Vom Leben und Leiden eines Drehbuchautors

Vom Leben und Leiden eines Drehbuchautors
Drehbuchautor Alex Buresch hat alle wichtigen Fernsehpreise in Deutschland erhalten. Für "Das wahre Leben" bekam er den Grimme-Preis und für "Rose" den Deutschen Fernsehpreis. Der Fernsehfilm "Polizeiruf 110: Rosis Baby" wurde 2009 mit dem Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche, ausgezeichnet. Aktuell läuft "Lila Lila" im Kino, das Drehbuch hat Buresch auf der Basis des gleichnamigen Romans von Martin Sutter verfasst. Im Interview mit evangelisch.de verrät Buresch die Tricks eines Autors und ärgert sich über die Filmbranche.
17.12.2009
Von Henrik Schmitz

evangelisch.de: Es heißt, man könne aus einem guten Drehbuch einen schlechten Film machen, aber aus einem schlechten Drehbuch keinen guten Film. Dennoch stehen Drehbuchautoren selten im Mittelpunkt, zu Stars werden nur Schauspieler und Regisseure. Fehlt Ihnen die Anerkennung?

Alex Buresch: Am Anfang hat das schon ein wenig am Ego gekratzt, nicht so im Mittelpunkt zu stehen. Es ist auch manchmal merkwürdig, wenn ich Porträts über Schauspieler oder Regisseure lese und es klingt so, als seien diesen die Geschichten und Dialoge eingefallen. Inzwischen finde ich es aber ganz angenehm, dass ich sozusagen in der Deckung arbeite. Das Drehbuch zu "Lila, Lila" war bereits vor 1,5 Jahren fertig. Alain Gsponer, der Regie geführt hat, und ich sind schon längst mitten in weiteren Projekten. Dennoch muss er jetzt für den Film auf Werbetour gehen, da möchte ich wirklich nicht mir ihm tauschen. Es gibt aber nach wie vor Dinge im Umgang mit uns Autoren, die ich skandalös finde. Zum Beispiel dass der Autor bei einer Nominierung zum "Besten Film" nicht zur Preisverleihung eingeladen wird. Das geht einfach nicht. Wir Autoren generieren Arbeitsplätze, letztlich schaffen wir buchstäblich aus dem Nichts die Grundlage für Millionen-Umsätze. Wenn man uns schon nicht angemessen dafür entlohnt, dann sollte man uns wenigstens ein bisschen mehr Respekt entgegenbringen...

evangelisch.de: Drehbuchautor ist nicht unbedingt ein klassischer Beruf. Wie sind Sie zum Drehbuchschreiben gekommen?

Buresch: Ehrlich gesagt ist das einfach so passiert. Ich hatte eigentlich nie den konkreten Plan, Drehbuchautor zu werden und habe auch nicht schon als Schüler Drehbücher oder Theaterstücke geschrieben. Eigentlich hasse ich schreiben. Aber ich bin in einer schwäbischen Kleinstadt groß geworden. Meine Mitschüler haben Banklehren gemacht oder Jura und Medizin studiert. Mir war klar, dass das nichts für mich ist. In meinem Abschlussjahr hat dann in Aalen ein Stadttheater aufgemacht, da habe ich dann erstmal ein Praktikum gemacht.

evangelisch.de: Und da wurde dann die Leidenschaft geweckt sozusagen?

Buresch: Die emotionale Kraft, die vom Geschichten erzählen ausgeht, fand ich spannend. Wenn ein Film toll ist, dann presst er den Zuschauer regelrecht in den Sessel und das hat mich tatsächlich fasziniert. Im Theater kann man sehr gut sehen, wie in der Arbeit mit Schauspielern Emotion hergestellt wird. Am Theater lernt man auch, wie man durch eine Geschichte führt. Ich kann es eigentlich nur jedem Drehbuchautor empfehlen, ans Theater zu gehen. Ich habe da vielleicht mehr gelernt, als an der Filmakademie in Ludwigsburg, wo ich dann studiert habe.

evangelisch.de: War die Ausbildung in Ludwigsburg ihrer Ansicht nach ungenügend?

