Edel ist die Zukunft

Edel ist die Zukunft

Die Zeit versteht sich gut mit einem Kundenmagazin, die deutsche Medienwissenschaft taugt wenig, und die hiesige Berichterstattung zum Gaza-Konflikt hat mit Qualitätsjournalismus nicht so viel zu tun. In Sachen FTD heute unter anderem: ein Rückblick auf die Folgen der Fusion der G+J-Wirtschaftsredaktionen und ein Blick auf die aktuelle Befindlichkeit der Belegschaft. Nicht zuletzt: Was hat es eigentlich mit dem Feminismus-Bashing auf sich?

In gewisser Weise ist es ja erfrischend, dass es im umfangreichsten Text auf der FAZ-Medienseite heute nicht um die Zukunft oder den Tod von Zeitungen geht, sondern um ein nach Rückkehr zur so genannten Normalität riechendes Thema: das neue Konzept für den Vorentscheid zum Eurovision Song Contest, der im Februar 2013 in Hannover über die Bühne geht, auf nur noch eine Show beschränkt ist und ohne Beteiligung von Pro Sieben stattfindet. Michael Hanfeld hat den ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber interviewt. Der sagt:

„Die Zusammenarbeit (mit Pro Sieben) war exzellent, und ich hätte sie gern fortgesetzt. Es stimmt aber auch, dass das Konzept von ‚Unser Star für Baku‘ in der Sache richtig war und den besten Kandidaten hervorgebracht hat, wir aber zu viele Sendungen hatten, die dann zu wenige Zuschauer ansprachen. 2010 war die Zusammenarbeit für Pro Sieben sicher sinnvoll, weil sie Stefan Raab für ein größeres Publikum neu positioniert hat. Er ist nun in der Champions League der deutschen Fernsehunterhaltung angekommen, wo er meiner Meinung nach auch hingehört.“

Könnte zwischen den Zeilen auch heißen: Bevor Stefan Raab mit der ARD kooperierte, spielte er noch nicht in einer ganz so hohen Liga, er hat seinen jetzigen Status auch ein bisschen der ARD zu verdanken. Schreiber weiter:

„Eine Sichtweise könnte auch sein, dass Pro Sieben in Shows investiert hat, deren Finale dann im Ersten lief. Es gilt festzuhalten: Wir haben die Zusammenarbeit nicht beendet, wir haben sie für ein Jahr ausgesetzt.“

Und die nutzwertigste Formulierung, die der ARD-Manager im von Spiegel Online aufbereiteten Interview untergebracht hat, lautet:

„Der Kartenvorverkauf beginnt übrigens heute.“

[+++] Nun aber natürlich zu den Grundsatzdebatten zur Zeitungszukunft und den Betrachtungen zum Ende der FTD, die in diesen Tagen mancherorts bekanntlich miteinander verwoben sind. Den größten Bogen schlägt Vera Bunse bei Carta. Sie zieht eine Bilanz der Medienwandeldebatte der vergangenen drei Jahre:

„Dass alle laut über alles Mögliche nachgedacht haben, heißt noch lange nicht, dass dabei für alle etwas Konstruktives herausgekommen ist. Es fiel nur in der Dauerschleife nicht auf. Die Verleger sind bei alldem die Gewinner: Sie haben ihre Aktivitäten zeitig vom Journalismus weg verlagert und erfolgreich neue Geschäftsfelder aufgemacht, nun können sie sich bequem zurücklehnen und mit den Konzernergebnissen zufrieden sein. Der Verlag überlebt, und gar nicht so schlecht. Womit das Geld verdient wird, ist letztlich nachrangig, Hauptsache, es wird verdient. (...) Derweil wird ein Qualitätsjournalismus postuliert, den es nicht gibt, der sich aber als Camouflage gut macht.“

