Wo gehobelt wird, da fallen Spleene

Wo gehobelt wird, da fallen Spleene

Der Tod eines vielseitigen Komikers, das erste TV-Kandidatenduell in den USA und eine allemal ambitioniert zu nennende Romanverfilmung - das sind die sehr unterschiedlichen großen Themen des Tages. Außerdem: Das Versagen des Journalismus in der Causa NSU, die Debatte um Zitat-Autorisierungen, der Protest gegen die weiter fortschreitende sog. Modernisierung der WDR-Radioprogramme. Und der heiße, vielleicht auch nur lauwarme Shit der Stunde? Möglicherweise „Live GIFfing“.

Der Medienjournalismus dehnt sich aus und kommt, abgesehen vielleicht von den Reiseseiten, mittlerweile in fast sämtlichen Ressorts vor, während der Platz, den die eigentlichen Medienseiten haben, zumindest nicht größer wird. Das ist ein Umstand, der regelmäßigen Lesern dieser Kolumne nicht unbekannt ist. Dennoch ist es eine Erwähnung wert, dass ein genuin medienjournalistisches Thema - die Debatte darüber, ob Journalisten künftig davon absehen sollten, sich von Interviewpartnern und Informanten vor Veröffentlichung eines Texte deren Zitate autorisieren zu lassen - heute auf der Aufmacherseite des SZ-Feuilletons zu finden ist. Evelyn Roll lobt dort Jill Abramson, die Chefredakteurin der New York Times, dafür, dass sie bei ihrer Zeitung diese Praxis abschaffen will.

Ein wichtiger Debattenanstoß sei das, weil - und jetzt kommt eine große These - Vereinbarungen, die Journalisten mit ihren Gesprächspartnern im Rahmen von Autorisierungen treffen,

„das, was wir Qualitätsjournalismus nennen, am Ende möglicherweise mehr beschädigen, als die Frage, ob dieser Qualitätsjournalismus auf Papier oder elektronischem Weg zum Leser kommt“.

Außerdem erfahren wir bei Roll:

„Die Los Angeles Times arbeitet inzwischen an einer ähnlich vorbildlichen internen Regelung. Die Nachrichtenagenturen Reuters und AP teilen mit, dass sie ihren Informanten noch nie Zitate zum Autorisieren geschickt haben.“

Hierzulande kommt es ja sogar vor, dass Sender aus dem rheinland-pfälzischen Raum die Teilnehmer größerer Presserunden - die man als „Hintergrundgespräche“ deklariert - anhalten, die Zitate, die man von der Veranstaltung zu verwenden gedenkt, vor der Veröffentlichung mit der Pressestelle des Hauses abzustimmen.

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[+++] Der andere zentrale Debattenbeitrag des Tages steht bei Vocer, er stammt von Christian Fuchs, der mit dem „Panorama“-Redakteur John Goetz gerade das Buch „Die Zelle - Rechter Terror in Deutschland“ veröffentlicht hat. Es geht um das Versagen der Journalisten in Sachen NSU. „Blind“ seien „wir alle“ gewesen, nicht nur Polizei und Geheimdienste. Wobei zwei der sechs Fragen, anhand derer Fuchs seinen Text strukturiert - „Warum sind wir alle so staatshörig?“ und „Wieso haben wir alle voneinander abgeschrieben?“ - sich auch bei manchen anderen Themen stellen, bei denen Journalisten versagen. Und allgemeiner gültig ist auch die Antwort auf die Frage nach der Staatshörigkeit:

„Jede ‚geheime‘ oder ‚interne‘ Akte, die ‚VS-Nur für den Dienstgebrauch‘ gestempelt ist, löst bei uns einen Reflex aus: Wir sind stolz auf unsere Recherche, fühlen uns richtig kritisch, wenn wir das Papier trotzdem veröffentlichen - und laufen Gefahr, alles zu unreflektiert zu übernehmen und nicht mehr zu hinterfragen, was in einer LKA-Amtstube, bei einer Sonderkommission oder in einem Verfassungsschutz-Büro aufgeschrieben wurde.“

