Der Star im Zirkus ist die Nachricht

Der Star im Zirkus ist die Nachricht

Sind Frank Schirrmacher und Jakob Augstein Vertreter des Neo-Biedermeier? Wird ZDFneo zu einem neuen Umschlagplatz für sogenannte C-Promis? Wird Journalismus in Springers schöner neuer Welt „zum Köder für weitaus profitablere Geschäfte“? Ist die Sportrechtewelt verrückt? Außerdem: Ulrich Hoeneß gegen den Stern, SZ-Kirchenexperte gegen den Eulenspiegel, türkische Justiz gegen türkische Antwort auf „Sex and the City“.

Den geplanten Verkauf von Springers Zeitungen und Zeitschriften an Funke und den abgewickelten Verkauf des Washington Post in einem Text abzuhandeln, liegt nahe, das haben ja viele Journalisten schon getan. Schwieriger ist das aber, wenn man bei einer Wochenzeitung arbeitet, die vom WaPo/Bezos-Deal kurz vor Redaktionsschluss überrascht wurde. Moritz Müller-Wirth ist es auf Seite 1 der Zeit dennoch gelungen, auf beide Entwicklungen einzugehen. Es geht darum, wie das Online-Kaufhaus Springer langfristig funktionieren könnte:

„Wenn Springer sein Ziel erreicht, die Zeitungen vor allem auf digitalen Endgeräten profitabel an den Leser zu bringen, wird Bild bald nicht nur  die Zeitung mit den meisten Lesern, sondern, perspektivisch, auch die Zeitung mit den meisten Leserdaten (...)“

Bedenkt man dann, dass Springer all diese „journalismusfernen“ Plattformen hat - also, nur zum Beispiel, diese und diese -,

„wären Bild und Welt Teil eines großen digitalen Warenhauses (...) und die von den Lesermenschen freiwillig abgelieferten Daten dabei eine ganz harte Währung (...) Journalismus würde zum Lockstoff, zum Köder für weitaus profitablere Geschäfte. Eine ähnliche Rechnung könnte auch Bezos im Kopf haben.“

Neue Deutungen der Vorgänge rund um Springer und Funke liefert auch Hans-Jürgen Jakobs, der Chefredakteur des Handelsblatts gibt in seiner Kolumne für meedia.de den Psychologen und schaut mal rein in die Seelen bzw. die Herzen der Funke-Geschäftsführer Christians Nienhaus und Manfred Braun:

„Christian Nienhaus ... hat ein Herz für Zeitungen, schließlich hat er sich lange mit der profitablen „Bild“-Gruppe abgegeben (damals Hamburg). Nienhaus ist bei Springer unglücklich geworden, weil er nicht in den Vorstand kam, so geht die Saga, und nun kann auch er sich beweisen. Nienhaus will der bessere Springer sein.“

Ähnliches sagt er über den früheren Bauer-Verlags-Hierarchen Braun, der an seiner langjährigen Wirkungsstätte einst unter für Boulevardmedien nicht unattraktiven, für ihn aber eher unschönen Umständen ausschied.

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Eine Randnotiz zu einem weniger bekannten Aspekt aus der Geschichte der künftigen Ex-Springer-Zeitschrift Hörzu - die mal eine Art Corporate-Publishing-Organ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war, so seltsam das auch klingen mag - findet sich in der Funkkorrespondenz (Disclosure: Der Artikel ist von mir).

[+++] Der WaPo/Bezos-Deal ist für Daniel Haufler (FR) ein Anlass darauf einzugehen, wie derzeit Politik in den US-Medien präsentiert wird bzw. wie Politiker sich dort präsentieren:

„Zwei Ereignisse in dieser Woche scheint nichts zu verbinden. Doch sie dokumentieren einen gravierenden Wandel im amerikanischen Mediensystem. Erst gaben die Verleger der Washington Post bekannt, dass sie die Zeitung an einen Milliardär verkaufen, der sein Geld mit Geschäften im Internet verdient. Und tags drauf saß US-Präsident Barack Obama in der Sendung des Late-Night-Talkers Jay Leno, um über seine Politik, den politischen Gegner und allerlei sonst zu scherzen. Der Präsident schaute nun schon zum vierten Mal in der ‚Tonight Show‘ vorbei. Von so häufigen Auftritten Obamas können die Polit-Magazine der TV-Sender nur träumen, von den großen Tageszeitungen ganz zu schweigen. Will Obama eine Botschaft vermitteln, meidet er meist die Hauptstadtpresse und geht stattdessen gezielt zu lokalen Sendern, deren Journalisten nicht so kritisch nachfragen. Oder er geht in Unterhaltungssendungen, twittert, facebooked, mailt und youtubet die Bürger direkt an (...) Kuriositäten aus dem Internet sind wiederum häufig Gegenstand von Berichterstattung in Zeitungen und Fernsehsendungen. Selbst ein anspruchsvolles TV-Polit-Magazin wie ‚All in‘ mit dem Moderator Chris Hayes hat eine ständige Kolumne mit den drei überwältigendsten ‚Clicks‘ des Tages aus dem Netz.“