Christian Stöcker rechnet bei Spiegel Online vor, dass man mit der Verlustsumme von „weit über 250 Millionen Euro“ (Horizont), die die FTD in ihrer zwölfjährigen Geschichte angehäuft haben soll, „hätte versuchen können, ein mächtiges digitales Wirtschaftsangebot zu schaffen, wie es etwa das ‚Wall Street Journal‘ in den USA vorgemacht hat“. Ulf Froitzheim (Froitzheims Wortpresse) rechnet auch - und zwar in Sachen Mitarbeiterabfindungen. Anhand der kolportierten Gesamtsumme von 40 Millionen Euro kommt er auf „mehr als 100.000 Euro pro Redaktionsmitglied“. Außerdem skizziert er einige Gedanken zum Wirtschaftsblatt der Zukunft:

„Die Zeitung würde sich beschränken auf exklusive Inhalte exklusiver Autoren, denn dies allein ergibt einen USP. Sie wäre wahlweise als analoge Morgenzeitung oder schon als digitale Abendzeitung zu haben (diese Idee von Steffen Klusmann war ja nicht blöd). (...) Das neue Wirtschaftsblatt wäre eine Art Apple-Zeitung: Die Redaktion verkauft sich lieber über als unter Wert. Apple-ähnlich sähe auch die Vermarktung der Digitalausgabe aus: Wie bei iTunes kauft man per Mausklick das Album, das heißt die komplette Zeitung des jeweiligen Tages, oder etwas teurer einzelne Artikel (Songs). Statt Reinhören gäbe es einen Teaser, dem man den Autor und die Länge des Beitrags entnehmen kann.“

Zum schäbigen Nicht-Verhalten der G+J-Nomenklatura gegenüber den Redakteuren des eigenen Hauses äußern sich Sonja Pohlmann im Tagesspiegel sowie Jürn Kruse und Kai Schöneberg in der tazEbd. steht auch ein Text von mir über die FTD, in dem es um eine Stärke des Blattes geht, die man vielleicht vermissen wird: Dass neben den Sängern neoliberaler Gassenhauer auch regelmäßig Autoren zu Wort kamen, die es im wirtschaftsjournalistischen Mainstrem sonst schwer haben (Disclosure: Ich habe sporadisch für die FTD geschrieben, aber nicht über wirtschaftsjournalistische Themen).

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Caspar Busse, Katharina Riehl und Marc Widmann nehmen in der SZ (Seite 31) „das Scheitern“ der FR und der FTD zum Anlass, eine zwar nahe liegende, aber natürlich richtige These aufzustellen: „Zusammengelegte Redaktionen machen alles nur noch schlimmer.“ Das Autorentrio beschreibt, was für Folgen es hatte, dass G+J im November (!) 2008 beschloss, die Redaktionen seiner Wirtschaftstitel FTD, Capital, Impulse und Börse Online zu fusionieren:

„Den Magazinen und der Zeitung zumindest hat es nicht geholfen, das ist an den Auflagenzahlen abzulesen: Die sanken immer weiter. Auch wirtschaftlich war es kein Erfolg, nach wie vor gab es Verluste. Allein die FTD soll seit ihrer Einführung rund 250 Millionen Euro verschlungen haben. ‚Die Gemeinschaftsredaktion hat das Leben der FTD nur verlängert', erzählen die, die dabei waren. Aber retten konnte das Projekt die Zeitung nicht. Zu groß waren die Reibungsverluste, auch durch viel Bürokratie, zu groß war der Verwässerungseffekt zwischen den Titeln. Qualität und Redaktionsklima haben unter der internen Konkurrenz gelitten. Von ‚Verteilungskämpfen' ist die Rede. Zu wenige Leute waren für zu viele Publikationen zuständig.“

Im Zusammenhang damit ist die Spekulation interessant, die der Finanzjournalisten-Blog vor zwei Tagen aufwarf. Müsste man heute über die Zukunft von Impulse und Börse Online vielleicht gar nicht diskutieren, wenn man die Blätter nicht an die FTD angedockt hätte?

„Die wirtschaftliche Lage der Magazine war nicht gerade rosig, aber de facto wurde ihre Eigenständigkeit aufgegeben, um die ebenfalls Gruner + Jahr gehörende, defizitäre FTD am Leben erhalten zu können.“

Das schreibt Brigitte Watermann aber ausweislich auch in eigener Sache, denn sie war Redakteurin bei Börse Online, bevor G+J die erste große Wirtschaftsredakteurs-Entlassungwelle lostrat. Da wir hier im Altpapier nicht alles anreißen können, was zwischen FTD-Untergangsanalysen und allgemeinen Branchenbetrachtungen so auf die Agenda poppt, verweisen wir hier gern auf eine Storify-Übersicht von Claudia Heydolph.

