Sitzen wild durcheinander

Sitzen wild durcheinander

Vor Gericht gehen wir nicht: Vatikan sagt der Titanic ab. Gehen wir doch: Tagesschau App, Einspeiseentgelte, Drittsendezeiten, Wallraff. Und: die Talkshow ist auf den Hund gekommen. Sowie: Bertelsmanns Personalien.

Der Schlachtlärm hat sich fürs erste verzogen. Vom Kabinettsbeschluss zum Leistungsschutzrecht (Altpapier von gestern) bleibt das beredete Monument (eine Art Streik? Vorschau aufs Kommende?) des Perlentaucher, der gestern auf seine Feuilletonrundschau verzichtet sowie der Pragmatismus von netzwertig, wo Martin Weigert Start-ups jetzt fragt, was das LSR für sie bedeuten würde. Björn Schumacher vom News-Aggregator virato äußert sich vorsichtig:

"Zu befürchten ist ein Rückgang in der medialen Nutzung und ein Ausbremsen von Innovationen hierzulande."

Es ist ja auch noch nichts beschlossen. Und spätestens wenn die Lesung des LSR-Gesetzes im Bundestag ansteht, wird noch einmal argumentiert werden. Mit Wolfgang Michal? Der langweilt sich auf Carta:

"Bei keinem anderen Sachverhalt bemühen wir so viel Grips, schreiben wir so leidenschaftliche Polemiken, finden wir so schlagende Argumente wie bei diesem Gesetzentwurf. Arabellion? Längst vergessen. Europa? Scheißt der Hund drauf! Leistungsschutzrecht – das zieht immer. Diesen Knochen nagen wir ab, bis auch der letzte Schneidezahn daran stumpf geworden ist."

Mag etwas defätistisch daherkommen, wobei man Michal vermutlich nicht darauf hinweisen muss, wie zäh und langwierig Machtkämpfe sein können. In dem Text steckt also weniger Ennui als kritische Selbstbefragung:

"Könnte es vielleicht sein, dass uns das Leistungsschutzrecht – ohne dass wir viel dafür tun müssten – in strahlendes Kämpfer-Licht taucht? Für welches andere Thema würde unsere Leidenschaft wohl brennen, wenn wir das Leistungsschutzrecht nicht mehr zur Verfügung hätten? Mit was würden wir die große Lücke füllen?"

[+++] Ein Spaßvogel würde sagen, mit dem bemitleidenswerten Zustand des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Das wird zwar dauernd gemacht, wie Rupert Neudeck in der aktuellen Funkkorrespondenz demonstriert, schmiert aber häufig vom Steilflug gen Grundsätzliches ab in Richtung persönliche Vorlieben, wie ebenfalls Rupert Neudeck in der aktuellen Funkkorrespondenz demonstriert.

"Außerdem sehen wir in dieser 'Anne-Will'-Ausgabe von der Linkspartei Sahra Wagenknecht, schön und ihre Schönheit gut präsentierend. Und da es solche Frauen nur wenige gibt und sie dann auch noch die stellvertretende Vorsitzende einer untergehenden Partei ist, wird sie sicher noch sehr oft Talkrunden zieren."

Statt Wagenknecht und ihre "untergehende" Partei so unbegründet nicht zu mögen, wäre es doch viel interessanter gewesen, an Wagenknecht und ihrem Image-Umbau zur Ludwig-Erhard-Erbin die Breite des gesellschaftlichen Spektrums abzulesen, die sich staatstragende Talkshows trauen, wo sie doch zugleich auf möglichst radikale, entlegene Positionen angewiesen sind.

Eine Erklärung dafür, dass der Talkshow-Überdruss so schnell nicht endet, liefern ein Blick auf die Produktionsverhältnisse

"Wir schreiben das Jahr 2012 und heutzutage haben die Talkmoderatoren, die mehr zu Gesprächsdompteuren geworden sind, sich eingegraben mit ihren eigenen Produktionsfirmen. Sie müssen schon deshalb viele Sendungen abliefern, damit der Cashflow stimmt und die vielen Mitarbeiter bezahlt werden können. Das heißt, auch wenn alle darüber stöhnen und den Zustand nicht mehr günstig finden, vielleicht nicht einmal für die Quote – es wird sich an der prästabilisierten Vielzahl der Sendungen bis auf Weiteres wohl wenig oder gar nichts ändern."

