Kinderhilfswerk will mehr Beteiligungsrechte für Kinder

Kinderhilfswerk will mehr Beteiligungsrechte für Kinder
Schon seit 20 Jahren stehen Kinderrechte auf der Agenda, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Am 20. November 1989 verabschiedeten die Vereinten Nationen die UN-Kinderrechtskonvention, im April 1992 trat sie in Deutschland in Kraft. An der Umsetzung mangelt es allerdings noch, daran haben auch die verschiedenen Regierungswechsel seit damals wenig geändert.
28.10.2009
Von Hanno Terbuyken

Es ist schon ein Kreuz mit den Kinderrechten. Schon vor zehn Jahren stellte die "National Coalition zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland" fest, dass es nicht so weit her sei mit den Kinderrechten. Und im Zuge der aktuellen Koalitionsverhandlungen forderte das Aktionsbündnis Kinderrechte, bestehend aus UNICEF, dem Deutschen Kinderhilfswerk und dem Deutschen Kinderschutzbund, endlich die Rechte von Kindern im Grundgesetz zu verankern. "Wir vermissen die vor der Wahl versprochene Stärkung des Kindeswohls und der Kinderrechte", hieß es in der Mitteilung des Bündnisses.

Die Kritik ist harsch. "Die Verankerung der international verbrieften Kinderrechte im Grundgesetz ist überfällig. Doch jetzt sieht es so aus, als würde die für unser aller Zukunft entscheidendste Bevölkerungsgruppe schon wieder vergessen", kommentierte Jürgen Heraeus, UNICEF-Vorsitzender in Deutschland. "Die Umsetzung der Kinderrechte ist eine Querschnittsaufgabe, die in unserer Gesellschaft höchste Priorität haben muss", sagte auch der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, und verwies darauf, dass Kinderrechte im Alltag bisher zu selten mitbedacht würden: "Das Wohl der Kinder gehört in den Mittelpunkt allen Handelns von Staat und Gesellschaft."

Kinderrechte ins Grundgesetz

In diesem Sinne engagieren sich das Aktionsbündnis Kinderrechte und die National Coalition gemeinsam mit einer Vielzahl weiterer Organisationen dafür, dass Kinderrechte in Deutschland ihren Weg ins Grundgesetz finden. Dies würde die Rechte von Kindern und auch ihre rechtliche Stellung deutlich stärken. Beispielsweise wäre die Orientierung am Kindeswohl dann einklagbar. "Solange die Kinderrechte nicht im Grundgesetz stehen, werden die Gerichte in Deutschland auch nicht in der Lage sein, umfassend kindgerecht zu urteilen", erklärte Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes (DKHW). "Das sieht man zum Beispiel bei der Schließung von Kitas und Spielplätzen wegen so genannten Kinderlärms."

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Eines der Grundrechte ist das Recht des Kindes auf "Schutz, Förderung und einen angemessenen Lebensstandard", eine Forderung, die sich zugleich mit dem Kampf gegen Kinderarmut überschneidet. "Eigentlich hat der Staat dafür Sorge zu tragen, dass jedes Kind eine warme Mahlzeit am Tag erhält. Das ist in anderen Ländern durchaus der Fall", forderte die neu gewählte Vorsitzende des Rates der EKD, Margot Käßmann, im Interview nach ihrer Wahl von der Politik. Es ist eine Diskussion, die sich auch mit der Debatte um das von Bundeskanzlerin Merkel vorgeschlagene Betreuungsgeld überschneidet.

Neben dem Recht auf Schutz, Förderung und einen angemessenen Lebensstandard formuliert das Aktionsbündnis Kinderrechte noch fünf weitere Grundrechte, die im Grundgesetz kodifiziert werden sollen:

  • der Vorrang des Kindeswohls bei allen Kinder betreffenden Entscheidungen,
  • das Recht des Kindes auf Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit,
  • das Recht des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung,
  • das Recht des Kindes auf Beteiligung, insbesondere die Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend Alter und Reifegrad,
  • die Verpflichtung des Staates, für kindgerechte Lebensbedingungen Sorge zu tragen.

Umfangreiche Analyse zum Beteiligungs-Recht

Zu einem dieser Rechte, nämlich dem Recht auf Beteiligung, hat das Deutsche Kinderhilfswerk erstmals eine umfassende Analyse vorgelegt. Das Ergebnis: "Es liegt ein eklatanter Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention vor, die die Vorrangstellung des Kindeswohls, die Verwirklichung der Kinderrechte und die Berücksichtigung des Kindeswillens anerkennt", lautet das Fazit des DKHW-Vorsitzenden Thomas Krüger: "Die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland sind ein Flickenteppich und entsprechen nicht durchgängig den Standards, die nötig und möglich sind."

