Hier! regiert! der B-D-Z-V!

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Goodbye, Abendzeitung Nürnberg! Hello Dr. Iris Brooks! So heißt die neue afrodeutsche Ärztin in der „Lindenstraße“. Außerdem: Wenn Autoren anderen Autoren mit großverlagsähnlichem Gestus Rechnungen schicken. Aber Thema des Tages ist natürlich ein erstinstanzliches Urteil aus Köln, obwohl es bloß es ein erstinstanzliches Urteil ist.

Alles unklar? Beziehungsweise, um mal mit dem Deutschlandfunk zu fragen: „Ist das Urteil nun salomonisch oder sibyllinisch?“ Oder gar „appsolut folgenlos“, wie die auf lustige Überschriften sich verstehenden Mädels und Jungs von Spiegel Online finden? Es geht, natürlich, um den „Teilsieg“ (meedia.de, Funkkorrespondenz), den „Etappensieg“ (heise.de), den „Sieg“ (FAZ) und das „überraschend klare Urteil“ (ebd,), um das also, worüber sich am Donnerstag acht Zeitungsverlage freuen durften. Das Landgericht Köln hat in Sachen „Tagesschau“-App nämlich entschieden, dass diese nach den Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags unzulässig sei.

Moment!

„Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass sich die Entscheidung des Landgerichts nur auf die konkrete Verletzungshandlung bezieht, die Gegenstand des Rechtsstreits war. Dabei handelt es sich um die Tagesschau-App vom 15.6.2011. (...) Die Zivilkammer folgte bei ihrer Entscheidung der Argumentation der Klägerseite, wonach es sich bei der Tagesschau-App um ein nichtsendungsbezogenes presseähnliches Angebot handelt, das nach den Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages unzulässig ist.“

So steht es in der Pressemitteilung des Landgerichts, auf die die Hauptbetroffenen, die Redakteure von tagesschau.de, verlinken. Gilt dieses Urteil, das angesichts der Äußerungen des Gerichts (siehe Altpapier) nicht unbedingt zu erwarten war, nun nur für den Einzelfall oder weist es darüber hinaus? Darin sind sich die sich zur Sache äußernden Fachkräfte nicht einig. Wie sie die ganze Causa einschätzen, hängt - das ist an dieser Stelle hin und wieder erwähnt worden - nicht unwesentlich davon ab, ob sie für Springer, die FAZ, die WAZ-Gruppe, die SZ oder einen der anderen klagenden Zeitungsverlage tätig sind oder eben nicht. Spiegel Online meint:

„Das gibt es nicht oft: Ein Gericht entscheidet - und beide Parteien meinen, sie hätten zumindest nicht verloren.“

Och, so selten kommt das gar nicht vor: Ganz abgesehen davon: Die Kläger fühlen sich keineswegs nicht nur nicht als Verlierer, sondern als Sieger. „Wir freuen uns, dass das Kölner Landgericht die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aufgefordert hat, sich zukünftig an den Rundfunkstaatsvertrag zu halten“, tönt etwa Helmut Heinen, der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). „Eine öffentlich-rechtliche Zeitung im Internet“ dürfe es „nicht geben" (zitiert nach zum Beispiel meedia.de). Und siegestrunken schmettert Jan Hauser in der FAZ:

„Die deutliche Rechtsprechung des Gerichts wirft auch die Frage auf, wie die Politiker in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender gehandelt haben, um ein solches presseähnliches und nicht sendungsbezogenes Angebot – wie es das Gericht feststellt – zu ermöglichen. Wenn sich Sender und Verlage nicht über das Online-Verhalten von ARD und ZDF einigen können, wird es an der Politik liegen, dafür zu sorgen, dass der öffentlich-rechtlichen Internetexpansion endlich Grenzen gesetzt werden.“

Vera Bunse nimmt für Carta unter anderem die Reaktion des Journalisten Hauser aufs Korn:

„Es ist herzerwärmend, wie erwachsene Menschen sich begeistern können.“

In der SZ schreibt Claudia Tieschky:

„Die ARD-Vorsitzende Monika Piel hat (...) Recht, wenn sie am Donnerstag erklärte: ‚Das Urteil hat wie erwartet keine grundsätzliche Klärung in der Frage der Presseähnlichkeit gebracht.' Das Urteil hat vielmehr erbracht, dass die Genehmigungsverfahren der Sender einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten.“

Tieschky zitiert außerdem aus einer Stellungnahme der grünen Medienpolitikerin Tabea Rößner - und kritisiert, dass die Politiker im Rundfunkstaatsvertrag zu vage formuliert hätten, was „im Digitalen verbotenerweise ‚presseähnlich‘“ sein soll. Und was wird „die Politik“ (Steffen Grimberg) nun tun?

„Die Hoffnung einiger Verleger, die Politik werde sich der Sache nun noch einmal in ihrem Sinne annehmen, (nutzt) nichts. Denn sie steckt in der gleichen Klemme wie das Gericht: Sie müsste über journalistische Darstellungsformen - Texte, Töne, Fotos, Videos - und damit über Inhalte befinden. Vielleicht würde sie das sogar ganz gerne. Das ist aber zum Glück laut Grundgesetz verboten“,

kommentiert natürlich eben jener Grimberg in der taz.

Einen anderen Aspekt bringt Ulrike Simon in der FR ins Spiel:

„Tatsächlich verläuft die Front zwischen den Vertretern der Verlage einerseits und denen von ARD und ZDF bei weitem nicht so starr, wie es den Anschein hat.“

Als Beispiel führt sie ZDF-Chefredakteur Peter Frey an, der

„zu mehr Kooperation zwischen den Mediengattungen (rät), um so mit Qualität der Übermacht von weltweiten Konzernen wie Google oder Facebook entgegenzutreten.“

Ein instruktiver Beitrag zur Debatte kommt von Jörg Sadrozinski, dem früheren Redaktionsleiter von tagesschau.de, der heute - aus den unterschiedlichsten Gründen - froh darüber sein dürfte, dass er den Laden verlassen hat. Sadrozinski, nunmehr Leiter der Deutschen Journalistenschule in München, skizziert in seinem Blog mehrere Szenarien, die aus dem Urteil folgen könnten. Das finsterste:

„Die ARD erkennt das Urteil an. Dies müsste dann in der Konsequenz zu einer Konzentration auf sendebezogene Inhalte, also die Verschriftlichung von Hörfunk- und Fernsehmanuskripten, sowie Audios und Videos bei öffentlich-rechtlichen Onlineangeboten führen, zweifellos ein Verlust an Qualität und auch nicht mediengerecht.“

Das erstinstanzliche Kölner Urteil ist ein guter Anlass, mal auszumalen, was „sendebezogen“ konkret eigentlich heißt. Zum Beispiel, dass, wenn irgendwo auf der Welt etwas sehr Berichtenswertes passiert, tagesschau.de nicht mit einem vermeintlich „presseähnlichen“ Textbeitrag reagieren kann, sondern erst, wenn ein Sendeinhalt, auf dem man sich beziehen kann, vorliegt. Mit anderen Worten: nach Maßstäben der heutigen Nachrichtenrezeption viel zu spät. Wer nach schnellen Informationen zu aktuellen Ereignissen sucht, wird dann tagesschau.de kaum noch anklicken. Dieser Relevanzverlust hätte mittelfristig auch Folgen für die klassische „Tagesschau“ im Fernsehen.

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Vor vielen, vielen Monden hat der Redakteursausschuss des NDR, bei dem die Redakteure von tagesschau.de angestellt sind, einen Brief an die Hierarchen des Hauses geschickt, es ging darum um den Streit mit den Verlegern. Zum Thema Presseähnlichkeit findet sich da eine hübsche Formulierung;

„Schreiben ist eine kulturelle Fertigkeit und keine Erfindung der Verlagshäuser.“

[+++] Anders als manche Verlegerkollegen überhaupt nicht in Feierstimmung ist derzeit Gunther Oschmann, der 2010 die Nürnberger Ausgabe der Abendzeitung übernommen hat. Diese erscheint morgen zum letzten Mal (siehe auch Altpapier), weil der in der Telefonbuchbranche erfolgreiche Oschmann keine Investoren gefunden hat. Die SZ blickt zurück:

„1919 war das Acht-Uhr-Abendblatt erstmals in Nürnberg erschienen, damals als eine der ersten Straßenverkaufszeitungen in Deutschland. 1964 hatte die Münchner Abendzeitung die Zeitung übernommen. Bis zur Übernahme durch Oschmann galt sie als linksliberales Blatt, für das Nordbayerns bekannteste Kolumnisten schrieben. Seit der Übernahme freilich hatten zahlreiche Autoren das Blatt verlassen.“

Der Untergang des Blatts (siehe auch kress.de) könnte damit zu tun haben, dass es zuletzt nicht mehr so linksliberal war, jedenfalls deutet darauf eine Einschätzung des Bayerischen Journalistenverbandes hin, die in der SZ zitiert wird.

[+++] Dass man als Kulturschaffender äußerst vorsichtig damit sein sollte, Rezensionen zu seinem eigenen Wirken ins Netz zu stellen, weil man sich damit unter Umständen urheberrechtlichen und also teuren Ärger mit Zeitungsverlagen einhandelt - das ist bekannt, seit „Kulturzeit“ über einen betroffenen Opernsänger und Stefan Niggemeier über den vom Tagesspiegel mit Hilfe eines Geldeintreibers angegangenen Regisseur Rudolf Thome berichten haben. Dieser hatte Rezensionen seiner Filme, die 2003 und 2006 iim Tagesspiegel erschienen waren, auf seine Website gestellt. Formaljuristisch sind Zeitungen in solchen Fällen im Recht, aber wenn man den banalen Umstand bedenkt, dass eine Zeitung über Kultur nur berichten kann, weil diese jemand produziert hat, ist so ein Verhalten gegenüber einem Künstler natürlich schäbig.

Was Verlage können, können Autoren natürlich auch. Jedenfalls dachte sich dies offenbar ein reizender Zweibeiner aus dem Ostwestfälischen. Dr. Mark Behrens heißt er, und über ihn schreibt Fritz Tietz in der aktuellen konkret (Seite 46). Vor ein paar Wochen nämlich schickte der Akademiker dem Autor Tietz eine Rechnung, weil letzterer im Herbst 2003 eine von Behrens für das Mindener Tageblatt verfasste Besprechung einer Lesung, an der er, Tietz, beteiligt war, auf seine Website gestellt hat.

„Auf immerhin 57 Euro war diese Rechung beziffert. Eine Forderung, deren Höhe Behrens, wie er in einer akkurat gesetzten Multipliaktion ausührte, aus dem Dreifachen dessen errechnet hatte, was ihm 2003 vom Mindener Tageblatt als Honorar für die Rezension gezahlt worden war, nämlich 19 Euro.“

Ein guter Geschäftsmann scheint er also so zu sein, der Kollege Dr. Behrens.

[+++] Wir müssen, anknüpfend an den Auftakt des gestrigen Altpapiers, weiter über Satire reden - aus mehreren Gründen. Zum einen, weil der Presserat die Titanic wegen ihres Papst-Covers gerügt hat (Die Welt/dapd, meedia.de), zum anderen, weil die am Donnerstag hier wegen ihrer Textqualität kritisierte Titanic in ihrer heute erscheinenden Oktober-Ausgabe mit einer naheligenden, aber sehr guten Idee aufwartet. Die Frankfurter veröffentlichen „lesefreundliche Auszüge“ aus dem Schriftsatz ihrer Hausjuristin Gabriele Rittig zu  eben jener Papst-Cover-Sache. In einem Printprodukt zwei Seiten mit Juristenprosa zu füllen, das muss man erst einmal bringen. 

Und dann gibt es da ja noch den Aufmacher des Freitag-Kulturteils, einen „Missstandsbericht“, in dem Altpapier-Autor Matthias Dell und Marc Fabian Erdl darlegen, dass die „Mohammed-Karikaturen“ zeigen, wie das gesamte Satire-Genre „auf den Hund gekommen ist“. Dell/Erdl sprechen von einer „Empörung zweiten Grades“. Diese fuße

„auf einem zur Dienstbarkeit verluderten Begriff von Meinungsfreiheit, für den die Satire dann anschaffen geschickt wird. Man findet ihn heute bei vielen derjenigen, die jetzt ‚den Islam‘ auf dem Kieker haben“.