Die SZ veröffentlicht auf ihrer Medienseite einen auch in der Washington Post erschienenen Text von deren Redakteur David Ignatius. Dem Pathos und der Zuckrigkeit des Artikels kann man sich zugegebenermaßen nur schwer entziehen:

„Es ist einfach, darüber zu sprechen, wie gut Veränderung ist. Wenn sie dann aber tatsächlich eintritt, ist das ein Schock. So fühlte es sich am Montag für Hunderte Mitarbeiter der Washington Post an, als wir unseren Chef, Donald Graham, sagen hörten, dass er die Zeitung verkauft. Um zu begreifen, was diese Woche passiert ist, muss man verstehen, wie persönlich die Beziehung war zwischen dem Eigentümer und der Post. Wir haben es hier mit einem CEO zu tun, vor dessen Bürotür eine alte Holzkarre stand, mit der das Blatt verteilt wurde, als es noch The Washington Post and Times-Herald hieß (...) Der Eigentümer kommunizierte oft und, bis E-Mail aufkam, handschriftlich. Korrespondenten, die fernab der Heimat ihren Kopf riskierten, wussten immer, dass Don ihre Arbeit las, denn er schrieb ihnen persönliche Mitteilungen, in denen er ihnen zu Geschichten gratulierte. Wie Hunderte von Reportern bestätigen können, schien es manchmal, als sei Don der einzige, der sie wahrnahm.“

[+++] Nun aber erst einmal ins brandaktuelle Mediennewsgeschäft: Der recht verworrene Streit, den eine App von Sky zwischen Springer und dem Murdoch-Sender ausgelöst hat (siehe Altpapier), scheint beigelegt zu sein. Das Problem, das auf dieser Sky-App Bundesliga-Bilder zu sehen sein werden, empfand man bei Springer ja als ungefährkonterrevolutionären Akt, schließlich will man mit Bundesliga-Pay-TV ja selber einen auf digitale Revolution machen. Jetzt ist Springer aber zufrieden, weil die Berichte in der Sky-App länger ausfallen als geplant. Ja, echt jetzt. Dass für den einen Wettbewerber plötzlich alles in Butter sein soll, weil der andere Wettbewerber plötzlich nicht mehr das Wenige anbietet, was eben noch kritikwürdig war, sondern viel mehr - das nötigt hartgesottenen Experten wie Michael Hanfeld (FAZ) und Christopher Keil (SZ) Formulierungen ab wie „aberwitzige Lösung“ (Hanfeld) „Springers kurioser Sieg“ (Keil) oder „verrückte Sportrechtewelt (ders.). Hanfeld hatte offenbar Spaß daran, sich des Irrsinns anzunehmen:

„‚Keine lineare kurze Berichterstattung zur Bundesliga‘ darf der Abosender Sky auf seiner neuen App anbieten, weil die Rechte daran Springer gekauft hat. Sky darf aber (...) Bundesligaberichte anbieten, die nicht kurz sind. Was heißt ‚kurz‘? Kurz heißt, nach den juristischen Definitionen, die sich beim Verkauf der Rechte im vergangenen Jahr ergeben haben: unter vier Minuten. Nicht kurz heißt: vier Minuten und mehr.“

Und warum kam es, wie es kam?