[+++] Allerlei Texte heute natürlich anlässlich des ersten TV-Duells zwischen Barack Obama und Mitt Romney, das am Mittwochabend über die Bühne geht: Der Tagesspiegel informiert über die Berichterstattung von ARD und ZDF zu den Duellen. Christian Wernicke beleuchtet in der SZ (Seite 2) unter anderem die Geschichte der TV-Duelle - und geht auf eine Aussage des republikanischen Gouverneurs von New Jersey, Chris Christie, ein, der glaubt, dass das Duell die Wende bringen und „dieses Rennen ab Donnerstagmorgen eine neue Geschichte haben“ werde:


„Das ist republikanisches Wunschdenken. Die historische Erfahrung lehrt etwas anderes. Nur sehr selten, so die Analysen der Demoskopen, haben die 1960 erfundenen TV-Debatten den bis dahin im Wahlkampf herrschenden Trend gebrochen und entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis des Urnengangs gehabt. Diese Grundlehre mag Romney betrüben, aber eine zweite Regel sollte ihm Mut machen: In den sieben Fernsehschlachten seit 1976, bei denen sich ein amtierendes Staatsoberhaupt der Attacken eines Herausforderers erwehren musste, sah der vermeintlich unerfahrene Möchtegern-Präsident besser aus als der jeweilige Regent.“

[+++] Unter metajournalistischen Aspekten interessant könnte es sein, was der Guardian macht (und worüber Poynter berichtet). Der plant, die Live-Berichterstattung durch animierte GIFs anzureichern.

„(I‘ve) never live-GIFfed anything before”,

sagt der dafür zuständige Reporter Adam Gabbatt. Wer wissen will, was einen erwartet, kann schon mal bei Gif Hound oder hier gucken. Gabbatt noch einmal:

„This won’t be like a serious news analysis of what’s going on, but it will offer a light alternative.”

[+++] Zum Romanverfilmungs-Zweiteiler „Der Turm“ stand schon ein bisschen was im Altpapier, etwa gestern. Heute preist der „Turm“-Experte Andreas Platthaus den Film im FAZ-Feuilleton als „eine Sternstunde des Fernsehens“, äußert aber auch seine „Sorge“, dass ihn trotz „bester Sendezeit“ nur wenige sehen. Wegen Fußball. Vielleicht ja sogar - und das gilt jetzt für Leser der taz - speziell wegen Jochen Breyer, dem ebd. porträtierten, noch nicht 30-jährigen neuen ZDF-Champions-League-Moderator.

„Gibt es (...) gute Gründe, morgen Abend auf die Champions League zu verzichten und sich stattdessen den ersten Teil der Verfilmung von Uwe Tellkamps Roman ‚Der Turm‘ im Ersten anzusehen? Ja, es gibt Dutzende solcher Gründe, und sie alle zu nennen würde die Grenzen dieses Textes sprengen“,

meint Platthaus, während Jens Bisky in der SZ schreibt:

„Der Film ist gekonnt gemacht, und doch werden, je länger die Handlung voranschreitet, die Schwächen unübersehbar.

Ein zentraler Punkt in Biskys Rezension:

„Dem großen Repertoire an DDR-Fernsehszenen und Filmbildern fügt (die Verfilmung) nach grandiosem Beginn nichts Neues hinzu (...) So endet sie leider als Illustration von Zeitgeschichte, statt von der Fiktion her ein anderes Licht auf Geschehenes fallen zu lassen.

