Journalism is the new pole dancing

Journalism is the new pole dancing

Maut oder Freiheit, antiprimitivkapitalistisch oder insane? Die buntesten Einschätzungen zum näherkommenden Leistungsschutzrecht. Außerdem: Buchholzens Sturz, und was bei Gruner+Jahr nun abgehen könnte.

Heute wollen sich Leo Fischer, der lustige C-Prominente von der Titanic, und "so um die 30 Leute" aus Redaktion und Umfeld des Satireblatts (das seine provokante Medienkompetenz aktuell mit einem heiteren Syrien-Stückchen unterstreicht) "an die Hamburger Hauptkirche St. Michaelis anketten".

Das hängt mit dem morgen ebenfalls in Hamburg anlaufenden Prozess um das Juli-Titelbild des Magazins mit dem befleckten Papst drauf (siehe Altpapier) zusammen. Leider nennt der Tagesspiegel-Bericht über Fischers Vorhaben keine Uhrzeit. Aber zumindest für Anwohner und Berufstätige in der Gegend könnte es lohnen, vorbeizuschauen und sich zwischendurch auf andere Gedanken bringen zu lassen.

Wer denn so in der Umgebung des Michels arbeitet, das zeigt schön die Webcam, die so eine prominente (übrigens, anders als der Papst, evangelische) Kirche in so einer Medienmetropole wie Hamburg natürlich haben muss: Quasi nebenan, im stilisierten Schiff mit Sonnendeck obendrauf, befindet sich der Verlag Gruner+Jahr, bei dem momentan "die Hütte" "brennt", wie es Michael Hanfeld in einem knappen Text auf der FAZ-Medienseite beschreibt. Denn Bernd "Brink" Buchholz, der G+J-Vorstandschef, hat gestern spektakulär seinen Posten als Bertelsmann-Vorstandsmitglied niedergelegt (ups, TAZ, diese Meldung müsste jemand vom Netz nehmen, diese ist die richtige).

Das hängt gewiss damit zusammen, dass Buchholz "lieber mit offenem Visier kämpft" (Tagespiegel) bzw. gewohnt sei, "einen Streit mit offenem Visier auszufechten" (meedia.de). Während das Manager-Magazin, das mit "Buchholzens Sturz" (Hanfeld in der FAZ wiederum) recht ursächlich zu tun haben dürfte, nur eine Meldung bringt, kommt die farbigste Darstellung aus dem Wirtschaftsressort der Süddeutschen: Hans-Jürgen Jakobs, der schon gestern (siehe Altpapier) ein großes Bertelsmann-Stück rausgehauen hat, legt nun unter der Überschrift "Weg vom Sonnendeck" nach:

"Gut dreieinhalb Jahre hat der fliehende Buchholz, der in Wahrheit ein Vertriebener ist, die Geschäfte an der Spitze des Zeitschriftenhauses erledigt. Die besten Zeiten sind hier schon länger vorbei, jahrelang wurde Stillstand verwaltet, und Buchholz sann auf neue kleine Titel wie 'Beef'. Das war lustig und kostete wenig, schließlich war mit der kapitalhungrigen Mutter verabredet, dass ordentlich Gewinn anfällt und ausgeschüttet wird."

Ordentlich Gewinn fiel zuletzt aber nicht mehr an, will das FAZ-Wirtschaftsressort wissen, demzufolge "Europas größter Zeitschriftenverlag ... ein sehr schlechtes Quartal hinter sich" habe. Was diese Gewinnausschüttungen betrifft, so hat das Handelsblatt Mitleid mit Buchholz, zumindest wenn man ihn mit Mathias Döpfner vergleicht. Buchholz gelte ja

"als leidenschaftlicher Verleger, scheiterte aber immer wieder am Veto aus Gütersloh: In den vergangenen zehn Jahren schüttete sein Printkonzern mehr als zwei Milliarden Euro an Bertelsmann und die Jahr-Familie aus. Axel Springer investierte im gleichen Zeitraum 1,8 Milliarden Euro in den Ausbau seiner Digitalgeschäfte. Buchholz blieb Ähnliches verwehrt."

