Glamour-Faktoren

Glamour-Faktoren

Thommy Gottschalk und Pussy Riot bescheren der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung frische Aufmerksamkeit. Nicht nur englische, sondern auch schweizerische Verlage sind mutiger als deutsche. Und Bastian Pastewka hat den nächsten Fernsehpreis fast schon in der Tasche.

Das an diesem Donnerstag zweifellos am allerglamourösesten rüberkommende deutsche Printmedium ist eines, das donnerstags gar nicht erscheint, sondern immer sonntags. Die FAS, die bunte Sonntagszeitung aus dem Hause Frankfurter Allgemeine, rockt die Schlagzeilen der Medienmedien gleich doppelt.

Zum Einen gelang ihr die Verpflichtung eines der prominentesten lebenden Deutschen als Kolumnist: Thommy Gottschalk, derzeit bei RTL, früher aber vor allem in öffentlich-rechtlichen Biotopen performender Entertainer, soll ab Ende Oktober unter der Überschrift "Fragen wir Thomas Gottschalk" schriftlich auftreten. Für FAZ- (und FAS-) Herausgeber Frank Schirrmacher den Kontakt zum blonden Wahl-Kalifornier, der ansonsten bekanntlich dazu neigt, sich rar zu machen und nicht auf jedwede sich ihm gerade bietende Plattform auch noch aufzuspringen, hergestellt haben soll der renommierte Nicht-Fernsehpreisträger Marcel Reich-Ranicki. Dies melden etwa kress.de und sueddeutsche.de, die FAZ selbst natürlich noch nicht.

Der Original-Investigator dieser heißen Personalie ist standesgemäß die Bunte, die ihre Online-Vorabmeldung mit zwei solch entzückenden Thommy-Lächelns flankiert, dass wirklich ein böser Mensch sein muss, wer sich nicht auf diese Kolumne freut.

[+++] "Böser Staat contra unschuldige Mädchen": So lautet der erste Satz im Vorspann des Artikels aus dem August, der der FAS heute zum Anderen sogar internationale Aufmerksamkeit beschert. Darin ging es um die insbesondere durch ihre mehrheitliche Verurteilung zu Lagerhaft global bekannt gewordene russische Punkband Pussy Riot. Der FAS-Autor Moritz Gathmann schlägt, neutral formuliert: gewagte Bögen, um die Protestaktionen der Band gegen den aktuellen russischen Staat mit der "ersten RAF-Generation" zu parallelisieren.

Daher habe ein Band-Mitglied beim Deutschen Presserat Beschwerde gegen die FAS eingelegt, meldet der EPD. Nadeschda Tolokonnikowa werfe

"in dem Schreiben an den Presserat der Zeitung vor, private Informationen und Gerüchte ungeprüft aus staatsnahen russischen Medien übernommen zu haben. ...

In dem Artikel 'Pussy Riot - Lady Suppenhuhn' ... heiße es, Tolokonnikowa habe ihr Kind von einem Computertisch fallenlassen. Das unterstelle, dass sie eine schlechte Mutter sei, schreibt ihr Anwalt Mark Feigin. Tolokonnikowa werde in dem Artikel auch der Lüge bezichtigt, ohne dass dies journalistisch nachgeprüft worden sei. Ebenso habe es der Autor versäumt, seiner Mandantin zumindest die Möglichkeit einzuräumen, sich zu äußern, wie es Ziffer 8 des Pressekodexes vorschreibt".

Die gesamte Meldung lesen Sie hier bei evangelisch.de, oder auch hier und da.

Darüber, wie ernst dieser Presserat überhaupt genommen zu werden verdient, lässt sich bekanntlich ebenfalls streiten, wie etwa insbesondere Stefan Niggemeier, u.a. ehemaliger FAS-Redakteur, gern und oft aufschrieb und sicher auch weiter -schreiben wird. Gerade das wiederum könnte diese Sache spannend machen.