Für den Tagesspiegel ist Nikolaus von Festenberg, das frühere Spiegel-Schlachtross, im Einsatz:

„Eine totale Durchdringung von Fernsehen und Literatur muss heute eigentlich tragisch enden. Das moderne Movie-Geschäft ist hochgradig formatiert. Die Ehrfurcht vor großer eigensinniger Literatur ist nicht mehr gegeben. Filme müssen massenkompatibel, frauenaffin und heutigen Sehmustern entsprechend eingerichtet sein. Bloß kein Arthouse. Bloß nicht historische Kenntnisse voraussetzen. Wo jetzt für den Schirm gehobelt wird, fallen die Spleene, fallen exotische Orte, weicht alle Detailversessenheit, wird alles Gezackte, Verquere dramaturgisch auf Linie gebracht.“

Und wie? Regisseur Christian Schwochow (siehe auch taz-Interview)

„und Drehbuchautor Thomas Kirchner (...) reduzieren beherzt, um nicht zu sagen brutal“,

findet Eckhard Fuhr (Die Welt). Trotzdem sind aber sowohl von Festenberg als auch Fuhr der Ansicht, man müsse den Film sehen.

[+++] Die Autoren der Nachrufe auf den am Montag im Alter von 51 Jahren verstorbenen Dirk Bach betonen unter anderem dessen Vielseitigkeit.

„(Er war) durchaus nicht auf die Rolle des adipösen Spaßvogels abonniert. Diese Rolle war für einen großen Schauspieler wie ihn nur eine lukrativ leichte Fingerübung“,

schreibt Arno Frank (Spiegel Online). Markus Ehrenberg nennt Bach im Tagesspiegel - anspielend auf seine „Dschungelcamp“-Moderation, „ein Genie am richtigen, falschen Ort“:

„Man kann und konnte diesem Trash-Format vieles vorwerfen – aufgewertet wurde es durch die Kommentare von Zietlow und Bach, eine Versorgung niedrigster Menscheninstinkte bei gleichzeitiger Bearbeitung der Gehirnzellen.“

Das scheint mir dann aber doch eine etwas zu steile These zu sein, aber steile Thesen sind in unter Aktualitätsdruck entstandenen Nachrufen natürlich erlaubt.

Hans Hoff schreibt in der SZ:

„In seinen großen Momenten beherrschte (er) die Kunst, auf dem schmalen Grat zwischen gutem Gag und gruseliger Geschmacklosigkeit ein Tänzchen zu wagen und dabei seinen rundlichen Körper als Stilmittel einzusetzen“.

Elmar Kraushaar (Berliner Zeitung) stellt heraus:

„Er war einer der ersten Prominenten, der hierzulande öffentlich über sein Schwulsein sprach und dabei immer wieder betonte, dass er ein Schauspieler sei, der schwul ist, aber kein schwuler Schauspieler“, .

Marianne Kolarik schließlich bezeichnet Bach im Kölner Stadt-Anzeiger als „Mensch gewordenen Knuddelbär“, dessen Zimmer aussahen „wie das eines Fünfjährigen, vollgestopft mit Plüschtieren, wobei er ein besonderes Faible für Stoff-Schweine entwickelte“. 


ALTPAPIERKORB

+++ Was der Tod des langjährigen New-York-Times-Verlegers Arthur O. Sulzberger (siehe Altpapier) für die Zeitung bedeutet, weiß der Guardian.

+++ Nachdem wir am Montag im Altpapierkorb bereits auf einen Überblick zu den US-Serienproduktion der Saison verwiesen haben, sei heute eine auch unter ökonomischen Aspekten aufschlussreiche Zusammenstellung Nina Rehfelds für die FAZ-Medienseite gewürdigt: „Die größten Erwartungen lasten auf ‚House of Cards‘, nicht nur, weil David Fincher bei der Geschichte von einem machthungrigen Kongressabgeordneten Regie führt und Kevin Spacey dies spielt. Sondern auch, weil die Internetplattform Netflix die mitbietenden Fernsehsender, darunter HBO und der Kabelsender AMC, aus dem Feld schlug. Hundert Millionen Dollar legte Netflix für die Rechte an 26 Episoden der Serie auf den Tisch. (...) Das einstige Videoversandunternehmen, das Stücke zunehmend im Internet streamt, hat mehr als 23 Millionen Abonnenten, die für das Angebot rund zehn Dollar monatlich bezahlen. Der Bezahlsender HBO hat 29 Millionen Abonnenten, die rund fünfzehn Dollar im Monat aufbringen, zusätzlich zu Gebühren für einen Kabelanschluss, die zwischen fünfzig und siebzig Dollar im Monat rangieren.“

