Heiße Herbste

Heiße Herbste

Im deutschen Fernsehen, das seinen Anspruch auf internationales Renommee mit frischen Ideen untermauert. Im internet-affinen Europa, das vielleicht tatsächlich ins Diskutieren über Vorratsdatenspeicherung und andere digitale Themen gerät.

Zuerst die uneingeschränkt gute Nachricht. Sie stammt aus der glitzernden Medienwelt alten Zuschnitts: Das ZDF, dieser Teufelskerl unter den Rundfunkanstalten, dem das deutsche Fernsehen ein gerüttelt Maß seiner Weltgeltung verdankt, hat wieder aufregenden Nachwuchsnachschub in seiner Moderatoren-Pipeline. Auf die Spuren des derzeit einzigen deutschsprachigen Moderators von internationalem Rang, des einst ja ebenfalls vom ZDF entdeckten Markus Lanz, begeben sich demnächst: Inka! Bause und Christian Rach.

Just als in Hamburg der Öffentlichkeit "erste Details" (kress.de) zur Welturaufführung der gespannt erwarteten neuen Sendung "Inka!" verraten wurden, die am 2. September das Licht der Bildschirme erblicken wird (15.05 Uhr, leider nur montags bis freitags), begann überdies die Meldung Kreise zu ziehen, dass das ZDF zur weiteren Verstärkung seines ohnehin starken Teams auch noch Rach gewinnen zu können scheint (dwdl.de).

Freuen Sie sich also im bevorstehenden heißen Herbst auf eine Fülle vielversprechender Formate voll frischer Ideen aus Ihrem Gebührensäckel. Um ein wenig Appetit zu machen: "Die Gäste sollen dabei sowohl prominent als auch unbekannt sein" (dwdl.de über "Inka!"), "nur reden oder auch tanzen, kochen oder backen ... - alles sei in der Sendung möglich" (kress.de darüber). Mit Rach indes sei "eine große Ernährungs- und Verbrauchershow mit dem Titel 'Wie isst Deutschland 2013', in der die Ess- und Verbrauchergewohnheiten der Deutschen durchleuchtet werden", in der Mache (ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler, heute vielfach zitiert). Da bahnt sich ein neuer heißer Qualitäts- und Quoten-Wettbewerb der öffentlich-rechtlichen Senderfamilien an, schließlich gibt es da ja noch die ebenfalls nicht zu verachtende Entdeckung des Ersten, Timmy Mälzer ("Was isst Deutschland wirklich?").

Ja, laufen die jungen Leuten nicht Gefahr, verheizt zu werden? Sollten sie nicht zunächst in einer der zahlreichen Digitalnischen Erfahrungen sammeln, bevor man sie aufs große Publikum loslässt? Nein, Inka! und Rach haben sich erste Sporen, wie einst auch Lanz, erste Sporen bereits beim Offenen Kanal im westmitteleuropäischen Großherzogtum Luxemburg, oder so, verdient.

Wer all diese und weitere Scoops aus dem faszinierenden Fernsehbusiness in ein launiges Textchen übers "Wechselfieber" "vor der kommenden TV-Saison" hineingemixt hat, ist heute der Tagesspiegel auf seiner Medienseite. Ganz besonders freuen dürfte man sich beim ZDF darüber, dass das Berliner Blatt selbst die knappe Programmdirektors-Interviewaussage von letzter Woche, eine "anspruchsvolle Miniserie - 'Breaking Bad' auf Deutsch also" produzieren zu wollen, deren Substanz mit Null eigentlich freundlich bewertet wäre, gar noch weiterdreht ("Zudem traut sich das ZDF zu, die hochgelobte US-Serie 'Breaking Bad' zu 'germanisieren'").

[+++] Damit in die große Grauzone der Daten und, aktuell trending: der Metadaten, die leider, leider der Medienwelt alten Zuschnitts, in der man sich einfach mal auf schöne Fernsehshows freuen konnte, den Rang abläuft, aber so irre unübersichtlich ist. Schon, "weil wir in den Augen der Systeme entweder nicht sagen, was wir wollen, oder es selbst nicht wissen". Beziehungsweise: "Wer weiß, was es in zehn Jahren bedeutet, was einer heute tat?"