Nicht vergessen sei aber der Hinweis auf eine Metakritik aus Schweizer Perspektive. Rainer Stadler (NZZ) ist eine „Todessehnsucht“ bei deutschen „Zeitungsleuten“ aufgefallen:

„Man stelle sich vor: Jemand liegt schwer krank im Bett, und bereits erscheinen in der Öffentlichkeit die Todesanzeigen. Das ist makaber. Genau das geschieht derzeit. Seit Tagen beteiligen sich diverse Medien an einem irren Wettbewerb darum, wer als Erster den definitiven Tod der Frankfurter Rundschau und der Financial Times Deutschland verkünden kann.“

Woher aber kommt diese Todessehnsucht? Sind wir etwa alle ein bisschen Kierkegaard?

[+++] Wer auf relativ einfache Weise einen Einblick in die Zukunft des Journalismus bekommen möchte, sollte einfach mal Die Zeit zur Hand nehmen - nein, nicht wegen des gestern hier schon vorkommenden und unten im Altpapierkorb auch heute noch mal erwähnten Titel-Schwerpunkts „Wie guter Journalismus überleben kann“. Entscheidend ist eher das, worin sich schlecht Fisch einwickeln lässt: ein erstmals beigelegtes „Kulturmagazin“ namens Prego, produziert vom Altonaer Unternehmen Edel, das Tonträger, DVDs und Bücher an den Mann bringt. Im Heft findet sich ein Interview mit Christoph Amend, Chefredakteur des Zeit Magazins (jener Beilage also, die immer in der Zeit drin ist), und Louis Lewitan, der ebd. kolumniert. Thema des Gesprächs: die Zeit-Magazin-Rubriken „Ich hatte einen Traum“ und „Das war meine Rettung“. Sind geilere Symbiosen zwischen Qualitätsjournalismus und Kundenmagazin-Gewerbe denkbar?


ALTPAPIERKORB

+++ „Das ist so einfach wie sich am Hintern kratzen!“ Wer gestern die ersten Folgen der zweiten Staffel der dänischen Politserie „Borgen“ gesehen hat, in der Medien eine zentrale Rolle spielen (siehe Altpapierkorb von Donnerstag), erinnert sich vielleicht an diesen Satz des Boulevardzeitungs-Chefredakteurs Michael Laugesen (die Formulierung bezieht sich übrigens auf einen geplanten Artikel über den Vater eines in Afghanistan getöteten Soldaten). Ein bisher - auch von mir - vernachlässigter Aspekt von „Borgen“ ist, dass die Serie ein nostalgisches Bild der Zeitungswelt vermittelt. Jedenfalls: Gibt es solche Typen wie diesen Laugesen eigentlich noch, die Sätze wie den zitierten sagen? Nee ... aber, Moment mal, was meint da der Roland Tichy von der Wirtschaftswoche in der großen Zeit-Umfrage (Seite 26): „Zu viele deutsche Medien sind zu rot-grünen Umerziehungslagern verkommen.“ Scheint ein ganz possierlicher Rabauke der alten Schule zu sein.

+++ In einer Spalte direkt neben der Umfrage, bei der Tichy mitgemischt hat, konstatiert Anne Kunze, dass es um die hiesige Medienwissenschaft nicht allzu gut bestellt ist. Ja, bleibt uns denn in diesen Zeiten unguter Irgendwas-mit-Medien-Nachrichten gar nichts erspart? Jedenfalls knöpft sich Kunze Stephan Weicherts und Leif Kramps „Innovationsreport Journalismus“ vor und bemängelt deren fehlenden Experimentiergeist. Generell kritisiert sie: „Wo bleibt, um klein anzufangen, die deutsche Dissertation zu Bezahlmodellen im Netz? Wenigstens können Medienwissenschafter schauen, was anderswo passiert und zwar nicht nur im Angelsächsischen. Vergleichsstudien braucht es für Länder, die näher liegen: für Frankreich zum Beispiel.“

+++ Während noch nicht abzusehen ist, bis wann die Themenwoche Zeitungssterben verlängert wird, geht die ARD-Themenwoche „Leben mit dem Tod“ heute zuende - mit einem Degeto-Freitagsfilm, der „eine Dreiecksbeziehung der etwas anderen Art schildert“ (Funkkorrespondenz). Was ja mal was wäre: rin Degeto-Freitagsfilm über eine sterbende Zeitung. Müsste sich doch mit einer Liebesgeschichte verquicken lassen.