„(Sky) hatte (...) vorgesorgt. Denn der Sender hat bei der Rechtevergabe für 487 Millionen Euro pro Saison nicht nur fürs Live-Fernsehen eingekauft, sondern auch – in den Rechtepaketen G und H – fürs Internet. Die werden jetzt genutzt, sie entsprechen nicht den Springer-Rechten, die der Ligaverband DFL im Paket M verkauft hat. Springer zahlt dafür fünf Millionen Euro pro Jahr.“

Keil (SZ) schreibt online (die SZ-Print-Fassung ist kürzer):

„Rechtliche Fragen jedenfalls stellten sich jetzt nicht mehr. Andere Fragen, die Frage nach dem Sinn von Döpfners lautem Eingreifen zum Beispiel, bleiben. Warum sind Springer-Digital-Spezialisten jetzt erleichtert, dass Sky über seinen redaktionellen News-Kanal eine Internet- ‚Sportschau‘ etablieren könnte, wenn auch gegen Bezahlung der App? Wahrscheinlich gehen sie davon aus, dass sehr knappe Torschnipsel eine größere Attraktivität und Aufmerksamkeit besitzen als minutenlange Zusammenfassungen.“

Der Tagesspiegel und dwdl.de befassen sich ebenfalls mit der Causa.

Während sich Sky darüber freuen darf, dass Mathias Döpfners „lautes Eingreifen“ (Keil) dafür gesorgt hat, dass nun alle ganz genau wissen, was der Sender ab dem späten Samstagnachmittag in seiner App anbietet, dürfte man in Unterföhring über die Berichterstattung an anderer Front nicht ganz so glücklich. Zahlreiche Kneipenwirte, die bisher Sky abonniert hatten, haben wegen teilweise grotesk anmutender Preiserhöhungen gekündigt, und machen nun mobil gegen den Monopolisten im Bereich der Bundesliga-Live-Übertragungen. Die taz berichtet (Disclosure: Der Text ist von mir).

[+++] Der Blog Wiesaussieht beweist gerade, dass sich die Debatten zur Lage und Zukunft des Journalismus dadurch beflügeln lassen, dass man auch mal jemanden schreiben lässt, der bisher noch nicht als Nischen-Promi auffällig geworden ist. Während die bei Spiegel Online laufende Zeitungsdebatte (siehe Altpapier von Montag und Donnerstag) zumindest teilweise daran krankt, dass dort die üblichen Verdächtigen mit Wortspenden in Erscheinung treten, die so überraschungsarm sind wie Interviews mit Uwe Seeler zur Lage des HSV, liest man also bei Wiesaussieht einen erfrischenden Gastbeitrag des zumindest in Deutschland - noch - kaum bekannten news.at-Redakteurs Daniel Steinlechner. In dem Text (der, so viel Transparenz muss sein, mit einer Vorbemerkung des Herausgebers versehen ist, in dem das das Altpapier wohlwollend erwähnt wird) geht es, möglicherweise mit einer ähnlichen Intention wie in diesem Carta-Beitrag vor ein paar Monaten, um Erregungszyklen und getrieben Säue:

„Ich bin ein Onliner. Die Welt, in der ich arbeite, ist 24 Stunden am Tag von den Nachrichten der Agenturen und großen Nachrichtenaggregatoren getaktet. Persönlich ist mein Interesse am Live-Event allerdings meist gering. Ich lese privat so gut wie nie Ticker, um als erster zu wissen, wo gerade ein Flugzeug abgestürzt oder eine Bombe explodiert ist (...) Ich lebe allerdings in der Angst, dass die Nachricht diese Welt auffrisst. Dass sie immer größere Teile meines Tages kolonisiert. Dass in diesem permanenten Erregungszustand jeder Beitrag zu einem Punkt im endlosen Mäandern des Shitstorms gemacht wird, der jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf treibt – und dabei die Sau selbst zu einer austauschbaren Figur des Erregungszyklus macht. Es ist die Angst vieler Offlinejournalisten: ich kenne sie und halte sie für real. Es ist die Sorge, dass die Nachricht selbst der Star des Medienzirkus wird (...)“

Außerdem befasst sich Steinlechner mit dem Umgang mit der eigenen Community:

„Kann es sein, dass ‚Zuckerkringel73‘ und ‚Kaffeeröster12‘ tatsächlich mehr von einem Sachverhalt verstehen als man selbst? Muss man zum Sklaven ihrer Ansprüche werden und einen Text so lange nachredigieren, bis auch der letzte Poster sein Interesse daran verloren hat? Das alles sind in Wirklichkeit hochgradig virtuelle Fragen. Realiter geben knappe Mittel das Ausmaß der Beschäftigung mit Communityanliegen vor. Die Frage der Expertise wird damit ebenso rasch obsolet wie sie gestellt worden ist. Längst beschäftigen sich nämlich alle mit anderen Themen – und neuen Aufregern. Am Ende bleibt kein Experte übrig und ob das ein Schaden für unsere Demokratie ist, wird sich erst weisen. Doch es berührt einen Kern. Was eigentlich ist Journalismus? Kann es noch Raum für das Erarbeiten von Expertise geben oder zwingt schon der ständige Nachrichtenstrom dazu, die Expertise des Publikums aufzugreifen?“