Der Mann, der einiges dazu beigetragen hat, dass Artikel wie der eben zitierte geschrieben werden konnten bzw. mussten, der mutmaßlich für den Schmähfilm „Innocence of Muslims" verantwortliche Nakoula Basseley Nakoula also, sitzt nunmehr im Knast. Wegen Verletzung seiner Bewährungsauflagen. Berliner Zeitung/dapd und Guardian/AP berichten.


ALTPAPIERKORB

+++ Der frühere Motorsportfunktionär Max Mosley hat schon einige ihn tangierende Sexbilder bzw. „Sado-Maso-Fotos“ aus der Welt geschafft, aber weil sich via Google immer noch welche finden lassen, klagt er gegen den Konzern. Die FAZ blickt voraus auf das Verfahren, das heute in Hamburg verhandelt wird.

+++ Brautmeier wird der neue Fuchs! Aller Wahrscheinlichkeit nach. Wovon hier die Rede ist? „Jürgen Brautmeier, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), ist (...) als neuer Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) im Gespräch“ - und zwar als Nachfolger von Thomas Fuchs. Das meldet die Funkkorrespondenz.

+++ Wie kann es sein, dass Fortuna Düsseldorf als einziger Erstligaverein in Europa ohne Gegentor ist, die Benotungen der Düsseldorfer Abwehrspieler im Fachorgan kicker dazu aber in krassem Widerspruch stehen? Das fragt sich der Sportsaal.

+++ Schnelle Läuterung: Ein Internet-Rüpel, der in schmähender Absicht das Bild einer Frau ins Netz stellte, entschuldigt sich, nachdem das vermeintliche Opfer äußerst souverän reagiert hat. Jezebel.com berichtet.

+++ Bewegungs- und Reisefreiheit werden sich künftig nur Reiche leisten können, den Armen bleibt, weil sie nun mal arm sind, nur die Bewegungsfreiheit im Internet - so lautet, sehr grob zusammengefasst, eine Dystopie, die The Atlantic skizziert.

+++ „Dr. Iris Brooks ist jung, alleinerziehende Mutter und obendrein eine afrodeutsche Frau. Revolutionär?“ - So beginnt ein taz-Interview mit der Schauspielerin Sarah Masuch, die eine neue Lindenstraßen-Figur verkörpert.

+++ Manfred Riepe lobt in der Funkkorrespondenz den heutigen NDR-Film „Ausgesperrt und abgezockt“, eine Reportage über unseriöse Schlüsseldienste, und ja, das klingt erst einmal nicht aufreend, doch es geht in dem Film um „eine mafiaartige Geschäftspraxis“, um Vorgänge, die sehr nach organisierter Kriminalität aussehen, aber legal sind.

+++ Die FAZ (Seite 39) empfiehlt die am Sonntag bei Sat 1 startende Serie „Common law“: „Das Genre der Buddy-Krimiserie, in der zwei Partner sich aneinander reibend die Krimihandlung durchlaufen, ist spätestens seit ‚Starsky & Hutch‘ etabliert. Viel herauszuholen ist aus dem Genre nicht mehr – es sei denn, man denkt es weiter und spielt mit dem pseudo-schwulen Verhältnis, in das solche engen dienstlichen Partnerschaften oft münden. ‚Common Law‘ wagt den Versuch und stellt die Männerbeziehung als kriselndes Liebesverhältnis vor – platonisch, natürlich.“

+++ Und noch wesentlicher euphorischer preist Heike Hupertz ebd. „Stillschweigen“ an, einen Rostocker „Polizeiruf“ von Eoin Moore. Angesiedelt ist der Film im Rockermilieu, und die Hauptdarsteller spielen so „direkt, dass die Parallelwelt geradezu aus dem Fernseher springt“. Von einem „großen Historiendrama“, einem „aktuell grundierten“ freilich, ist auch noch die Rede.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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