+++ Am 11. Oktober kehrt die Zeitschrift Yps zurück, aber mit ganz neuem, sich an erwachsene Leser richtenden Konzept (siehe Altpapier). In der aktuellen Ausgabe des vierteljährlich erscheinenden Comic-Magazins Alfonz (Inhaltsverzeichnis) findet man einen vierseitigen Artikel zur Geschichte von Yps, inclusive der Fehler, die der frühere Verlag Gruner + Jahr mit dem Heft gemacht hat. Ein semiphilosophisch-rätselhaftes Statement von Peter Kallenberg, dem neuen Chefredakteur, gibt es auch: „Wir rufen Erinnerungen an Dinge wach, die man in den letzten 20 Jahren Schreibtischtätigkeit vielleicht vergessen oder verdrängt hat.“

+++ Für die Best Ager unter unseren Lesern: Ab Januar 2013 gibt es Sat 1 Gold, ein Sender, der eben jener Zielgruppe „deutsche Fiction“ anbieten will. Das Besondere an Sat 1 Gold  ist nun erst einmal, dass die Pro-Sieben-Sat 1-Gruppe die Lizenz dafür im wunderschönen Thüringen beantragt hat. „Die Konzernverantwortlichen verfolgen (damit) ihre im Frühjahr eingeschlagene Marschroute weiter, für jeden ihrer deutschen Free-TV-Sender eine Zulassung bei einer anderen Medienanstalt zu beantragen“, schreibt die Funkkorrespondenz.

+++ Mehr Medienpolitik: Diese wird ab 2013 ganz anders, das lässt jedenfalls ein Artikel Claudia Tieschkys für die SZ (Seite 30) erahnen: „Martin Stadelmaier, Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, wird zum Jahresende das Amt räumen, wenn sein Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) geht. (...) Zu behaupten, der 54-jährige SPD-Mann Stadelmaier habe die Medienpolitik für Beck koordiniert, wäre pures Understatement. Stadelmaier ist gewissermaßen die deutsche Medienpolitik, ob man das gut oder schlecht findet.“

+++ Eine Nachkritik zu „Switch Reloaded“ spielt „Wetten, dass..?" liefert Jenni Zylka bei Spiegel Online.

+++ Der WDR-Hörfunk will seine Programme weiter „modernisieren“. Die Funkkorrespondenz dokumentiert einen Offenen Brief gegen „diese neusten Kahlschlagpläne“.

+++ Die Washington Post hat die „Mehrheit an einem regionalen Gesundheitspflegedienst übernommen“, berichtet Newsroom. Und knüpft daran die Frage an: „Würde eigentlich etwas dagegen sprechen, wenn zum Beispiel ein deutscher Zeitungsverlag, der ja auch schon eine Gesundheitsbeilage veröffentlicht und vielleicht ebenfalls einen Gesundheitstag für seine Leserinnen und Leser organisiert, auch im Gesundheitssektor aktiv werden würde und das örtliche Krankenhaus, das Ärztehaus oder einen Pflegedienst übernimmt?“ Was für eine ketzerische Frage! Wie kann man nur darauf kommen, dass irgendetwas dagegen spricht? Kann es im Bereich der Geschäftsfeld-Diversifizierung  schönere Vorstellungen geben als die, dass Springer und Gruner + Jahr Krankenhäuser übernehmen? Uns kommen schon jetzt die Freudentränen.

Neues Altpapier gibt es wieder nach dem Feiertag.

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