[+++] Damit soll es aber noch nicht genug sein mit Hinweisen auf sehr lange Debattenbeiträge, schließlich naht das Wochenende, und dann haben wir ja vielleicht ein bisschen Zeit für so was. Silke Fürst analysiert in der Medienwoche unter dem Titel „Die Masse als Maßstab. Aufmerksamkeit schafft Aufmerksamkeit“ eine ungute Fixiertheit vieler Medienbetriebsangehöriger:

„Weil sich die Aufmerksamkeit des Publikums immer mehr auf verschiedenste Angebote und Kommunikationskanäle verteilt, wird verstärkt das zum Thema in den Medien, was große oder unerwartete Resonanz erhält. So erfahren wir etwa aus dem Tages-Anzeiger, welche Prominenten mit ihren Twitter-Botschaften die meisten Menschen erreichen und wie viel Resonanz und politische Bedeutung die Facebook-Seite des afrikanischen Whistleblowers Baba Jukwa gewonnen hat (...) Spiegel Online informiert über die ‚Wikipedia-Magneten der Woche‘ (...) So unterschiedlich diese Berichte auch sind – ihnen gemeinsam ist die Orientierung an öffentlicher Aufmerksamkeit. Sie machen bekannt, dass etwas Bekanntheit erlangt oder verloren hat. Zum Teil nehmen sie auch vorweg, dass etwas Resonanz erhalten und zum wichtigen Gesprächsthema und Geschehen werden wird. (In einem) Spiegel-Bericht zur Snowden-Affäre geht es nicht direkt um das Publikum, sondern um die Resonanz, die bei den Medien ausgelöst wird. In diesen Fällen wird dargestellt, dass etwas eine übergreifende mediale Berichterstattung erfährt, zum Beispiel dadurch, dass die Anwesenheit von zahllosen Journalisten genannt oder gezeigt wird.“

[+++] Apropos Aufmerksamkeit: Sehr viel davon erfährt die gestern im Altpapierkorb schon kurz erwähnte ZDFneo-Reihe „Auf der Flucht - Das Experiment", sogar eine Petition, in der die Absetzung der vor gerade mal rund zwölf Stunden gestarteten „Asyl-Dokusoap“ (Spiegel Online) gibt es schon. Um die bösesten Kritiken zugespitzt zusammenzufassen: „Auf der Flucht“ ist nicht besser als das „Dschungelcamp“. Nina Pauer (Die Zeit) schreibt:

„Man möchte das ZDF nicht mit RTL vergleichen, man muss es aber tun, an muss es aber tun, wenn das Öffentlich-Rechtlichen beginnt, sich der Logik von Privatsender-Schlagern anzugleichen, in denen C-Promis, gemischt mit selbstversuchsbereiten Durchschnittsbürgern, in ferne Länder entsandt werden, um dabei gefilmt zu werden, was das so mit ihnen 'macht'".

Bei meedia.de äußert sich Frida Kammerer:

„Was ZDFneo mit der Serie zeigen oder beweisen will, bleibt unklar. Statt um das Experiment Flucht geht es hauptsächlich um kleinliche Streitereien, die dem behaupteten Anliegen der Serie unwürdig sind. Zudem ist die Sendung sehr dramatisch in Szene gesetzt: Die Schnitte sind schnell, dramatische dräut Musik  immer und überall (...) Würde man die Szenen mit Schlagermusik untermalen und die Kommentare aus dem Off klängen ironischer, könnte es sich um eine Trash-Reality-TV-Sendung handeln. Nur leider meint ZDFneo diese ‚Dokumentation‘ komplett ernst. Sie verrennt sich in Absurditäten. Das fängt schon damit an, dass die Protagonisten mit Hartschalenkoffer und Bass-Gitarre durch die Gegend tingeln. Wie soll der Flüchtling von heute sonst auch reisen.“

Am wütendsten ist Christine Kensche (Die Welt):