Buresch: Ich glaube, man kann Drehbuschreiben nur lernen, indem man es tut. Das kam für mich persönlich an der Akademie ein wenig zu kurz, aber ich gestehe, das hatte wahrscheinlich auch etwas mit meiner eigenen Verweigerungshaltung an der Schule zutun. Aber unabhängig davon: Der deutsche Film- und Fernsehmarkt ist sehr überschaubar. Wenn ich dann daran denke, dass allein die Akademie Ludwigsburg pro Jahr sechs Regisseure und fünf bis zehn Drehbuchautoren ausspuckt, frage ich mich schon, wo die überall arbeiten sollen

evangelisch.de: Halten Sie die Ausbildung der Drehbuchautoren für weniger professionell als in anderen Ländern?

Buresch: Ich weiß nicht, wie die Ausbildung im Ausland aussieht. In Deutschland hat sich da in den letzten Jahren viel getan. Was die Tradition des Erzählens angeht, liegt Deutschland aber hinter Ländern wie zum Beispiel Frankreich oder Großbritannien zurück. Dort gibt es im Theater zum Beispiel die so genannten Well-made-plays. Das sind letztlich Boulevardtheaterstücke, die aber einfach gut gebaut sind und einen guten Plot haben. Auf solche Sachen guckt man in Deutschland eher abwertend. Wir sind hier geprägt von einem mehr bildungsbürgerlichen Blick auf Geschichten – "Das Theater als moralische Anstalt."

Teamarbeit

evangelisch.de: Sie arbeiten offenbar gern im Team und haben wie aktuell "Lila Lila" mehrere Projekte mit dem Regisseur Alain Gsponer verwirklicht. Wie ist diese Zusammenarbeit entstanden?

Buresch: Ich arbeite wirklich sehr gerne im Team. Eigentlich schlechte Vorraussetzungen für einen Autor, wo man doch das Bild hat, ein Autor ist ein Mensch alleine am Schreibtisch. Aber zwei Hirne denken mehr als eines, und ein Film soll ja vielen Menschen gefallen. Da hilft die Arbeit im Team, denn dann gefällt es mindestens schon mal zwei Menschen. Alain Gsponer habe ich an der Filmakademie kennengelernt. Als Regiestudent musste er jedes Jahr einen Film machen. Unsere Zusammenarbeit hat mit einem Projekt begonnen, das ich abgebrochen habe, weil ich mit dem Stoff einfach nicht klarkam. Wir haben uns dann aber noch mal zusammengerauft für Alains Abschlussfilm "Kiki und Tiger". Der Film hat zu unserem Glück eine hohe Aufmerksamkeit bei Fernsehredaktionen und Produzenten erregt, so dass sich daraus weitere gemeinsame Projekte ergeben haben.

evangelisch.de: Was war das für ein Projekt, das Sie abgebrochen haben?

Buresch: Ich weiß es gar nicht mehr so genau. Ich hatte zu dem Zeitpunkt an der Akademie drei Projekte gleichzeitig am Hals und dann bekam ich eine Schreibblockade, bis ich irgendwann alle drei Projekte aufgegeben habe. Alain und ich hatten dann noch die Idee für einen Film, der in Ascona spielen sollte, mit viel Schlagermusik und so, aber das haute mit dem Budget überhaupt nicht hin. Sechs Wochen bevor Alain mit den Dreharbeiten beginnen musste haben wir dann entschieden, "Kiki und Tiger" zu machen. Das wurde sogar ohne Drehbuch gedreht, es gab nur ein so genanntes Treatment, wo nur der Ablauf und die einzelnen Szenen skizziert waren. Letztlich war die ganze Entwicklung ein Glücksfall für uns.

evangelisch.de: Wie entstehen Ihre Geschichten? Wie entwickeln Sie Ideen und machen daraus ein Drehbuch?

Buresch: Das ist unterschiedlich. Manchmal hat eine Redaktion eine Anregung und man entwickelt eine Idee dazu, wie etwa bei "Rosis Baby" oder es gibt einen Roman, den man adaptiert, wie jetzt für "Lila, lila". Manchmal stolpere ich über einen Zeitungsartikel, der mich zu einer Geschichte anregt. Bei "Rose" war es wiederum so, dass es ein reales Vorbild gibt: eine Frau mit drei Söhnen, die ich kenne. Ich dachte, da ist etwas drin, das interessiert mich, da will ich einen Film draus machen. Und dann fängt das Elend an.

Sitzfleisch und Leidensfähigkeit

evangelisch.de: Und wie wird aus der Idee ein Film?