Nun wolle er "um seinen Posten kämpfen, sagen Vertraute", also um den G+J-Posten, den er anders als den bei Bertelsmann nicht aufgegeben hat. "Seinen Posten als Verlagschef wolle er jedoch beibehalten, hieß es" (Welt). Dass es bei diesen Kämpfen nurmehr um die eine oder andere Abfindungs-Million geht, ist jedoch allen klar. Nicht zuletzt wetteifern die Wirtschaftsredakteure um Nachfolgespekulationen.

Meedia.de hörte "in diesem Zusammenhang den Namen von [G+J-] Auslandsvorstand Torsten-Jörn Klein, aber immer lauter auch den von Thomas Hesse, dem neuen Bertelsmann-Vorstand für Unternehmensentwicklung." "In der Branche werden auch Springer-Vorstand Andreas Wiele, Burda-Vorstand Philipp Welte und 'Spiegel'-Geschäftsführer Ove Saffe genannt" (Handelsblatt). Die FAZ verblüfft dann noch mit einer internen, aber doch prominenten Lösung, der "Verlagsgeschäftsführerin G+J Exclusive & Living" Julia Jäkel.

[+++] Damit zum anderen, digital betrachtet größeren Aufreger. Schon jetzt ziemlich unüberschaubar, all die Einschätzungen zum gestern von der Bundesregierung, aber noch nicht vom Bundestag beschlossenen Leistungsschutzrecht für Presseverleger (netzpolitik.org).

Sie reichen von "insane law" Jeff Jarvis', des echten, nicht des Fake Jeff Jarvis ("Journalism is the new pole dancing"), über die Begriffe "Google-Zoll" und "Suchmaschinen-Maut", welche die Verlage nun erheben dürften (Fiete Stegers im Zapp-Blog), bis zur Ansicht, dass das, was Google (bzw. der äußerst umtriebige Lobbyist Kay Overbeck auf Google Plus) einen "schwarzen Tag für das Internet in Deutschland" nennt, doch ein "guter Tag für die Freiheit" sei. Diese Meinung stammt von Reinhard Müller, steht vorn drauf auf der FAZ und nutzt ihren knappen Raum überdies, um per "Apropos" auch noch mal etwas Meinung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ("... Wenn aber zwischen Staatsfunk und Google kein Platz mehr bleibt, dann wird diese Republik eine andere sein") loszuwerden.

In die schwammigen Details begibt sich Meike Laaff: "Newsaggregatoren wie Rivva.de" könnten vom Leistungsschutzrecht betroffen sein, schreibt sie in der TAZ. SPON meint, dass "ein News-Aggregator wie Rivva nicht unter die geplante Lizenzpflicht fallen" würde, allerdings unter Berufung auf heise.de, das dies wiederum "unter Berufung auf die Bundesregierung" berichten soll (die von solchen Dingen nun wirklich keine Ahnung haben dürfte). Markus Beckedahl versteht auf netzpolitik.org wiederum die SPON-Erklärungen nicht... - Fundiertere Einschätzungen der mutmaßlichen Wirkung von Gesetzeskraft des Entwurfs sind zurzeit nicht zu haben. Dass dieses rivva.de allerdings gewiss keine Gelddruckmaschine ist, sondern "recharged by BMWi", verdeutlicht die Relevanz aber sicher gut.

Umfangreiche kommentierte Überblicke zum aktuellen LSR-Entwurf gibt's ferner bei Carta und meedia.de, das zumindest einen identifiziert hat, der sich bereits betroffen fühlt ("Und Marcel Wichmann, der Gründer von Quote.fm, sagt, dass er seinen Dienst vermutlich einstellen würde, wenn das Leistungsschutzrecht käme").

Eine plausible Folgen-Einschätzung für den onlinejournalistischen Alltag hat Jens Weinreich. Er glaubt durch ein beschlossenes Leistungsschutzrecht den "Abmahnwahn" angefeuert. Aufschlussreich auch der zeit.de-Artikel von Kai Biermann, der sich zwar ziemlich viel von Googlesprecher Ralf Bremer erzählen ließ (vielleicht zuviel dafür, dass Google alles andere als unbefangen oder unparteiisch ist; ein nicht uninteressantes "Zitat über die möglichen Folgen des Entwurfs" hat der offenbar zurückgepfiffene Sprecher später "zurückgezogen"...), aber auch zu folgender Einschätzung gelangt:

"Denn es geht Verlegern bei dem Wunsch nach einem Leistungsschutzrecht nicht nur um Geld. Es geht ihnen um eine Machtdemonstration. Offiziell lässt sich damit niemand zitieren, aber es geht auch darum, dem Giganten Google zu zeigen, dass er nicht walten kann, wie er will. Eben indem man sich ein Gesetz bauen lässt."

