"Einander zum Gespräch geboren"

"Einander zum Gespräch geboren"
Der Tod des Luther-Gefährten Philipp Melanchthon jährt sich zum 450. Mal. Grund genug für ein Interview mit dem Leiter der einzigen Melanchthon-Akademie in in NRW.
15.04.2010
nrw.evangelisch.de / neu

Wie färbt der Namensgeber auf das Profil Ihres Hauses ab?

Es gibt die Kölner Melanchthon-Akademie seit fast fünfzig Jahren. Wir haben kürzlich in Archiven und Programmen der frühen Akademie recherchiert. Und es war für mich erstaunlich, wie trotz aller Paradigmenwechsel und Brüche, die es im Bildungsverständnis seitdem gegeben hat, evangelische Bildungsverantwortung in unserer Akademie von Anfang an eine große Weite und Vielfalt hatte. Die Melanchthon-Akademie hat direkt das Gespräch mit der Kölner Stadtgesellschaft gesucht, hat ihre Verantwortung für das ökumenische, das jüdisch-christliche und später auch interreligiöse Gespräch, für die Reformanliegen von Kirche und Gesellschaft, für die Geschlechterfrage, für die Einbeziehung neuer Medien gesucht. Die Weite dieser Themen und unser Anliegen, Bildung partnerschaftlich, kompetenzorientiert und nicht als reine Zuhör-Veranstaltungen zu gestalten, passen hervorragend zu unserem Namensgeber. Melanchthon hat den Funken der Reformation, so wie er ihn bei Martin Luther in Wittenberg kennengelernt hat, in eine humanistische und gewissermaßen aufgeklärte Weite überführt, die bis heute vorbildlich wirkt und uns in Köln auch immer neu anspornt zu fragen: Wo sollen wir uns einmischen, wo können wir Menschen durch Bildung und Kommunikation stark machen, wenn sie sich in Gemeinde und Öffentlichkeit engagieren, wie können sie aber auch für ihr eigenes Leben bis ins Alter Verantwortung übernehmen? Bei der Suche nach neuen Angeboten gehen wir deshalb oft nicht nur in ‚Klausur’, sondern versuchen das aufzunehmen, was unsere Teilnehmenden beschäftigt. Nach meiner Überzeugung entspricht das dem, was Melanchthon mit großer Ernsthaftigkeit sagte: „Wir sind einander zum wechselseitigen Gespräch geboren“!

Wie kam es dazu, dass die Kölner Stadtakademie nach Philipp Melanchthon benannt wurde?

Die 60er Jahre, in denen die Akademie gegründet wurde, waren eine Zeit, die sich – wie mühsam auch immer - dem Thema ‚Reform’ gestellt hat. Das Thema „Kirchenreform“ war in dieser Zeit mindestens so relevant und umstritten wie die derzeitige Debatte um die „Kirche der Freiheit“, die von der EKD ausgeht. Es gibt für die Verknüpfung von Reformation und Reform daher keinen besseren Patron als Philipp Melanchthon.



Was bedeutet Ihnen persönlich Melanchthon?

Mich beeindruckt an Philipp Melanchthon, wie er eigenes Wissen und Lern- und Gesprächsfähigkeit miteinander verbinden konnte. Er war ein neugieriger und sensibler Mensch – und sind nicht diese beiden Eigenschaften das, was Menschen auch heute noch bewegt, sich zu ‚bilden’? Für mich heißt Bildung jedenfalls: Ich lasse mir etwas sagen, ich höre zu und bin bereit, meinen Teil hinzu zu geben.
Das hat Melanchthon gelebt: nüchtern, empathisch und durchaus mit einer hohen ‚Frustrations-Toleranz’, wenn sich der gewünschte Erfolg nicht sofort einstellt. All das hilft mir in meiner Arbeit, und es hilft mir persönlich, mir Gottes Wort sagen zu lassen und mich nicht zu ernst zu nehmen.

Was kann Melanchthon Gemeindegliedern heute sagen?

Aus dem, was ich vorher sagte, können Sie ja ermessen, wie viele Anknüpfungspunkte es gäbe. Aber ich beschränke mich Folgendes: Melanchthon wollte Menschen Orientierung geben, was sich hinter dem evangelischen Glauben im Einzelnen verbirgt. Dazu hat er die erste ‚Dogmatik’ geschrieben. Heute sind wir wieder an dem Punkt, dass in vielen Kirchengemeinden die Neugier auf die große Geschichte Gottes, in die wir hinein genommen sind, wächst. Das Interesse an „Glaubenskursen“ etc. spricht dafür. Melanchthon kann uns helfen, dass wir über diese große Geschichte Gottes ins Gespräch kommen, uns darüber ‚bilden’, ohne Menschen damit zu überwältigen und zu überfordern. Melanchthon wollte die Spaltung der Kirche überwinden. Haben wir uns heute damit abgefunden? Arbeiten wir noch an den Wunden der Trennung? Melanchthon hat auch da ein unbeirrbares Interesse an der Sache der Ökumene gehabt, das jeder Gemeinde trotz Rückschlägen und vielen Veränderungen gut ansteht. Melanchthon hat als Person in vielen Konflikten gestanden. In der Mitte seines Lebens hat er massiv das erlebt, was wir heute Burn-out nennen. Er musste immer wieder lernen, auch schwach sein zu dürfen und sich von Gott und anderen Menschen mit neuer Lebenskraft zurüsten zu lassen. Diese Einstellung zum Leben halte ich für hochaktuell!

Welche besonderen Angebote machen Sie im Melanchthon-Jahr?

Außer Vorträgen, Tagungen und besonderen Ausstellungen zu Melanchthon – eine Jahres-Ausstellung in unserem Haus widmet sich der Kalligrafie, der Schönheit der Sprache und verbindet so europäische und arabische Kultur - entzünden wir in diesem Jahr den Bildungsfunken durch eine Kampagne, die „Bildung für alle“ heißt. Wir bitten Menschen dabei um ihren ‚hellen Kopf’: Menschen, die zu uns als Teilnehmende und als Dozenten kommen, aber auch Menschen aus der Stadtöffentlichkeit, die unser Anliegen unterstützen, sagen in einem kurzen Statement: Was bedeutet mir Bildung, warum ‚brauche’ ich Bildung? Zugleich bitten wir die Mitwirkenden um ein Foto. Aus diesen Fotos wird sich im Lauf des Jahres das berühmte Melanchthon-Porträt von Lucas Cranach zusammensetzen. Das Plakat dieser „Bildung für alle“-Kampagne wird im Herbst veröffentlicht. Unter www.melanchthon-bildung.de kann sich jede und jeder an dieser Aktion beteiligen. Und: Am Todestag von Melanchthon, am Montag, 19. April, werden wir mit einer Sprech-Performance in der Kölner Innenstadt unterwegs sein und Original-Texte von Melanchthon in den öffentlichen Raum sprechen.

zum Hören: Dr. Martin Bock über Melanchthon in "Himmel und Erde" / Radio NRW