Starke Sätze zu den großen Themen wiederum von Frank Schirrmacher, heute als großer Leitartikel auf Seite 1 der FAZ und frei online, dort und anderswo in diesem Internet bereits engagiert diskutiert.

Weniger schwer als unmöglich ist es , über all die vielen Analysen und Hintergrundberichte zu Edward Snowden und den Folgen seiner Offenlegung den Überblick zu wahren. Immer mehr mehr oder minder historische Persönlichkeiten tauchen als Referenzrahmen auf. Nur zum Beispiel: Reinhard Gehlen, der (west-)deutsche Nachkriegs-, aber auch Vor-Nachkriegs-Geheimdienstchef (FAZ), und der Filmregisseur Peter Lilienthal, der in den 1930ern so wie nun vielleicht Snowden nach Südamerika emigrierte, wohin in den späten 1940ern völlig andere Deutsche emigrierte (Süddeutsche). Im SPON-Kolumnen-Kosmos zieht Sascha Lobo aktuell zwar nur mit eher kleiner Münze Vergleiche, nämlich u.a. mit der u.a. "sensationell selbstgerechten Onkeligkeit" Harald Martensteins (der ja durchaus noch eine Gegenwarts-Persönlichkeit ist). Dafür zog gerade erst Silke Burmester einen umso größeren Vergleich mit jemandem, der mehr als eine Persönlichkeit ist ("Halte durch, Jesus!"), was hier bei evangelisch.de natürlich besondere Aufmerksamkeit verdient.

Vielerlei Register zieht heute auch die TAZ. Auf der Titelseite, oder doch zumindest in der Onlineansicht des entsprechenden Textes setzt sie a) eine Aussage des Regierungssprechers Steffen Seibert wie ein Gedicht. Im Politikressort gestaltet sie b) eine von Seibert geleitete Bundespressekonferenz-Sitzung als Dramolett, in welchem auch, "ganz hinten, leider unsichtbar, der Gesunde Menschenverstand (GMV)" auftritt und mit Zeilen wie "… chrrr … chrrr … chrrr. Ups, äh, wo waren wir doch gleich?" glänzt. Und weiter hinten gibt's c) ein Interview mit Oliver Bienkowski, seines Zeichens Lichtkünstler und Guerilla-Marketingexperte zugleich, der offenbar eine Minute lang den Slogan "United Stasi of America" "auf die Fassade der Berliner US-Botschaft projiziert" hat, dieses schon etwas geläufige Wortspiel (Altpapier) seinem Auftraggeber Kim "Dotcom" Schmitz zuschreibt und überdies in nur drei Antworten gleich zwei Guantanamo-Witzchen unterbringt.

Einen prominenten Namen, der bisher wohl noch nicht fiel, jedoch verdammt naheliegend wäre, warf dann noch per Twitter schön indirekt Falk Steiner in die Debatte: indem er Neelie Kroes, ihres Zeichens prominentes Mitglied der EU-Kommission, fragte:

"hows your internet freedom ambassador doing? haven't heard of him for a long time."

Der "Internet freedom ambassador" oder zumindest einer solcher Botschafter, dürfte, da von einer Aberkennung dieses Titels noch nichts zu hören war, der als zukunftszugewandter Transatlantiker zur Auflösung des "Prism"-usw.-Dilemmas zweifellos geeigenete Karl-Theodor zu Guttenberg sein. (Und das schreibe ich nicht, weil ich kürzlich aus völlig anderen Gründen und ganz ohne dem Freiherrn zu begegnen, in Guttenberg war...).

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[+++] Falls jemand bei der Initiierung einer von amerikanischen Staats- und Konzerninteressenteilweisen unabhängigen Internet-Infrastruktur wirklich Hoffnungen auf dieses Europa setzt, das in manchen Kontexten ja durchaus ambitioniert auftritt: Leise Anzeichen für die Bildung einer konsisten Haltung gibt es heute ebenfalls.