[+++]  Wer weiß, vielleicht kriegt am Ende außer Thommy auch Pussy Riot eine Straflager-Kolumne. Womöglich könnte diese die eher jüngeren Leser ansprechen, die als Zeitungskäufer immer wichtiger werden. Die jungen Leute kaufen ja keine Zeitungen mehr. Das geht aus dem heutigen Aufmacher der Süddeutsche-Medienseite mal wieder schön hervor. Wolfgang Koydl ist in die Schweiz gefahren und beschreibt, wie die Neue Zürcher Zeitung sich "radikal" darauf einstellt, "dass Print seine Bedeutung verliert".

Das Radikale ist ein "Schritt..., vor dem die meisten anderen Publikationen in der deutschen Medienlandschaft bisher zurückgeschreckt sind", die Einführung einer Bezahlschranke, vor der sich nur 20 Artikel im Monat gratis lesen lassen. Und wie man das aus solchen Artikeln kennt, verbreiten die befragten Manager Albert Stäheli und Peter Hogenkamp naturgemäßen Optimismus, die daran hängenden Herausforderungen zu meistern:

"'Ich muss Zeitung nicht als Papier begreifen, ich muss sie als Medium begreifen' - unabhängig von dem Werkstoff, der sie transportiert. In diesem Sinne ist denn auch eine Werbekampagne zu verstehen, die nach seinen Worten demnächst anrollt: NZZ-Leser, so wird die Kundschaft dort umworben, brauchen kein Papier."

Doch ist das Ende des Artikels zumindest deutlich interessanter als das einleitende Räsonnement über alte Tanten im wörtlichen Sinne...

[+++] In Deutschland gibt es eben "keine Vorbilder für eine Online First-Strategie im Journalismus", fasst Wolfgang Michal (Carta) mit einem "Schnief" im Namen der "tief traurigen Online-Provinz" zusammen, was der Wechsel des Star-Online-Journalisten Wolfgang Blau nach London (siehe Altpapier gestern) bedeutet, wo noch entschiedener als in Zürich experimentiert wird. Die deutschen Verlage dagegen

"schauen in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht, was sie im Online-Journalismus verbessern könnten (um den Journalismus als solchen zu verbessern), sie überspringen einfach den lästigen Journalismus und konzentrieren sich gleich auf die großen Plattformen von Apple, Google, Facebook, Ebay, Twitter, Yahoo & Co."

[+++] Immerhin, Binnenpluralismus praktizieren deutsche Verlage. Das zeigt aktuell der, dessen Onlineredaktion Blau noch ja leitet: zeit.de hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und den Österreicher Max Schrems, den relativ bekanntesten Facebook-Kritiker Europas (europe-v-facebook.org) zum großen Doppelinterview rund um den Datenschutz gebeten.

Die beiden zeigen sich sehr einig mit einander, Friedrich äußert erwartbare Sätze routiniert wie, nur zum Beispiel:

"Entscheidend ist, dass wir ein einheitliches Datenschutzgesetz für ganz Europa wollen. Ist das erst einmal verabschiedet, müssen Konzerne wie Facebook und Google sich gut überlegen, ob sie es riskieren wollen, in diesem großen Markt nicht mehr vorzukommen"

und muss am Ende "ganz ehrlich" eingestehen, dass die von hochrangigen Politikern auch einmal mit gewisser verfolgte Initiative für einen "digitalen Radiergummi" (als Symbol für die Möglichkeit, persönliche Daten im Internet auch wieder löschen zu können) inzwischen passé ist, weil niemand eine "technische Lösung" dafür wusste.

####LINKS####

Indes in der gedruckten Zeit von heute hält Götz Hamann in einer Randspaltenglosse (S. 21) auch ein recht feuriges Plädoyer für Datenschutz ("Denn digitale Daten entscheiden über Lebenschancen im Großen und Kleinen") und entwickelt dann die These, dass der genannte Innenminister in einem Boot mit "Netzkonzernen" Google und Facebook säße:

"Dass ausgerechnet das Bundesinnenministerium für den Datenschutz auf nationaler Ebene zuständig ist und damit jenes Ressort, das den Terror bekämpft und mehr Rechte für staatliche Ermittler fordert, ist ein strategischer Fehler. Friedrich kann gar nicht für strengen Datenschutz sein. Solange der Minister aber eine schützende Hand über Google und Co. hält, müssen sie in Europa wenig fürchten."