+++ Wer wird aus der dapd-Insolvenz als Sieger hervorgehen? Der dapd-Investor und -Aufsichtsratsvorsitzende Peter Löw. Diese These erklärt der heute schon erwähnte Jürn Kruse in der taz.

+++ „Wie deutsche Medien den Gaza-Konflikt erklären“, analysiert die Jüdische Allgemeine, und das Ergebnis ist alles andere als erbaulich. Vielerorts setze man auf den „Topos ‚Wahlkampftrick‘“, meint David Harnasch.

+++ Die in London sitzenden Korrespondenten Christian Zaschke (SZ, Seite 31) Gina Thomas (FAZ), Barbara Klimke (DuMont-Presse) und der sonst auch für die FTD arbeitende Sebastian Borger (Der Standard) porträtieren einen Mann, der künftig einen der renommiertesten Posten in der westlichen Medienwelt bekleidet: den neuen BBC-Generaldirektor Tony Hall. Zaschke erklärt den Hintergrund der Personalie: „Der Posten war am 10. November vakant geworden, als George Entwistle nach nur 54 Tagen zurücktrat. Vorangegangen war eine Serie von journalistischen Fehlern beim Nachrichtenprogramm ‚Newsnight‘ im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen um den ehemaligen BBC-Moderator Jimmy Saville.“ Und was ist Hall nun für einer? Er ist „zugleich Insider und Außenstehender“ (Thomas), er „begann 1973 beim Sender und war in knapp 30 Jahren bei der BBC zuletzt Nachrichtenchef“ (Borger). „In seine Zeit fällt (...) die Einführung des 24-stündigen BBC-News-Kanals“ (Klimke). Zuletzt war er Operndirektor: „Seine elf Jahre als Intendant der berühmten Bühne am Covent Garden gelten unter Kunstkennern als großer Erfolg. (...) Hall öffnete die traditionell als elitär verschriene Oper für die Öffentlichkeit, setzte stark auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Borger again). Nur mal so: Dass ein Mann, der von der Oper kommt, hier zu Lande bei den Öffentlich-Rechtlichen in eine vergleichbare Position gelangt, ist schwer vorstellbar, oder? 

+++ Der Standard porträtiert nicht nur Hall, er beschäftigt sich auch mit der „Fleischwerdung der AntifeministInnen“ bzw. dem on- wie offline in Mode gekommenen „Feminismus-Bashing“. Wobei man vielleicht präzisieren sollte, dass sich letzterer Beitrag auf der Unterseite diestandard.at befindet.

+++ Heute jährt sich zum 20. Mal der neonazistische Brandanschlag im schleswig-holsteinischen Mölln, bei dem am 23. November 1992 zwei türkischstämmige Mädchen und ihre 51-jährige Großmutter zu Tode kamen. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch lief anlässlich dessen NDR Fernsehen der im besten Sinne unspektakuläre Film „Nach dem Brand - Eine Familie aus Mölln“, den ich für die Funkkorrespondenz besprochen habe. Dass ein Film über Naziopfer im NDR eine schlechte Sendezeit bekommt, muss man ja mittlerweile betonen - angesichts dessen, dass in den vom NDR verantworteten „Tagesthemen“ der ARD neulich der Anwalt der Nazi-Terroristin Beate Zschäpe zur besten Sendezeit ein Forum bekam und zudem eben jene Nazisse als „Sensationsobjekt“ (Tagesspiegel) präsentiert wurde. Aber das ist dann noch einmal eine ganz andere Geschichte, für die Zeit nach der Themenwoche Zeitungssterben vielleicht.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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