„Man wolle herausfinden, warum Flüchtlinge ihr Zuhause und ihre Familien für immer verlassen, verkündet ein Sprecher aus dem Off (...) Dazu hätte der Sender freilich nicht diese sechs Figuren auftreiben müssen. Flüchtlinge gibt es genug. Sie hätte man, wie in seriösen Dokumentationen schon geschehen, auf ihrem Weg begleiten können. Bereits das Wort ‚Experiment‘ ist zynisch: Für Hunderttausende Menschen ist das bittere Realität, die sie nicht einfach abbrechen können. Für sie ist die lebensgefährliche Überfahrt mit überfüllten Booten über das Mittelmeer oft die letzte Hoffnung – keine ‚ungewöhnliche Reise‘, wie das ZDF seine inszenierte Pseudoflucht bewirbt (...) Nein, hier geht es nicht um Aufklärung, sondern um Quote. Warum sonst dieser reißerische Stil, der Kino-Sound, die explosive Mischung der Charaktere, welche die Macher von ‚Dschungelcamp‘ und ‚Big Brother‘ nicht besser hätten casten können?“

[+++] Ebenfalls in der Welt, ebenfalls mit ein bisschen Schaum vorm Mund geschrieben: ein Artikel, der die Frage in den Raum stellt, ob Jakob Augstein und Frank Schirrmacher Neo-Biedermeier-Typen sind. Ja, meint zumindest Wolf Lotter, der die Artikel der Genannten zum NSA-Skandal (und Schirrmachers Schocker „Ego. Das Spiel des Lebens") zum Anlass für seinen Text nimmt. Aufgefallen sind ihm dabei „ein spießbürgerliches Beklagen der Veränderung mit krassen Übertreibungen und falschen Herleitungen“ und „undifferenzierte Gruselprosa“:

„Was noch vor wenigen Monaten seltsam kapriziös und wirr klang, erhält durch die Debatte ums digitale Spionieren eine neue Plausibilität. Hinterm Mond ist der richtige Zeitpunkt gekommen (...) Für den bürgerlichen Linken (Augstein) ist der bürgerliche Konservative (Schirrmacher) ein Glücksfall, weil er ihn ständig zitieren kann: Wenn sogar ein FAZ-Herausgeber zum beherzten Antikapitalisten wird, dann zeigt das doch nur, wie weit es mit ‚dem System‘ schon gekommen ist – zu diesem Zeitpunkt. Mit ‚dem System‘? Oder eher mit der Kritikfähigkeit eines zweifelsohne bürgerlich-intellektuellen Publikums, an dessen Angst sich die Autoren entlangschreiben?“

Dafür, dass es im Medienbetrieb - und auch jenseits davon - allzu viele bürgerliche Konservative gibt, die, vermeintlich, „beherzte Antikapitalisten“ sind, spricht allerdings wenig; in der Mehrzahl dürften sie, wie Lotter, beherzte Kapitalisten sein.


ALTPAPIERKORB

+++ Da sich das Altpapier ja keineswegs als Anti-ZDFneo-Kolumne (siehe oben) zu etablieren gedenkt, sei an dieser Stelle vermerkt, dass es auch Positives über das Programm zu sagen gibt. Harald Keller jedenfalls lobt in der Funkkorrespondenz die am Samstag startende Reportagereihe „Abgefahren - Wissen auf Rädern“: „Verglichen mit dem Gros des Edutainments im deutschen Fernsehen ist das bei ZDFneo ausgestrahlte neue Format „Abgefahren – Wissen auf Rädern“ (Produktion: Bewegte Zeiten) eine Offenbarung (...) Den Stirnrunzlern unter den TV-Connaisseuren mag eine solche Sendereihe albern erscheinen. Doch sie trifft den Tonfall der jugendlichen Zielgruppe, sie unterhält und sie wirkt. Oder hätten Sie gewusst, dass Seife erstmals in der Gegend des heutigen Iraks zur Anwendung kam?“

+++ Ebenfalls in der Funkkorrespondenz: Silke Krebs (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerin im baden-württembergischen Staatsministerium, und die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Jacqueline Kraege (SPD), erläutern die Novellierung des SWR-Staatsvertrages, der 2014 in Kraft treten soll: „Künftig wird aus jedem der beiden Länder ein voll stimmberechtigtes Mitglied der Personalvertretung dem Verwaltungsrat angehören. Dies ist bei der Mitbestimmung im Bereich der Wirtschaft bereits gang und gäbe und wird nunmehr auch beim SWR vorgesehen. Es stärkt im Übrigen auch die staatsferne Zusammensetzung des Gremiums. Ferner wird in Zukunft ein Redaktionsstatut beim SWR aufgestellt, das die Mitwirkungsrechte der Programmbeschäftigten in Programmangelegenheiten regelt und stärkt. Es kann nur mit Zustimmung der Beschäftigten geändert werden.“ Dass das in der Praxis spürbare Besserungen bringen wird, würde man ja gern glauben.