Gestern begann die Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof (im schon, allerdings lediglich ironisch erwähnten Luxemburg) zur Frage der Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Also, "ob die präventive Protokollierung von Verkehrsdaten aus Telefonie und digitaler Kommunikation mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union vereinbar ist".  Diese Formulierung entstammt dem chronologischen Bericht des österreichischen Standard, der nicht nur deshalb empfehlenswert ist, weil die Klage zu drei Vierteln eine österreichische Initiative ist (und zu einem eine irische).

Dass die Sitzung unter Leitung des "als Berichterstatter federführenden" Richters Thomas von Danwitz, eines Deutschen, "mit einer ungewöhnlich kritischen Fragerunde" endete, vermerkt auch Wolfgang Janisch in der Süddeutschen (S. 5). Christian Rath hat in der TAZ ein konkretes Beispiel:

"Laut österreichischer Regierung betrafen die 56 nützlichen Anwendungsfälle" der Vorratsdatenspeicherung "unter anderem 16 Diebstähle, 12 Drogendelikte und 12 Fälle von Stalking, aber keinen Fall von Terrorismus und wohl keinen Fall von organisierter Kriminalität. EuGH-Richter Thomas von Danwitz erinnerte daran, dass die Richtlinie eigentlich auf 'schwere Kriminalität' zugeschnitten war, nicht auf Diebstähle."

Dass die österreichischen Kosten dafür rund acht Millionen Euro im Jahr betragen, lässt sich dem Standard entnehmen. Schon daher stellen sich Fragen nach der gern im Munde geführten Verhältnismäßigkeit auch besonnenen Beobachtern. Vielleicht also ist tatsächlich, wie netzpolitik.org (das ebenfalls mit einem Liveticker aus Luxemburg am Start war, allerdings einem im Nachhinein weniger gut lesbaren) eigentlich in anderen Europa-Zusammenhängen titelt, ein "heißer Herbst im Europäischen Parlament" zu erwarten - fast so wie im deutschen Fernsehen.


Altpapierkorb

+++ "Heiß & Fettig!" heißt eine der Shows in den öffentlich-rechtlichen Digitalnischen, deren Moderatoren sich für höheren Aufgaben warmlaufen. "Wir wollen die Fragen stellen, die sich auch der Zuschauer beim Thema Sex stellt", erklärte die stellvertretende Redaktionsleiterin von ZDF-Neo, Andrea Eisel, das Konzept gern der TAZ, die sich gerade deshalb allerdings arg unbegeistert zeigt. +++

+++ Fünf Tipps zur Programmoptimierung beim populären Privatsender RTL hat die BLZ.  +++ Die gestern, inzwischen auch online, den von Youtube bzw. in unseren Bubbles von Carta her bekannten Internetinterviewer Tilo Jung porträtierte ("Sowohl ein privater als auch ein öffentlich-rechtlicher Sender hätten 'Jung & Naiv' mit Blick auf den Bundestagswahlkampf geprüft - und abgelehnt. 'Das ist ein Laientheater', sagt Jung über die Entscheidungen bei ARD und ZDF - wohlwissend, dass er es sich so mit den Programmmachern auf lange Sicht verscherzen könnte. 'Ach, egal. Am Ende sind die doch eh auf dem absteigenden Ast. Am besten, ich überspringe die einfach.'"). +++

+++ Für die Süddeutsche-Medienseite porträtiert Claudia Tieschky den Schauspieler Samuel Finzi, indem sie mit ihm vor allem über seine ursprüngliche Heimat Bulgarien spricht. Über deutsche Krimis, aus denen Finzi insbeondere bekannt ist, wurde nur am Rande geredet (Hat Finzi "eine kriminalpsychologische Erklärung dafür, warum die Deutschen Krimis so lieben? 'Meinen Sie, die lieben sie?', fragt er zurück. Nun ja, sie schauen sie jedenfalls wie verrückt, könnte man einwenden, aber auch das lässt Herr Finzi nicht einfach gelten. Es werden eben Krimis produziert, deswegen gucken die Leute Krimis. 'Das heißt nicht, dass sie Krimis lieben.'"). +++

