Liebe Nena: Ein Brief zu Deinem 50. Geburtstag

Liebe Nena: Ein Brief zu Deinem 50. Geburtstag
Gabriele Susanne Kerner, die große alte Dame des deutschen Popschlagers, feiert einen goldenen Geburtstag. Nein, Nena kann nicht singen. Ja, ihre Musik ist niveaulos. Sicher, sie war uns früher (ziemlich) egal, sie ist uns heute (sehr) egal. Aber dafür lieben wir sie - und alle anderen, die nie altern.
16.03.2010
Von Thomas Östreicher

Ach, Nena. Wie gern spräche ich von meiner Liebe zu Dir in jungen Jahren. Von Deinen Postern an meiner Wand, von abgenudeltem Vinyl, zerfledderten "Bravo"-Heften (weit mehr als 100 Mal Dein Bild auf der Titelseite!), vom ängstlich gehüteten Autogramm, im Gedränge am Rand einer "Musikladen"-Aufzeichnung ergattert …

Aber nichts da. Ganz ehrlich, ich fand die unendlich banalen, Synthesizer-verpesteten Songs der Band Nena, deren Namen Du Dir später klammheimlich angeeignet hast, immer geschmackvoll wie Pfefferminz und nachhaltig wie Kaugummi.

Als das Produkt Nena mit seinem Spagat zwischen Lolita- und Rocker-Attitüde noch ernst gemeint war, also in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre, war das für mich schlicht Kinderkram. Wenn schon albern, dann lieber der direkte Import aus Absurdistan namens Ideal. "Komm, wir lassen uns erschießen" hatte einfach mehr Biss.

"Ich bin total verwirrt – ich werd verrückt, wenns heut passiert."

Und Eure Reime erst! Entweder korrekt, aber fantasielos geschmiedet wie ein Hagener Hoftor nach dem idiotensicheren Muster "Ich bin so allein / ich will bei dir sein". Oder hingeworfen nach der Devise Pupsegal-es-klingt-doch-ähnlich à la "99 Luftballons / auf ihrem Weg zum Horizont / ... und dass so was von so was kommt" und "Gestern, das liegt mir nicht / heut brauch ich Liebe, die endlos ist". Zugegeben, selbst der heute himmelhoch verehrte Rio Reiser hat sich derlei dichterische Verbrechen erlaubt. Nur nahm der sich selbst nicht gar so ernst und ist außerdem seit 1996 nicht mehr aktiv.

Irgendwie, irgendwo, irgendwann nach dem Abebben der Neuen Deutschen Welle schaffte ich es, Deine im öffentlichen Raum gottlob weniger präsenten Platten, liebe Nena, ironisch zu ertragen. Es sei denn, es wurde gar zu blöde – mit Tänzen im Bananenröckchen etwa wie 1992 als "Bongo Girl".

"Manchmal ist ein Tag ein ganzes Leben."

Apropos alte Zeiten - Du erlaubst mir einen kurzen Rückblick. Die 1950er-Jahre führten mit dem Rock 'n' Roll einen neuen Gedanken in die vermuffte westliche Nachkriegs-Gesellschaftsordnung ein wie einen Todesstachel. Der Gedanke besagte: "Obacht, es gibt junge Leute." Die Sechziger ergriffen den Stachel und spritzten Gift mit der Botschaft: "Die jungen Leute sind lebendiger, frecher, kraft-, geschmack- und liebevoller, kurz: wichtiger als alle anderen zusammen."

Den aufkeimenden Jugendwahn verfolgten die Senioren über 30 mit wachsender Fassungslosigkeit, denn sie hatten ihm nichts entgegenzusetzen. Stattdessen fügten sie sich dem finalen Urteil über den Wert der Generationen, und dem wurde seither kein bedeutender Aspekt hinzugefügt.

Im Gegenteil: Die, die früher jung waren, tun einfach weiter so, als wäre Kennedy noch Präsident. Paul McCartney sinnierte in den Hochzeiten der Hippies darüber, wie es wohl sein werde, wenn er mal 64 ist. Heute ist er 67, färbt sich die Haare und beschallt die Fußballstadien wie einst mit den Boys. "Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich alt werde"? Der Who-Gitarrist Pete Townshend hat sich längst taubgelärmt, aber solange er seine sechs Saiten wenigstens sehen kann, wird ihn nichts davon abbringen, weiter "Meine Generation" zu bejubeln.

"Lass mich dein Pirat sein."

Nur: Wen stört's? Kommt es, um den beliebtesten Trostspruch für unglücklich Alternde anzuführen, nicht ausschließlich darauf an, wie man sich fühlt? Bob Dylan zum Beispiel ist seit seinem 20. Lebensjahr ein cooler alter Mann. "Damals war ich so viel älter / heute bin ich jünger", dichtete er Mitte der Sechziger in einem seiner zahllosen schönsten Songs. Kommendes Jahr feiert er (hoffentlich) seinen Siebzigsten, singt "My Back Pages" immer noch und spielt im Schnitt vor ungefähr gleich vielen Konzertbesuchern wie Du, Nena.

Und wer, bitteschön, altert denn in Würde? Conny Froboess sicher. Keith Richards? Vielleicht. Nicole Kidman? Auweia. Liebe Nena, Du hast eine Privatschule in Hamburg gegründet, Du hast Dein behindertes Kind nicht versteckt, Du hast mal zu viel gebechert und mal die falsche Werbung gemacht, aber in Wirklichkeit hast Du Dich nicht die Spur verändert. Äußerlich, intellektuell, musikalisch, rundum. Welcher Anstrengungen das bedarf, ist allein Deine Sache.

"Jeder hat das Recht, einen Narren aus sich zu machen", sagt im Film die fast 80-jährige Maude zum 18-jährigen Harold, der sich nach nichts mehr sehnt, als endlich so jung zu werden wie sie. Dann stirbt sie, und er beginnt zu leben.

"Es ist vorbei und hört niemals auf."

Liebe Nena, Dich zu mögen, heißt im Frieden zu sein. Im Frieden mit den mehrheitlich unentschuldbaren Kulturauswüchsen, die als Neue Deutsche Welle erst Aufsehen erregten, dann tiefe Abscheu. Mit einer Zeit, die inmitten des ganzen Nato-Nachrüstungsirrsinns ein noch irrsinnigeres, dabei garantiert sinnfreies Spaßventil brauchte, notfalls mit Saxofonsolo.

Wer Dich mag, ist auch mit der eigenen Vergangenheit versöhnt. Vielleicht ist wenigstens das ein später Sieg der Friedensbewegung, mit der Du nie das Geringste im Sinn hattest.

"Hast du etwas Zeit für mich?"

Ach, Nena. Ich geh mit Dir, wohin Du willst.


Thomas Östreicher, Jahrgang 1960, ist freier Journalist in Hamburg und Frankfurt.