Wäre natürlich ganz interessant gewesen, den Minister mit dieser Meinung zu konfrontieren.

Andererseits: Auch schön, dass die Zeit sich unterschiedliche Perspektiven auf die gleichen, schwer einschätzbaren Entwicklungen leistet. Und dritterseits wird Gelegenheit zu solchen Fragen gewiss kommen. Dass er zuwenige Interviews gibt, zählt schließlich nicht zu den Vorwürfen, die man Hans-Peter Friedrich machen kann.


Altpapierkorb

+++ Fernsehpreis für Bastian Pastewka! "Das ist der beste Film des Jahres", jubiliert Hans Hoff in der Süddeutschen (S. 37). "Selten sah man ein solch nahezu perfektes Buch so kongenial umgesetzt (Drehbuch Marc Terjung, Regie Edward Berger), selten so durchdachtes Szenenbild (Annette Lofy), selten so überlegte Kamera (Jana Marsik), gelungenen Schnitt, intelligent eingesetzte Musik... Bei den deutschen Fernsehpreisen haben es Komödien traditionell schwer. An 'Mutter muss weg' aber wird man nur schwerlich vorbeisehen können", verspricht Heike Hupertz in der FAZ (S. 31) schon mal. Und aus jeder Frage in David Denks sehr höflichem Pastewka-Interview (TAZ) spricht auch Bewunderung. Muss man "Mutter muss weg" heute abend im ZDF also unbedingt anschauen? , würde ich sagen, der den Film auch gerade sah, höchstens wenn man sehr viele schlechte Fernsehfilme gesehen hat, kann er einem als relativer Lichtblick erscheinen - für diese Ansicht habe ich aber gerade keine Verbündeten... +++

+++ Während der Pastewka-Film sich auch mit ein paar blutigen Szenen um Satire bemüht, wird im Nahen Osten "Satire im Angesicht blutiger Auseinandersetzungen" betrieben: Sidney Gennies gibt im Tagesspiegel einen Überblick. +++

+++ Die Chefs des stets und mit Recht gelobten amerikanischen Senders HBO waren gerade in Deutschland. Spekulationen über eine in Berlin zu drehende Serie gibt der Tagesspiegel wieder. Im DPA-Interview (newsroom.de) wundern sich Richard Plepler und Michael Lombardo, warum in Dänemark bessere TV-Serien als in Deutschland gedreht werden. +++

+++ Die "Vom Campusradio zum Deutschlandradio!"-Erfolgsstory des Audioformats "Was mit Medien" von Daniel Fiene und Herrn Pähler begeistert die TAZ. Heute um 18.00 ist's (bei Deutschlandradio Wissen) soweit. +++

+++ Doris-Heinze-Updates haben TAZ und Abendblatt. +++

+++ Wolf von Lojewskis Satz "Das Schwimmen gegen den Strom ist nicht die große Leidenschaft der Journalisten" hat die FAZ vom 17. Mainzer Mediendisput mitgebracht, der sie ansonsten nicht begeisterte. +++ Die Spiegel-Kantine ist ab Samstag endlich im Museum zu besichtigen, wird mancherorts gemeldet, und zwar in diesem. +++

+++ Freundliche Gedanken über das Fernsehgenre Castingshow machen sich anlässlich des Starts einer neuen "The Voice of Germany"-Staffel Markus Ehrenberg (Tsp.) und Jan Knobloch in der FAZ ("Vielmehr weist vieles darauf hin, dass Shows, die weniger auf das pure Spektakel schielen, noch eine Chance haben...")

+++ "Die tristeste, peinlichste Sendung, die es je im Fernsehen gab", die kann sich der österreichische ORF ins Guinness-Buch der Rekorde eintragen lassen (FTD).+++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.


 

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