Buresch: Da gehört viel Handwerk zu, Sitzfleisch und Leidensfähigkeit. Das Grundgerüst einer Geschichte ist aber letztlich einfach. Es gibt eine Figur, einen Helden und der Held hat ein Ziel. Die Geschichte handelt davon, ob er das Ziel erreicht oder nicht und vor allem davon wie er das anstellt. Die Zutaten dafür muss man dann finden. Und dafür braucht es eben: Handwerk, Sitzfleisch, Leidensfähigkeit.

evangelisch.de: Ihr neuer Film "Lila, Lila" ist eine Adaption eines Romans. Was macht mehr Spaß, eigene Geschichten schreiben oder die Geschichten anderer in eine dramatische Form zu bringen?

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Buresch: Mehr Spaß macht es, eine eigene Geschichte zu entwickeln. Der größte Moment beim Schreiben ist immer, wenn einem ein Dialogsatz oder eine Handlung der Figur einfällt, die einen selber überrascht. Man sucht nach einer Lösung in einer Szene und plötzlich hat man sie, weil man um die Ecke denkt. Die Geschichte oder die Figur entwickelt sich dann in eine Richtung, die man selber nie erwartet hätte. Das sind dann Momente, wo man das Gefühl eines Durchbruchs hat. Auch für sich selbst. Da hat man dann was gelernt. Bei einer Adaption passiert das natürlich nicht in der Form, weil man den Weg schon kennt. Das ist eher eine handwerkliche Arbeit. Was daran Spaß macht ist, das ein gewisser Druck weg ist und man nicht im Trüben fischt. Man weiß wo die Reise hingeht.

evangelisch.de: Haben Sie sich mit Martin Suter, dem Autor von "Lila, Lila" ausgetauscht?

Buresch: Ich habe ihn gemeinsam mit Alain Gsponer und Daniel Brühl auf Ibiza besucht und er hat uns ermutigt, seinen Roman "mit der gebotenen Härte" zu bearbeiten. Während der Arbeit an dem Drehbuch habe ich ihm immer wieder die neuesten Versionen geschickt und er hat das wohlwollend begleitet. Ich glaube, der Film gefällt ihm.

Kino vs. Fernsehen

evangelisch.de: Was ist der Unterschied zwischen einem Drehbuch für einen Fernsehfilm und einem Drehbuch für einen Kinofilm?

Buresch: Es gibt den Witz: "Warum ist das Fernsehen so dialoglastig? Weil die Hausfrauen nebenher bügeln können müssen." Da ist etwas Wahres dran. Kino ist sehr viel visueller. Ich habe neulich "The Virgin Suicides" von Sophia Coppola auf DVD gesehen und nebenher im Internet gesurft. Von dem Film habe ich dadurch nichts mitbekommen, die Dialoge des Films passen auf vielleicht zehn Seiten. Ein großer Unterschied ist auch, dass im Fernsehen sehr schnell klar sein muss, worum es in der Geschichte geht. Der erste Akt, in der die Hauptfigur vorgestellt wird, die Welt in der er lebt und das Ziel, das er hat, soll höchstens 15 bis 20 Minuten dauern. In einem Kinofilm wie zum Beispiel "Good Bye Lenin" dauert der erste Akt allein 45 Minuten, bis die eigentliche Geschichte losgeht. Im Kino hat man dafür Zeit, der Zuschauer hat seine sieben Euro bezahlt und wird bis zum Schluss in seinem Sessel sitzen. Im Fernsehen haben sie die Zeit nicht, weil der Zuchauer schnell wissen will, ob es sich lohnt dranzubleiben.

evangelisch.de: Ein Polizeiruf hat etwa sechs Millionen Zuschauer. Wenn Sie einen Film für ein so großes Publikum machen, fühlen Sie auch so etwas wie Verantwortung?

Buresch: Man hat grundsätzlich eine Verantwortung, auch wenn man eine Geschichte für ein überschaubares Publikum erzählt. Die erste und die wichtigste Verantwortung ist es stets, das Publikum zu unterhalten und es ernst zu nehmen. Und man hat eine Verantwortung seinen Figuren gegenüber, die man nicht verraten darf.

evangelisch.de: Im Film "Wie ist die Welt so stille", ebenfalls ein Polizeiruf, gibt es eine sehr drastische Szene. Eine Tochter findet ihre Familie, die mit einem Baseballschläger ermordet wurde. Haben sie Skrupel, wenn sie solche Szenen schreiben?

