Esel - die kleinen verkannten Genies

Esel - die kleinen verkannten Genies
Sie gelten als störrisch und dumm - Esel haben in Deutschland kein gutes Image. Dabei sind die genügsamen Tiere geduldig und hilfreich. Besuch bei einem Hobbyzüchter.
23.12.2009
Von Frauke Weber

Er hat längst Witterung aufgenommen. Er drängt sich ganz dicht an den Zaun, reckt seinen Hals, nur um bis an die Handschuhe heranzureichen, die das kleine, harte Brötchen noch festhalten. Seine weichen Lippen tasten sich an den Händen vor, bis die Zähne eine Ecke des Brotes zu packen kriegen. Wieder geschafft! Genüsslich schwenkt Giovanni seine Trophäe durch die Luft, bevor er das Brötchen verspeist. Könnte es vielleicht noch mehr Leckereien geben? Die Ohren gespitzt, aus den Nüstern steigen kleine Atemwölkchen hoch, verfolgt Giovanni jede Bewegung.

Doch heute gibt's erstmal nichts mehr für den Eselhengst, der für seine Besucher gerade eben noch ein lautes I-A zur Begrüßung trompetet hatte. Eilig trabte er aus seinem Unterstand, der ihm auch bei den vorweihnachtlichen Minusgraden Schutz gewährt, durch die hohe geschlossene Schneedecke zum Zaun. Nach dem Brötchen bleibt noch Zeit für eine Streicheleinheit durch sein dichtes, graues Haar, das ihn jetzt im Winter ebenso wärmt.

Für Giovannis Besitzer, Hobbyzüchter Norbert Sijben, ist der Besuch bei seinen Eseln nicht ganz so beschaulich. Er muss die Tränken aufhacken, damit die Tiere auch bei Eis noch trinken können. Seit vielen Jahren schon hat Sijben, im Hauptberuf Hausarzt, seine kleine Eselherde. Und Giovanni ist so etwas wie der Star. Beide sind in Dormagen-Zons bekannt, einem Ort zwischen Düsseldorf und Köln. Giovanni spielt öfter in der "lebenden Krippe" mit, wo er offenbar eine überzeugende Darstellung gibt.

Hobbyzüchter Norbert Sijben mit seinem Esel Camillo. Foto: Frauke WeberEsel also. Obwohl sie schon seit Jahrhunderten Begleiter der Menschen sind, gelten sie heute als störrisch, dumm und schreien I-A. Soweit das Klischee. Pferde und Ponys haben ihnen längst den Rang abgelaufen. Dabei sind Esel gar nicht so dumm. Wer einmal in die tiefbraunen Augen von Giovanni, Camillo oder Piroschka geschaut hat, der entdeckt, dass die Tiere äußerst wach sind, neugierig, ja sogar etwas verschmitzt. "Mit Eseln muss man viel mehr Geduld haben, sie lassen sich fremden Willen nicht so aufzwingen wie Pferde oder Ponys", erklärt Norbert Sijben, der "Esel-Flüsterer".

Das Bockige, Störrische, was Menschen bei den Eseln auszumachen glauben, liegt in einem Missverständnis begründet, das da lautet: Esel sind so wie Pferde. Sind sie eben nicht. Denn Esel sind keine Fluchttiere. Wenn ihnen Gefahr droht, rennen sie nicht weg, sondern bleiben einfach stehen und sondieren die Lage. Was sie eigentlich sympathisch machen sollte. Und erkennen sie Gefahr, keilen sie gern mal heftig und kräftig aus, um ihre Gegner zu schädigen. Esel sind genügsam, belastbar, trittsicher. Über kürzere Distanzen können sie soviel Last schleppen, wie sie selbst wiegen, reduziert man die Last, verlängern sich natürlich die Strecken.

Was Esel in anderen Teilen der Welt zu begehrten Tieren macht. Beispielsweise in Nepal. Die gemeinnützige "Esel-Initiative" sammelt Spenden, um alleinerziehende Frauen in entlegenen Regionen wie im Himalaya zu unterstützen. So können die Frauen überhaupt leichter Waren transportieren. Die Esel ermöglichen aber beispielsweise auch kleine Geschäfte. So haben die Frauen die Möglichkeit, das Holz, das sie gesammelt haben, auf ihren Tieren zu transportieren, damit sie es in größeren Orten verkaufen können. Oder mehrere Frauen stellen ihre Esel zu einer kleinen Karawane zusammen, die so mehr Waren in die entlegenen Regionen transportieren kann, was ebenfalls ein kleines Einkommen sichert.

Der erste Esel kam aus Belgien

Zurück in die zugigen und kalten Rheinwiesen von Dormagen. Schon als Kind hatte Norbert Sijben seine Leidenschaft für Esel entdeckt. Auf einem Bauernhof groß geworden, konnte er sich ein Leben ohne Tiere gar nicht vorstellen. Seinen ersten Esel bekam er aus Belgien. 13 Jahre alt sollte die Stute sein, und trächtig. Doch es kam weder Nachwuchs, noch war das Tier 13 Jahre alt. "Es war wohl eher 30 Jahre", sagt Sijben heute zurückblicken. Das Alter eines Esels festzustellen, ist gar nicht so einfach, da die Zähne – sonst eine gute Methode – nicht soviel Aufschluss geben. Jedenfalls war damit der Anfang gemacht.

Heute hat der Hobbyzüchter vier Weiden gepachtet oder gekauft, denn neben den Eseln braucht Sijben auch noch Platz für seine Dexter-Rinder, die er ebenfalls züchtet. So dreht er jeden Tag seine Runde durchs Dorf zu den verschiedenen Weideplätzen. Zugute kommt ihm dabei, dass er sich als Hausarzt seine Zeit inigermaßen frei einteilen kann, um sich ausreichend um alle Tiere zu kümmern. Denn seine Tiere einfach anderen überlassen, das geht so leicht nicht. "Man muss die Gabe haben, schon am Verhalten zu erkennen, ob alles in Ordnung ist", erklärt Norbert Sijben.


Frauke Weber ist Redakteurin bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Wirtschaft und Magazin.