Krüger forderte Bund und Länder auf, die Verwirklichung der Partizipation auch umzusetzen, und zwar unter Beteiligung der Kommunen. Dies sei "unabdingbar", um einen Bezug zwischen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und ihrer persönlichen Lebenswelt herzustellen. Schwerpunkte der Analyse waren das Wahlrecht für Kinder und Jugendliche und Beteiligungsrechte in den Kommunen, in Kindertageseinrichtungen und vor allem in der Schule, sowohl ihre Förderung als auch ihre Umsetzung.

In der Mitteilung des DKHW hieß es: "Es kann festgestellt werden, dass es eine Vielzahl von positiven Beispielen in den Bundesländern gibt, wo die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf dem richtigen Weg ist. Diese zeigen klar und deutlich, dass die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen keine Frage der Kassenlage, sondern vor allem eine Frage des politischen Willens des Gesetzgebers ist."
Auf der kommunalen Ebene wurden bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mittels Wahlrecht in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt. In sechs Bundesländern sind Jugendliche ab 16 Jahren wahlberechtigt. In Bremen soll die Altersgrenze noch in diesem Jahr ebenfalls auf 16 Jahre abgesenkt werden, und zwar auch auf der Landesebene, womit erstmalig in Deutschland Jugendliche das Wahlrecht für ein Landesparlament haben werden.

DKHW für eine Absenkung des Wahlalters

In einzelnen Gemeindeordnungen der Länder wurden die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren festgeschrieben. Das Bewusstsein der Kommunen für die Wahrnehmung der Rechte und Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen konnte laut DKHW gesteigert werden, aber nur über verbindliche Regeln für die Verwaltungen.

Auch der Partizipation in der Schule widmete die Analyse des DKHW große Aufmerksamkeit. Dabei stellte sich heraus, dass die Beteiligung zwischen den Bundesländern sehr unterschiedlich ausfällt und beispielsweise Klassensprecher teilweise ab der ersten Klasse (Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein), teilweise erst ab der fünften Klasse gewählt werden müssen. Auch die Teilnahme an Schulkonferenzen durch Schülervertreter ist sehr unterschiedlich geregelt. Eltern würden dabei allerdings fast durchgehend weitergehende Beteiligungsrechte zugestanden als den Schülern.

Die DKHW-Analyse zur Partizipation gibt eine Reihe von Handlungsempfehlungen, wie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland nachhaltig verbessert werden könnte. Dazu zählt auf der Bundesebene die Absenkung des Wahlalters für Europa- und Bundestagswahlen ebenso wie die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz. Auf der Landesebene spricht sich das Deutsche Kinderhilfswerk für eine Verankerung von Beteiligungsrechten in den Landesverfassungen, eine Absenkung des Wahlalters bei Landtags- und Kommunalwahlen und die Festlegung von verbindlichen Beteiligungsrechten in den Gemeindeordnungen aus.

Partizipation in Schulen auch in die Bildungspläne

Verbindliche Klassensprecher-Wahlen ab der ersten Klasse und die gleichen Beteiligungsrechte für Schülervertretungen, die auch für Elternvertretungen gelten, sollen die Partizipation in der Schule weiter fördern. Konkret sollten beispielsweise "in der Schulkonferenz Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer Jahrgangsstufe mindestens in Drittelparität mit Sitz und Stimme vertreten sein. Einschränkungen der Drittelparität durch Veto- und Einspruchsrechte dürfen nicht zulässig sein."

Außerdem sollten Kinder- und Beteiligungsrechte zu einem regulären Bestandteil von Bildungs- und Rahmenplänen in Kindertageseinrichtungen und Schulen werden. Entsprechende didaktische Materialien müssen bereitgestellt und von Kindertageseinrichtungen und Schulen angeschafft werden.

Für die Analyse der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland wurden die entsprechenden Gesetze, die Länderverfassungen und Gemeindeordnungen sowie Bildungs- und Rahmenpläne der Bundesländer ausgewertet. Darüber hinaus wurde ein Fragebogen an die Staats- und Senatskanzleien der Bundesländer verschickt, der nach Angaben des DKHW "von allen Bundesländern mehr oder weniger ausführlich beantwortet wurde und eine gute Grundlage der Analyse war".