Buresch: In dem Film geht es darum, dass ein Kommissar an die Grenzen dessen gerät, was er ertragen kann. Wenn das der Kern der Geschichte ist, muss man auch zeigen, worum es geht. Man muss ein Mittel finden, dass zu zeigen. Ich glaube es tut einem Film auch gut, wenn er eine Grenze sucht. Die Grenze dessen, was zumutbar ist, muss man schon ausloten.

evangelisch.de: Ihre Filme fallen alle unter die Kategorie "anspruchsvolles Fernsehen". Es scheint allerdings, dass die Sendeplätze dafür knapp werden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Buresch: Es gibt den Montagabend im ZDF und den Mittwochabend in der ARD. Da wäre im Jahr Platz für etwa 60 anspruchsvolle Filme, das reicht eigentlich. Das Problem ist, dass der "Degeto-Bereich" immer mehr nach diesen Sendeplätzen greift. Woran das liegt, weiß ich nicht, ich bin ja nicht in den Sendern. Allerdings muss man zugeben, dass "Degeto-Stoffe" viele Zuschauer finden und es nicht den Anschein macht, dass diese Zuschauer unbedingt nach "Qualitätsfilmen" gieren.

evangelisch.de: Vielleicht würden es mehr Leute gucken, wenn es mehr davon gäbe?

Buresch: Vielleicht. Das "Qualitätsfernsehen" in Deutschland ist ja auch ein Ersatz für eine bestimmte Art von Kinofilmen, die es in Deutschland nicht gibt, weil der Markt nicht so groß ist. Ich wünsche mir auch nicht, dass die Sendeplätze für anspruchsvolles Fernsehen weggeschwemmt werden von diesem Degeto-Kram. Denn dann müsste ich mir einen anderen Job suchen. Man muss diese Sendeplätze unbedingt beschützen.

evangelisch.de: Helfen Preise wie der Grimme-Preis oder der Geisendörfer Preis einem Drehbuchautor dabei, seinen Anspruch von Qualität durchzusetzen?

Buresch: Filmemachen hat auch mit Vertrauen zu tun. Ein Sender oder die Filmförderungen vertrauen uns ein Budget an, und sie ewarten dass sie dafür einen guten, möglichst erfolgreichen Film kriegen. Diese Preise helfen natürlich, dieses Vertrauen aufrecht zu erhalten. Keine Frage.

evangelisch.de: Wir haben zu Beginn des Interviews über so etwas wie die ideelle Anerkennung der Drehbuchautoren geredet. Wie sieht es mit der finanziellen aus? Es gibt im Fernsehbereich immer mehr Staffelverträgen bei denen die Autoren nur dann das volle Honorar bekommen, wenn der Film auch tatsächlich gedreht wird.

Buresch: Staffelverträge bedeuten, dass der Autor mit ins unternehmerische Risiko geht. Das wäre legitim, wenn die Bezahlung insgesamt besser wäre. Aber weil die Bezahlung unterm Strich nicht besonders gut ist und ich mich als Autor nicht darauf verlassen kann, dass meine Stoffe tatsächlich das volle Honorar bringen, bin ich gezwungen, immer mehrere Projekte gleichzeitig zu machen. Ich glaube aber, dass die Filme in Deutshcland besser wären, wenn sich die Drehbuchautoren auf ein Projekt konzentrieren könnten.


Alexander Buresch, geboren 1973, lebt in Stuttgart. 1994 bis 1997 studierte er Schauspieldramaturgie an der bayerischen Theaterakademie in München, 1997 bis 2003 folgte ein Drehbuchstudium an der Filmakademie Baden-Württemberg

Filmographie (Auswahl):

2005: "Rose" (Buch), Regie: Alain Gsponer, 2007 als "Bester Film" mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. 

2006: "Das wahre Leben“ (Buch, Co-Autor: Matthias Pacht), Grimme Preis 2009

2006: "Am Ende kommen Touristen" (Dramaturgische Beratung; Buch&Regie: Robert Thalheim) 

2007: Polizeiruf 110 "Wie ist die Welt so stille“"(Buch, Co-Autor: Alain Gsponer) 

2007: Polizeiruf 110 "Rosis Baby" (Buch, Co-Autor: Matthias Pacht), Robert Geisendörfer Preis 2009

2009: "Lila, Lila" (Buch, nach dem Roman von Martin Suter), Regie: Alain Gsponer

Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Kultur und Medien. Eine längere Version dieses Interviews ist bereits im Oktober bei evangelisch.de erschienen.