Öffentlich-rechtliches Fernsehen taugt aber deshalb so wenig zur Beschäftigung, weil da die Verlage schon vor sind. Beim Streit um die Tagesschau-App als vermeintlich staatlich subventioniertes Konkurrenzangebot für privatwirtschaftliche Zeitungshäuser kommt es nicht zur gütlichen Einigung, ein Gericht mit einem Richter, der nicht urteilen will (siehe Altpapier), muss urteilen.

[+++] Der Vatikan will's dagegen nicht wissen und lässt von Verhandlung um die einstweilige Verfügung, die er gegen den Titanic-Titel mit der "undichten Stelle" (die jetzt, wiederum ein Spaß, auch von den hochseriösen DLF-Nachrichtensprechern beschrieben werden muss) erwirkt hatte. Zu den Fragen des geplanten demonstrativen Ankettens an einer evangelischen Hamburger Kirche weiß Sonja Pohlmann im Tagesspiegel Bruchstückhaftes:

"Leo Fischer hatte sich gerade das Bischofskostüm angezogen und ans Geländer vor der Hamburger Kirche St. Michaelis angekettet, da kam die Nachricht vom Vatikan: Die einstweilige Verfügung gegen die 'Titanic' wird zurückgezogen, die für Freitag geplante Verhandlung vorm Hamburger Landgericht damit abgesagt."

Die Koinzidenz klingt nach einer guten Einleitung, aber letztlich geht es in der ganzen Auseinandersetzung ja auch um nichts anderes als PR:

"Das umstrittene Heft darf wieder verkauft werden; das Blatt hat 2000 Abonnenten hinzugewonnen. Die Sache hat sich gelohnt."

Beendet Matthias Drobinski seinen Text in der gedruckten SZ (Seite 31), online berichtet Carsten Eberts für das Blatt, dass Titanic-Chefredakteur Fischer in kirchlichem Gewand (hier wird's dem Kardinal zugeschrieben) bereits tätig war:

"Die linke Hand in Bauchnabelhöhe angelegt, die rechte Hand verschränkt darüber - so stand der Chefredakteur des Satiremagazins Titanic am Donnerstagnachmittag vor der Hamburger Michaeliskirche. Fischer trug ein Kardinalsgewand, mit der typischen Mütze, nickte weise und beantwortete geduldig allerlei Fragen."

Die Pressemitteilung des Satiremagazins verkündet, dass die geplanten Aktivitäten in Hamburg auch ohne Verhandlung durchgeführt werden sollen.

"Trotz der Absage laden TITANIC und die Partei Die PARTEI die Hamburger am Freitagvormittag zum angekündigten Papst-Mittelaltermarkt mit Pranger und Hexenverbrennung (symbolisch) am Sievekingplatz vor dem Landgericht ein."

[+++] Wenn man schon mal da ist. Wenn man dagegen nach Gütersloh muss – und damit zu den News aus dem Hause Bertelsmann.

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Steffen Grimberg sieht in der TAZ mit mit dem Ende von Bernd Buchholzens Vorstandstätigkeit naheliegenderweise auch das kommende Ende von dessen G+J-Leitungstätigkeit. Könnte allerdings noch etwas dauern:

"Wer Buchholz beerbt - und vor allem, was diese ManagerIn dann noch zu sagen hat -, ist offen. Es wird vermutlich auch noch ein bisschen dauern: Die Mohns und Jahrs zanken sich laut Branchenberichten darüber, wie viele Bertelsmann-Anteile die Jahr-Anteile bei G+J wert sind."

Ulrike Simon warnt in der Berlin-Frankfurter, dass Buchholzens Dilemma (nicht investieren zu können) auch das von Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Rabe ist.

"Rabe steckt gewissermaßen in derselben Klemme, in die er Bernd Buchholz, den Noch-Vorstandschef der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr (G+J) gebracht hat: Er hat eine Strategie, sicherlich auch konkrete Akquisitionsmöglichkeiten, aber er kann sie nicht verfolgen, weil der Eigentümer zu keinen Investitionen bereit ist."