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Schließlich noch Heribert Prantl. Der ist heute in der Süddeutschen sowohl mit einem sachlichen Nachrichtentext vertreten ("Ob aus dem Entwurf auch tatsächlich ein Gesetz wird, ist freilich nicht sicher...") und nimmt darin sogar einen der Lieblingsgegner seines Blattes ausdrücklich von Gesetzesfolgen aus ("Internet-Magazine wie Perlentaucher, die einen täglichen Überblick über die Feuilletons geben, sind wohl vom neuen Gesetz nicht erfasst, weil sie wegen der Bearbeitung der Texte nicht suchmaschinenartig auf diese zugreifen"), als auch mit einem Kommentar "Wider den Primitivkapitalismus" (S. 4), der, nett formuliert, allerweitestgehend offenlässt, worin genau des Gesetzes oder des Kommentars Bedeutung liegt:

"Seit der digitalen Revolution wird behauptet, dass das geistige Eigentum nun seinen Geist aufgeben müsse. Diese Behauptung ist falsch. Und wäre es wirklich so, dann wäre es erbärmlich."

Machtdemonstration halt. Da hat Biermann vermutlich sehr recht.

Zum versöhnlichen Abschluss an dieser Stelle noch der im öden Gewand der Marmeladen- oder Schraubenfabrik-Vergleiche (hier sind's konkret Zahnbürsten) daherkommende, dennoch erfrischende Kommentar von "as" (vermutlich Anna Sauerbrey) im Tagesspiegel:

"Die Verleger meinen, Google verdiene zu Unrecht mit anderer Leute Inhalten Geld. Damit wäre man beim Schlüssel zum Verständnis, dem Neid. Denn es stimmt, Google verdient im Internet Geld, viel Geld. Den Verlegern ist das noch nicht gelungen. Daran wird aber auch das 'Leistungsschutzrecht' nichts ändern."


Altpapierkorb

+++ Das Handelsblatt, das wir oben mit seiner Buchholz/Bertelsmann-Einschätzung zitierten, tat diese natürlich auch in einer direkten Nickeligkeit mit der letzten G+J-Zeitung, der FTD, deren sukzessives Verschwinden vom Papierzeitungsmarkt kürzlich angekündigt wurde. Ihren Lesern bietet Handelsblatt-Chef Gabor Steingart nun ein 100-Tage-Abo seines dickeren Blattes an (kress.de, TAZ). Die FTD schießt zurück mit der Meldung, dass aber auch das Handelsblatt "in die Verlustzone gerutscht" sei: "Die vor einem Jahr im Fachmagazin 'Kontakter' angekündigte Online-Offensive verläuft aber offensichtlich nicht wie geplant. Damals hatte es geheißen, die Online-Redaktion des 'Handelsblatts' werde mittelfristig von 50 auf 100 Journalisten verstärkt. Laut Impressum sind bei 'Handelsblatt Online' derzeit aber nur 23 Journalisten tätig." +++

+++ Sonia Mikich hört beim ARD-Politmagazin "Monitor" auf und gab daher Interviews. Das "Viel Feind, viel Ehr"-Gespräch des Tagesspiegels steht frei online. +++ Das der Süddeutschen, in dem Claudia Tieschky sie zur kleinen Brandrede "Ich nenne es die McKinseyisierung unseres Gewerbes. Aus dem Kulturgut Journalismus wurde ein Wirtschaftsgut namens content. Ich bin mein Leben lang - hoffe ich - idealistisch an meinen Job rangegangen. Ich habe dafür gebrannt. Mir fehlt der Sinn für Status, formale Zahlenerfolge, diese übliche Punkteverteilung. Mein Eindruck ist aber, dass Journalisten immer stärker zu Industrieproduzenten werden... ..." antrieb, steht derzeit nur auf der SZ-Medienseite 35. +++

