicht sagen, man muss jetzt da und da drüber schreiben, ich will von der Wahrnehmung überrascht werden“).

+++ Ist das Thema Ulrich Hoeneß durch? Nö, „irgendeine Talkrunde kriegt man damit wohl immer zusammen“, meint Jan Wiele (faz.net) anlässlich der gestrigen „Anne Will“-Sendung. „Ihr grotesker Höhepunkt gehörte dem Gast Peter Bizer, der eine Biographie über (...) Hoeneß geschrieben hat: Er begann seine Ausführungen zu dessen Haft mit einer Erinnerung an Robben Island, jene Gefängnisinsel also, auf der Nelson Mandela achtzehn Jahre seines Lebens fristete.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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