+++ Weil im NSU-Prozess gerade die Sommerpause begonnen hat, bietet es sich an, einen Blick auf die Zwischenbilanzen zu werfen. Einen Überblick liefert der Prozess-Blog von Zeit Online, der die tägliche Prozessberichterstattung auswertet - zum Beispiel hier und hier.

+++ Der übrige Altpapierkorb ist aus gegebenem Anlass dem sehr vielfältigen, manchmal bunten, manchmal weniger bunten Komplex Medien & Recht gewidmet. Die schillerndste Figur in diesem Zirkus ist gerade Ulrich Hoeneß, der sich über einen Stern-Artikel echauffiert. Hans Leyendecker schreibt in der SZ, dass „nach Informationen der Süddeutschen Zeitung“ Hoeneß‘ Anwalt Michael Nesselhauf „von dem Autoren der Stern-Geschichte und von der Vorstandsvorsitzenden von Gruner+Jahr, Julia Jäkel, in deren Verlag das Magazin erscheint, Unterlassungserklärungen verlangt haben. Gleichzeitig soll offenbar eine Klage in der Hauptsache bei Gericht angestrengt werden. Es ist zu vermuten, dass Hoeneß in mindestens drei Punkten gegen den Bericht vorgeht. Die beiden wichtigsten: Angeblich hätten sich auf dem Hoeneß-Konto bei der Zürcher Bank Vontobel vor 2008 ‚durchgehend Werte von 500 Millionen Schweizer Franken‘ befunden. Angeblich sollen von diesem Konto ‚um 2008 herum‘ erhebliche Summen auf Nummernkonten bei drei Schweizer Geldhäusern abgeflossen sein.“

+++ Medien & Recht (II): Ausführlich aus einem Urteil des Landgerichts Hamburg, bei dem Matthias Matussek vergebens versucht hat, mit einer Einstweilige Verfügung die morgige Ausstrahlung einer Kurt-Krömer-Sendung zu verhindern (siehe Altpapier), zitiert der Tagesspiegel. Der Unterlegene hofft nun, dass das Oberlandesgericht die Sache anders sieht.

[+++] Medien & Recht (III): Felix Dachsel beschäftigt sich in der taz mit den Folgen einer im Eugenspiegel erschienenen, teilweise „bushidoesken“ Satire „für Freunde des gepflegten Schulhofhumors“, die sich „mit dem Gerücht einer Schwulen-Lobby im Vatikan auseinandersetzt“. Erfolgreich vorgegangen gegen den Artikel ist der darin vorkommende SZ-Kirchenfachmann Matthias Drobinski: „Er habe in seiner Redaktion Rücksprache gehalten, wie mit dem Beitrag umzugehen sei, unter anderem habe er sich mit Heribert Prantl beraten. ‚Wir waren uns schnell einig, dass es hier um eine eklatante Persönlichkeitsrechtsverletzung geht‘, sagt Drobinski. Der Eulenspiegel sei eben nicht irgendeine Schülerzeitung, sondern die zweitwichtigste Satirezeitung in Deutschland.“ Die drittwichtigste zu finden, dürfte nicht so einfach sein.

[+++] Medien & Recht (IV): Die taz berichtet in eigener Sache darüber, dass die Staatsanwaltschaft Mails eines Redakteurs löschen muss, an die sie gelangt war, als sie den Computer eines Stuttgart-21-Gegners beschlagnahmte (siehe Altpapier). Das hat das Amtsgericht Stuttgart beschlossen: „Dabei berief es sich unter anderem auf das Cicero-Urteil. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2007 geurteilt, das eine Durchsuchung der Redaktionsräume des Politmagazins 2005 verfassungswidrig war. Die Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses durch Journalisten reiche nicht aus, um eine Beschlagnahme journalistischer Dokumente zu begründen.“

[+++] Medien & Recht (V) „Wie die türkische Justiz versucht, das Drehbuch einer erfolgreichen Seifenoper umzuschreiben“, berichtet Tim Neshitov im SZ-Feuilleton (Seite 13). Worum geht es? Um „Das prächtige Jahrhundert" - gemeint ist übrigens das 16. - bzw. „die türkische Antwort auf ‚Sex an the City“.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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