+++ Der Streit unter Regisseur und Produzenten des im Kino laufenden, aber natürlich von Fernsehsendern mitproduzierten Treuhandanstalt-Dokumentarfilms "Goldrausch" habe viel mit den "heutigen Vorstellungen von öffentlich-rechtlichem Fernsehen" zu tun, meint Altpapier-Autor Matthias Dell im Freitag: "Format, Quote, erzählerischer Duktus – das muss so gemacht werden, das ist alternativlos. Die Angst vor dem Abweichen von den Konventionen ist das Bindemittel dieser Gesellschaft". +++ Wer sind die "Goldrausch"-Produzenten? Thomas Kufus und Volker Heise von der Sarah Wiener-/ "24 Stunden Berlin"-Firma Zero-Film. +++

+++ Die aktuellen Prozesse der "äußerst agilen und kampfeslustigen" deutschen Presseagenturen beschreibt Altpapier-Autor René Martens in der TAZ. +++ Am morgigen Titanic-Papst-Prozess "interessiert nicht so sehr das weltliche Recht. Vielmehr dürfte es sich aus originär kirchlicher Perspektive als eine veritable Revolution entpuppen, dass ein Papst den ordentlichen staatlichen Rechtsweg beschreitet", merkt Rechtsanwalt Ansgar Koreng auf Carta an. +++ Durch die Nacht mit Leo Fischer (Titanic, s.o.) und Christopher Lesko (leadership-academy.de): grooooßes meedia.de-Interview. +++

+++ Schöner Zug vom ZDF - es unterstützt die deutschen Kreativen: "Die Agentur KNSK aus Hamburg wird künftig die Kommunikation für das ZDF betreuen. Dabei geht es sowohl um die instituionelle als auch um die Programmkommunikation. TBWA aus Düsseldorf wird die Digitalprogramme ZDFneo, ZDFkultur und ZDFinfo kommunikativ begleiten. Die plan.net aus München wird unterdessen die werbliche Kommunikation auf den unterschiedlichen Plattformen im Internet aussteuern und die Frankfurter Peter Schmidt Group soll sowohl den gestalterischen Gesamtauftritt für die einzelnen Kanäle als auch für die Institution weiterentwickeln" (dwdl.de). +++

+++ Die neuen Shows der TV-Celebrities Richard David Precht (ZDF) und Harald Schmidt (Sky) sind Themen der BLZ/ FR-Medienseite. +++

+++ Der Kriegsreporter Malcolm Browne, dessen Foto von einem sich in Saigon auf offener Straße verbrennenden buddhistischen Mönch 1963 um die Welt ging, ist gestorben. Nachrufe gibt's in der Süddeutschen, in der FAZ mit jenem Foto (aber derzeit nicht frei online) und bei SPON. +++

+++ Ferner in der SZ: die fashionista.com-Enthüllung, dass Burdas deutsches Elle-Magazin ein früheres Werbefoto zum Titelbild machte, ein Porträt der Radiopreis-nominierten detektor.fm-Macher Christian Bollert und Marcus Engert. +++

+++ Und auf der prallvollen FAZ-Medienseite geht's u.a. um die im Dezember in Dubai anstehende Konferenz der International Telecommunications Union, die unter wesentlichem Einfluss weniger demokratischer Staaten über "die Zukunft des Internets" mitentscheiden könnte. +++ Außerdem berichtet Andreas Kilb von Guido Knopps jüngstem Pressetermin: "Man sieht also, kurz vor dem Ende des Films, eine lange Nachinszenierung der Verbrüderung zwischen englischen und deutschen Soldaten zu Weihnachten 1914: Dudelsäcke und 'Stille Nacht', gut genährte, sauber gekleidete Darsteller mit Tannenbäumen im Arm. Eine Zuschauerin fragt, ob das wirklich so aussehen musste. Ein leeres Feld in Flandern zu zeigen und dazu Zitate aus Soldatenbriefen zu verlesen wäre auch möglich gewesen, erklärt die Autorin von der Heyde. 'Aber es ist keine Möglichkeit für 20.15 Uhr. Da schalten die Zuschauer sofort ab.'" +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.
 

 

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