+++ Internationale Meldungen der SZ gelten a) der beim Tages-Anzeiger aus Zürich beschlossenen Frauenquote: "Bis Mitte 2016 soll der Anteil der weiblichen Angestellten bei 30 Prozent liegen - möglichst ausgeglichen auf allen Ebenen. Simone Meier, die Frauenbeauftragte der Zeitung, war höchst überrascht, als die Chefredaktion von sich aus diese 30 Prozent vorschlug..." +++ B) dem griechischen Fernsehen, das "noch in dieser Woche" mit "einem Notprogramm" neustarten könnte: "Der Zeitung Ta Nea zufolge sollen von Mittwoch an Spielfilme, Serien und Dokumentationen gezeigt werden - fraglich ist nur, wie und von wo. Das Fernseharchiv befindet sich im besetzten Hauptgebäude..." +++ Und c) einer gemeinsamen Initiative von "Facebook, Google, Microsoft und weiteren großen Internetkonzernen", ""um Bilder und Videos von sexuell missbrauchten Kindern aus dem Netz zu entfernen und eine erneute Verbreitung der Aufnahmen dauerhaft zu verhindern". Die News stammt aus der Times, die als Murdoch-Zeitung online kostenpflichtig ist, und findet sich hier gratis aggregiert. +++

+++ Heiße Debatte im Tsp.: Dem gestrigen Fernsehsport-kritischen Artikel Joachim Hubers entgegnet heute Friedhard Teuffel, Sportchef des Blattes: "Sport ist für das öffentlich-rechtliche Fernsehen genauso wichtig wie Kultur", womit er freilich Fußballspiele und Tennisendspiele mit deutscher Beteiligung eher weniger meint. +++

+++ Themen der FAZ-Medienseite: Was Carol Flint, "die grande dame des Serienfernsehens" aus den USA, auf einer Veranstaltung in Berlin so sagte (nichts Sensationelles). Wie sich "Militärs und Muslimbrüder an der medialen Front" bewegen. Und eine kleine Bemerkung über Facebooks in den USA nun verfügbare "Graph Search": "Wer isst gern chinesisch, hat einen Hund und schreibt nachts über Fernsehserien? Wer ist alleinstehend, gut aussehend und unter dreißig? Der NSA sei so was ja egal, heißt es. Nachbarn und Mitmenschen vielleicht nicht. Die Neugier kann nun mit eigenen Rasterfahndungen gestillt werden. Facebook nennt es Recherche", so stsch. Wahrscheinlich Stefan Schulz, dessen lesenswerter Google-kritischer Artikel von gestern ("Wer mit Google in Kontakt treten möchte, beispielsweise um sich gegen Herabstufungen oder Sperrungen ... zu wehren, muss sich einen Account bei Google anlegen") inzwischen frei online steht. +++

+++ Burkhard Schröder hat für Telepolis ausprobiert, welche Medien die derzeit manchmal empfohlene Verschlüsselung von E-Mails praktizieren oder praktizieren könnten: "Der 'Tagesspiegel' in Berlin, golem.de, die Wochenzeitung 'Der Freitag', die Computerbild, Welt online - alle willkürlich ausgewählt - reagierten gar nicht auf eine Anfrage, ob man eine verschlüsselte E-Mail senden könne und wie viele Redakteurinnen oder Redakteure sich beim Thema auskennten..." +++

+++ Die oben erwähnte Silke Burmester gewinnt heute in ihrer Rolle als TAZ-Medienkriegsreporterin den Schwanzvergleich der längsten Sätze gegen Gerhard Stadelmaier (FAZ) mit einem nach ihren Angaben 309 Wörter umfassenden Satz. Obacht: Um gedruckte Sätze handelt es sich. Andernfalls würde das Altpapier natürlich die Top 10 unter sich ausmachen... +++ "Doch es lohnt sich, sein Wortschatz-Pulver nicht leichtsinnig zu verschießen" (Wolfgang Grebenhof  im DJV-Blog, zu einem allerdings durchaus relevanten Anlass). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 

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