Kachelmann und die Justiz: Drei Fragen an Ernst Elitz (15)

Kachelmann und die Justiz: Drei Fragen an Ernst Elitz (15)
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, harte Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - Lob hat er in dieser Woche für Angela Merkels eiserne Euro-Haltung übrig, Respekt zollt er dem verstorbenen Wolfgang Wagner, der aus seiner Sicht den Titel "Menschliches Kulturerbe" verdient hat. Und im Fall Kachelmann kritisiert er das Vorgehen der Justiz. Jeden Freitag beantwortet Ernst Elitz drei Fragen für evangelisch.de.
26.03.2010
Die Fragen stellte Henrik Schmitz

evangelisch.de: ARD-Wetterfrosch Jörg Kachelmann sitzt in Untersuchungshaft, die Medien berichten mit vollem Namen über den Fall. Besteht nicht allein darin schon die Gefahr einer Vorverurteilung und Bestrafung durch öffentliche Ächtung?

Elitz: In diesem Fall würde wohl wenig helfen, ihn schlicht als Jörg K. vorzustellen. Wer über so viel Medienpräsenz und Prominenz verfügt, muss es erdulden, dass er auch in solchen Schicksalsstunden eine Person des öffentlichen Interesses ist. Er steht auf der Bühne, und das Publikum verfolgt sein Drama mit Neugier und Mitgefühl, um ihn am Ende entweder von böser Nachrede befreit oder im Kerker verschwinden zu sehen. Hier kann man mit Recht von der Bühne des Lebens sprechen. Etwas bleibt immer hängen. Der Talkmaster Andreas Türck wurde nahezu existenziell vernichtet, nachdem auch gegen ihn der Vorwurf der Vergewaltigung erhoben wurde. Nach zwei (!) Jahren wurde er wegen "erheblicher Zweifel" an der Glaubwürdigkeit der Frau, die sich als Opfer ausgab, freigesprochen. Es sind nicht immer die Journalisten, die Verdächtige, die als unschuldig gelten müssen, öffentlich und mit vollem Namen präsentieren. Vor einem Jahr wurde die "No Angels"-Sängerin Nadja Benaissa publikumswirksam vor ihrem Auftritt abgeführt. Natürlich hätte die Staatsanwaltschaft sie auch nach der Gesangseinlage festnehmen können, denn auf der Bühne wäre sie schwerlich entkommen. Aber so hatte der Staatsanwalt selbst einen effektvollen Auftritt. Ich sehe nur eine Möglichkeit: Wir müssen den Bürger zu einer notwendigen Skepsis gegenüber unserer Justiz erziehen. Jugendliche Schläger lässt man nach der Festnahme meist wieder laufen. Dann schlagen sie noch mal zu. Bei Kachelmann bestand ja wohl kaum Wiederholungsgefahr. Ich frage mich, warum man ihn nicht erst mal diskret einvernahm. So bietet auch dieser Fall Anlass zu skeptischen Fragen zum Vorgehen der Strafverfolger.

evangelisch.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht sich mit Blick auf die Schuldenkrise um Griechenland in einer neuen Rolle als "Retterin des Euro". Übernimmt sich die Kanzlerin damit vielleicht?

Elitz: Sie handelt richtig. Die griechische Regierung hat sich mit betrügerischen Angaben in die Euro-Gruppe geschlichen. Sie hat Jahr für Jahr falsche Zahlen gemeldet und sich nicht korrigiert. Sie ist ein Serienstraftäter, der durch sein Verhalten die EU und den Euro schwer geschädigt hat. Da ist Härte nötig. Was würde denn mit einem Steuerzahler geschehen, der sich so verhält? Der bekäme noch nicht mal eine Empfehlung für den Internationalen Währungsfonds. Der käme dahin, wo Kachelmann sitzt. Insoweit sind wir alle – auch die Kanzlerin – ausgesprochen nett zu den Griechen.

evangelisch.de: Der Bayreuther Festspielleiter und Komponistenenkel Wolfgang Wagner ist tot. Ist die Zeit der großen Patriarchen im Kulturbetrieb damit endgültig vorbei und was würde das bedeuten?

Elitz: Der Kunstbetrieb braucht geniale Querköpfe, Kunstverrückte, Begeisterungskoryphäen und unnachgiebig handelnde Manager. So einer war Wolfgang Wagner, obwohl er nie als bedeutender Regisseur auffiel und zum Schluss ziemlich nervte. Aber er hat ein wertvolles Gut erhalten, und jedermann kannte die Bayreuther Festspiele, auch ohne jemals da gewesen zu sein. Selbst Opern- und Wagner-Hasser kamen an Bayreuth nicht vorbei. Insoweit sollte man Wolfgang Wagner ob seiner Verdienste posthum den Titel "Menschliches Kulturerbe" verleihen. Der Kulturbetrieb braucht Patriarchen wie ihn, damit die Kunst nicht aus dem öffentlichen Gespräch verschwindet und eine ständige Herausforderung bleibt. Aber als Patriarch wird man bekanntlich nicht geboren. Vielleicht beschert uns die demographische Entwicklung künftig ein paar Dutzend davon.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.