Deshalb, meint Simon, könnte die Tagung des Managements demnächst im Gütersloher Stadttheater "skurril" werden.

Die Strategie des neuen Aufsichtsratschef und Patriarchen-Sohn Christoph Mohn umreißt Sonja Pohlmann in einem Portrait für den Tagesspiegel:

"Mohn, der sich mit Rabe gut verstehen soll, hat den Bertelsmann-Managern nach Angaben der 'Süddeutschen Zeitung' schon eine Losung mit auf den Weg gegeben: 'Das neue Google finden.' Und: 'Schnäppchen suchen.'

Das neue Google finden – da kann man nichts gegen sagen. Nur aufpassen, wenn das LSR dann schon gelten sollte.


ALTPAPIERKORB

+++ Upcoming Prozesse: ARD/ZDF werden auch von Kabel Deutschland verklagt, das nicht so einfach die Kündigung der Einspeiseentgeltzahlungen hinnehmen will. +++ Laufende Prozesse: Am 5. September will das Verwaltungsgericht Neustadt ein Urteil über die rechtmäßige Verteilung der Drittsendezeiten bei Sat.1 an die Platzhirsche Josef Buchheit (News and Pictures) und Alexander Kluge (DCTP) fällen. Geklagt hatten Mitbewerber. Volker Nünning berichtet für die Funkkorrespondenz sehr interessant von einem Verhandlungstag. +++ Am 6. September wird das Landgericht in Bad Kreuznach ein Urteil fällen, es geht um die Vorwürfe aus einer Recherche Günter Wallraffs gegen Arbeitsbedingungen in einer Bäckerei, Michael Hanfeld schreibt in der FAZ (Seite 35) dazu. +++

+++ Bastian Obermayer informiert über den neuesten Teamworx-Streich in der SZ (Seite 31), einen Film über die Enführung des Frankfurter Bankiersohns Jakob von Metzler. Gut für die PR ist auf jeden Fall die große Geheimhaltung, unter der der Film entstand: "Außerdem beschlossen die Macher des Films, unter Geheimhaltung zu drehen - was ein wenig albern anmutet, nachdem die Persönlichkeitsrechte angeblich doch geklärt waren. Der Code-Name des Projekts war 'Frankfurt', und wenn Hauptdarsteller Robert Atzorn von Freunden und Kollegen gefragt wurde, wo er denn dauernd stecke, sagte er nur, er drehe gerade einen Krimi." +++ Harald Schmidt hat zum Start seiner Sendung bei Sky auch mit dem Tagesspiegel gesprochen. Über seinen neuen Chef Brian Sullivan heißt es: "Der Mann ist US-Amerikaner, spricht kein Wort Deutsch, hat Ihre Show nie gesehen. Wie haben Sie ihn überzeugen können?" – "Gar nicht, ich lernte ihn erst kennen, als der Deal schon beschlossen war. Internationale Alphatiere erkennen sich gegenseitig. Außerdem, und jetzt mach’ ich Ihr Argument platt: Die WDR-Intendantin spricht Deutsch, kennt seit 40 Jahren Thomas Gottschalk und hat ihn für den ARD-Vorabend engagiert." +++

+++ Marvin Oppong schreibt über verdeckte PR bei Wikipedia in der FTD. +++ Berliner (Seite 26) und Tagesspiegel stimmen auf die in der Hauptstadt stattfindende IFA ein. In letzterem heißt es über ein Produkt: "Der Fernseher kann 3-D-Bilder für bis zu neun Zuschauer berechnen. Schaut mehr als ein Zuschauer zu, sinkt allerdings mit jedem weiteren Betrachter die Auflösung. Ein Kamerasystem ermittelt automatisch die Position der Zuschauer. Sitzen die Betrachter zu wild durcheinander vor dem Fernseher, soll es noch zu Problemen kommen. Problematisch könnte auch der Preis von fast 9000 Euro sein." +++

Neues Altpapier gibt's am Montag wieder.

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